MONITOR vom 25.10.2018

Babylon Berlin: Die Lehren von Weimar

Bericht: Jan Schmitt, Steen Thorsson, Max Scharffetter

Babylon Berlin: Die Lehren von Weimar Monitor 25.10.2018 14:04 Min. Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste

Kommentare zum Thema, weiterführende Links und der Beitragstext als PDF

Georg Restle: „Babylon Berlin. Vielleicht haben Sie es gerade gesehen, mit diesen Bildern ist die heutige Folge hier im Ersten gerade eben zu Ende gegangen. Eine Serie über die Weimarer Republik im Jahr 1929 - vier Jahre bevor Adolf Hitler Reichskanzler in Deutschland wurde. Was hat das alles mit uns zu tun, jedenfalls ein Thema heute Abend bei Monitor. Guten Abend und willkommen. Historiker sagen, es hätte damals noch genügend Möglichkeiten gegeben, den Erfolg der Nationalsozialisten aufzuhalten, wenn die Menschen und die Eliten der Weimarer Republik nur an die junge Demokratie geglaubt hätten. Und natürlich gibt es da durchaus Parallelen zur heutigen Entwicklung. Auch heute schwindet das Vertrauen in die parlamentarische Demokratie. Die Bindungskraft der großen Volksparteien nimmt dramatisch ab. Rechtsradikale Gruppierungen erhalten Zulauf - und haben mit der AfD eine nationalistische Partei im Bundestag, auf die sie all ihre Hoffnungen richten. Nein, Geschichte wiederholt sich ganz sicher nicht. Aber man sollte genau hinschauen und hinhören, wenn man die gleichen Fehler nicht nochmal machen will. Jan Schmitt, Steen Thorsson und Max Scharffetter.“

Berlin 1929, die Weimarer Republik. Elf Jahre liegt der 1. Weltkrieg zurück, vor zehn Jahren ist Deutschland zur Demokratie geworden. Die Menschen feiern die neue Freiheit, schauen nach vorne in eine scheinbar unbeschwerte Zukunft.

Prof. Andreas Wirsching, Institut für Zeitgeschichte München - Berlin: „1929 hätte man sich nicht vorstellen können, was 1933 passiert, völlig ausgeschlossen. Das sind sozusagen die „Roaring Twenties“ noch, das ist Berlin, die Hauptstadtkultur, die gold … sogenannten Goldenen 20er.“

Aber es ist ein Tanz auf dem Vulkan. Denn vor allem die Eliten lehnen den jungen Staat ab und die Feinde der Demokratie bringen sich schon in Stellung. Monarchisten, vor allem aber Kommunisten und Nationalisten versuchen, die Ordnung zu destabilisieren. Und auch Nazis zeigen sich schon provokant auf den Straßen, obwohl sie als Partei damals noch kaum relevant waren.

Prof. Andreas Wirsching, Institut für Zeitgeschichte München - Berlin: „Die Sichtbarkeit auf der Straße ist ein essentielles Element, ein wichtiger Bestandteil für radikale Strömungen, um eben tatsächlich erkennbar deutlich zu machen, hier sind wir und man kann uns folgen und wir sind in einer Front- und Kampfposition.“

Rufe auf der Straße: „Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen.“

Parolen und Aufmärsche, um Anhänger zu gewinnen? Auch heute beanspruchen rechte und linke Gruppierungen bei ihren Demonstrationen regelmäßig das Recht auf Meinungshoheit. Gibt es Parallelen? Kann man Deutschland heute mit der Weimarer Republik damals vergleichen? Mit einer Zeit, kurz bevor die Nazis mit ihrem Schreckensregime Demokratie und Freiheit hinwegfegten?

Prof. Samuel Salzborn, Zentrum für Antisemitismusforschung TU Berlin: „Also es gibt ja diesen eingängigen Slogan „Berlin sei nicht Weimar”. Ich glaube das ist historisch betrachtet trivial, weil eine historische Konstellation sich nicht eins zu eins wiederholt. Aber es ist zugleich auch eine Beruhigungs- oder Beschwichtigungsformel, weil sie suggeriert, man müsse sich eben über bestimmte antidemokratische Entwicklungen nicht Gedanken machen.“

Antidemokratische Tendenzen sind besonders an den Rändern der Gesellschaft weit verbreitet. Nur ein bis vier Prozent der Wähler der etablierten Parteien geben an, gar nicht damit zufrieden zu sein, wie die Demokratie in Deutschland funktioniert. Unter den Wählern der Linken sind es 31 %, und unter denen der AfD sogar 41 %. Eine Stimmung, die von den Einheizern der Partei gezielt geschürt wird.

