MONITOR vom 16.02.2017

Erst integrieren, dann abschieben: Deutschlands absurde Asylpolitik

Bericht: Naima El Moussaoui, Ralph Hötte

Erst integrieren, dann abschieben: Deutschlands absurde Asylpolitik Monitor 16.02.2017 10:51 Min. Verfügbar bis 16.02.2099 Das Erste

Georg Restle: „Und jetzt zur Geschichte von Atiqullah Akbari. Der 24-jährige Flüchtling wurde im Januar nach Afghanistan abgeschoben, ins angeblich so sichere Kabul. Letzte Woche wurde er dort bei einem Selbstmordattentat verletzt. Seine Geschichte zeigt beispielhaft die Absurdität deutscher Flüchtlingspolitik. Denn der junge Afghane galt als hervorragend integriert, hatte innerhalb kürzester Zeit Deutsch gelernt und sogar einen Job als Altenpfleger. Half alles nichts, Bayern schob ihn ab. Und das, obwohl es da mal ein großes Versprechen gab - Integrationspakt nannte sich das - und wurde von Horst Seehofer als beispielhaftes Projekt für die Integration junger Flüchtlinge gefeiert. Naima El Moussaoui und Ralph Hötte waren für uns in Bayern unterwegs und berichten von gebrochenen Versprechen und gebrochenen Herzen.“

Unterwegs in Niederbayern. Unterwegs zu Menschen, die die Politik ihrer Regierung nicht mehr verstehen. In Essenbach bei Landshut besuchen wir einen kleinen Familienbetrieb für Metallbau und Altbausanierungen. Thomas Monzel ist hier der Chef. Bis vor kurzem hatte er noch einen Mitarbeiter, wie er sich keinen besseren hätte wünschen können.

Thomas Monzel: „Wir suchen seit drei Jahren, jetzt haben wir ihn gefunden und das passt. Und der ist weg, von einem Tag auf den anderen.“

Plötzlich weg ist Rahmat Khan. Er gehörte zu den ersten, die im Dezember nach Afghanistan abgeschoben wurden. Der 23-jährige war gut integriert, hatte fünf Jahre in Deutschland gelebt. In dem kleinen Betrieb gehörte er zur Familie, hatte sogar einen unbefristeten Arbeitsvertrag.

Thomas Monzel: „Wir brauchen solche Leute. Aber die, die wir haben, nehmen sie einem.“

Der Betrieb ist von der Abschiebung völlig überrascht worden - und hat mit dem Mitarbeiter geplant, der ihnen heute fehlt. Jetzt kämpfen sie dafür, dass er wieder einreisen kann. Sie haben die Behörden angeschrieben, eine Petition gestartet und einen Anwalt beauftragt. Mit dem ersten Flug nach Afghanistan sollten vor allem Straftäter und Gefährder abgeschoben werden, hatte der Innenminister gesagt. Dabei hatte sich Rahmat Khan nie etwas zu Schulden kommen lassen.

Rahmat Khan: „Ich habe nichts Schlimmes gemacht, ich habe immer gearbeitet. Ich habe mit niemandem falsche Worte geredet. Ich habe auch Schule gemacht, ich hab die Sprache gelernt. Und warum soll ich wieder nach Afghanistan?“

Thomas Monzel hatte auf die bayerische Landesregierung vertraut. Die hatte Unternehmer aufgefordert, sich für die Integration von Flüchtlingen zu engagieren. Wie viele andere auch.

Thomas Monzel: „Die Wirtschaft braucht Arbeiter, ich bin nicht der Einzige. Da kenne ich Bodenleger, Schreinerbetriebe, die suchen seit Jahren. Es gibt nichts auf dem Markt. Und wenn wir solche fähigen Leute haben, dann soll man die da lassen. Aber da sind uns die Hände gebunden zurzeit.“

Integration durch Arbeit und Ausbildung. Genau das hatte die bayerische Landesregierung versprochen. Gemeinsam mit Wirtschaftsverbänden wurde schon 2015 ein feierlicher Pakt geschlossen. Flüchtlinge sollten integriert werden, Auszubildende eine Bleibeperspektive bekommen, auch Flüchtlinge, die in Bayern nur geduldet werden. Ein Pakt, auch um den Fachkräftemangel in Bayern zu bekämpfen.

Horst Seehofer: „Ein zentraler Punkt ist die Integration durch Ausbildung und durch Beruf. Und deshalb sind wir heute zusammengekommen.“

Ein gutes Jahr später hat der politische Wind sich gedreht. Nittendorf bei Regensburg. Auch Karim hatte auf das politische Versprechen vertraut und alles getan, um sich zu integrieren. Der 19-jährige kam vor eineinhalb Jahren allein aus Afghanistan nach Bayern. Fünf Monate lang machte er ein Praktikum in der Bäckerei Krois, die fest mit ihm als Azubi gerechnet hat. Aber er darf nicht anfangen. Die Ausländerbehörde erlaubt es nicht, weil Afghanistan ja jetzt als sicher gelte und er vielleicht irgendwann abgeschoben werden könnte.

