MONITOR vom 06.12.2018

Brand in Klever Gefängniszelle: Massive Zweifel an offizieller Version

Bericht: Andreas Maus, Julia Regis, Nikolaus Steiner

Brand in Klever Gefängniszelle: Massive Zweifel an offizieller Version Monitor 06.12.2018 07:50 Min. UT Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste Von Andreas Maus, Julia Regis, Nikolaus Steiner

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Achim Pollmeier: „Guten Abend und willkommen bei MONITOR; ausnahmsweise ohne Georg Restle, aber wie immer mit einer Sendung voller Recherche. Also los! Erinnern Sie sich an Amad A.? Der syrische Flüchtling saß wegen einer Verwechslung mehr als zwei Monate zu Unrecht in einem Gefängnis im nordrhein-westfälischen Kleve. Bei einem Brand in seiner Haftzelle wurde er so schwer verletzt, dass er später starb. Inzwischen weitet sich der Fall immer mehr zu einem Polizei- und Justizskandal aus. Wie konnte man einen hellhäutigen Syrer mit einem dunkelhäutigen Mann aus Mali verwechseln, ihn zu Unrecht inhaftieren, und niemandem fällt das auf? Und auch die offizielle Version vom Brandgeschehen wirft etliche Fragen auf. Wochenlang haben Andreas Maus, Julia Regis, und Nikolaus Steiner nach Antworten gesucht, und sind auf immer größere Widersprüche gestoßen.“

Justizvollzugsanstalt Kleve, 17. September.

Damaliger Häftling: „Gegen 19:00 Uhr habe ich Randale auf dem Flur gehört.“

In Haftraum 143 bricht Feuer aus.

Damaliger Häftling: „… dass Leute vor die Tür getreten haben, geschrien haben, aus den Fenstern gerufen haben.“

In Zelle 143 sitzt der Syrer Amad A. seit mehr als zwei Monaten unschuldig in Haft. 40 Prozent seiner Haut verbrennen, knapp zwei Wochen später stirbt er im Krankenhaus.

Stefan Engstfeld (Grüne), Mitglied im Rechtausschuss NRW: „Aus meiner Sicht ist das ein Polizei- und Justizskandal.“

Korbinian Pasedag, Institut für Brand- und Löschforschung: „Der Brand, so wie er beschrieben ist von der Staatsanwaltschaft, ist so nicht möglich.“

Den bisherigen Berichten des NRW-Justizministeriums zufolge hat Amad A. seine Zelle angezündet. Suizid, den Staat treffe keine Schuld. Die Opposition bezweifelt die offizielle Version.

Stefan Engstfeld (Grüne), Mitglied im Rechtausschuss NRW: „Alles um den Haftraumbrand ist erst mal die Aussage: vorbildlich verhalten, alles richtig gemacht.“

Sven Wolf (SPD), Rechtausschuss NRW-Landtag: „Die einzelnen Berichte, die wir bekommen, die versuchen natürlich immer ein anderes Bild darzustellen. Die versuchen immer wieder Fehler, die im Justizvollzug gemacht worden sind, zu verdecken.“

Was ist am 17. September geschehen? Wir recherchieren, werten interne Unterlagen aus, sprechen mit ehemaligen Häftlingen und Brandexperten. Unser Fazit: An den bisherigen Versionen von Justizministerium und Staatsanwaltschaft gibt es Zweifel. Hätte Amad A. gerettet werden können? Die offizielle Version geht so: Am 17. September, kurz nach 19:00 Uhr zündet Amad A. einen Haufen aus Bettlaken, Decken und Matratzen an. Etwa 15 Minuten brennt es bei geschlossenem Fenster. Dann drückt Amad A. den Knopf der Gegensprechanlage. Ein Beamter soll den Ruf entgegengenommen haben. Ob und was besprochen wurde, ist nicht bekannt. Anschließend öffnet Amad A. das Fenster. Kurz darauf wird die Zelle von JVA-Mitarbeitern geöffnet. Kann es so gewesen sein?

Korbinian Pasedag, Institut für Brand- und Löschforschung: „Der Brand, wie er von der Staatsanwaltschaft beschrieben ist, kann so nicht abgelaufen sein. Weil die hohe Brandintensität im geschlossenen Raum einfach nicht möglich ist.“

Korbinian Pasedag und seine Kollegen sind Brand- und Löschforscher, einzigartig in Deutschland. Sie bekommen Aufträge aus ganz Europa und haben in den letzten Jahren eine umfangreiche Datenbank aufgebaut. Gemeinsam mit seinen Kollegen hat Pasedag ein Gutachten für MONITOR erstellt. Darin analysieren sie den Brandverlauf, so wie er vom Gutachter der Staatsanwaltschaft beschrieben wird. Die Frage: Etwa 15 Minuten bei geschlossenem Fenster, ist das möglich?

