Bericht: Jan Schmitt, Mathea Schülke, Jürgen Döschner
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Georg Restle: „Der Krieg der Türkei gegen die Kurden in Syrien. Er ist auch „Made in Germany“: Bundeswehrpanzer, Gewehre von Heckler & Koch, Motoren für Militärfahrzeuge. MONITOR-Recherchen zeigen, deutsche Waffen spielen in diesem Krieg eine weitaus größere Rolle als bisher bekannt. Guten Abend und willkommen bei Monitor.
Wie tief auch wir in diesen Krieg verstrickt sind, dazu gleich mehr. Zunächst aber zu einer anderen Monitor-Recherche, die heute schon für ziemlich großes Aufsehen gesorgt hat. Dass in einer deutschen Großstadt Jodtabletten zum Schutz vor einem atomaren Super-Gau verteilt werden, hätte man sich nach dem Atomausstieg kaum noch denken können. Genau das findet aber in Aachen statt, wo die Menschen in ständiger Angst vor einem Atomkraftwerk leben, das unmittelbar an der belgischen Grenze steht. Tihange heißt es und seine uralten Reaktoren gelten in Fachkreisen längst als schrottreif. Sollte es dort zu einem Gau kommen, wären auch weite Gebiete im Westen Deutschlands unmittelbar davon betroffen, Städte wie Köln, Dortmund oder Düsseldorf. Recherchen von Mathea Schülke, Jan Schmitt und Jürgen Döschner zeigen Ihnen jetzt, dass diese Gefahr sogar weit größer sein könnte, als bisher angenommen.“
In Aachen haben sie den Super-Gau schon mal geprobt - mit Schutzanzügen, Gasmasken und Atemluftflaschen. Die maroden belgischen Atomkraftwerke sind hier nicht weit weg. Aus Angst vor der Bedrohung wurde deshalb hier in der Leitstelle der Feuerwehr Aachen vor zwei Jahren der Krisenfall durchgespielt, um vorbereitet zu sein auf die mögliche Katastrophe. Bislang fürchten sie hier vor allem diesen Reaktor, nur 70 Kilometer von Aachen entfernt: den Block Tihange-2. Sein Reaktordruckbehälter hat Tausende von Haarrissen. Wenn er bricht, könnte die Region dauerhaft unbewohnbar werden. Im Großraum Aachen wächst die Angst vor einer radioaktiven Verseuchung. Angst, die im Sommer 2017 diese kilometerlange Menschenkette über drei Länder formte. Und auch jetzt sind die Menschen alarmiert:
Mann: „Das finde ich sehr beunruhigend, weil wir hier direkt in der Nähe sind und weil wir von Tschernobyl wissen, was das bedeutet.“
2. Mann: „Das Schlimme ist ja, dass hier Gefahren für die Bevölkerung in Kauf genommen werden und eigentlich nichts passiert.“
Wie gefährlich Tihange-2 ist, weiß man. Doch nun gibt es ganz neue Erkenntnisse zum Meiler direkt daneben: Tihange-1. Und der ist vielleicht noch viel gefährlicher.
Eloi Glorieux, Greenpeace Belgien (Übersetzung Monitor): “Tihange-1 ist jetzt 43 Jahre alt. Er wurde entworfen auf der Basis eines Sicherheitskonzepts der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts, mit der Technologie, dem Knowhow der 70er Jahre. Eine uralte Technologie also. Und es wäre am besten, ihn so schnell wie möglich abzuschalten.“
Das sollte eigentlich schon vor zwei Jahren passieren. Stattdessen wurde die Laufzeit des Reaktors kurzerhand um 10 Jahre verlängert. Monitor liegt nun ein bislang unveröffentlichtes Dokument vor. Es gibt Hinweise auf ein noch viel höheres Sicherheitsrisiko durch Tihange-1. Die Zahlen der belgischen Atomaufsichtsbehörde FANC beweisen: In den Jahren 2013 bis 2015 gab es auffällig viele sogenannte „Precursor-Fälle“, vor allem und immer wieder bei Tihange-1. Der ehemalige Chef der deutschen Atomaufsicht, Dieter Majer, hält solche Precursor-Fälle für wichtige Indikatoren für die Sicherheit eines Reaktors. Das können alle möglichen Zwischenfälle sein, aber immer sind sie Vorboten für einen Kernschaden, im Extremfall für eine Kernschmelze.