Björn Höcke, Mödlareuth, 17.06.2018: „Der Verwesungsgeruch einer absterbenden Demokratie wabert durchs Land. In dieser Lage, liebe Freunde - und das sage ich als staatstreuer Bürger - in dieser Lage ist nicht Ruhe, in dieser Lage ist Mut und Wut und Renitenz und ziviler Ungehorsam die erste Bürgerpflicht! Holen wir uns unser Land zurück!“

Die Parolen heute unterscheiden sich kaum von den Parolen von damals.

Alfred Hugenberg, DNVP 1929: „In dem verlogenen und sozialistisch korrumpierten neudeutschen Parlamentarismus und Parteisystem sehen wir einen Feind unseres Vaterlands.“

Sagt Alfred Hugenberg, der Vorsitzende der Deutschnationalen Volkspartei, in genau der Zeit, zu der die Serie Babylon Berlin spielt. Darin thematisiert: die so genannte schwarze Reichswehr, eine Untergrundgruppe. Ihr Ziel, der Sturz der Demokratie. Ihre Vertreter, Angehörige des Militärs, die das Großbürgertum für ihre Ziele zu nutzen wissen.

Filmszene:

1. Mann: „Sie fühlen sich geschützt, ja, von Ihren Freunden. Für die sind Sie nichts als eine Marionette.“

2. Mann: „Sie sind die Marionette. Die Marionette einer demokratischen Verirrung, die dieses Land ergriffen hat.“

1. Mann: „Ich weiß, wen Leute wie Sie für Schädlinge halten.“

Schädlinge in dieser Ideologie: Vor allem Juden und alle anderen, die nach Ansicht der Nationalen nicht zum deutschen Volk gehören. Heute sind die Feinde vor allem Flüchtlinge und Migranten, aber das Grundmuster ist das gleiche.“

Prof. Andreas Wirsching, Institut für Zeitgeschichte München - Berlin: „Diese Denkfigur, dass es ein ethnisch-biologisch reines Volk eigentlich gibt, was eben nicht durch die verfassungsmäßige, politische Willensbildung abgebildet ist, diese Denkfigur ist wieder da. Sie ist, ich würde sagen, sie ist nie ganz verschwunden in der westdeutschen Nachkriegsgeschichte. Sie war aber überwiegend ein intellektuelles und kein massenwirksames Phänomen.“

Rufe auf der Straße: „Wir sind das Volk. Wir sind das Volk.“

Die Idee vom „reinen Volkskörper“ wird auch heute wieder ganz offen vertreten, angetrieben durch Gruppierungen der neuen Rechten wie der Identitären Bewegung, Pegida, der AfD oder auch rechten Burschenschaften. Ausländer, Zugewanderte, Flüchtlinge, sie sollen in diesem Volk keinen Platz haben, auch wenn sie schon seit Generationen hier leben. Bei den Identitären liest sich das so:

Zitat: „Die ethnisch deutsche Bevölkerung wird in den kommenden Jahrzehnten verdrängt, ausgetauscht gegen raum- und kulturfremde Zuwanderer. (…) Im 21. Jahrhundert geht es um nicht weniger als um das Überleben unseres Volkes und ganz Europas.“

Alexander Gauland, Vorsitzender AfD, 23.06.2018: „Wir sollen als Volk und als Nation allmählich absterben und uns in einem höheren großen Ganzen auflösen. Liebe Freunde, wir haben kein Interesse daran, Menschheit zu werden. Wir wollen Deutsche bleiben, damit sind wir Menschheit genug!“

Prof. Samuel Salzborn, Zentrum für Antisemitismusforschung TU Berlin: „Gesellschaft soll homogen werden, soll völkisch homogenisiert werden. Das, was die Bundesrepublik ausmacht, soll sich verändern. Viele Menschen, die heute ganz selbstverständlich staatsrechtlich Deutsche sind, gelten im Verständnis des völkischen Nationalismus nicht als Deutsche. Genau hieran will man massive Veränderungen in der Gesellschaft durchsetzen.“

In der Weimarer Republik wird solches Gedankengut vor allem auch von den Eliten vertreten, Militärs, Anhängern der Monarchie und eines Ein-Parteien-Systems. Ihr Feind, die demokratischen Parteien, vor allem die SPD. Ihr wird die Schuld an der Niederlage im 1. Weltkrieg zugeschoben.

