Bericht: Andrea Miosga, Kim Otto
Am Anfang stand ein großer Plan: 22 Millionen Tonnen CO2 sollten die Energiekonzerne einsparen, auf eigene Kosten. Und eines sollte es niemals geben:
Sigmar Gabriel, SPD, Bundeswirtschaftsminister: „...so was wie Hartz IV für Kraftwerke. Nicht arbeiten aber Geld verdienen, das geht nicht.“
Von diesem Versprechen ist heute nicht viel übrig. Kohlekraft abschalten – die Energiewende schneller vorantreiben – fordern am Wochenende tausende Menschen in Berlin. Von Bundeswirtschaftsminister Gabriel sind sie enttäuscht:
Demonstrant 1: „Er ist labil, er steht nicht hinter der Energiewende. Er steht mehr auf Seiten der Wirtschaft.“
Demonstrant 2: „Bei Gabriel läuft das oft so, dass er dann was zurücknimmt, was er versprochen hat.“
Demonstrant 3: „Hü… und Hott! Und im Moment ist gerade wieder „Hü“!“
Eigentlich hatte der Bundeswirtschaftsminister ein großes Ziel:
Mit der Klimaabgabe sollten 22 Millionen Tonnen CO2 einspart werden, auf Kosten der Energiekonzerne. Stattdessen soll jetzt die so genannte Braunkohlereserve kommen. Die spart aber nur 8-12 Millionen Tonnen CO2 ein.
Warum? Um 22 Millionen Tonnen CO2 allein durch das Abschalten von Kraftwerken zu erreichen, hätte man geschätzt 18 Blöcke vom Netz nehmen müssen. Durch die Braunkohlereserve sollen jedoch nur 8 Kraftwerksblöcke abgeschaltet werden.
Der Plan: Diese acht Blöcke der Unternehmen RWE, MIBRAG und Vattenfall gehen in eine „Braunkohlereserve“. Sie werden abgeschaltet, sollen aber im Notfall wieder ans Netz.
Dafür bekommen die Konzerne Geld, und zwar nicht nur für die Bereitstellung der Kraftwerke, sondern auch für einen Teil ihrer entgangenen Gewinne: 1,6 Milliarden Euro. Bezahlen sollen das die Stromkunden. Und es kann noch teurer werden:
MONITOR liegt eine interne Berechnung des Bundeswirtschaftsministeriums vor: Darin findet sich unter „Kosten für Stromkunden bzw. Steuerzahler“ eine zusätzliche Leistung von 1-2 Milliarden Euro einmalig.
Oliver Krischer, B‘90/Grüne, Wirtschaftsausschuss: „Das interne Papier zeigte, dass in den Hinterzimmergesprächen zwischen Bundesregierung und Energiekonzernen auch über ein bis zwei Milliarden gesprochen worden ist, die aus Steuermitteln gezahlt werden sollen. Das zeigt, das Geschenk an die Energiekonzerne wird für uns alle ein sehr, sehr teures.“
Ein Interview mit Sigmar Gabriel erhalten wir dazu nicht. Schriftlich teilt uns das Bundeswirtschaftsministerium mit: Man kommentiere interne Papiere nicht. Es bleibe bei 1,6 Milliarden Euro für Reservekraftwerke. Die sollen ans Netz gehen, wenn nicht genügend Strom aus anderen Energien da ist. Aber funktioniert das überhaupt?
Wenn Braunkohlekraftwerke einmal abgeschaltet sind, brauchen sie lange, um wieder hochzufahren. Mindestens zehn Tage. Die Netzbetreiber in Deutschland benötigen Reservekraftwerke manchmal jedoch innerhalb von Stunden, maximal innerhalb von sieben Tagen.
