Bericht: Jan Schmitt, Martin Suckow
Georg Restle: „Apropos Solidarität: Die Kosten für die Flüchtlinge in Deutschland werden zum größten Teil vom Steuerzahler getragen, also von uns allen. Von wirklich allen? Nicht wirklich, denn da gibt es eine Branche, die sich schon seit Jahren darauf spezialisiert hat, dem Staat Milliarden an Steuern aus der Tasche zu ziehen. Und davon profitieren ausgerechnet diejenigen, die es sich eigentlich leisten könnten - die Superreichen im Land. Milliardengeschäfte auf Kosten der Steuerzahler - und das mit Hilfe deutscher Finanzminister. Jan Schmitt und Martin Suckow über ziemlich asoziale Steuertricks, die ab heute sogar einen Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestags beschäftigen.“
Deutsche Banken im Visier der Steuerfahnder. Durchsuchungen in der Hamburger Warburg-Bank im Januar. Die Bank soll den Staat um Millionen Steuergeld betrogen haben. Im Februar ging die Maple Bank in Frankfurt wegen ähnlicher Geschäfte Pleite. Ihr drohen Steuerrückforderungen von 450 Millionen Euro. Es geht um dubiose Aktiendeals. Auch das Geld von Drogerie-König Erwin Müller oder Carsten Maschmeyer und seiner Ehefrau Veronica Ferres floss in Fonds, deren einziges Ziel es offenbar war, Steuergeld vom Staat zu erhalten. Den Investoren seien angeblich Renditen von 10 bis 12 Prozent versprochen worden. Worin die Geldanlage bestand, wollen sie aber nicht gewusst haben. So genannte Cum-Ex-Geschäfte. Seit heute Nachmittag klärt ein Untersuchungsausschuss, wer die politische Verantwortung dafür trägt, dass Millionäre und Banken Milliardensummen vom Fiskus bekomme haben.
Gerhard Schick, B‘ 90/die Grünen, finanzpolitischer Sprecher: „Diese Finanzkonstruktion dient dafür, dass das Finanzamt an Investoren am Finanzmarkt, also an Banken oder an Millionäre Geld auszahlt, Geld, was wir eigentlich dafür gezahlt haben, dass es Polizistinnen und Polizisten gibt, dass es Schulen gibt, dass es Straßen gibt, die repariert sind. Es handelt sich also um eine große Fehlleitung von Steuergeld in die falsche Richtung.“
Traumrenditen auf Steuerzahlerkosten. Und so funktioniert es: Nachdem ein Konzern Gewinne an seine Aktionäre ausgeschüttet hat, führt er die Steuern darauf direkt an das Finanzamt ab. Bei Cum-Ex-Geschäften werden Aktienpakete so schnell gehandelt, dass unklar ist, wem sie eigentlich gehören. Und so verlangen gleich zwei Anleger von ihren Banken Bescheinigungen, dass die Steuern gezahlt wurden. Beide reichen sie beim Finanzamt ein und beide bekommen Geld zurück, obwohl am Anfang nur einmal Steuern gezahlt worden sind. Und den Gewinn teilen sich die Beteiligten. Der Grund: eine Gesetzeslücke. Vor ihr wurde jahrelang gewarnt. Seit 2002 bekamen die Bundesfinanzminister eindeutige Hinweise auf Steuerverluste wegen dieser Geschäfte. Es gehe um „Beträge weit über der Milliarden-Grenze“ heißt es in einem internen Schreiben an Peer Steinbrück, man müsse „schnellstmöglich“ reagieren - doch lange geschah nichts. 2007 versuchte Peer Steinbrück dann, gegen die Deals vorzugehen. Er wollte sie per Gesetz für inländische Banken unmöglich machen. Aber danach liefen die Deals einfach über das Ausland weiter. Von dort aus machten deutsche und ausländische Banken und Investoren ein Riesengeschäft mit deutschem Steuergeld, jahrelang. Auch Steinbrücks Nachfolger Wolfgang Schäuble schaute nach Amtsantritt erstmal ganze zwei Jahre zu, bis er endlich, 2012, die Gesetzeslücke schloss. Hier im Untersuchungsausschuss soll ab heute die Verantwortung von Peer Steinbrück und Wolfgang Schäuble für das milliardenteure Versagen des Staates geklärt werden.