Korbinian Pasedag, Institut für Brand- und Löschforschung: „Vom Grundsatz her ist das Ergebnis der Untersuchungen, dass wir festgestellt haben, dass der Brand als solcher mit 15 Minuten geschlossen nicht möglich ist, zumindest nicht mit dem Ergebnis, was da beschrieben worden ist, von der Verbrennung her. Das geht einfach nicht, weil dafür hätte eine Ventilation da sein müssen.“

Reporter: „Ventilation heißt?“

Korbinian Pasedag, Institut für Brand- und Löschforschung: „Ventilation heißt, dass ein Austausch von Rauchgasen zu frischem Sauerstoff stattfinden kann, also dass ein geöffnetes Fenster oder eine geöffnete Tür, damit frischer Sauerstoff wieder reinkommt und auch die verbrauchte Luft wieder rausgeht.“

Waren also Fenster oder Tür doch geöffnet? Hätte man den Brand früher entdecken können? Und es gibt eine weitere Frage: War Amad. A nach 15 Minuten Brand in der geschlossenen Zelle überhaupt noch handlungsfähig? Auch das hält Pasedag für nicht möglich.

Korbinian Pasedag, Institut für Brand- und Löschforschung: „Eine Person 15 Minuten in aufrechter Haltung bei dem Brandereignis kann nicht mehr handlungsfähig sein. Auf der einen Seite durch den Rauch, der so dicht ist und schwarz und ölig, dass er nichts mehr sehen kann und auf der anderen Seite durch die Toxizität der Gase, die da eben entstehen.“

Auch Prof. Marcel Verhoff, Direktor der Rechtsmedizin Frankfurt, bezweifelt die Darstellung des von der Staatsanwaltschaft beauftragten Brandgutachters.

Prof. Marcel A. Verhoff, Direktor Rechtsmedizin Frankfurt: „Bei einem derart starken Brand, wie das da beschrieben ist, dass die Person dann nach einer Viertelstunde noch so weit handlungsfähig war, halte ich für sehr schwer nachvollziehbar. Ich würde eher erwarten, dass die Person dann längst bewusstlos ist.“

Was ist in den 15 Minuten passiert? Hat Amad A. früher das Fenster geöffnet und auf sich aufmerksam gemacht? Der von der Staatsanwaltschaft beauftragte Brandgutachter legt sich fest. Er kommt zu dem Ergebnis, dass der Brand etwa 15 Minuten eingewirkt habe,

Zitat: „… ohne dass sich der syrische Staatsangehörige bemerkbar gemacht habe.“

Für Korbinian Pasedag ist auch das nicht nachvollziehbar.

Korbinian Parsedag, Institut für Brand- und Löschforschung: „Bei den Rauchgastemperaturen im Brandraum, die da vorgeherrscht haben, würde das eine massive Einwirkung auf die Person bedeuten. Also Schädigung der Atemwege, Schädigung der Haut und auch Verbrennungen, was dazu führen würde, dass eine wach und ansprechbare Person Schmerzen geschrien hätte - ob sie will oder nicht.“

Hat Amad A. geschrien, um Hilfe gerufen? Während unserer Recherche bekommen wir Kontakt zu einem Informanten in der JVA. Häftlinge haben ihm erzählt, dass Amad A. sehr wohl während des Brandes auf sich aufmerksam gemacht hat. Er schreibt uns per SMS:

Zitat: „Folgende Aussage wurde mir gegenüber gemacht: „Ich habe den da schreien gehört, das war echt hart.“

Phillip, so nennen wir ihn, war am Brandabend ebenfalls in der JVA inhaftiert. Er kannte Amad A. gut, saß einige Tage noch gemeinsam mit ihm in einer Zelle, bevor der Syrer verlegt wurde.

Phillip: „Man hat gerochen, dass es gebrannt hat irgendwo. Gut, die Leute, die natürlich auf dem Flügel waren, die haben das sofort mitbekommen, was da los ist. Es wurde ja auch von einigen Leuten gesehen, dass es da gebrannt hat. Amad wurde ja auch hilfeschreiend am Fenster gesehen. Mir wurde in der Freistunde erzählt, dass Amad am Fenster war, um Hilfe gerufen hat, vor die Tür wohl auch getreten hat.“

Wenn Amad A. geschrien hat, dann wohl zu einem relativ frühen Zeitpunkt des Brandes, sagen uns Experten. Nur eine von vielen Ungereimtheiten.