Prof. Claudia Kemfert, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung: „Die Braunkohlereserve ist als Reserve nicht plausibel, weil die Kraftwerke viel zu behäbig sind. Sie brauchen ja zehn Tage, um hochzufahren.“
Reporter: „Also sie werden nie ans Netz gehen?“
Prof. Claudia Kemfert, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung: „Die Kraftwerke werden aller Voraussicht nach nicht ans Netz gehen.“
Eine sinnlose Kohlereserve also. Wie ist es zu Gabriels Kehrtwende gekommen?
Kaum war sein Vorschlag der „Klimaabgabe“ raus, begann im Frühjahr der Protest dagegen. An der Spitze: Die Kohlegewerkschaft IGBCE. Im Schulterschluss mit den Braunkohleländern warnte sie vor dem Verlust tausender Arbeitsplätze.
Hinter den Kulissen liefen die Lobbyisten Sturm: 27 Mal kamen Vertreter der Energiekonzerne ins Bundeswirtschaftsministerium zu Einzelgesprächen, innerhalb von vier Monaten. Am neuen Gesetzentwurf wurden sie sogar offiziell beteiligt. RWE und Vattenfall wollten sich dazu vor der Kamera nicht äußern, nur der Geschäftsführer der MIBRAG war zu einem Interview bereit.
Reporter: „Was konnten Sie denn durchsetzen?“
Bernd-Uwe Haase, Geschäftsführer MIBRAG: „Positiv durchsetzen konnten wir, dass die Klimaabgabe, wie sie ursprünglich geplant war, vom Tisch ist. Und positiv durchsetzen konnten wir, dass Kosten, die entstehen für die Sicherheitsbereitschaft der Kraftwerke uns erstattet werden.“
Reporter: „Weil Sie direkt am Gesetz mitgeschrieben haben?“
Bernd-Uwe Haase, Geschäftsführer MIBRAG: „Weil wir den Kollegen im Bundeswirtschaftsministerium deutlich machen konnten, welche Kosten für die Sicherheitsbereitschaft entstehen.“
Oliver Krischer, B‘90/Grüne, Wirtschaftsausschuss: „Die Konzerne haben von Anfang an starkes Lobbying betrieben. Sie haben dann am Gesetz mitgeschrieben, sie haben ganz konkret die Feder geführt im Bundeswirtschaftsministerium und dann am Ende auch noch in Hinterzimmern mit der Bundesregierung einen Vertrag über die ganz konkreten Details ausgehandelt, ohne irgendeine demokratische Kontrolle. Das ist eigentlich ein absolutes Unding.“
Aber es wird noch absurder: Die Konzerne erhalten auch für Kraftwerke Geld, die womöglich ohnehin stillgelegt werden sollten. Beispiel: Das RWE-Kraftwerk Niederaußem, mitten in Bergheim. Zwei der alten Blöcke sollen in die Reserve, RWE erhält dann bis 2022 Geld dafür.
Nach einer Liste der Bundesnetzagentur über den erwarteten Rückbau hatte RWE selbst schon geplant, die Blöcke in Niederaußem stillzulegen, und zwar schon 2019. Jetzt erhält der Konzern noch drei Jahre darüber hinaus Millionen an Ausgleichszahlungen.
RWE teilt schriftlich mit, der Konzern habe nie endgültig über die Blöcke entschieden. Was sollte es noch mal nie geben?
Sigmar Gabriel, SPD, Bundeswirtschaftsminister: „...so was wie Hartz IV für Kraftwerke. Nicht arbeiten aber Geld verdienen, das geht nicht.“
Prof. Claudia Kemfert, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung: „Ich würde es benennen als Subventionierung oder Abwrackprämie für alte Kohlekraftwerke, als goldenes Ende für Kraftwerke, die ohnehin in einigen Jahren vom Netz gegangen wären.“
Ein goldenes Ende auf Kosten des Klimas und der Stromkunden. Industriepolitik mit effektivem Klimaschutz – dazu ist Deutschland offenbar doch noch nicht bereit.
Wir hatten zunächst den Geschäftsführer der MIBRAG falsch benannt. Seinen Namen haben wir inzwischen korrigiert. Wir bitten, diesen Fehler zu entschuldigen.
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