MONITOR vom 22.02.2018

Spekulanten bevorzugt: Politik blockiert „Bodenwertsteuer"

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Bericht: Jochen Taßler, Lutz Polanz

Spekulanten bevorzugt: Politik blockiert „Bodenwertsteuer"

Monitor 22.02.2018 08:50 Min. Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste

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Georg Restle: „Wie schafft man Gerechtigkeit in einem Land, in dem die 45 reichsten Haushalte so viel besitzen wie die gesamte ärmere Hälfte der Bevölkerung? Auch darüber hätte man gerne etwas im Koalitionsvertrag gelesen. Zum Beispiel, wenn es um Eigentum an Grund und Boden geht. Dazu finden sich allerdings nur vage Absichtserklärungen. Fest steht, das derzeitige Steuersystem bevorzugt in Großstädten wie München Spekulanten, die auf die rasant steigenden Bodenwerte setzen. Immerhin kostet ein Quadratmeter Bauland da heute schon mal ein paar tausend Euro - ohne dass darauf ein Haus oder Hotel steht. Deshalb fordern Wissenschaftler eine völlig neue Bewertung, die sich nicht mehr am Wert einer Immobilie, sondern am Wert des Bodens orientiert. Lutz Polanz und Jochen Taßler zeigen Ihnen jetzt, für wen sich das rechnen würde, und für wen nicht.“

Erich Schwaiger ist Bauunternehmer. In München, der Stadt mit den höchsten Immobilienpreisen in Deutschland. Die Nachfrage ist riesig. Eigentlich perfekte Bedingungen für Schwaiger. Aber inzwischen geht ihm das alles zu weit.

Erich Schwaiger, Bauunternehmer: „Der Markt ist im Moment völlig aus den Fugen geraten und eine Gesellschaft, die so massiv durch Immobilienblasen wie im Moment auseinandergeteilt wird, das ist eine Gesellschaft, die sich letztendlich dann radikalisiert. Egal, ob es politisch ist oder auch im Zusammenleben der Einwohner untereinander.“

Schwaiger will nicht um jeden Preis verdienen. Er baut Sozial- und Mietwohnungen, davon kann man gut leben, sagt er. Auch wenn es weniger Rendite bringt als die Luxus-Eigentumswohnungen, die viele seiner Konkurrenten anbieten. Wie verrückt der Markt in München ist, kann man hier besichtigen. Der Nordosten der Stadt, bislang vor allem Acker. Aber hier soll ein riesiges Baugebiet entstehen. 6 Millionen Quadratmeter, 15.000 Wohnungen. Bezahlbarer Wohnraum für Normalverdiener - das ist der Plan. Aber zu Marktpreisen dürfte das schwer werden.

Erich Schwaiger, Bauunternehmer: „So wie der Markt im Moment ist, wenn Sie heute frei finanziertes Baurecht hier kriegen, denke ich, werden Sie hier 4.000 Euro pro Quadratmeter im Verkauf des Baurechts erzielen.“

4.000 Euro, nur für den Boden. Vor ein paar Jahren war manch ein Acker hier gerade mal 10 Euro pro Quadratmeter wert, hochinteressant für Investoren und Spekulanten. Allein mit dem steigenden Bodenwert können sie Millionen verdienen. Dabei sind Grundbesitzer meist ohnehin vermögend. Die reichsten 10 Prozent der Haushalte besitzen fast die Hälfte des gesamten Immobilienvermögens in Deutschland. Der Boden ist ein entscheidender Teil davon.

Professor Dirk Löhr, Steuerrechtler, Hochschule Trier: „Gerade an den guten Standorten beträgt der Bodenwert leicht die Hälfte oder darüber hinaus des gesamten Immobilienwertes. Mit anderen Worten, der Bodenwert ist von allerhöchster Bedeutung für die Vermögensungleichverteilung. Und das wird häufig übersehen.“

Und noch mehr. Das deutsche Steuersystem fördert diesen Zustand. Grundbesitzer werden darin bevorzugt. Durch die sogenannte Grundsteuer. Eine Steuer, die jährlich zahlen muss, wer Grundstücke und Immobilien besitzt. Die Grundsteuer besteuert sowohl das Grundstück als auch das Gebäude, das darauf steht. Je größer und wertvoller die Bebauung, desto höher fällt die Steuer aus, etwa bei einem Mehrfamilienhaus. Steht dagegen ein kleines, eher günstiges Haus auf dem Grund, fällt sie niedriger aus. Ist das Grundstück unbebaut, fällt fast keine Steuer an. Gut für Grundstücksbesitzer. Schlecht für Mieter in großen Häusern, die Grundsteuer wird nämlich auf sie umgelegt.

Dabei könnten Mieter gerade in Städten wie München jede Entlastung gebrauchen. Ein Dönerladen im Stadtteil Au-Haidhausen. Hier treffen sich alle. Die Ärmeren genauso wie der gehobene Mittelstand. Beim Thema Mieten sagen alle das gleiche.

Voxpop: „Es ist katastrophal. Als normale Angestellte oder alleinerziehende Mutter kann man sich hier glaube ich keine Wohnung leisten.“

„Die werden außerhalb hinziehen. Und es werden nur die Wohlhabenden dann in München sich eine Wohnung leisten können.“

Der Miet-Wahnsinn. Fast jeder hier hat dazu seine eigene Geschichte.