Filmszene:

Mann: „Wer hat uns verraten?“

Antwort der Masse: „Sozialdemokraten!“

Aber nicht nur von außen, auch im Parlament selbst wird die Demokratie bekämpft. Vor allem zwei Parteien forcieren den Umsturz, die DNVP und die NSDAP - wie im Jahr, bevor sie die Macht übernahmen.

Adolf Hitler, Eberswalde, 27.7.1932: „Wir sind intolerant. Ich habe mir ein Ziel gesteckt, nämlich die 30 Parteien aus Deutschland hinauszufegen.“

Joseph Göbbels, Berliner Sportpalast, 24.10.1932: „Das System ist als System falsch. Die Parteien müssen weg. Wir wollen als einzige deutsche Bewegung an ihre Stelle treten.“

Und heute? Die Aussagen wirken staatstragender, inhaltlich sind sie aber durchaus ähnlich.

Andreas Kalbitz, Vorsitzender AfD Brandenburg, 23.06.2017: „Die Blockparteien haben sich den Staat zur Beute gemacht und die Regierung unser Land und Volk zum Schlachtfeld ideologischer Experimente überall. Die AfD ist die letzte evolutionäre Chance für dieses Land. Danach kommt nur noch Helm auf.“

Die AfD ist nicht die NSDAP, aber sie ist im Bundestag in den letzten Jahren zum Sammelbecken der Rechten geworden. Und von Menschen, die ihre Unzufriedenheit bisher im Verborgenen ausgelebt haben. Jetzt trägt die AfD dazu bei, dass auch diese Menschen ihre Fremdenfeindlichkeit, ihren Rassismus offen zur Schau stellen können. Menschen, von denen viele vorher nicht zur Wahl gegangen sind. Ein Viertel der AfD-Wähler waren vorher Nichtwähler. Ganz ähnlich wie bei der NSDAP in der Weimarer Republik. In den Wahlen zwischen 1924 und 1933 hat die NSDAP deutlich zugelegt. Aber die anderen Parteien haben nicht im gleichen Maße verloren. Stattdessen stieg die Wahlbeteiligung rasant an. Auch ein Großteil der NSDAP-Wähler hatte zuvor also nicht gewählt.

Prof. Andreas Wirsching, Institut für Zeitgeschichte München - Berlin: „Die NSDAP war - wie man sie genannt hat - so eine Volkspartei, eine negative Volkspartei des Protests. Sie war die einzige Partei, die milieuübergreifend gewirkt hat innerhalb der Weimarer Republik, und die AfD ist auch eine Mischung zwischen - sagen wir mal - sozial etablierten Wählern aus der Mitte, die nach rechts driften, und Neuwählern, Protestwählern, die in der Tat ihrem Protest dadurch Ausdruck geben.“

Babylon Berlin, 1929. Das Jahr der Weltwirtschaftskrise. Die Arbeitslosigkeit explodiert, und der NSDAP laufen die Wähler in Scharen zu. Soziale Sicherung gibt es kaum. Die Menschen rutschen direkt ab in Not und Obdachlosigkeit - die Triebfeder des Protests. Und heute? Eigentlich erlebt Deutschland goldene Zeiten. Die Arbeitslosigkeit ist niedrig, die Wirtschaft boomt. Kein Grund zur Klage also?

Prof. Oliver Nachtwey, Universität Basel: „Wir sind keine Gesellschaft, die ärmer wird, sondern wir sind eine Gesellschaft, die reicher wird. Und in der auch sogar alle reicher werden können. Aber in unserer Gesellschaft werden die oberen 60 % kontinuierlich reicher, während die unteren 40 % eben nicht reicher geworden sind in den letzten 15 Jahren. Und das ist das Problem, trotz größerer Möglichkeiten haben wir eine größere Spaltung.“

Eine Spaltung, die zur Radikalisierung führt. In den sozialen Netzwerken werden die Grenzen des Sagbaren verschoben. Besonders bei Rechten ist der Übergang zum Hass fließend. „Gaskammer“, „an die Wand stellen“, „erschießen“, „dreckiges Volk“ heißt es. Und auch das gab es so ähnlich schon einmal. Verbale Hetze, die schon bald in Kampfszenen umschlug. In der Weimarer Republik waren Straßenschlachten fast die Regel. 1931 verübten Nazis am Kurfürstendamm erste antisemitische Übergriffe und Hetzjagden auf Juden. Anfang September in Chemnitz, Drohgebärden auf den Straßen, Journalisten werden angegriffen, Ausländer werden gejagt. Rassismus wird offen zur Schau gestellt und Hass schlägt um in Gewalt.