Dieter Majer, ehem. Leiter Atomaufsicht: „Unter Precursor-Ereignissen verstehen wir Ereignisse, die ein Potenzial dafür haben, dass es zu größeren Störungen oder gar zu größeren Unfällen kommen kann.“
Bei der Belgischen Atomaufsichtsbehörde beschwichtigt man. Der Reaktor sei sicher, teilt man uns mit und weiter:
Zitat: „Precursor-Analysen eignen sich nicht, um von ihnen auf das Sicherheitsniveau eines Reaktors zu schließen.“
Tschernobyl zeigt laut Experten etwas anderes. 1986 kam es hier zum bisher schlimmsten Unfall in der Geschichte der Atomkraft. Hunderttausende starben an den Folgen. Jahre vorher wies ein Precursor-Fall auf schwere Probleme hin. Aber er wurde nie genauer untersucht. Ein schwerwiegender Fehler, so die deutsche Gesellschaft für Reaktorsicherheit. Auch Atomexperte Mertins bestätigt das.
Manfred Mertins, ehem. Projektleiter, Gesellschaft für Reaktorsicherheit: „Tschernobyl hätte nicht stattfinden können und nicht stattfinden dürfen, wenn man es sachgerecht untersucht hätte, also eine Precursor-Analyse durchgeführt hätte. Das ist das Fatale an dieser ganzen Situation, zeigt aber auch andererseits, wie sehr, sehr wichtig Precursor-Untersuchungen sind.“
Laut Dokument gab es innerhalb von drei Jahren in Belgiens Atomreaktoren insgesamt 14 Precursor-Fälle. Acht davon aber allein im Reaktor Tihange 1, mehr als in allen anderen belgischen Atomreaktoren zusammen.
Manfred Mertins, ehem. Projektleiter, Gesellschaft für Reaktorsicherheit: „Die Anzahl der Precursor - und das zeigt sich ja an Tihange-1 - zeigt, dass wir hier eine deutliche Häufung haben gegenüber anderen Anlagen in Belgien, sodass man schon allein aus diesem Indikator heraus feststellen kann, dass die Sicherheit der Anlage hier schon Probleme aufweist.“
Zumal die Zwischenfälle in Tihange-1 fast immer im sensibelsten Teil des Reaktors stattfanden, bei der Kühlung oder der Wasserzufuhr. Immer wieder musste der Reaktor plötzlich abgeschaltet werden. Allein dadurch werde das Sicherheitsrisiko erhöht, warnen Experten.
Dieter Majer, ehem. Leiter Atomaufsicht: „Da müssen eigentlich die Alarmglocken bei allen Verantwortlichen, sowohl bei den Betreibern in Belgien, bei der Behörde in Belgien und auch bei den Nachbarländern, also sprich bei der deutschen Behörde, beim deutschen Bundesumweltministerium müssten alle roten Lampen angehen.“
Und was sagt das deutsche Bundesumweltministerium dazu? Von dort teilt man uns mit: Zwar seien die Ereignisse hier durchaus bekannt, aber Sache der belgischen Atomaufsichtsbehörde, und die informiere ja
Zitat: „über sicherheitsrelevante Vorkommnisse in belgischen kerntechnischen Anlagen regelmäßig über ihre Internetseite“.
Wirklich? Wir schauen nach. Auf der Seite der FANC - keine Rede von den Precursor-Fällen. In Aachen jedenfalls ist niemand über die Vorfälle informiert worden. Weder vom Bundesumweltministerium noch von den belgischen Behörden. Oberbürgermeister Philipp sah sich schon wegen der bekannten Risiken gezwungen, Jodtabletten zur Erstversorgung an die Bevölkerung zu verteilen. Die jetzigen Erkenntnisse über den Altreaktor Tihange-1 sind für ihn eine böse Überraschung.
Marcel Philipp (CDU), Oberbürgermeister Aachen: „Die Erkenntnis überrascht uns so konkret sehr, denn die bloße Vermutung und das Gefühl, dass die Kommunikation über diese Dinge nicht stimmt, ist das eine. Aber dann zu erfahren, dass man tatsächlich so viele Abschaltungen und so viele wirklich kritische, auch technische offensichtliche Mängel da vorfindet, das ist nochmal sehr besorgniserregend.“
Die Grünen kritisieren, die Bundesregierung komme ihrer Verantwortung nicht ausreichend nach.
Sylvia Kotting-Uhl (B‘90/Grüne), Ausschuss für Umwelt Dt. Bundestag: „Die Bundesregierung müsste in ihrer Verantwortung für den Schutz der Bevölkerung darauf drängen, dass untersucht wird, was ist mit diesem Reaktor los, warum hat er diese vielen Vorfälle und dass er dann eventuell in der Konsequenz auch abgeschaltet wird.“
Das soll eigentlich eine deutsch-belgische Nuklearkommission leisten, die von Bundesumweltministerin Hendricks vorletztes Jahr ins Leben gerufen wurde. Seitdem hat sie auch schon getagt, allerdings nur einmal. Thema hier waren nur die bekannten Pannenreaktoren. Von Tihange-1, laut Ministerium, keine Rede.
