Angriffe auf Kommunalpolitiker: Demokratie in Gefahr?

Monitor 25.01.2024 08:39 Min. UT Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste

MONITOR am 25.01.2024

Angriffe auf Kommunalpolitiker: Demokratie in Gefahr?

Fast zwei Drittel aller Bürgermeister und Lokalpolitiker sind laut Studien regelmäßig Anfeindungen ausgesetzt. Sehr häufig kommen die Attacken aus dem rechten und rechtsextremen Spektrum. In der Folge ziehen sich immer wieder Amts- und Mandatsträger zurück. Das zeigt sich aktuell auch in den neun Bundesländern, in denen kommendes Jahr Kommunalwahlen stattfinden. Fachleute sehen darin eine große Gefahr für die Demokratie.

Von Lisa Seemann, Andreas Spinrath und Julius Baumeister

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Georg Restle: "Zugegeben, das erscheint alles ziemlich gruselig. Die Frage stellt sich allerdings, ob sich all diese Recherchen und die Massenproteste gegen die AfD auch auf Wahlergebnisse auswirken? Bei den Landtagswahlen im Osten, bei der Europawahl – und bei den Kommunalwahlen, wo sich viele Menschen ehrenamtlich für diese Demokratie engagieren. In neun Bundesländern werden dieses Jahr Stadt- und Gemeinderäte gewählt. Besonders im Osten hofft die AfD auf große Wahlerfolge. Für die Kandidaten und Kandidatinnen anderer Parteien bedeutet das wenig Gutes. Hass und Hetze nehmen zu. Und nicht nur das. Auch Bedrohungen und tätliche Übergriffe auf Kommunalpolitiker häufen sich. Einige wollen sich das alles jetzt nicht mehr antun und haben auf eine erneute Kandidatur verzichtet. Andere sagen: Jetzt erst recht! Lisa Seemann, Andreas Spinrath und Julius Baumeister."

Unterwegs mit einer Kommunalpolitikerin der Grünen. Montagabend in Gotha, Thüringen. Mal wieder zieht die rechte Montagsdemo durch die Stadt. Kein gutes Gefühl für die junge Grünen-Politikerin.

Nele Bär (B'90/Grüne), Abgeordnete im Kreistag, Wartburgkreis: "Wenn man solche Züge oder Demonstrationen beispielsweise direkt vor dem Grünen-Büro hat oder am Wahlkampfstand, dann ist das Sicherheitsgefühl natürlich nicht so hoch. Vor allen Dingen, weil man da meistens jetzt nicht nicht mit 50 Leuten sitzt und man da eher in der Unterzahl ist, das macht einem natürlich schon so ein bisschen mulmig, weil man ja auch nicht weiß, was passiert."

Regelmäßig hängen nach den Montagsdemos Hassbotschaften am Büro, die Scheiben sind bespuckt.

Nele Bär ist Vorsitzende der Grünen Jugend in Gotha und Abgeordnete im Kreistag im Wartburgkreis. Fast ihre ganze Freizeit opfert sie für die Kommunalpolitik - ehrenamtlich. Als Mandatsträgerin ist sie bekannt, mit Namen und Gesicht und wird dadurch immer wieder zur Zielscheibe für die Wut der Menschen – vor allem vom rechten Rand.

Nele Bär (B'90/Grüne), Abgeordnete im Kreistag, Wartburgkreis: "Dann kriegt man ja teilweise online auch Morddrohungen oder diverse andere Anfeindungen, zum Beispiel so was wie, ich weiß, wo du wohnst oder solche Sachen. Und dann überlegt man sich lieber zweimal, ok, laufe ich jetzt im Dunkeln nach Hause oder rufe ich mir jetzt ein Taxi oder frage ich einen Freund einfach, ob der mitkommt?"

Parteikollegen und auch ihre Familie machen sich Sorgen um sie. Gerade im Wahlkampf, am Stand, steigen die Anfeindungen. Dann, wenn Politiker in der Stadt öffentlich sichtbar sind.

Nele Bär (B'90/Grüne), Abgeordnete im Kreistag, Wartburgkreis: "Der Klassiker ist, dass man da steht und dass dann einfach Leute vorbeigehen und dann irgendwelche blöden Sprüche rufen wie Kriegstreiber oder man sollte euch aus dem Land jagen. Zusehends mit den Anfeindungen und auch immer wieder mit den Drohungen, die gegen Kommunalpolitiker eingehen, ist das schon so was, wo man sich überlegt, möchte ich das, dass ich wirklich öffentlich dastehe, dass jeder meinen Namen, mein Gesicht kennt. Und es ist ja jetzt auch beispielsweise in Zeiten des Internets keine Schwierigkeit, Adressen von Mandatsträgern herauszufinden."

