MONITOR vom 29.04.2021

Corona: Harte Maßnahmen bei den Bürgern, laxer Umgang mit der Wirtschaft

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Bericht: Barbara Schmickler, Torsten Reschke, Rosaria Kilian

Corona: Harte Maßnahmen bei den Bürger*innen, laxer Umgang mit der Wirtschaft

Monitor 29.04.2021 05:31 Min. UT Verfügbar bis 31.12.2099 Das Erste Von Barbara Schmickler, Torsten Reschke, Rosaria Kilian

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Georg Restle: „Vielleicht kann man es ja auch so sehen, Ausgangssperren klingen zumindest nach harten Maßnahmen, sie kosten nicht viel – und sie treffen vor allem Menschen, die in der Regel keine Lobby haben. Ganz anders, wenn es um Maßnahmen gegenüber bestimmten Wirtschaftsbranchen geht. Ob Bau, Schlachthöfe oder Automobilindustrie, hier scheint es die Politik weniger ernst zu nehmen, wenn es um die Durchsetzung von Schutzmaßnahmen geht. Davon betroffen sind am Ende vor allem Menschen in prekären Jobs; Reinigungskräfte etwa oder Erntehelfer, die Ansteckungsrisiken oft schutzlos ausgeliefert sind. Barbara Schmickler, Rosaria Kilian und Thorsten Reschke über Maßnahmen, die viel bringen könnten, wenn man es denn politisch wirklich wollen und durchsetzen würde.“

Deutschland im Lockdown, aber der gilt nicht für alle. Viele Unternehmen machen weiter wie bisher. Die Baubranche etwa boomt, auch in der Pandemie. Als Baustoffprüfer ist Patrick Völkel fast jeden Tag auf einer anderen Baustelle. Menschen arbeiten hier eng an eng. Immer wieder beobachtet er, wie wenig auf Schutzmaßnahmen geachtet wird.

Patrick Völkel, Baustoffprüfer: „Irgendwann fängt einer an, die Maske abzusetzen, bekommt keine Konsequenzen, weil halt gerade in dem Moment keiner da ist, der das kontrolliert. Und dann denken sich die anderen Leute natürlich auch, ja, warum soll ich dann die Maske tragen, wenn die anderen damit auch durchkommen.“

Die Baubranche ist nur eine von vielen, die vom Lockdown ausgenommen wurden, trotz Ansteckungsrisiken. Ein begrenztes Runterfahren kam hier für die Politik nicht in Frage.

Marcel Fratzscher, Präsident Dt. Institut für Wirtschaftsforschung (DIW):„Wir haben eine Reihe von Branchen im Augenblick, die von den Restriktionen so gut wie gar nicht betroffen sind. Beispielsweise in der Automobilbranche, im Maschinenbau, aber auch in vielen Dienstleistungen, bei denen Menschen nach wie vor zur Arbeit gehen, sich auf dem Weg zur Arbeit oder bei der Arbeit anstecken können.“

Besonders betroffen sind Arbeitnehmer*innen in prekären Beschäftigungsverhältnissen. Seit Jahren arbeitet diese Frau als Reinigungskraft. Ihr Gesicht will sie nicht zeigen. Ihr Arbeitgeber halte sich nicht an die Hygieneauflagen. Doch dagegen zu protestieren, traue sie sich nicht.

Reinigungskraft: „Mein Chef kümmert sich nicht. Keine Desinfektionsmittel, keine Masken, keine Tests. Ich habe Angst, dass es Druck von oben gibt und ich eine Kündigung bekomme.“

Kein Einzelfall: Bei der zuständigen Gewerkschaft melden sich nahezu täglich Reinigungskräfte.

Thomas M. Kreten, IG BAU Rheinland-Pfalz-Saar: „Die Beschäftigten in der Gebäudereinigung sind auf das Geld angewiesen und das wird natürlich schamlos ausgenutzt von den Arbeitgebern. Die wissen das. Und die Angst um den Arbeitsplatz, die bringt auch die Beschäftigten dazu, dass sie da auch nicht großartig nachfragen, wenn es darum geht Die kriegt keine Maske, ich kriege kein Desinfektionsmittel oder wo kann ich denn jetzt bei der Firma einen Test machen?“

Bei Kontrollen könnte so etwas auffallen. Doch Zahlen der Bundesländer, die MONITOR exklusiv vorliegen, zeigen, die staatlichen Arbeitsschutz-Kontrollen sind während der Pandemie sogar zurückgegangen. Im Jahr 2020 gab es 15 Prozent weniger Überprüfungen in Betrieben als im Vorjahr.

