MONITOR vom 29.09.2016
Bluter-Skandal: Pharma-Industrie lässt Opfer im Stich
Dialogbox
Kommentieren [4]Bericht: Lutz Polanz
Bluter-Skandal: Pharma-Industrie lässt Opfer im Stich
Monitor. 29.09.2016. 07:20 Min.. Verfügbar bis 30.12.2099. Das Erste.
Georg Restle: „Zunächst zu einem der größten Skandale der Bundesrepublik. Ein Skandal, der unermessliches Leid bedeutete für Menschen, die vom Schicksal ohnehin schon schwer geschlagen waren. Weil Pharmakonzerne und das Deutsche Rote Kreuz verseuchte Blutpräparate in den Verkehr brachten, infizierten sich in den Achtziger Jahren mehrere tausend Bluterkranke an HIV und Hepatitis C. Dafür sollten sie eine ausreichende Entschädigung erhalten. Doch jetzt wollen die Pharmakonzerne davon offenbar nichts mehr wissen. Das Pech der Betroffenen, sie leben einfach immer noch. Lutz Polanz über ein schäbiges Geschäftskalkül auf dem Rücken schwerstkranker Menschen.“
Schon sein ganzes Leben kämpft Michael Diederich gegen Krankheit und Tod. Der 40-jährige ist Bluter, braucht spezielle Medikamente. Sonst würde er schon an einer kleinen Verletzung sterben.
Michael Diederich: „Ich konnte nie arbeiten. Während andere ihre Ausbildung angefangen haben oder ihr Studium, war ich ständig in Krankenhäusern und musste um mein Leben kämpfen. Und ich kämpfe heute auch noch um mein Leben.“
Schuld daran ist allerdings nicht seine Bluterkrankheit. Mit der könnte er ein weitgehend normales Leben führen. Doch schon mit acht Jahren infizierte sich Michael Diederich mit HIV und Hepatitis C - angesteckt durch verseuchte Blutprodukte. Seit Jahren leidet er deshalb an AIDS. Rund 1.500,- Euro im Monat bekommt er deshalb als Entschädigung - von einer Stiftung für HIV-infizierte Bluter.
Michael Diederich: „Ohne dieses Geld könnte ich mir diese Wohnung nicht leisten. Ich müsste wieder zu meinen Eltern zurückgehen. Ich müsste wirklich vom Existenzminimum leben.“
Dabei hat er mit seiner Freundin eigentlich andere Pläne. Eine gemeinsame Wohnung - vielleicht eine Familie. Ob das klappt, ist fraglich. Denn die Stiftung, die Michael Diederich die Entschädigung zahlt, hat 2018 kein Geld mehr. Rückblick: In den 1980er Jahren kommt es zu einem der größten Medizinskandale der Bundesrepublik. Tausende Bluter werden durch verseuchte Blutprodukte mit HIV angesteckt und sterben. Aus Kostengründen hatten viele Pharmahersteller darauf verzichtet, ihre Blutpräparate zu sterilisieren. Und das Bundesgesundheitsamt schaute tatenlos zu. Erst 1995 beschließt der Bundestag eine Entschädigung. Rund 128 Millionen Euro fließen in eine Stiftung für HIV-infizierte Bluter.
Horst Seehofer, ehem. Bundesgesundheitsminister am 29.06.1995: „Es ging um schnelle finanzielle Hilfe. Die Betroffenen haben nicht alle Zeit der Welt und deshalb, meine Damen und Herren, wäre es moralisch nicht zu verantworten gewesen, die Betroffenen auf den Sankt-Nimmerleins-Tag zu vertrösten.“
Schnelle finanzielle Hilfe bedeutet aber auch: keine dauerhafte Verpflichtung, sondern freiwillige Zahlungen der Pharmahersteller. Unter ihnen Milliardenunternehmen wie Bayer, Baxter oder eine Tochter der Hoechst AG. Die Unternehmen und die Blutspendedienste des Deutschen Roten Kreuzes, DRK, übernehmen gerade mal 40 Prozent der Zahlungen. Dafür müssen sie keine Klagen mehr fürchten. Bund und Länder tragen den Großteil der finanziellen Lasten. Und dann steht da auch noch ein Satz in den Statuten, der sämtliche Zahlungsverpflichtungen von vorne herein begrenzt.