Trotzdem tritt sie bei der Kommunalwahl in diesem Jahr wieder an. Sie will sich nicht unterkriegen lassen. Gegen den alltäglichen Hass, entgegen aller Bedrohungen. Wie ihr geht es vielen Kommunalpolitikern.

Prof. Andreas Blätte, Politikwissenschaftler, Universität Duisburg-Essen: "Es ist eben schon etwas Flächendeckendes geworden, dass wir eine ganz systematische Bedrohungslage haben für diejenigen, die Kommunalpolitik machen, die dort engagiert sind. Man muss davon ausgehen, dass dieser Schatten der Gewaltdrohung schon längst die Kommunalpolitik beeinträchtigt und droht, sie zu einer Erosion zu führen."

Eine Umfrage der Heinrich-Böll-Stiftung unter Kommunalpolitikern in fast 80 Städten zeigt:

60 Prozent berichten von Beleidigungen, Bedrohungen oder tätlichen Übergriffen. 33 Prozent geben an, sie würden deshalb bestimmte Themen seltener in der Öffentlichkeit äußern.

Die Bedrohung von Kommunalpolitikern – kein reines Ost-Phänomen. Wir fahren nach Frankfurt am Main und treffen Omar Shehata. Er ist Stadtverordneter der SPD, in einer Stadt, in der jeder Zweite einen Migrationshintergrund hat. Er setzt sich für Integration und Gleichberechtigung ein – und gegen Rechtsextremismus. Im Sommer 2022 stellte er sich in der Frankfurter Innenstadt einem bekannten Rechtsradikalen entgegen.

Video Stürzenberger: "Ich bin empört, wenn Afghanen in unser Land reinkommen, Asyl schreien, durchgefüttert werden, versorgt werden, Wohnung bekommen und dann unsere 11- und
13-jährigen Mädchen vergewaltigen …"

Solche Aussagen wollte er nicht stehen lassen. Shehata schritt ein, hier im weißen T-Shirt. Dadurch wurde er selbst zur Zielscheibe für Anfeindungen.

Video Stürzenberger: "Stadtverordneter in Frankfurt ... kennt den jemand? … was für die SPD im Stadtverordneten-Rat sitzt. Da geht die Unterwanderung offensichtlich munter weiter."

Das Video wurde auf einem rechten Kanal veröffentlicht, daraufhin wurde Shehata beleidigt, sein E-Mail-Postfach mit Hass-Nachrichten geflutet.

Zitate: "Verschwinde aus Deutschland du Dreckskerl." - "… Scharia-Fresse." - "Feige Drecksau." - "Dieser Mensch darf nie wieder in der Öffentlichkeit stehen …" - "Sie sind doch dieses Islamistenschwein."

Shehata lässt nach den Hassattacken seine persönlichen Daten von der Partei-Webseite löschen, er fühlt sich machtlos.

Omar Shehata (SPD), Stadtverordneter, Frankfurt am Main: "Genau da hat es einen geschmerzt, dass man mich genau da gepackt hat, wo es auch für viele Menschen mit Migrationsgeschichte einfach am Schwersten ist, nämlich mit der Identität. Dass man immer wieder suggeriert bekommt, man sei anders, man sei der hysterische Araber, der Islamist, der ich nun mal eben nicht bin. Sondern im Prinzip bin ich einfach nur ein typischer Frankfurter Jung, der was für seine Community tun möchte."

Er hat darüber nachgedacht, sich ganz aus der Politik zurückzuziehen, um weiteren Anfeindungen zu entgehen. Am Ende hat er sich entschieden, als Kommunalpolitiker weiterzumachen – vorerst. Aber mit den Überlegungen ist er nicht allein.

Untersuchungen zeigen beispielsweise, dass 29 Prozent der Bürgermeister, die von Anfeindungen betroffen sind, mit dem Gedanken spielen, sich aus der Politik zurückzuziehen. Fachleute sehen dahinter ein System:

Prof. Beate Küpper, Rechtsextremismusforscherin, Hochschule Niederrhein: "Das ist eine explizite Strategie der Neuen Rechten, die Demokratie auszuhöhlen und sie auch zu verunmöglichen. Dazu gehört auch, ganz persönlich Angst und Schrecken zu verbreiten durch gezielte Hassmails beispielsweise, durch gezielte Bedrohungsaktivitäten, so dass ein Raum geschaffen wird, in dem Bedrohung wieder möglich und denkbar ist."