Voxpop: „Wir wohnen jetzt als vierköpfige Familie auf zwei Zimmern mit 65 Quadratmetern. Und wir zahlen jetzt ungefähr 1.100 Euro.“

„Also ich wohne auf zehn Quadratmetern und zahle 400 Euro.“

Fachleute wie Prof. Dirk Löhr setzen sich auch deshalb für ein neues Steuersystem ein. Statt der jetzigen Grundsteuer wollen sie eine so genannte Bodenwertsteuer. Dabei würde nur noch der Grund und Boden zählen. Was darauf steht, spielt keine Rolle: Ob Villa, Mehrfamilienhaus oder auch gar nichts. Entscheidend sind allein Größe und Wert des Grundstücks. Für große und wertvolle Grundstücke in bester Lage zahlt man mehr Steuern. Für kleine, günstige Grundstücke in schlechterer Lage dagegen weniger. Die Logik, Platzverschwendung soll teurer werden, effizient bauen soll sich lohnen. Gerade in Großstädten. Für Mieter würde es hier im Schnitt günstiger. Eigentümer unbebauter Baugrundstücke müssten dafür vier- bis fünfmal so viel Steuern zahlen wie derzeit.

Und das ist nicht einmal der entscheidende Effekt. Viel wichtiger ist für Fachleute die Systemumstellung. Gegen hohe Mieten helfe langfristig nur, mehr Wohnraum zu schaffen. Mit der heutigen Grundsteuer werde das eher erschwert.

Ralph Henger, Institut der dt. Wirtschaft Köln: „Unbebaute Grundstücke, Baulücken, klassische Baulücken, die quasi vollkommen erschlossen sind, baureif sind, werden heute mit der Grundsteuer kaum belastet. Also lohnt es sich für jemanden, der in einer Stadt lebt, ein Grundstück hat mit steigenden Bodenpreisen auch mal abzuwarten. Zu sagen, ich lass das Grundstück liegen. Ich veräußere es vielleicht in zehn Jahren und dann kann ich auch wirklich erhebliche Gewinne einfahren.“

Auch bei Bauruinen kann sich Spekulation lohnen. Gerade wenn das Grundstück wertvoll ist. Hier etwa, das so genannte Döner-Haus in München. Seit mehr als zehn Jahren verfällt es. Beatrix Zurek vom Münchener Mieterverein ist das ein Dorn im Auge. Hier könnten schließlich Wohnungen entstehen. Die Bodenwertsteuer könnte ein Anreiz sein.

Beatrix Zurek, Mieterverein München: „Nun, das ist ja kein Objekt mehr, das man bewohnen kann. Somit wurde das Grundstück so betrachtet, als ob es leer wäre. Und da würde natürlich dazu führen, dass derjenige, der Eigentümer ist, ein Vielfaches an Steuern zahlen müsste, und sich vielleicht dann überlegt, ob er tatsächlich so agiert.“

Anders als derzeit würde ungenutzter Boden plötzlich Geld kosten. Das fördert Investitionen und

macht Spekulation weniger attraktiv. Dass massenhaft spekuliert wird, ist bekannt. Rund 600.000 Baugenehmigungen werden in Deutschland derzeit nicht genutzt. Viele davon in Städten wie München. Also dort, wo der Wohnraum knapp und die Rendite hoch ist.

Für die Politik spielt die Bodenwertsteuer trotzdem keine Rolle. Dabei muss die jetzige Grundsteuer ohnehin reformiert werden. Sie arbeitet mit veralteten Zahlen und wird deshalb wohl vom Bundesverfassungsgericht kassiert werden. Der hessische Finanzminister ist federführend für die Reform zuständig. Er will am Prinzip der Grundsteuer festhalten. An den Erfolg einer Bodenwertsteuer glaubt er nicht.

Thomas Schäfer (CDU), Finanzminister Hessen: „Die Höhe der Grundsteuer ist aufgrund dessen, dass sie ja im internationalen Vergleich in Deutschland relativ gering ist, keineswegs in der Lage, eine solche Lenkungswirkung zu verbreiten. Bei den hohen Grundstückspreisen, die wir mittlerweile in den Ballungsräumen haben, ist eine Grundsteuerbelastung auf den Faktor 1 oder 2, der plötzlich höher ist, vergleichsweise vernachlässigenswert im Verhältnis zu dem, was da an Renditechancen, und hier mal so drin steckt.“

Vernachlässigenswert? Die Bodenwertsteuer wirkungslos? Fachleute sehen das ganz anders.

Professor Dirk Löhr, Steuerrechtler, Hochschule Trier: „Gerade dann, wenn die Grundsteuer weg vom Gebäude auf den Boden belastet wird, können wir einen viel größeren Teil der Bodenerträge abschöpfen, wegsteuern als das heute der Fall ist. Und damit können wir schon mit relativ geringen Steuersätzen durchaus beachtliche Effekte erreichen, um die Bodenpreise vor allen Dingen in den Verdichtungsräumen zu bremsen.“

Im Münchener Nordosten versucht die Stadt nun mit drastischen Mitteln, die Bodenpreise im Rahmen zu halten. Durch die anstehenden Investitionen - in eine neue S-Bahn etwa - werden die Grundstücke hier noch wertvoller werden. Damit davon nicht nur die Grundbesitzer profitieren, will sie die Preise deckeln - und den Boden selbst kaufen. Auch Bauunternehmer Schwaiger besitzt hier Land. Zu Marktpreisen könnte er es teurer verkaufen. Aber was die Stadt vorhat, findet er trotzdem richtig.

Erich Schwaiger, Bauunternehmer: „Für die Landeshauptstadt München müssen die Interessen von 40.000, 50.000 zukünftigen Bewohnern in diesem Stadtteil wichtiger sein, als die Interessen von 300 Grundstückseigentümern.“

Schwaiger hofft nur, dass die Stadt den Plan auch durchzieht. Geld verdienen würde er immer noch. Und Normalverdiener könnten sich hier vielleicht einmal eine Wohnung leisten.

Sendungsübersicht

Stand: 20.02.2018, 13:53 Uhr

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