MONITOR vom 03.12.2020

Corona-Hotspot Bautzen: Hochburg der Verschwörungsmythen

Bericht: Julia Regis, Aiko Kempen

Corona-Hotspot Bautzen: Hochburg der Verschwörungsmythen Monitor 03.12.2020 11:30 Min. UT Verfügbar bis 03.12.2099 Das Erste Von Julia Regis, Aiko Kempen

Kommentare zum Thema, weiterführende Links und der Beitragstext als PDF

Georg Restle: „Ein Spielzeugladen in der Innenstadt von Bautzen. Mit einem Schild, das einen in diesen Tagen fassungslos macht: „Ohne Maske willkommen“ steht da, als gäbe es keine Infektionsgefahr, als gäbe es keine Pandemie. Und es gibt einige solcher Schilder und Aufrufe in Bautzen.

Guten Abend und willkommen bei MONITOR. Ausgerechnet Bautzen im Bundesland Sachsen, wo die Infektionszahlen zuletzt in die Höhe geschnellt sind wie nirgendwo sonst in Deutschland. Ein Corona-Hotspot, aber eben auch ein Hotspot der Corona-Leugner, der Verschwörungsideologen und Rechtsextremisten. Über 30 Prozent erzielt die AfD hier bei Landtags- und Bundestagswahlen. Eine gefährliche Mischung ist das, in Zeiten der Pandemie erst recht. Mittlerweile hat der Kreis Bautzen eine der höchsten Corona-Infektionsraten der gesamten Republik – dunkelrot eingefärbt. Heute lag die so genannte Sieben-Tage-Inzidenz hier bei 457 Fällen pro Hunderttausend Einwohnern. Eigentlich ein Grund zur Sorge. Aber trotzdem wird in Bautzen nach wie vor besonders lautstark bestritten, dass es überhaupt eine Pandemie gibt. Schwer zu begreifen das alles. Julia Regis und Aiko Kempen haben Bautzen besucht.“

Wer sonntagsmorgens auf der Bundesstraße 96 nach Bautzen fährt, muss durch dieses Spalier. Auf einer Strecke von 50 Kilometern wehen am Straßenrand vor allem Reichsflaggen und Deutschlandfahnen. Was im Frühling als Protest gegen die Corona-Politik begann, ist heute eine Melange aus Verschwörungsgläubigen, Rechtsextremen und Corona-Leugnern. Auf ihren Schildern ist von Lügenpresse die Rede, von Wahrheit und Frieden.

Reporterin: „Wir möchten ja mit Ihnen reden.“

Demonstanten: „Haut ab! – Eure Lügenpresse.“

Jede Woche stehen sie hier. Letzten Sonntag waren es erneut Hunderte. Und es werden wieder mehr, seit die Region zum Corona-Hotspot geworden ist. Bundesweit ist Bautzen einer der am schlimmsten betroffenen Landkreise.

Die Rufe der Corona-Proteste dringen hier nicht durch. Es ist still im Marthastift in Bautzen – das Seniorenheim stand zwei Wochen unter Quarantäne. Christina Steinke leitet das Wohnheim. Eine schlimme Zeit für Bewohner und Mitarbeiter, sagt sie.

Christina Steinke, Leiterin „Betreutes Wohnen“ Marthastift: „Dieses komplette im-Zimmer-sein und alleine sein und dieses Haus, was eigentlich so Leben hat, plötzlich in so einer Stille zu erleben und hinter jeder Tür quasi ein Schicksal. Und jeder musste das mit sich auch irgendwie ausmachen. Das war schon schwierig.“

Von den Corona-Skeptikern fühlt sie sich geradezu verhöhnt. Besondere Rücksicht auf Risikogruppen? Immer wieder musste sie sich mit Besuchern auseinandersetzen, die selbst hier Schutzmaßnahmen ablehnten.

Christina Steinke, Leiterin „Betreutes Wohnen“ Marthastift: „Die Konflikte mit den Besuchern zum einen, sich in das Besucherprotokoll einzuschreiben, sich anzumelden, auch den Mund-Nasen-Schutz richtig zu tragen. Also das waren so Konflikte, die man … also viel hatte im … im Alltag.“

Wir wollen mit Menschen sprechen, die von den hohen Infektionszahlen hier direkt betroffen sind. Und mit denen, die die Gefahr der Pandemie immer noch bestreiten. Auf dem Weg in die Innenstadt liegt die Ruine des Husarenhofs. 2016 brannte das ehemalige Hotel – kurz bevor Geflüchtete dort einziehen sollten. Vor dem Heim applaudierten damals Schaulustige. Mitten in der Stadt kam es immer wieder zu rechtsextremen Ausschreitungen. In der Innenstadt ist von der starken, rechtsextremen Szene auf den ersten Blick nichts zu sehen. Stattdessen Weihnachtsdeko und eine hübsch restaurierte Altstadt. In der Fußgängerzone herrscht Maskenpflicht. Genauso wie auf dem Markt, der am Samstag trotz hoher Infektionszahlen gut besucht ist. Am Abend zuvor hat der sächsische Ministerpräsident strengere Maßnahmen angekündigt – die meisten, die mit uns sprechen, finden das notwendig.