Zitat: „Die Stiftung wird aufgehoben, wenn die Mittel für die finanzielle Hilfe erschöpft sind.“
Und das bedeutet …
Horst Schmidbauer, (SPD), Stiftungsvorstand „Humanitäre Hilfe“: „Nicht so lange wie die Opfer eine Hilfe brauchen, arbeitet die Stiftung. Sondern wenn kein Geld mehr da ist, stellt sie ihre Leistungen ein.“
Reporter: „Und das war der prinzipielle Konstruktionsfehler?“
Horst Schmidbauer, (SPD), Stiftungsvorstand „Humanitäre Hilfe“: „Das ist der Konstruktionsfehler. Und das ist nicht nur ein Konstruktionsfehler, wo man sagt, das ist ein Fehler, sondern das ist mit Vorsatz gemacht worden.“
Von Anfang an sind die Mittel der Stiftung zu knapp bemessen. Denn man kalkuliert mit einer zynischen Rechnung.
Werner Kalnins, Vorsitzender Dt. Hämophiliegesellschaft: „Weil wir damals davon ausgingen, dass die Betroffenen, die Infizierten, relativ schnell sterben werden.“
Michael Diederich ist nicht gestorben. Dafür muss er nun alle Jahre wieder um seine Entschädigung bangen. Auch, weil Pharmaindustrie und die Blutspendedienste des Roten Kreuzes immer weniger zahlen. Waren es zu Beginn der Stiftung noch 40 Prozent, liegt ihr Anteil heute bei unter 24. Und künftig?
Werner Kalnins, Vorsitzender Dt. Hämophiliegesellschaft: „Es ist nicht hinnehmbar, dass die Industrie sich ihrer Verantwortung entziehen kann. In dem Fall, dass sie eben nicht mehr ihre finanziellen Leistungen erbringen möchte.“
Michael Diederich: „Das Schlimme ist auch noch, dass sie wie Wohltäter auftreten. Sie hatten keinen Zwang in diesen Fond einzuzahlen, sondern haben freiwillig da eingezahlt und sind dann so … meinen sie, dass sie was Gutes getan haben. Und das finde ich schon sehr, sehr schlimm, denn sie tragen diese Schuld.“
Wir haben die Pharmaunternehmen und die DRK-Blutspendedienste gefragt, wie sie ihren sinkenden Anteil an den Kosten der Bluter-Stiftung begründen. Eine Antwort darauf haben wir nicht bekommen. Stattdessen verweisen die Konzerne auf laufende Gespräche mit dem Bundesgesundheitsministerium. Dabei drängt die Zeit. Von früher 1.500 HIV-infizierten Blutern, die Geld von der Stiftung bekamen, lebt nur noch ein Drittel. Die wenigsten können noch für sich selbst sorgen. Auch Thomas Gabel ist schwer behindert. HIV und Hepatitis haben seine Lunge, seine Leber und das Herz geschädigt. Dafür bekommt er gerade mal 770,- Euro Entschädigung im Monat. Für ihn die einzige Möglichkeit, für das Alter zusätzlich vorzusorgen.
Thomas Gabel: „Ich kann keine Lebensversicherung abschließen. Ich hätte mir jetzt auch kein Eigenheim oder so was als Alterssicherung anschaffen können, weil einen Kredit kriege ich gar keinen - mit der Krankheitsgeschichte.“
Thomas Gabel arbeitet als IT-Fachmann in einer mittelständischen Firma. Wie lange er das noch schafft, weiß er nicht.