Jutta Krellmann, Bundestagsabgeordnete, DIE LINKE (Arbeitspolitische Sprecherin): „Das ist ein Riesenproblem, weil eigentlich jeder weiß, die Menschen verbringen einen Großteil ihrer Arbeit im Betrieb und wenn man im Grunde auch da verlangt, dass man im Betrieb was macht, um die Menschen zu schützen, dann muss man das am Ende auch kontrollieren.“

15 Prozent weniger Kontrollen. Die Bundesländer verweisen gegenüber MONITOR auf die besonderen Pandemie-Bedingungen. Unter anderem hätten anfangs Schutzmasken für Kontrolleure gefehlt. Kaum Kontrollen; das gilt auch beim Thema Homeoffice. Eine Untersuchung verschiedener, wissenschaftlicher Institute aus der vergangenen Woche zeigt, wie viele Kontakte Menschen nach wie vor an ihrem Arbeitsplatz haben. Risiko-Kontakte, länger als 15 Minuten, ohne Maske im Innenraum. 21 Prozent haben mit mehr als sechs Personen solch ungeschützte Kontakte. Bei 33 Prozent – also bei jedem Dritten – sind es sogar Risiko-Kontakte mit mehr als elf Personen. Alles vermeidbar, denn die hier Befragten könnten alle im Homeoffice arbeiten.

Prof. Dirk Brockmann, Physiker, Humboldt Universität Berlin: „Das ist eine substantiell große Zahl und das bezieht sich auch nur auf Berufe, die auch im Homeoffice stattfinden könnten, also nicht auf Busfahrer*innen oder Kassierer im Supermarkt. Und das ist eine Zahl, die ist schon besorgniserregend hoch, weil das bedeutet, diese großen Gruppen in Betrieben, in Großraumbüros ohne Maske, enge Kontakte in Innenräumen, sind potentiell natürlich Infektionstreiber.“

Zu viele Kontakte, kaum Kontrollen. Und wie sieht es mit Bußgeldern aus? Antworten von 14 Bundesländern auf eine MONITOR-Anfrage zeigen, trotz vieler Verstöße gegen die Hygieneauflagen und Homeoffice-Pflicht hat kein einziges Bundesland angegeben, seit Beginn der Pandemie überhaupt Bußgelder verhängt zu haben. Keine Bußgelder für Unternehmen, die ohnehin schon privilegiert sind, weil sie vom Lockdown ausgenommen wurden?

Marcel Fratzscher, Präsident Dt. Institut für Wirtschaftsforschung (DIW): „Fakt ist, dass einige sehr viel beitragen, sehr große Opfer bringen. Das betrifft das Privatleben, das betrifft Schulen – Kinder vor allem – und auch einzelne Unternehmen in den Branchen. Denn wie in dem Einzelhandel, aber das andere Unternehmen zum Beispiel im Industriebereich, eben kaum beitragen. Und da liegt ein Schwachpunkt der Strategie der Bundesregierung.“

Hohe Ansteckungsrisiken am Arbeitsplatz, vor allem für sozial Benachteiligte – und kaum Kontrollen. Wenn man so etwas überhaupt Strategie nennen will.

Georg Restle: „Zweierlei Maß in der Corona-Politik. Das schadet nicht nur dem Kampf gegen die Pandemie, sondern ganz sicher auch der Glaubwürdigkeit von Politik.“

Stand: 30.04.2021, 15:00 Uhr

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11 Kommentare

  • 11 meinungs´freiheit´ 25.05.2021, 16:40 Uhr

    Dieser Kommentar wurde gesperrt, weil er gegen unsere Netiquette verstößt. (die Redaktion)