Dieter Majer, ehem. Leiter Atomaufsicht: „Insbesondere nachdem es diese signifikant hohen Precursor gibt in Tihange-1, wäre es … ist es absolut unverständlich, wenn diese Anlage ausgeblendet wird, wenn die nicht in die Besprechungen mit einbezogen wird.“
Stattdessen das hier: Aus dem niedersächsischen Lingen werden seit Jahren Brennelemente auch nach Tihange in Belgien geliefert. Brennstoff, ohne die der Betrieb eines Reaktors nicht möglich wäre. Die Gefahrenmeiler laufen also auch mit deutscher Hilfe weiter.
Sylvia Kotting-Uhl (B‘90/Grüne), Ausschuss für Umwelt Dt. Bundestag: „Diese weitere Versorgung von diesen Tihange-Reaktoren mit Brennelementen, die aus deutscher Urananreicherung und deutscher Brennelementefertigung stammen, das ist … das ist völlig absurd. Wir tragen damit bei, dass das Atomkarussell in der Welt sich weiter dreht. Und das macht unseren eigenen Atomausstieg unglaubwürdig.“
Den Menschen in Aachen hilft der deutsche Atomausstieg wenig, solange ein belgisches Atomkraftwerk in ihrer unmittelbaren Nähe für Gefahren sorgt. Und solange können sie auch nur darauf hoffen, dass aus dem Übungsfall niemals ein Ernstfall wird.
Georg Restle: „Unser Bericht hat heute schon vorab für jede Menge Aufregung gesorgt. Das Bundesumweltministerium ließ mitteilen, dass man sich wünsche, dass auch in unseren Nachbarstaaten alte Anlagen vom Netz genommen werden. Auf eine Klage gegen Belgien vor dem Europäischen Gerichtshof wolle man aber verzichten.“
Kommentare zum Thema
Oh, lese ich ein wenig Kritik an der Kriegsführung unseres Staates? Was war die Zeit nach dem verheerenden 2. Weltkrieg friedlich für Deutschland, keine Kriegsbeteiligungen, nur eine eigene Landesverteidigung zusätzlich im Rahmen der noch auf Verteidigung ausgerichtete NATO. Folgend: „Ein deutscher Soldat darf niemals wieder mit einer Waffe die Landesgrenzen überschreiten“, „Wie konnte das passieren“, „Warum habt Ihr mitgemacht“, diese beständigen, kollektiven Vorwürfe gegen Eltern u. Großeltern, Schuldzuweisungen gegen die Trümmerfrauen weil sie angeblich selbst e. Schuld am Krieg tragen würden (weil sie AH gewählt hätten), das waren nur einige der Vorwürfe, besonders hässlich ausgedrückt von der grün-links-68er Ideologie. Deren Verstand reicht scheinbar nicht aus um einzusehen dass wenn unsere derzeitigen Politiker sowie hetzenden Journalisten e. Krieg gegen Russland inszenieren sie selbst entweder auch in den Krieg zielen oder sich vor einer Wand stellen lassen müssen.
Unsere Bevölkerung ist durch eine kriegstreibende Politik unserer Regierungspolitiker gegen Russland stärker gefährdet als durch eine friedliche Nutzung von Atomkraftwerke. Übrigens sind belgische Atomkraftwerke nicht weit entfernt von Büchel wo sich Atomwaffen befinden welche im Fall eines Krieges gegen russische Städte geschickt werden. Kommt es zum Krieg wird Büchel vermutlich als erstes von russischen Atomwaffen getroffen werden. Wem die Gesundheit und das Leben unserer Bevölkerung wichtig ist der sollte sich endlich um eine friedensfördernde Politik bemühen anstatt unsere Bundeswehr an die „Ostfront“ (die Bezeichnung stand kürzlich in einer Zeitung) als „Speerspitze“ zu schicken. Ich glaube auch nicht dass russische Politker aufgrund der Anwesenheit unserer Bundeswehr an russische Grenzen nun respektvoll ihre Politik ändern werden. Die sowjetischen Politiker hatten damals auch nicht ihre Politik wegen Anwesenheit der Wehrmacht geändert.
ziemlich naiv T. Maus; sie sollten Ihr Umfeld schon genauer beobachten und sich nicht von einem Gau überraschen lassen; es sei denn Sie leben weit ab von der betroffenen Region. Es ist einfach verbrecherisch, was sich Behörden und Politiker dort erlauben: aber man geht eben in unsrer Welt mit Menschen so fahrlässig um, wenn ´s um Profit und Macht geht.