MONITOR vom 17.10.2019

Staudammbruch in Brasilien: Die Rolle des TÜV Süd

Bericht: Andreas Maus, Madé Mendonca

Staudammbruch in Brasilien: Die Rolle des TÜV Süd Monitor 17.10.2019 08:54 Min. UT Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste Von Andreas Maus, Madé Mendonca

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Georg Restle: „Vielleicht erinnern Sie sich noch an Bilder wie dieses. Es war Ende Januar, als ein Staudamm eines brasilianischen Eisenerzunternehmens brach und 272 Menschen in den Schlammfluten starben. Kein Unfall, sondern ein Verbrechen, sagt einer der Betroffenen und hat jetzt gemeinsam mit zwei deutschen Nichtregierungsorganisationen Anzeige erstattet. Gegen ein deutsches Unternehmen – den TÜV Süd. Der hatte nämlich nur wenige Monate zuvor den Damm als sicher bewertet, obwohl die eigenen Mitarbeiter vor Ort klare Bedenken geäußert hatten. Recherchen von Andreas Maus und Madé Mendonca.“

Der 25. Januar 2019 – die Bilder einer Überwachungskamera. Es sieht aus wie in einem Science-Fiction-Film. In Brumadinho, im Herzen Brasiliens bricht der Staudamm einer Eisenerzmine. Eine Schlammlawine wälzt sich ins Tal und reißt 272 Menschen in den Tod. Es ist eine der größten Katastrophen in der Geschichte des Landes. Neun Monate später – noch immer sind die Spuren der Katastrophe nicht beseitigt. Marcela Rodrigues wohnt in der Nähe des Damms und zeigt uns den Ort, wo sich die Schlammlawine durch das Tal fraß.

Marcela Rodrigues (Übersetzung Monitor): „Als der Staudamm brach, wurde die ganze Gemeinde zerstört, und dazu auch die Kantine und andere Gebäude des Bergbauunternehmens. Die Schlammlawine war voller Giftstoffe und Leichen und traf hier auf den Fluss.“

Marcela hat dabei ihren Vater verloren, den Ernährer der Familie. Knapp zwei Stunden bevor der Damm brach, bekam sie die letzte Nachricht von ihm. Er wollte in die Kantine gehen.

Marcela Rodrigues (Übersetzung Monitor): „Erst einen Monat später wurde die Leiche meines Vaters gefunden. Es war sehr schmerzhaft und gleichzeitig wollte ich Antworten haben und anderen helfen, die die gleichen Schmerzen durchgemacht haben.“

Marcelas Vater arbeitete bei Vale. In dem Firmenvideo präsentiert sich das Unternehmen als moderner Rohstoffproduzent. Vale ist Betreiber der Eisenerzmine in Brumadinho. Gegen den Konzern wird in Brasilien wegen des Dammbruchs ermittelt. Doch schon kurz nach der Katastrophe rückt auch ein deutsches Unternehmen in den Fokus – der TÜV Süd. Im September 2018 – nur vier Monate vor dem Dammbruch – hatte der TÜV Süd im Auftrag des Bergbaukonzerns die Stabilität des Damms geprüft – und durch ein Zertifikat bestätigt. Dabei hatte es schon früh deutliche Zweifel an der Stabilität des Staudamms gegeben. Im Mai 2018 äußerten zwei brasilianische Ingenieure eines TÜV-Tochterunternehmens Bedenken, ob man die Stabilität wirklich zertifizieren könne. Das geht aus Unterlagen hervor, die Monitor vorliegen. Berechnungen hatten ergeben, dass der Damm die Stabilitätswerte offenbar nicht erfüllt. So schreibt einer der Ingenieure Mitte Mai in einer internen Mail:

Zitat: „Streng genommen können wir somit nicht die Erklärung über die Stabilitätsbedingungen des Staudammes unterschreiben. Dies bedeutet die sofortige Stilllegung aller Bergbauaktivitäten…“

Doch gleichzeitig fühlen sich die TÜV Süd-Ingenieure offenbar durch den Bergbaukonzern Vale unter Druck gesetzt, wie der Mitarbeiter weiter schreibt.

Zitat: „Jedoch wird uns Vale wie üblich in die Mangel nehmen und uns fragen: Und wenn er nicht besteht, werdet ihr trotzdem unterschreiben oder nicht?“

Sie sollen die Stabilität des Damms attestieren – trotz Bedenken? Die brasilianischen Ingenieure wollen deshalb die Unternehmenszentrale des TÜV Süd in Deutschland informieren – und dort einen deutschen Manager. So steht es in einer weiteren Mail, nur wenige Minuten später.

Zitat: „lch glaube, das ist eine Angelegenheit, die an das Unternehmen weitergeleitet werden soll. lch habe es so verstanden, dass M. morgen im Büro sein wird. Wir sollen ihm es zeigen, damit er seine Meinung äußern kann.“

Der deutsche Manager M. aus der Münchener TÜV Süd-Zentrale. Er soll also informiert werden. Nach Aussagen der Ingenieure kam dieser einmal im Monat nach Brasilien. Staatsanwalt Coelho kümmert sich jetzt auch in Brasilien um die Frage, wer die Verantwortung für die falsche Stabilitätsbescheinigung trägt. Er kommt zu dem Schluss: Der TÜV-Manager in Deutschland stand in engem Austausch mit den TÜV-Mitarbeitern in Brasilien.