Prof. Samuel Salzborn, Zentrum für Antisemitismusforschung TU Berlin: „Die Gewaltbereitschaft ist nicht nur abstrakt vorhanden, sondern die Gewalt wird ausgeübt und wir verlieren glaube ich ein bisschen aus dem Auge, dass wir ein militantes, terrorismusaffines Milieu in dieser Szene längst haben, das auf genau die Konstellation wartet, indem dann auch die Möglichkeit da ist, die Gewalt tatsächlich auf den Straßen umzusetzen.“

Die Weimarer Republik. Von der Demokratie zur Nazi-Diktatur in gerade mal 15 Jahren.

Prof. Oliver Nachtwey, Universität Basel: „In der Tendenz sehen wir ganz, ganz langsam, was damals passiert ist. Gesellschaftliche Polarisierung, Rechtsextremismus, den Aufstieg einer antidemokratischen Partei, den Aufstieg von rechter Gewalt, eines Staates und einer Regierung, die dieser Lage nicht mehr wirklich Herr zu werden scheint. All diese Elemente dieser Weimarer Republik, die sieht man durchaus, aber es heißt nicht, dass wir Weimar wiederholen. Sondern es heißt eher, dass wir im Bewusstsein von Weimar, Weimar verhindern müssen.“

Heute scheint es wie damals unvorstellbar, dass wir unsere Freiheit, unsere Demokratie in wenigen Jahren verlieren könnten. Aber was passiert bei einer neuen Weltwirtschaftskrise? Was, wenn es zu Inflation und Massenarbeitslosigkeit kommen sollte? Die Feinde der Demokratie, sie stehen schon bereit.

Georg Restle: „Die Philosophin und Holocaust-Überlebende Ágnes Heller hat mir in einem Interview einmal gesagt, die größte Gefahr sei Gleichgültigkeit, sich nicht bewusst zu sein, dass eine Gefahr überhaupt existiert, weil man aus der eigenen Vergangenheit nichts lernen will. Genau darum geht es.“

Kommentare zum Thema

  • Felix 12.04.2021, 19:06 Uhr

    Die DNVP war sicher keine staatstragende Partei, als aber bei "den zwei Parteien", die den Staat angriffen diese und nicht die KPD neben der NSDAP zu nennen und auch später bei den Straßenkämpfen kein Wort zur KPD zu machen, machen den ganzen Beitrag stark linksgefärbt.

  • A. v. Seydlitz-Kurzbach 12.02.2020, 16:04 Uhr

    Nach dem demokratiefördernden AfD-Manöver in Thüringen, wollte ich mir nochmal die Parallelen zur Weimarer Republik in Erinnerung bringen. Dabei brachte mich die (EnteEnteGo)Suchmaschine auch auf Ihren Beitrag hier. Gerne hätte ich mir Ihre neben dem "Beitagstext" auch den Film angeschaut. Allerdings funktioniert die Wiedergabe nicht... Dabei steht da: Verfügbar bis 2099. Absicht oder technisches Problem? Vielen Dank für´s Nachschauen und (so hoffe ich) Reparieren.

    • MONITOR 12.02.2020, 16:52 Uhr

      Das Video sollte ganz normal funktionieren. Versuchen Sie es doch später noch einmal.

    • A. v. Seydlitz-Kurzbach 14.02.2020, 07:32 Uhr

      Nein, leider funktioniert dies Video generell nicht. Es wurde in 3 verschiedenen Browsern und unter 2 verschiedenen Betriebsystemen probiert... Kennt jemand noch eine andere Quelle?

  • RenateRichter 08.02.2019, 16:24 Uhr

    Die meisten Kommentare untermauern eindrücklich warum dieser Beitrag nicht nur wichtig ist, sondern auch eine sehr viel größere Verbreitung bekommen sollte. Danke Herr Restle!