MONITOR vom 03.12.2015

Bonn-Tannenbusch – das deutsche Molenbeek?

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Bericht: Nikolaus Steiner, Tobias Al Shomer

Bonn-Tannenbusch – das deutsche Molenbeek?

Monitor 03.12.2015 06:44 Min. Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste

Georg Restle: „Die Terroristen von Paris, sie kamen nicht aus Syrien - sondern mitten aus Europa. Aus den Vororten von Brüssel und Paris, wo sie sich über Jahre hinweg radikalisiert haben. Gescheiterte Existenzen, ohne jede Perspektive, offen für radikale Verführer und terroristische Heilsversprechen. Auch in Deutschland gibt es solche Vororte, soziale Brennpunkte, in denen sich Armut und Perspektivlosigkeit breit gemacht haben. Wer verhindern will, dass Menschen auf die schiefe Bahn geraten, muss dort etwas verändern - und zwar dringend. Wie das gehen könnte, zeigen ihnen jetzt vier Rapper aus der ehemaligen Bundeshauptstadt. Und die wissen wirklich, worüber sie reden.“

„Verlorene Stadt“ heißt ihr neuer Song. Sugar, Moka, Leon und Amo von MMFK, Abkürzung für: „Mit mir fickt keiner“. Verlorene Stadt - das ist hier, Randbezirk Bonn, wo sie groß geworden sind. Sie alle saßen schon im Knast. Der Alltag besteht aus Langeweile, sagen sie. Shops und Dönerladen haben hier dicht gemacht. Rumhängen ist angesagt.

„Sugar“: „Hier gibt’s auch kein Café oder so, wo man sich reinsetzen kann und sich unterhalten kann. Das ist dann halt wirklich dieses Blockleben. So dann chillst du hier. So dann kommt der nächste und sagt, ja, was machen wir? Keine Ahnung, was machst du hier? Keine Ahnung so, weißt du.“

„Moka“: „Und dann sieht man halt andere, ja, die Geld in der Tasche haben, die die neueste Kleidung tragen, ja, die dicke Autos fahren. Und natürlich ist das der Traum. Das ist der Traum von allen hier. Ja, man will einfach raus aus dieser Scheiße, egal wie.“

Raus aus Armut, Drogen, Arbeitslosigkeit. Der Traum von der Rap-Karriere schweißt sie zusammen. Dass sie ganz unterschiedliche Wurzeln haben - aus Angola, dem Libanon - dass sie Christen und Muslime sind, spielt für sie überhaupt keine Rolle. Hier ist es egal, wo jemand herkommt oder woran er glaubt, meinen sie.

„Moka“: „Libanesen, Syrer, dies das. Ich würd sagen, alle Araber sind eigentlich hier vertreten, Schwarzafrikaner extremst viel. Albaner, Tschetschenen. Was gibt’s noch, Bruder?“

„Amo“: „ Jugoslawen, Bosnier.“

Reporter: „Gibt es auch Deutsche?“

„Moka: „Sehr wenig.“

Bis zu 60 Prozent Migranten leben hier in den Vierteln am Rande der Stadt. Der deutsche Staat scheint hier ganz weit weg zu sein. Für viele ist hier die Polizei der Gegner.

„Moka“: „Wenn man in Familien aufwächst oder in Kreisen aufwächst, wo das Hauptthema ist, versteck dich vor der Polizei, renn weg vor der Polizei. Ja, lass dich nicht ficken von der Polizei, ja. Es entstehen Ängste und aus dieser Angst führt sich irgendwann auch der Hass. Das man sagt: Scheiß auf die Polizei!“

Parallelwelt Bonn-Tannenbusch. Rund 16.000 Menschen leben hier. Die meisten sind Migranten, viele von ihnen Muslime, die in der angrenzenden Moschee beten. Es gibt nur einen Supermarkt und einen Bäcker im Zentrum. Ungefähr jeder Dritte ist Hartz-IV-Empfänger. Die Arbeitslosenquote ist die höchste von ganz Bonn. Seit den Anschlägen von Paris sind Bonner Stadtteile wie Tannenbusch in den Schlagzeilen, weil hier besonders viele Gefährder, also laut Polizei gewaltbereite Islamisten leben sollen. Der Kofferbomber vom Bonner Hauptbahnhof wohnte hier und es gibt eine große Salafistenszene, die versucht, hier Nachwuchs zu rekrutieren. Schulleiter Martin Finke hat einige seiner Tannenbuscher Schüler auf einem der Videos erkannt. Es sind gerade die jungen Leute mit Problemen im Elternhaus oder im Freundeskreis, die leichte Beute für die radikalen Anwerber sind, meint er.

