MONITOR vom 22.10.2020

Neues BND-Gesetz: Freibrief zur Überwachung?

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Bericht: Lara Straatmann

Neues BND-Gesetz: Freibrief zur Überwachung?

Monitor 22.10.2020 08:01 Min. UT Verfügbar bis 22.10.2099 Das Erste Von Lara Straatmann

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Georg Restle: „Das Thema Corona drängt in diesen Tagen viele andere Themen wieder in den Hintergrund. Und es scheint fast so, als sei es der Großen Koalition ganz recht, dass da ein Gesetzesvorhaben still und leise über die Bühne gebracht werden kann, mit dem die digitale Massenüberwachung von Menschen weltweit deutlich ausgeweitet werden kann. Es geht um den Auslandsgeheimdienst dieses Landes, den Bundesnachrichtendienst. Geht es nach der Bundesregierung soll der BND künftig in Handys oder Computern hacken dürfen und auch Journalisten oder Nichtregierungsorganisationen ins Visier nehmen können, die in ihren Ländern von Staats wegen gefährdet sind oder verfolgt werden. Lara Straatmann.“

Spionieren, überwachen, ausspähen, weltweit greifen die Beamten des Bundesnachrichtendienstes Kommunikation aus dem Ausland ab, werten Millionen von Daten aus – ganz unbemerkt. Und künftig soll der deutsche Auslandsgeheimdienst noch mehr Befugnisse bekommen, in vertrauliche Kommunikation eindringen. Doch wer gerät ins Visier des BND? In den Fokus geraten können längst nicht nur Kriminelle – sondern auch Menschen wie sie. Giorgia Linardi engagiert sich für die Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer. Immer wieder gerieten sie und ihre Organisation Sea-Watch ins Visier italienischer Sicherheitsbehörden. Die beiden Seenotrettungsschiffe sind aktuell festgesetzt.

Giorgia Linardi, Sea-Watch e.V. Italien (Übersetzung Monitor): „Wir wissen, dass alles, was wir sagen, alles, was wir produzieren, gegen uns verwendet werden kann. Es ist eine Gefahr der Kriminalisierung und nicht eine Gefahr, weil wir etwas zu befürchten haben. Wir haben das die vergangenen Jahren bereits erlebt, so weit, dass unsere Kapitänin verhaftet wurde.“

Und künftig muss Linardi immer damit rechnen, dass der deutsche Auslandsgeheimdienst sie ins Visier nimmt und überwachen kann. Das macht der neue Gesetzentwurf möglich, darin werden Hürden für die Überwachung der Zivilgesellschaft in der EU deutlich aufgeweicht. Die Praxis sieht derzeit so aus: Ohne konkreten Verdacht zapfen deutsche Beamte weltweit Kommunikation ab, per digitaler Massenüberwachung. Darunter Telefonate, Nachrichten, E-Mails. All das durchforschen sie nach Suchbegriffen. Für die Ausspähung von EU-Bürgern gab es bislang sehr hohe Hürden. Zulässig war die Überwachung zur Erkennung von Straftaten wie „Landesverrat“, „Friedensverrat“ oder Straftaten gegen die „Landesverteidigung“. Nach dem neuen Gesetzentwurf reichen nun schon Anhaltspunkte für die Früherkennung von Gefahren, wie etwa von „krisenhaften Entwicklungen“ oder – so wörtlich – „vergleichbaren Fällen“. Worauf das abzielt, steht in den Anmerkungen, etwa die „Aufklärung illegaler Migration“.

Daniel Moßbrucker, Journalist und Experte für Digitale Sicherheit: „Einer der Punkte, der mich wirklich am meisten überrascht hat, ist, dass hier relativ unverfroren gesagt wird, dass man jetzt auch mit Hilfe der BND-Massenüberwachung illegale Migration bekämpfen soll. Und das zielt zum Teil sicherlich auch auf NGOs ab, die im Mittelmeer Menschen retten.“

Und der BND kann künftig selbst verschlüsselte Nachrichten bei WhatsApp oder Signal mitlesen. Denn neu ist, der Geheimdienst soll offiziell und gezielt Handys und Computer hacken können. Sind die Geräte gehackt, haben die Mitarbeiter vollen Zugriff, sie dürfen alle Dokumente und Nachrichten auf dem Gerät lesen.

Daniel Moßbrucker, Journalist und Experte für Digitale Sicherheit: „Zum Beispiel das Smartphone, in dem alles, mein gesamtes Leben abgebildet ist. All das kann aufgebrochen werden zu – und das muss man sich klar machen – zu politischen Zwecken.“

Doch was passiert mit den Daten? Der BND arbeitet mit weltweit 160 Geheimdiensten zusammen, schließt Kooperationen und leitet regelmäßig Daten von Personen weiter ins Ausland – auch zur Strafverfolgung.