Karim: „Wenn ich keine Erlaubnis für eine Ausbildung bekomme, dann das ist traurig, weil ich kann nicht mehr hier kommen und auch nicht Ausbildung machen.“

Bäcker: „Der Lehrvertrag liegt vor, er ist unterschrieben, alles. Aber er hat natürlich keine Gültigkeit, weil er keine Aufenthaltsgenehmigung und Arbeitserlaubnis besitzt.“

Kollegin: „Also ich finde das eine bodenlose Frechheit, dass er hier nicht anfangen darf, obwohl er so wissbegierig ist und auch immer ordentlich seine Sachen macht und alles. Im Gegensatz zu anderen, wo man einfach merkt, die haben gar keinen Bock drauf.“

Bäcker: „Da bist du wirklich verständnislos, was da los ist in der Politik. Warum, wieso, weshalb. Gerade im Handwerk, das ist jetzt nicht nur ein bayerisches Problem. Ist für ganz Deutschland so. Und dann hast du die Chance, welche zu bekommen und geht nicht. Und da weißt du wirklich nicht, was du machen sollst.“

Ein gebrochenes Integrationsversprechen? Das sieht man auch bei der IHK in München so. Nur weil Bayern so viele Afghanen wie möglich abschieben will, dürften viele Flüchtlinge jetzt plötzlich nicht mehr ausgebildet werden. Ganz egal, wie gut sie integriert seien.

Peter Driessen, IHK München und Oberbayern: „Es sieht momentan so aus, dass die Ausländerbehörden die notwendige Erlaubnis nicht oder nur weniger häufig als in der Vergangenheit erteilen. Das ist deshalb besonders ärgerlich, weil in diesem Jahr aus diesen Berufsintegrationsklassen, die wir in Bayern haben, die ein herausragendes Investment sind, etwa 5.000 Absolventen kommen.“

Auch Karim besucht eine solche Integrationsklasse, mit 14 anderen Flüchtlingen aus Afghanistan. Hier lernt er unter anderem Deutsch und Gesellschaftskunde, bereitet sich auf seine Ausbildung vor. Und jetzt, alles umsonst?

Doris Koller, Klassenlehrerin: „Die wollen alle konkret arbeiten, und die wollen auch ganz konkret nicht mehr auf staatliche Hilfen angewiesen sein. Weil das einfach nicht so gut ist für das Selbstbewusstsein auch.“

Insgesamt gibt es elf solcher Klassen in diesem Berufsschulzentrum. Für viele der afghanischen Schüler heißt es demnächst wohl wieder warten - und Nichtstun. Obwohl viele Unternehmer in Bayern sie gerne ausbilden würden. Karim ist in Deutschland angekommen. Er liebt das Land, hat hier schon viele Freunde gefunden. Warum man ausgerechnet ihm keine Chance gibt, der alles dafür tue, hier als Bäcker arbeiten zu können, kann er nicht verstehen.

Karim: „Erste Mal war ja „herzlich willkommen“. Und jetzt noch mal nach Afghanistan zurück, abgeschoben. Ich verstehe nicht das, warum.“

Keine Ausbildung für Karim, weil man nicht will, dass er hier eine Bleibeperspektive erhält? Im bayerischen Innenministerium will man davon nichts wissen. Immerhin gäbe es doch in Bayern einige Afghanen, die eine Arbeitserlaubnis erhalten hätten.

Stefan Frey, Bayerisches Innenministerium: „Selbstverständlich erhalten Afghanen, wenn sie keine Straftäter sind hier auch eine Arbeitserlaubnis. Das ist im Ermessen der Kreisverwaltungsbehörden gestellt. Und die Afghanen die diese Arbeitserlaubnis haben, und ihre Ausbildung antreten, dürfen dann auch nach rechtskräftigem Abschluss ihres Asylverfahrens bleiben. Ich weiß nicht, woher so viel Unsinn und so viel Schmarrn verbreitet wird.“

Alles Schmarrn? Die Behörden sagen, sie vollziehen nur geltendes Recht. Wir besuchen noch einen Unternehmer, der afghanische Flüchtlinge ausbilden will. Dominique Weber ist Geschäftsführer eines Autohauses in Regensburg. Die drei Ausbildungsverträge sind schon seit Monaten unterschrieben. Seitdem wartet er auf die Erlaubnis.

Dominik Weber, Geschäftsführer Autohaus Bauer: „Es gibt keinen verlässlichen Weg, den man beschreiten kann, um für diese jungen Leute eine Anstellung und eine Ausbildung zu finden. Es ändern sich wöchentlich irgendwelche Gegebenheiten. Und es dauert auch alles viel zu lange. Und im Moment ist es auch so, dass zum Beispiel in den meisten Bundesländern nach Afghanistan gar nicht mehr abgeschoben wird. Weil es als unsicheres Land gesehen wird, was es auch ist. In Bayern ist es nicht so, in Bayern ist es so, dass weiter als sicheres Land gesehen wird. Was ich nicht verstehe.“

Wie sicher es tatsächlich in Afghanistan ist, auch das kann man in Bayern erfahren. Zum Beispiel hier in Strullendorf. Bis vor kurzem wohnte hier noch Atiqullah Akbari. An einem Morgen wurde er abgeschoben, obwohl er als Altenpfleger im Ort dringend gebraucht wurde. In seiner Gastfamilie lebte er wie ein Sohn.