  • 10 Lila Tilla 22.05.2021, 16:37 Uhr

    Stimmt, es wird in bestimmten Bereichen kaum bzw. so gut, wie gar nicht kontrolliert. Für die Überwachung der Einhaltung der Corona-Maßnahmen auf den Straßen ist plötzlich massenhaft Polizei unterwegs. Ich wusste nicht, dass es so viel Polizei bei uns überhaupt noch gibt. Ruft man die, wenn man sie sonst braucht, kommen sie oft nur widerwillig, und dann muss man sich noch anhören, ob man glaubt, dass sie nichts anderes bzw. wichtigeres zu tun hätten. Und die Wirtschaft? In Deutschland regiert eine Kanzlerin von der CDU. Wer erwartet dann da bitte großartig Kontrollen bei der Wirtschaft! Wo übrigens in den letzten Monaten auch kaum noch kontrolliert wird: im ÖPNV. Prima für Schwarzfahrer, die sparen Geld. Schlecht wegen Maßnahmeverweigerern, weil die sich Schutzmasken in Bussen und Bahnen sparen. Spricht man sie darauf an, wird man nicht selten beleidigt, falls ausreichend deutsche Sprachkenntnisse dafür vorhanden, oder sogar offen bedroht, dieses auch ohne Deutschkenntnisse.

  • 8 Rob 04.05.2021, 11:19 Uhr

    b) Die Interessen der sich durchsetzenden Kapitalfraktion sind zufällig deckungsgleich mit den Interessen der Kapitallosen oder -armen. Kommt tatsächlich ja öfters mal vor, auch wenn die jeweiligen Gründe und Intentionen oftmals ganz unterschiedlich sind. c) Die Interessen der Bevölkerung werden mit irgendeiner Form von Zwang gegen die Interessen des Kapitals durchgesetzt, also erkämpft. Streiks sind ein typisches Beispiel oder Proteste und Aufruhr, die das Kapital am Ende teurer kommen würden, als die Zugeständnisse. ==> Wer wirklich glaubt, dass den Regierenden, egal welche Parteien gerade am ausführenden Hebel sitzen, die Gesundheit der Leute wichtig wäre, ist naiv, politisch ungebildet oder in einer Art von Stockholm-Syndrom gefangen. Die Gesundheit ist nur insofern wichtig, als sie unter einem bestimmtem Level dem Kapital schaden könnte, wenn z.B. dadurch nicht mehr genug der Ware Arbeitskraft auf dem Markt einkaufbar wäre oder die Leute den Aufstand proben o.ä.

  • 7 Rob 04.05.2021, 11:11 Uhr

    Was vielen leider trotz mittlerweile jahrhundertelanger Aufklärung nicht wirklich bewusst ist: Der Staat und damit seine Politiker und Institutionen sind NICHT die Herrscher in unserem System, sondern nur WERKZEUG der Herrschenden. Ebenso: Diejenigen, die alle paar Jahre mal einen Stimmzettel irgendwo reinwerfen, sind NICHT die Herrschenden, deren Werkzeug der Staat ist. Richtig ist dagegen, dass im Kapitalismus, wie der Name eigentlich ziemlich leicht vermuten lässt, das Kapital herrscht und damit der Staat IMMER dem Willen des Kapitals zu folgen und dessen Willen zu exekutieren hat, nicht dem Bürger(tm) oder dem Wähler(tm). Ausnahmen davon gibt es nur in den folgenden Fällen: a) Dem Kapital ist eine spezielle Regelung völlig egal, weil es die Verwertungslogik / die Profitraten nicht betrifft.

    • Hugo 07.05.2021, 12:33 Uhr

      Kapital hat keinen Verstand. Interesse am Kapital haben Menschen, gleichgültig ob arm oder reich. Vom erworbenen Kapital leben wir Menschen. Es darf nicht plötzlich abgeschafft werden denn vom Beeren sammeln u. Pilze suchen können 7.800.000.000 Menschen nicht ernährt werden. Die einzige Möglichkeit um von der Macht des Kapitals wegzukommen ist die Wirtschaft auf einen Tauschhandel umzustellen (z.B. Ich gebe Dir ein Kilo Gurken und Du gibst mir ein Kilo Bananen). Das dieses System jedoch bei der hohen Anzahl der Weltbevölkerung auch nur bedingt funktioniert wird sich wieder, fast wie von alleine eine bestimmte Ware als Tauschware durchsetzen, Nüsse, Reis oder anderes und folgend dann doch wieder Kapital in Form von Geld (Buch- oder Papiergeld). Gäbe es das Geld nicht würde auch niemand danach streben u. folgend verhungern. Die Weltwirtschaft würde zusammenbrechen weil niemand sich anstrengt Geld zu verdienen. So ist es, denn leider leben wir nicht im Schlaraffenland oder als Tier im Zoo