Prof. Matthias Bäcker, Öffentliches Recht und Datenschutzrecht, Universität Mainz: „Wenn jetzt der BND Informationen an staatliche Stellen in solchen Staaten weitergeben kann unter schwammigen Voraussetzungen, und zwar auch zu dem Ziel, gezielt gegen Einzelpersonen vorzugehen, dann ist das ein Problem, wenn die Voraussetzungen nicht wirklich sehr trennscharf sind. Und die Voraussetzungen sind nicht trennscharf formuliert.“

Ulf Buermeyer, Richter und Vorsitzender Gesellschaft für Freiheitsrechte e. V.: „Besonders dramatisch wird es natürlich, wenn diese Informationen dann an Staaten fließen, die ihrerseits repressiv vorgehen gegen Dissidenten, gegen Menschen, die vielleicht die Regierung kritisieren.“

Und dazu gehören auch Journalisten. Insbesondere solche, die für internationale Recherchenetzwerke wie bei den Panama-Papers arbeiten. Nach dem neuen Gesetzentwurf soll der BND die ganze interne Kommunikation von Redaktionen ausspähen können. Geschützt ist nur das Gespräch zwischen Journalisten und ihren Informanten. Alle anderen E-Mails und Telefonate einer Redaktion dürfen genutzt werden. Der Quellenschutz ausgehebelt – durch die Hintertür?

Ulf Buermeyer, Richter und Vorsitzender Gesellschaft für Freiheitsrechte e. V.: „Wenn die Presse nicht mehr im Geheimen recherchieren kann, wenn sie nicht mehr ihren Quellen zusichern kann, dass sie nicht aufgedeckt werden, dann werden viele Geschichten schlicht und ergreifend nicht mehr geschrieben und gesendet werden können. Deswegen – finde ich – atmet das Gesetz nicht nur an dieser Stelle, aber gerade an dieser Stelle einen zutiefst undemokratischen Geist.“

Das geplante Gesetz bringe viele seiner Kollegen in Gefahr, warnt der rumänische Journalist Paul Radu, Gründer eines internationalen Recherchenetzwerks zu Korruption. Seine Kollegen im Ausland sind immer wieder Opfer politischer Attacken. Jetzt fürchtet er, dass auch mithilfe des BND wichtige Recherchen in die Hände ausländischer Geheimdienste geraten könnten.

Paul Radu, Journalist, Organized Crime and Corruption Reporting Project (Übersetzung Monitor): „Sie bringen Journalisten in Gefahr, sie bringen Quellen in Gefahr, bringen alle in Gefahr. Sie geben dem organisierten Verbrechen und korrupten Politikern ein weiteres Mittel an die Hand geben, um Journalisten und den Journalismus anzugreifen.“

Daniel Moßbrucker, Journalist und Experte für Digitale Sicherheit: „Wenn zum Beispiel Journalistinnen und Journalisten in Ungarn oder Polen zu Korruption recherchieren und das ist Teil der organisierten Kriminalität dort, dann kann der BND an die Geheimdienste in diesen Ländern die Daten weitergeben und natürlich müssen dann die betroffenen Journalistinnen und Journalisten dort mit Einschränkung rechnen, dass sie strafverfolgt werden. Und das absurderweise, weil der BND mitgeholfen hat, sie zu überwachen. Das wird möglich durch dieses Gesetz.“

Der BND, ein Partner für Staaten, die Journalisten einschüchtern? Wer kontrolliert die Arbeit des BND? Dafür soll der Geheimdienst künftig einen neuen Kontrollrat an seine Seite bekommen. Sechs Juristen des Bundesgerichtshofs sollen jede Überwachung genehmigen. Doch wie unabhängig ist der neue Kontrollrat? Der Bundesbeauftragte für Datenschutz kritisiert, dass die Personalverwaltung dem Kanzleramt übertragen werden dürfe. Und, die Juristen dürfen sich nicht ohne Rücksprache mit dem Kanzleramt an den Bundestag wenden. In einer internen Stellungnahme erklärt er:

Zitat: „Der Gesetzentwurf (...) enthält undefinierte Kompetenzerweiterungen“.