1. Passantin: „Ich finde das total in Ordnung und es hätte viel eher passieren müssen, weil viel zu viele Menschen unvernünftig sind.“

Marktverkäufer: „Also letzten Endes sind die Zahlen hier ja ziemlich hoch und ich find das an sich okay.“

Ein paar Stände weiter aber ist man vom Maske-Tragen offenbar nicht überzeugt.

2. Marktverkäufer: „Nennen Sie mir einen Grund, warum ich dran glauben soll.“

Reporterin: „Weil es sie vor der Infektion schützen kann und andere.“

2. Marktverkäufer: „Ich habe anderes gehört und gesehen.“

2. Passant: „Da ist irgendwas anderes im Spiel – weltweit.“

Reporterin: „Was denn?“

2. Passant: „Dass hier irgendeine ganz große Krise, Weltkrise im Gange ist, was uns hier verschwiegen ist. Wir werden hier belogen, betrogen von dem Staat.“

Misstrauen gegenüber den Corona-Schutzmaßnahmen und der Glaube an eine große Verschwörung. Birgit Kieschnick lebt seit über 20 Jahren in der Stadt. Sie organisiert Veranstaltungen für politische Bildung und beobachtet schon lange, wie sich Verschwörungsideologien mitten in der Gesellschaft breit machen.

Birgit Kieschnick, Stadtfamilienrat Bautzen e.V.: „Bautzen ist ein Hotspot der Corona-Leugner. Es ist eben schade, dass man, weil man eigentlich schon vor dieser Gefahr so lange warnt, was es mit Menschen macht, wenn man an krude Feindbilder sozusagen glaubt und damit genau das Falsche tut, nämlich der Medizin, die da helfen könnte, misstraut oder das Virus gar völlig leugnet.“

Viele Teilnehmer bei den Corona-Demos hier seien Rechtsextreme, Reichsbürger, Esoteriker. Für Kieschnick zeigt sich jetzt auch, welches neue Selbstbewusstsein diese Szene entwickelt hat. Sie geht mit uns zu einem Geschäft für Kinderspielzeug. An der Tür steht auf einem Schild: „Hier sind auch Menschen OHNE MASKE willkommen.” Im Schaufenster liegt merkwürdige Literatur für einen Spielzeugladen. Zum Beispiel vom extrem rechten Kopp-Verlag, dekoriert mit einer Spielzeugwaffe. Inhaber ist Veit Gähler. Nicht nur in seinem Geschäft, auch auf einer eigenen Website bietet er allerhand Verschwörungsideologen eine Bühne. Uns teilt er schriftlich mit, es brauche bezüglich Corona einen Diskurs über Evidenz und Verhältnismäßigkeit. Regelmäßig ist er in Bautzen bei Corona-Demos zu sehen. Genau auf diesen Demonstrationen finden sich auch andere bekannte Personen aus der Bautzener Stadtgesellschaft. Marcus Fuchs etwa, Vorsitzender des Kreiselternrats in Bautzen. Auf seiner Facebook-Seite schrieb er vom „Corona-Faschismus”, der Post ist mittlerweile gelöscht. In Dresden hat Fuchs das örtliche „Querdenken“-Bündnis mitgegründet. Als Vorsitzender des Kreiselternrats forderte er in einem Brief, dass Kinder in der Schule und in Schulbussen keine Schutzmasken tragen sollten. Auch Volker Bartko ist auf den Demos vertreten – Geschäftsführer der städtischen Betriebsgesellschaft, zuständig etwa für die Stadtwerke. Oder Jörg Drews, hier bei einer Corona-Demo, Chef einer Baufirma in Bautzen. Sie ist der größte Steuerzahler der Stadt und einer der größten Arbeitgeber vor Ort. Drews sitzt für das Bürgerbündnis Bautzen im Stadtrat, und er sponserte mehrere Medien, die Verschwörungsmythen verbreiten. Drews lässt uns mitteilen, er habe nie an einer Querdenken-Demo teilgenommen, habe nie öffentlich Corona-Maßnahmen kritisiert und im Unternehmen würden strenge Corona-Hygieneregeln gelten. Der Pressesprecher von Drews Baufirma sieht das offenbar anders, er schreibt auf Facebook:

Zitat: „Wer in meinem Office Maske trägt, fliegt raus.”

Birgit Kieschnick, Stadtfamilienrat Bautzen e.V.: „Das sind einflussreiche Menschen. Und das habe ich ja nun schon all die Jahre erlebt. Ich werde angefeindet. Mir wird von Leuten gesagt, ich vertreibe die Firma Hentschke Bau aus der Stadt, weil ich den Mund aufmache. Politiker brauchen bestimmte Leute und wenn die aktiv in dieser Verschwörungsszene sind, dann haben wir ein Riesenproblem.“

Einflussreiche Personen der Stadtgesellschaft, die an Demos teilnehmen, welche sich auch gegen Corona-Schutzmaßnahmen richten. Keiner von ihnen will mit uns sprechen. Hier hat man für die Proteste wenig Verständnis. Auf den Covid-Stationen der Oberlausitz-Klinik sind derzeit fast alle Plätze belegt. Das Personal arbeitet an der Belastungsgrenze. Diese Bilder hat die Krankenpflegerin Katharina Brade für uns gemacht. Täglich erlebt sie hier, was die Corona-Leugner bestreiten. Aber sogar im Krankenhaus gab es immer wieder Probleme mit Besuchern, solange die noch rein durften.