Stefan Engstfeld (Grüne), Mitglied Rechtsausschuss NRW: „Die ganze Frage des Haftraumbrandes, was ist da eigentlich genau passiert? Die Motivlage, der Ablauf, nachher die Ermittlungen, alles mit riesen Fragezeichen derzeit zu versehen.“

In den Berichten finden wir weitere Widersprüche und Ungereimtheiten. Als JVA-Mitarbeiter die Zelle von Amad A. schließlich öffneten, heißt es in einem internen Protokoll:

Zitat: „Der Gefangene wurde aus dem Haftraum gezogen.“

Später steht in den offiziellen Berichten:

Zitat: „Der Gefangene taumelte den Bediensteten nach Aufschluss der Haftraumtür entgegen.“

Kam Amad A. den Beamten entgegen oder lag er bewusstlos in der Zelle? Nur einer von vielen Widersprüchen. Wir konfrontieren das NRW-Justizministerium. Dort verweist man uns an die Staatsanwaltschaft. Diese teilt uns mit, die Frage, ob, wie und wann sich Amad A. während des Brandes bemerkbar gemacht hat,

Zitat: „(…) ist Gegenstand der laufenden Ermittlungen.“

Sven Wolf (SPD), Mitglied Rechtsausschuss NRW: „Am Ende stellt sich dann natürlich die Frage, wenn früher reagiert worden wäre, könnte dann Amad A. noch leben? Und das ist die zentrale Frage.“

Was passierte am 17. September in der JVA-Kleve? Knapp zehn Wochen nach dem Tod von Amad A. gibt es mehr Fragen als Antworten.

Achim Pollmeier: „Noch vor Weihnachten soll ein Untersuchungsausschuss im nordrhein-westfälischen Landtag die Arbeit aufnehmen. Da gibt es viel zu tun!“

Kommentare zum Thema

  • Micha 29.12.2018, 16:54 Uhr

    Wir kann man nur diese klaasse Ermittlungen von Monitor anzweifeln? Wer das tut ist böse u. ein Nazi! Schämt euch!

  • Miriam S 14.12.2018, 16:44 Uhr

    Ist keinem aufgefallen, dass die Fotos des "Attentäters" von Straßburg gestern und heute sehr unterschiedlich ausgefallen waren, und nicht nur durch die etwas wilde Frisur gestern...die Form des Gesichtes z.B. erscheint mir nicht zu ein und derselben Person zu gehören... Ist wie damals beim Fall Amri, gut für den Staat, dass der "VERMUTLICHE Delinquent die Jagd nicht überstanden hat, da kann er auch nicht befragt werden. Wer überzeugt mich davon, dass französische Ermittlungen besser funktionieren als die hier abgelaufenen? überdies : Die Phalanx an Militärs, die sich dort aufgebaut hatte, ließ mich erschaudern. weiteres Rätsel: ist der IS immer noch im Spiel, vor einiger Zeit schon hieß es, er sei endgültig besiegt ? so oder so gilt meine Anteilnahme den Opfern und ihren Angehörigen !

  • heiko 12.12.2018, 08:59 Uhr

    Hallo Monitor,Amad A. wurde verhaftet weil er in einem Strandbad 4 Mädchen belästigt hatte und zwar mehrmals (angedeutetes ornanieren usw) darafhin hatte die Polizei in völlig zu Recht wegen sexuäler Beleidigung verhaftet. Beim Datenabgleich gab es einen Treffer per Haftbefehl Name und Geburtsdatum stimmten überein. Auch in Timbuktu(Mali) gibt es hellhäutige Tuarak? Amad A. lehnte jede Hilfe ab. Das Feuer wurde eindeutig von ihm selbst gelegt. Das Fenster muss aufgewesen sein,weil man den Russ auf dem Foto über dem Fenster sieht und Zeugen ihn auch am Fenster gesehen haben. Er hat wahrscheinlich erst mit dem Feuer rumgespielt oder es ist außer Kontrolle geraten?Deshalb 15 min. Immer gibt man anderen die Schuld.Es gab wohl keine Rauchmelder weil die Häftlinge damit nur rumspielen genau wie mit der Sprechanlage?