Der Kontrollrat

Zitat: „mit faktischer Nähe (…) zum Bundeskanzleramt bzw. zum BND schwächt die Vorgabe einer tatsächlichen Unabhängigkeit.“

Ulf Buermeyer, Richter und Vorsitzender Gesellschaft für Freiheitsrechte e. V.: „Der Entwurf für das neue BND-Gesetz enthält wieder einmal letztlich nur die Simulation von Kontrolle. Die offensichtlich sehr gut geeignete Kontrollstelle, nämlich der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, soll eben gerade nicht betraut werden mit der administrativen Kontrolle. Und das kann ich mir nur so erklären, dass die Bundesregierung weiterhin eine effektive Kontrolle nur vorspiegeln, aber nicht realisieren will.“

Mehr Befugnisse, wenig Kontrolle? Bereits das alte BND-Gesetz hatte das Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt. Wird der Gesetzentwurf so beschlossen, haben Juristen bereits eine neue Klage angekündigt. Doch bis zu einem erneuten Urteil könnten Jahre vergehen.

Georg Restle: „Und so lange gilt das Gesetz dann weiter. Und damit auch die Massenüberwachung von Journalisten und Nicht-Regierungsorganisationen.“

Stand: 22.10.2020, 22:35 Uhr

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13 Kommentare

  • 13 Andres Wiekenberg 18.06.2021, 15:14 Uhr

    Jede Person, die sich menschlich sozialisiert versteht -ob psychisch und/oder physisch- muß unbedingt damit rechnen können dürfen, von Dritten ausgehend interessiert "beobachtet" zu werden.

  • 12 Wolfram Frommlet 01.12.2020, 15:04 Uhr

    und genau deshalb ist der unfassbare, unmenschliche Prozess in London gegen Julian Assange, die Unterbringung im Belmarsh Prison für Schwerverbrecher, die noch immer nicht aufgehobene potentielle Auslieferung an die USA - wo Assange lebenslange Haft erwarten würde - deshalb ist der Prozess gegen Julian Assange ein Exempel, ein Modell - gegen Whistleblower, gegen jede Art investigativer Journalismus - ob gegen Konzerne, Rüstungsindustrie, Regierungen dieser Prozess geht uns alle an, vor allem alle Journalisten, Verleger, Schriftsteller etc (ich arbeite seit 55 Jahren im Medienbereich!)

  • 11 discovery learning 08.11.2020, 18:06 Uhr

    Kurios:Merkelgruppe versucht ihrer Stasi(´bnd´)Beine zu machen,um selbst nicht irgendwann überflüssig zu werden.Nun ja,Stasi der DDR war seinerzeit tatsächlich optimaler in Form.Araberclans,sog. Motorradgangs und Typen aus Politik,Sport,Kunst oder Wirtschaft,die wie jetzt laufend peinlicherweise bei Nachforschungen und Nachhaken von Behörden sogar noch frech und arrogant auftreten, hatten da keine Chance-jederman,Frauen wie Kinder brauchten in Mitteldeutschland keine Angst vor Überfällen,Morden,Entführungen ect. Angst haben.In der freiheit“lichen“BRD allerdings schon.Verbrecher zwar alle sämtlich bekannt, werden´beobachtet´,bei ihrer offiziellen´ Präsenz sogar begleitet und abgeschirmt.Oberfächlicher Modus einer Staatsführung mit Programm:Es darf,es muß im Volk geregelt rumoren, damit es mit sich selbst beschäftigt bleibt.Darüber hinaus werden vom System nur Nadelstiche gesetzt.Nicht passende politische Strömungen gemaßregelt, Demonstrationen vorab zensiert.

  • 9 Rainer Baldauf 01.11.2020, 17:29 Uhr

    Dieser Kommentar wurde gesperrt, weil er gegen unsere Netiquette verstößt. (die Redaktion)

  • 8 meinungs`freiheit` 26.10.2020, 22:16 Uhr

    Westliche`Demokratie`?Armada von Hardlinern CDU/CSUbisSPD kotzt bei jeder Gelegenheit(Politshows Lanz,Illner,Maischberger,Will)lastwagenweise Hetze,Hame,Gift und Galle über die `menschenfeindliche` ehem. Deutsche Demokratische Republik und deren Staatssicherungsorgane aus.Würden derzeitige“freiheitliche“Zustände mal theoretisch auf Mitteldeutschland übertragen-die DDR hätte ihr erstes Jahr nicht überlebt.Heutige Machtexcesse sind übrigens mit Maßnahmen ihrer einstigen Gegenspieler nie vergleichbar.Im Gegenteil,sie sind ausgebuffter,rigoroser und vor allem gefährlicher ohnesgleichen.Medien verkaufen Volk sogenannte Enthüllungsdokus(arab.Clans usw.)als normale Sensationsbeschäftigung.In weiten Feldern Justiz,Polizei,Gesetzeswesen und Verfassung zeigen sich geistige Fortsätze alter Traditionen.Kein Wunder,dass Trittbrettfahrer als Nachfahren sogar den Erneuerungstrend in Sachen Alternative nutzen wollen,um unbewältigeter Vergangenheit dank bundesdeutscher Erziehung zu frönen.