Katharina Brade, Krankenschwester Oberlausitz-Kliniken: „Man hat jeden Tag diskutiert, sie sollen doch bitte die Maske aufsetzen. Sind teilweise beleidigend geworden und das fand ich schon traurig. Also, das ja, irgendwann hat man selber auch keine Lust mehr gehabt, zu diskutieren.“

Zu denjenigen in Bautzen, die Schutzmaßnahmen ablehnen und Corona verharmlosen, gehört auch der AfD-Bundestagsabgeordnete Karsten Hilse. Hier hat er seinen Wahlkreis. Im Mai behauptet er bei einer Kundgebung auf dem Bautzner Marktplatz:

Karsten Hilse (AfD), Mitglied des Bundestages: „Wo sind die ganzen Corona-Toten? Die sind nicht da. Erstunken und erlogen.“

Mittlerweile sind im Landkreis über 100 Menschen an oder mit Corona gestorben. Wir treffen Hilse in seinem Wahlkreisbüro. An seiner Meinung zu Masken und Schutzmaßnahmen hat sich trotz der dramatischen Situation nichts geändert.

Karsten Hilse (AfD), Mitglied des Bundestages: „Diese Maske wird zum großen Teil dafür verwendet, um den Menschen sozusagen … um die Menschen einzuschüchtern, um ihnen Angst zu machen, um ihn jeden Tag zu zeigen, okay, hier ist eine riesengroße … hier ist eine riesengroße Seuche, und diese riesengroße Seuche ist meiner Meinung auch nicht da.“

Keine Pandemie? Karsten Hilse und die AfD sind ein fester und lauter Bestandteil des Protests gegen die Corona-Schutzmaßnahmen. Und im Landkreis Bautzen sind die Zustimmungswerte für die AfD hoch, bei den letzten Landtagswahlen lag sie hier bei über 30 Prozent. Zurück in der Bautzener Altstadt am Dom St. Petri. Pfarrer Christian Tiede versucht, so gut es geht, mit allen Gemeindemitgliedern im Gespräch zu bleiben. Aber er merkt, dass das immer schwieriger wird.

Christian Tiede, Pfarrer St. Petri Bautzen: „Ich nehme inzwischen in der Kirche – im Gottesdienst – wahr, dass Leute nicht mehr kommen, weil sie sich weigern, eine Maske aufzusetzen, weil sie nicht einverstanden sind mit den Hygieneregeln, die wir einfach erlassen mussten.“

Manche Bautzner aber würden nicht nur wegbleiben, sie seien überhaupt nicht mehr erreichbar, weil keine gemeinsame Gesprächsgrundlage mehr da sei.

Christian Tiede, Pfarrer St. Petri Bautzen: „Wir haben natürlich in Bautzen in den letzten Jahren doch eine Bewegung gehabt, wo populistisches Denken, Verschwörungsdenken, reichsbürgerliches Denken zusammengekommen ist. Also eine Bereitschaft, sich außerhalb faktischer, sachlicher Zusammenhänge zu bewegen. Eins plus eins ist eben für beide Seiten nicht mehr zwei, und damit kommen wir ganz klar an Grenzen. Das ist erschreckend, das ist schade, aber da bin ich ratlos, ja.“

Allein am Mittwoch wurden im Landkreis Bautzen über 330 Neuinfektionen festgestellt. So viele wie noch nie zuvor.

Georg Restle: „Noch im Frühjahr gab es die verbreitete Hoffnung, die Pandemie könne die Gräben in unserer Gesellschaft kleiner werden lassen. Davon scheint im Herbst wenig übrig geblieben zu sein. Nicht nur in Bautzen.“

Kommentare zum Thema

  • ich 06.07.2021, 21:17 Uhr

    Merkt Ihr eigentlich nicht mehr wie lächerlich Ihr Euch mit solch einer Berichterstattung macht? Wer soll denn diesen Mist eigentlich noch glauben? Das ist Hetze vom Feinsten und hat mit seriöser Berichterstattung nichts aber auch gar nichts zu tun. Herzlich willkommen in Dunkeldeutschland. In einer Zeit, die man eigentlich schon überwunden glaubte. Und jetzt veröffentlicht das oder nicht. Ich erwarte eher nicht, denn alles Andere passt ja nicht in die Zensurmechanerie im besten Deutschland aller Zeiten.

  • Dirk Weller 06.01.2021, 17:21 Uhr

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  • Johannes 05.01.2021, 16:34 Uhr

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