Thomas Gabel: „Ja, da bin ich einfach sauer drüber, dass man nicht einfach eine Regelung finden kann und sagen, diese Leute sind - verschuldet durch Pharma und Bund - infiziert worden. Und wieso können die nicht einfach die Zusage kriegen, bis zum Lebensende dieses Geld zu bekommen, ohne sich ständig wieder Sorgen zu machen, geht es weiter - geht es nicht weiter?“
An einer gesetzlichen Lösung, die Menschen wie Thomas Gabel bis zum Ende ihres Lebens eine angemessene Entschädigung garantiert, scheinen aber weder die Pharmaindustrie noch das Gesundheitsministerium interessiert. Stattdessen verhandeln sie mal wieder über „freiwillige Leistungen“. Schriftlich teilt das Ministerium mit:
Zitat: „Dabei wird angestrebt, dass sich pharmazeutische Unternehmen aus humanitären Gründen weitere zehn Jahre an der Finanzierung der Stiftung angemessen beteiligen.“
Angestrebt - sicher ist nichts. Und spätestens 2028 wären die Pharmahersteller ganz raus. Das Schicksal der Menschen: Nebensache. Die Unsicherheit für die HIV-infizierten Bluter, sie bleibt.
Georg Restle: „Schwer zu fassen, für einen Weltkonzern wie Bayer geht es hier gerade mal um ein paar Millionen Euro. Zum Vergleich: Für die Übernahme des Gentech-Riesen Monsanto hat Bayer gerade 60 Milliarden hingelegt.“
Stand: 27.09.2016, 14:40 Uhr
4 Kommentare
Kommentar 4: Baileys Kline schreibt am 30.08.2017, 23:21 Uhr :
Hallo Leute Ich möchte dieses Zeugnis mit Ihnen teilen Ich war getestet HIV positiv mit CD4 Graf von 90 und mit meiner Ex getrennt und nicht in einer Beziehung für 4 Jahre Ich hatte meinen Verstand gebildet, um ledig zu bleiben und auf meine Karriere und zukünftiges Wachstum zu konzentrieren, dann HIV kommt entlang 4years hinunter die Linie dieses war ein Schock und ein Schlag und wurde auf Medikamente sofort gesetzt Ich habe gelernt, dass wir nicht auf die Gründe, warum, wie und wann es ist bereits hier mit uns, so dass ich es akzeptiert als mein Kreuz Ein treuer Tag stieß ich auf ein Zeugnis Gepostet von einem Cynthia Adams von, wie Dr Muli Jonathan geheilt Sie von HIV innerhalb eines Monats der Einnahme seiner traditionellen afrikanischen pflanzliche Medizin Ich hatte keine Wahl, die ich kontaktiert ihn Nach der Verabreichung seiner Herbal Drug für 14 Tage entschied ich mich zu überprüfen, meine CD4 Graf zu wissen, ob das Medikament funktioniert Ich entdeckte, dass mein ...
Kommentar 3: uwe wiesner schreibt am 29.09.2016, 22:50 Uhr :
liebes monitor team, ich habe den Beitrag über die mit dem HIV verseuchten blukonserven gesehen. ich bin entsetzt, wie klammheimlich sich die pharmaindustie aus der affaire ziehen wollen und wie scheinheilig sie versucht als mildtätige helfer in der not darzustehen. genauso entsetzt bin ich über die befristete hilfe des Staates. man/ frau davhte wohl, dieses problem würde sich mit der zeit von alleine regeln. diese falscheinschätzung fällt dem hohen haus jetzt zementschwer auf die füße. ich hoffe auf eine schnelle neuregelung, die allen betroffenen zugute kommen werden. das ist nicht nur ein zeichen der gerechtigkeit, sondern eine pflicht!
Kommentar 2: Matthias, ein Opfer des Blutskandals schreibt am 29.09.2016, 22:41 Uhr :
Der Monitor-Kommentar bringt es auf den Punkt: Monsanto kann für Bayer an Milliarden nicht teuer genug sein, aber einige Millionen für die Opfer sind schon zuviel.
Kommentar 1: Udo Gerdemann schreibt am 29.09.2016, 22:29 Uhr :
Warum stehen denn die Blutspender nicht auf und weigern sich Blut zu spenden. Das Blut erhält doch auch das Rote Kreuz gratis von uns und ich überlege mir jetzt mit einigen anderen, kein Blut mehr zu spenden. Habe schließlich schon über 60 Spenden hinter mir und warum denn dann, soll ich das unterstützen wie die mit den Opfern umgehen und das allesals Almosen deklarieren, nur weil die den armen Menschen das angetan haben und damals nicht richtig geprüft haben.