  • 4 Herbert Runde 30.04.2021, 14:10 Uhr

    Homeoffice? Papi am Küchentisch, das Leben eines Arbeitslosen ausgebreitet auf dem Bildschirm, Frau liest mit und Kinder tanzen um den Tisch; so stelle ich mir das vor. Homeoffice bei der Arbeitsagentur oder dem Sozialamt sind Extrembeispiele aber wenn der Arbeitnehmer für den Arbeitgeber Daten von Dritten verarbeitet braucht man ein hohes Maß an Sicherheit. Es wird sinnlos die höchsten Sicherheitsstandards für Rechenzentren zu fordern wenn hinter der Tür über Leitung Wild West herrscht. Es ist nicht unmöglich, in einem Bericht über einen Rechtsanwalt habe ich das gesehen; der hat für seine Angestellten zwei Wohnmobile angemietet und auf den Parkplatz gestellt, Kabel (nicht angreifbares WLAN) durchs Fenster in die Wohnmobile gelegt und nachts werden die Kabel rein geholt. Das ist sicher, ist nur schwierig bei größeren Firmen. Die verbreitet radikale Forderung nach Homeoffice ist Beispiel wie man in einer Hysterie den Verstand verlieren kann. Man muss dringend aus dem Tunnelblick raus.

  • 3 Willi HEINRICH 29.04.2021, 19:16 Uhr

    Der Beitrag spricht zutreffend an, dass Bürger und Arbeitnehmer von den Einschränkungen stärker betroffen sind. In Kamen würde einer 80jahrigen Frau ein Bußgeld auferlegt weil's sie ein Eis auf einer Bank als, wo Maskenpflicht besteht.

  • 2 N.Albert 29.04.2021, 18:33 Uhr

    Mönsch Leute... DA GEHT ES UM GELD, da gelten doch andere Masstäbe. Der Virus hat Pause, hält sich an Absprachen und ist ansonsten sehr sozial und fällt vorwiegend über Privatleute her wie ne Hyäne. Nö, unsere Regierung legt sich nicht mit der Wirtschaft an aus der die Spenden u.ä. kommen, da macht man es sich einfach und sperrt fix Privatleute ein, kleine Betriebe werden einfach dicht gemacht und alle zahlen die Zeche für die Pandemie, ausser denen die das Geld haben, die machen munter Profite - siehe z.b. Benz. Man muss gar kein CoronaLeugner sein um bei der ganzen Geschichte an alles andere zu glauben als an einen Virus. Und dieses planlose Gehampel unserer Politik macht die Sache nicht glaubwürdiger. ...und wo sind dieses Jahr die Grippeopfer, wo die ca. 20000 Toten die Politik zu verantworten hat weil keiner gegen die hygienischen Zustände in den Krankenhäusers vorgeht?

  • 1 Ingolf Tabbert 29.04.2021, 17:16 Uhr

    Hier zeigt sich, daß der gegenwärtige bürgerliche Staat und dessen Regierung in erster Linie zur Sicherung der Profite der Großunternehmen da ist. Die Gesundheit der Arbeitnehmer scheint da zweitranging. Daß mit den Corona-Maßnahmen vor allem der selbstständige Mittelstand, das kleinere Dienstleistungs-und Einzelhandelsgewerbe als eine Basis der Konservativen nahezu zerstört wird, ist dabei so verwunderlich, daß es einen nicht wundert, daß die allbekannten Verschwörungstheorien Erfolg haben. Die Grundrechte der Menschen werden teilweise unlogisch eingeschränkt, die Generierung von Profit nicht. In meiner gesamten Bekanntschaft, Verwandtschaft, Kollegenschaft, Nachbarschaft, in den Schulen unserer Enkel gibt es keinen Corona-Fall. Das Gleiche berichten diese auch. Wir werden aber abscheinend in Mithaftung genommen für Leute, die sich nicht an die Regeln halten. Es muß also Hotspots in anderen Bereichen geben. Wo sind die vermehrten Inzidenzen? Vielleicht doch in der Industrie?