William Coelho, Staatsanwaltschaft Minas Gerais, Brasilien (Übersetzung Monitor): „In den Mails äußern sie die Notwendigkeit, Informationen über den Zertifizierungsprozess des Damms an das Mutterunternehmen und auch M. zu liefern. Die Mails gelten als Beweis dafür. Unmittelbar nach diesen Mails gab es auch einen WhatsApp-Chat zwischen den Mitarbeitern, in dem bestätigt wird, dass sie sich mit M. unterhalten haben.“

Laut Staatsanwaltschaft haben sich M. und die brasilianischen TÜV-Mitarbeiter dann auch tatsächlich getroffen. Hat der deutsche TÜV-Manager letztendlich entschieden, die Stabilität des Dammes trotz Bedenken zu bescheinigen? Rogerio Correia, der Sprecher des parlamentarischen Untersuchungsausschusses zum Dammbruch hat dazu eine klare Meinung.

Rogerio Correia, Sprecher parl. Untersuchungsausschuss, Brasilien (Übersetzung Monitor): „Er war der leitende Ingenieur. Er hat dem Gutachten zugestimmt, das dann von den hiesigen Ingenieuren unterschrieben wurde. Er war der Leiter des ganzen Verfahrens. Also trägt er die Verantwortung. Davon sind wir überzeugt.“

Schwere Vorwürfe. Auf Anfrage von Monitor wollen sich weder TÜV Süd noch der Manager zu den Vorwürfen äußern – mit Hinweis auf das laufende Verfahren. Der TÜV Süd und sein Manager also mitverantwortlich für den Staudammbruch in Brasilien? Zusammen mit „Misereor“ und Angehörigen der Opfer hat das Europäische Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte jetzt Anzeige erstattet. Unter anderem wegen fahrlässiger Tötung und Bestechung. Ihr Vorwurf:

Claudia Müller Hoff, European Center for Constitutional and Human Rights, ECCHR: „Wir erstatten Anzeige gegen den deutschen TÜV Süd-Konzern und deutsche TÜV Süd-Manager, weil in Brasilien ein Stabilitätszertifikat für einen instabilen Damm ausgestellt worden ist, und zwar wider besseren Wissens. Wir sehen die Konzernzentrale hier in der Verantwortung und deswegen wollen wir diesen Fall auch hier vor deutsche Gerichte bringen.“

Doch es geht nicht nur um den gebrochenen Staudamm von Brumadinho. Laut einer Überprüfung, die der TÜV Süd in Auftrag gegeben hat, gibt es zahlreiche weitere Staudämme in Brasilien, die vom TÜV Süd zertifiziert wurden, obwohl es auch dort offenbar Sicherheitsbedenken gibt. In einem internen Schreiben an Vale, einige Wochen nach der Katastrophe, stellen die vom TÜV Süd beauftragten Experten fest:

Zitat: „Die Stabilität der Dämme könne zu diesem Zeitpunkt in keinem Fall bestätigt werden, unter anderem weil einige Parameter bei Berechnungen zu „optimistisch“ gewesen seien. Bei sieben Staudämmen gäbe es Anlass zu „Besorgnis“.“

Wie passt das zu einem Unternehmen, dessen Geschäftsmodell eigentlich die Sicherheit ist? Was könnte das Motiv sein?

Susanne Friess, Hilfswerk MISEREOR e. V.: „Es gibt 770 solcher Dämme in ganz Brasilien, die jedes Jahr zertifiziert werden müssen. Und angesichts dieser … dieses großen und lukrativen Potentials hat TÜV Süd anscheinend seine menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten den Profitinteressen untergeordnet.“

Profitinteressen vor Menschenrechten? Schwere Vorwürfe. Hat der TÜV Süd im Fall von Brumadinho möglicherweise ein Gefälligkeitsgutachten ausgestellt, um sich weitere Geschäfte zu sichern? Diesen Verdacht äußert die brasilianische Staatsanwaltschaft.

William Coelho, Staatsanwaltschaft Minas Gerais, Brasilien (Übersetzung Monitor): „Tatsächlich wurde nach dem Stabilitäts-Gutachten des Staudamms ein Vertrag über mehr als 2 Millionen Euro abgeschlossen, für strukturelle Projekte. Wir sehen diesen Vertrag als eine Belohnung für das rechtswidrige Gutachten.“

Auch diesen Vorwurf wollte der TÜV Süd auf Nachfrage nicht kommentieren. Vale erklärte gegenüber Monitor, dass keinerlei Einflussnahme auf den TÜV Süd stattgefunden habe. Für Marcela geht es längst nicht mehr nicht nur um das eigene Schicksal, den Verlust des Vaters.

Marcela Rodrigues (Übersetzung Monitor): „Wenn es das falsche Gutachten nicht gegeben hätte, wären die Aktivitäten der Mine vielleicht gestoppt worden. Die Menschen hätten evakuiert werden können. Daher werde ich nach Deutschland gehen, um Antworten zu hören und um das zu erzählen, was wir hier durchleben.“

Georg Restle: „Schwere Vorwürfe sind das gegen den TÜV Süd, die jetzt von Staatsanwälten in Brasilien und in Deutschland hoffentlich aufgeklärt werden.“

Kommentare zum Thema

  • Josef Laqua 17.10.2019, 22:21 Uhr

    Ist nicht gerade erst ein genau gleicher Damm gebrochen? Hat diesen Damm auch der TÜV Süd untersucht. Warum, ja warum hat Monitor nicht dazu zumindest kurz berichtet?