Martin Finke, Freiherr vom Stein Realschule: „Dann kommen Menschen, die sagen, hier, komm her zu mir. Hier ist es sehr leicht, Anerkennung zu bekommen. Hier brauchst du auch nicht viele Dinge zu leisten, hier brauchst du einfach nur zu beten. Vielleicht den Kaftan anzuziehen möglicherweise. Oder dich äußerlich darzustellen. Und schon bekommst du die Anerkennung. Es ist vermeintlich ein leichter Weg schnell Anerkennung zu bekommen.“

Aufs Schulgelände dürfen und kommen diese Prediger nicht. Die Lehrer achten besonders auf die gefährdete Jugendliche und halten engen Kontakt zu den Eltern, sagt der Schulleiter. Die jungen Leute hier brauchen vor allem Anerkennung, durch Bildung und Arbeit meint Abdlqalq Azrak von der islamischen Gemeinde in Tannenbusch. Seit mehr als 20 Jahren lebt er hier, kennt viele muslimische Familien. Aber - und das sagt er ganz selbstkritisch - auch die islamische Gemeinden müssten mehr gegen Radikalisierung tun.

Abdlqalq Azrak, Vorstand Al-Muhajirin-Moschee: „Es gibt keine Entschuldigung, dass die islamischen Gemeinden sich ein Schritt nach hinten ziehen und sagen, wir haben nichts zu tun mit diesen Leuten. Nein! Es sind … wenn die sagen, wir sind Muslime, das heißt auch, wenn sie an dem falschen Weg, wenn sie Gefahr für die Gesellschaft, wir müssen unsere Aufgaben tun, dass diese Leute aufgeklärt werden.“

Aufklärung statt Abschottung. Mit Radikalen oder Terroristen haben sie hier überhaupt nichts am Hut, sagen sie. Was die Rapper nervt, ist das ständige IHR. IHR Muslime. IHR da aus dem Problemviertel. Und dass so viele von den Politikern und Sozialarbeitern gar nicht wissen, wie es sich anfühlt, hier zu leben.

„Amo“: „Dann denke ich mir auch, Alter, was versuchst du mir da vom Leben zu erzählen? Wenn du meine Schuhe anziehst und mein Leben lebst, was ich erlebt habe. Also wer weiß, ob du dann noch normal bist, ob du normal im Kopf bist? Was willst du mir erzählen. So denken die meisten Jugendlichen auch, denken, was ist das für ein Doof oder keine Ahnung.“

Es braucht nicht viel: Sozialarbeiter, die ihre Sprache sprechen. Ein Café als Treffpunkt. Polizisten, die hier ihre Wurzeln haben, die sie verstehen. Oder eben ein Tonstudio. Das hier sei ihre Zuflucht, sagen sie. Ihr Schutzraum, der verhindert, dass sie wieder kriminell werden oder auf komische Gedanken kommen. Ihre Musik sei ihre Sprache - und noch viel mehr.

„Moka“: „Musik ist mein Therapeut, ja?. Musik, sobald ich den Beat laufen habe, sobald ich mein Blatt habe, sobald ich mein Stift habe, ist die Person, die ich eben angesprochen habe, die mir gefehlt hat, diese Person, der ich alles erzählen kann, ist da. Und ich kann einfach meinen Gedanken freien Lauf lassen.“

Hoffnung auf ein Leben ohne Knast. Möglich durch ein paar Beats und ein kleines Tonstudio. Manchmal braucht es gar nicht viel mehr.

Stand: 04.12.2015, 10:33 Uhr

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