In dieser Stimmung finden in diesem Jahr in neun Bundesländern Kommunalwahlen statt – auch überall im Osten Deutschlands. Parteien berichten uns, Menschen wollen aus Angst vor Übergriffen erst gar nicht kandidieren. Auch gegen AfD-Politiker gibt es Anfeindungen, aber die Angriffe von rechts hätten ein ganz besonderes Kalkül, sagen Fachleute.

Prof. Beate Küpper, Rechtsextremismusforscherin, Hochschule Niederrhein: "Das ist sicherlich eine ganz strategische Methode, weil man dann engagierte, gute Leute aus der Demokratiearbeit hinaustreibt. Einfach weil man ihre Arbeit so stressig macht und so sehr verunmöglicht, dass sie sagen, dafür ist mir der Preis zu hoch."

Wir treffen einen Kommunalpolitiker, der das für sich schon entschieden hat. Er will nicht erkannt werden. Viele Jahre war er für die Grünen im Stadtrat, hatte eine Führungsrolle in einer ostdeutschen Kommune, dort wo die AfD bei den Kommunalwahlen in diesem Jahr stärkste Kraft werden könnte. Mehrfach bekam er Drohschreiben.

Anonym: "Eine Zeit lang bin ich morgens an den Briefkasten gegangen und habe geschaut, hat heute Nacht jemand wieder was reingelegt? Natürlich ist das ein Druck, der dann auf die Familie ausgeübt wird, wenn so was zu Hause gemacht wird. Und man redet da zu Hause ja auch darüber. Das macht ja auch was mit einem."

Als Stadtrat in kleinen Gemeinden ist man bekannt, aus der Zeitung, von Veranstaltungen. Man kennt die Gesichter, die Namen und auch die Adressen.

Anonym: "Ich werde schauen, dass ich auf der Liste einen hinteren Platz bekommen werde. Natürlich werde ich versuchen, Stimmen zu fangen, aber ich werde mich nicht so engagieren wollen, dass ich noch mal in den Stadtrat gewählt werde."

Sein politisches Engagement hat für ihn auch wirtschaftliche Folgen. Er hat ein kleines Geschäft in der Stadt. Einige Kunden kommen jetzt nicht mehr in seinen Laden, er hat Aufträge verloren.

Anonym: "Und die Konsequenz ist natürlich, dass ich mich auch um mein Unternehmen und meine Angestellten kümmern muss. Ich habe ja auch Verantwortung mehreren Menschen gegenüber."

Er möchte nur noch im Hintergrund politisch aktiv sein, sein Mandat aber abgeben. Er hofft, dass andere weitermachen und sich nicht einschüchtern lassen von den Feinden der Demokratie.

Georg Restle: "Ja, dass es dann eben doch noch so viele Menschen gibt, die sich nicht einschüchtern lassen, die weitermachen wollen und eben nicht aufgeben, das sollte Mut machen. Gerade in diesen Zeiten."

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Stand: 25.01.2024, 22:15 Uhr

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9 Kommentare

  • 9 Servus 25.01.2024, 13:18 Uhr

    Dieser Kommentar wurde gesperrt, weil er diskriminierend ist. (die Redaktion)

  • 7 Malocher ausm Ruhrgebiet 25.01.2024, 10:23 Uhr

    Dieser Kommentar wurde gesperrt, weil er gegen unsere Netiquette verstößt. (die Redaktion)

  • 3 Albers 24.01.2024, 13:54 Uhr

    In HH werden schon Wahlkämpfer bedroht, können keine Räume mieten weil sich mögliche Vermieter fürchten, mündige Bürger die sich selbst informieren wollen brauchen fast schon Polizeischutz. Schlimme Verhältnisse nicht wahr ?

  • 1 Herbert Runde 24.01.2024, 13:00 Uhr

    Wenn in Aachen auf einem Demo-Plakat steht, "AfDler töten. Nazis abschieben", sehe ich auch ein Problem. Der Staatsschutz ermittelt, mal sehen ob der in beide Richtungen funktioniert.