  • 7 Aga Bellwald 26.10.2020, 13:44 Uhr

    Es zeigt sich hier, welch riesige Angst die Herrschenden vor einem immer unruhiger werdenden Teil der Bevölkerung gepackt hat, sowohl bei Euch als auch bei uns in der Schweiz. Ähnliches hat auch der NDB, Nachrichtendienst des Bundes, unter dem Begriff "Terrorbekämpfung" geplant. Ein guter Schutz vor solchen Schnüffelattacken könnte der vermehrte AKTIVE Gebrauch der Demokratie durch die Bürger*innen, und vor allem ihre Ausweitung auf sämtliche Lebensbereiche sein. Dies bezieht auch die Wirtschaft mit ein. Wenn aber die meisten Menschen immer noch pennen, seh ich schwarz.

  • 5 G. Claus 23.10.2020, 16:13 Uhr

    Wie schon von vielen Politikern in unserer netten Regierung behaptet: Alles nur Verschwörungstheorien, FakeNews etc. Und das Schlimmste daran: Der größte Teil der Bevölkerung will davon gar nichts hören, sehen oder gar lesen. Es ist ein Bild des Jammers. Arme Gesellschaft.

    • sam 25.10.2020, 10:11 Uhr

      Unter der Behauptung alles sei Verschwörung von Seiten der Massenmedien, wurde Gesellschaftskritik mit Verschwörungsideolog*innen auch von außen auf einen haufen gekehrt und Gesellschaftskritik so gut wie mundtot gemacht. Es wichtig beide Seiten zu kritisieren: 1. Dass Massenmedien für eine einseitige, recht politikkonforme Berichterstattung zu verantworten sind. -> Siehe: "Die Verengung der Welt" der Uni Passau 2. Dass die Algorithmen auf Social Media so programmiert sind uns in bestimmte Richtungen zu polarisieren. ->Siehe "The Social Dilemma" Doku Beides anschauen und dann das eigene Medienkonsumverhalten reflektieren! Da unser Wissen ziemlich verschwurbelt wurde (Infodemie) und sich viel Rassismus verbreitete, kommt als einzige Lösung nur noch die Suche nach dem Qualitätsjournalismus in Frage. Daher: Fakten Checks als Handwerk im eigenen Internetkonsum und investigativen Journalismus konsumieren (wie Monitor bspw.). Zudem müssen wir Gesellschaftskritik wieder möglich machen!

  • 4 Hühnewinkel 23.10.2020, 10:50 Uhr

    Wir brauchen den END! Kennt keiner? Na dann erkläre ich es: END ist der Eier-legende-Wollmilchsau-Nachrichten-Dienst, der alles erkennt, von Kinderpornos bis Proliferation - allerdings völlig datenschutzkonform ohne die Daten der Bürger zu sichten. Was wollen wir und was wollen wir nicht? Wenn wir Amazon & Co. mehr Vertrauen entgegen bringen als den eigenen Behörden, dann müssen wir eben damit leben uns immer wieder mal mit unentdeckten Attentaten oder Anschlägen zu empören. Gleichzeitig für Privatunternehmen gläsern zu sein und ganz anderen Zwängen ausgesetzt zu werden. Also nochmals - was wollen wir? Wohin soll die Reise gehen?

  • 2 Freier Kurde 22.10.2020, 23:52 Uhr

    Ach was hat der Westen seine Freiheit über den ehemaligen Osten doch im Glanz überhöht dargestellt . Jetzt ist er von Angst zerfressen und wendet die selben Korrupten Methoden an wie einst die Stasi . Die sozialen Ungerechtigkeiten steigen immer weiter, der Staat ist nicht willens die Reichen endlich zur Kasse zu bitten . Aus purer Angst schickt er jetzt den BND gegen das vermeintlich eigene Volk ins Feld , stattet ihn mit immer mehr Macht aus ,so wird der BND ein Staat im Staate , weil die Kontrolle nur noch sehr bedingt wenn überhaupt möglich ist . In de letzten Jahren hat der Staat immer mehr die Gesetze verschärft . Repression wo wir hinschauen . G20 Urteile und korrupte Abkommen mit Unrechtstaaten , wie die Türkei, lassen jeden letzten Zweifel schwinden . Die sogenannte Demokratie verkommt zur hässlichen Fratze ihrer selbst , mehr schein als sein . Ich bin entsetzt, über das was sich in den sogenannten Demokratien abspielt . Nur noch die Macht der Mächtigen wird verteidigt .