Josat: „Das sind hier seine Schulbücher. Muss ich unbedingt aufheben bis er wieder da ist, hier sind seine Kleider, seine Jacke.“

Letzte Woche dann plötzlich die schlimme Nachricht. Kurz nach seiner Ankunft in Kabul ist er Opfer eines Terroranschlags geworden.

Josat: „Ich habe ihn angerufen, weil lange nicht gehört, hat mir vom Anschlag erzählt und gesagt, er sei ein bisschen verletzt.“

In Afghanistans Hauptstadt Kabul machen wir uns auf die Suche nach Akbari. Raus auf die offene Straße traut er sich nur noch selten. Uns zeigt er, wo der Anschlag stattgefunden hat. Mehr als 20 Menschen sind hier ums Leben gekommen. Die meiste Zeit verbringt er in einer Notunterkunft, die man ihm zur Verfügung gestellt hat.

Akbari: „Jetzt ich habe so viel Angst, gehe nicht mehr in die Stadt.“

Diese Woche muss er aus seiner Unterkunft raus. Wo er dann hin soll, weiß er nicht. Seine Familie ist in die Türkei geflohen.

Akbari: Kenne niemanden hier; weiß nicht wohin. Winter.“

Zuhause, das ist für Akbari Strullendorf in Bayern. Hier hat sich mittlerweile eine ganze Gruppe zusammengefunden, die für seine Rückkehr kämpft. Sogar der CSU-Bürgermeister ist dabei. Sie haben einen Mitbürger verloren, sagen sie uns, mehr noch, ein Familienmitglied.

Josat: „Die Politiker wissen gar nicht, was sie so Familien antun, wenn sie die wieder rausreißen. Man soll sich kümmern um die Leute. Dann macht man es und baut wirklich eine Bindung auf und Akbari war einfach was Besonderes für uns. Und dann reißt man ihn da raus. Das ist, wie wenn man einem das Herz rausreißt. Nicht nur uns, sondern ihm ja auch.“

Georg Restle: „Die Geschichten aus Bayern. Sie passen so gar nicht ins Bild von gewalttätigen jungen Flüchtlingen, die immer wieder die Schlagzeilen beherrschen. Zum Beispiel diese Schlagzeile der BILD-Zeitung. Von 900 betrunkenen und gewalttätigen Flüchtlingen war da die Rede, von einem Sex-Mob in der Frankfurter Innenstadt. Das Problem daran, nichts davon stimmt. Die Geschichte war frei erfunden. Die BILD hat sich mittlerweile entschuldigt. Zu spät. Im Internet hat das Horrormärchen längst die Runde gemacht. Glauben Sie also nicht immer alles, was Sie da hören oder lesen.“

Kommentare zum Thema

  • Glücksspirale 20.05.2019, 07:09 Uhr

    Der Artikel ist vom 16.02.2017 ... 2 Jahre und 3Monate später ... schiebt die deutsche Regierung immer noch diese Menschen zurück ... Herr Seehofer? Wissen Sie nicht, dass in Deutschland 60000 Arbeitsplätze unbesetzt sind? ... Im Dienstleistung- und Handwerkgewerbe ... Warum fördert man weiterhin nur die Studenten?

  • Ansgar 02.05.2019, 14:23 Uhr

    Von Hauptsache raus kann doch gar keine Rede sein. Die Anerkennungsquote Asyl nach 16 GG liegt aktuell nur bei 0.7%, dann gibt es noch andere Kategorien wie UN Flüchtlingskonvention oder die "subsidiär geschützeten" Nicht-Flüchtlinge. Die Anerkennung ist drakonisch, aber es spielt am Ende keine Rolle, weil kaum einer abgeschoben wird oder freiwillig geht. Ändert aber nichts daran, dass die meisten zurückkehren müssten aber es nicht tun, weil der Staat es nicht durchsetzen kann. Nicht einmal alle Straftäter werden konsequent abgeschoben nach Verbüßung ihrer Haftstrafe., sondern nur ein kleiner Teil. Um die zweistellige Zahl von der Seehofer sprach wird dann noch ein Riesengeschrei gemacht und aufwendig recherchiert. Wenn man normale Standards anwenden würde, müsste man sogar alle Deserteure an ihre Länder ausliefern, damit ihnen der Prozess gemacht wird, denn Fahnenflucht ist auch in Deutschland strafbar. Aber das passiert nur, wenn der Betroffene zufällig amerikanischer GI ist.

  • Michael 18.01.2019, 04:05 Uhr

    Das ist wirklich absurd. Gleich abschieben und nicht erst eine erfolglose Integration beginnen. Die Migranten werden dringend im eigenen Land gebraucht