Gerhard Schick, B‘ 90/die Grünen, finanzpolitischer Sprecher: „Ich erlebe das seit Jahren als ein Hase-und-Igel-Spiel, wo immer wieder Leute am Finanzmarkt schneller sind, Lücken ausnützen oder bestimmte Konstellationen sich ausdenken, wo sie den Steuerzahler über den Tisch ziehen können und viel zu spät wird dann politisch reagiert. Und in der Zwischenzeit sind uns schon Milliarden verloren gegangen.“
Und die Branche ist erfinderisch. Statt auf Cum-Ex setzt sie inzwischen auf Cum-Cum. Auch dabei geht es um Aktiengeschäfte, deren einziges Ziel es ist, Steuern zu sparen. Diesmal im Zentrum: ausländische Besitzer deutscher Aktien. Die Steuern auf ihre Gewinne werden vom deutschen Finanzamt kassiert. Anders als deutsche Aktienbesitzer können sich ausländische die Steuern aber nicht anrechnen und zurückerstatten lassen. So würde es normalerweise laufen. Um die Steuerstattung aber trotzdem zu kassieren, nutzen sie einen Trick. Sie verkaufen kurzfristig ihre Aktien nach Deutschland. Der neue Eigentümer zahlt die Steuern an das Finanzamt und streicht die Erstattung ein. Dann verkauft er die Aktie wieder an den ausländischen Aktionär zurück, und vor allem der macht ein Riesengeschäft.
Prof. Lorenz Jarass, Hochschule RheinMain: „Wenn er 10 Millionen Dividende bekommt, dann spart der ausländische Aktionär 2,5 Millionen Euro Kapitalertragssteuer. Ganz legal, ohne nennenswerten Aufwand. Und von diesen 2,5 Millionen Euro gibt er einen kleinen Teil an den deutschen Käufer ab. Beide Seiten profitieren, und es gibt einen, der verliert. Denn der deutsche Fiskus, der verliert allein bei diesem Geschäft 2,5 Millionen Euro Kapitalertragssteuer.“
Insgesamt fünf Milliarden Euro kostet das nach aktueller Schätzung den Staat, jedes Jahr. Schon lange sind auch diese Geschäfte bekannt, passiert ist bisher nichts. Gestern hat die Regierung einen Gesetzentwurf verabschiedet, mit dem erklärten Ziel, Cum-Cum-Geschäfte zu verhindern - und zwar so: Wenn die Aktien nach Deutschland verkauft werden, müssen sie mindestens 45 Tage hierbleiben, bevor sie wieder zum alten Eigentümer ins Ausland zurückgehen. Das Risiko, dass die Aktie in dieser Zeit an Wert verliert, soll von dem Deal abschrecken. Doch funktioniert das? Wir treffen einen, der seit Jahren reiche Investoren steuerlich bei Cum-Cum-Geschäften berät. Markus Betz sagt, seine Kunden müssen auch das neue Gesetz nicht fürchten.
Markus Betz, Steuerberater: „Es wird da nach wie vor Wege geben, der Markt wird Wege finden, wie man diese Rahmenbedingungen gestalterisch nutzen kann und dann doch zu einer vollen Kapitalertragssteuererstattung gelangen kann.“
Und dann erklärt er uns, wie das funktioniert. Indem das Kursrisiko einfach abgesichert wird von einer anderen Gesellschaft innerhalb des Konzerns. Nichts Besonderes. Sein Urteil über das Gesetz:
Markus Betz, Steuerberater: „Es wirkt etwas bemüht, ein gewisser Aktionismus und Reaktionen auf Pressedarstellungen, die im Zusammenhang mit den Cum-Ex-Geschäften erfolgten, aber tatsächlich ist die Regelung eben nicht besonders effektiv.
Gerhard Schick, B‘ 90/die Grünen, finanzpolitischer Sprecher: „Ich habe den Eindruck, dass sich bei Cum-Cum das genau wiederholt, was wir bei Cum-Ex erlebt haben. Wieder geht es um Milliarden, wieder werden Hinweise nicht genutzt, wieder braucht es erst öffentlichen Druck, bis irgendwann etwas geschieht und in der Zwischenzeit gehen Milliarden verloren. Da stellt sich die Frage, warum sorgt das Bundesfinanzministerium nicht dafür, dass unser Steuergeld effektiv geschützt wird?“
Minister Schäuble selbst will sich dazu nicht äußern. Wir treffen seinen parlamentarischen Staatssekretär Michael Meister. Er sagt, man wolle Investitionen in den Aktienmarkt stärken. Und deswegen ein quasi unwirksames Gesetz?
Reporter: „Wir haben jetzt mit Experten gesprochen, mit Insidern, die sagen, also diese 45 Tage sind ganz leicht zu umgehen. Jeder Experte sagte uns, dass das überhaupt keine wirksame Lösung ist, diese Cum-Cum-Geschäfte einzudämmen.“
Michael Meister (CDU), Parl. Staatssekretär Bundesfinanzministerium: „Die Experten sind herzlich eingeladen ins Bundesministerium der Finanzen, um uns ein bisschen Anleitung zu geben wie wir die Geschäfte leichter identifizieren können.“
Fehlt es also hier an Experten? Steuerfachmann Jarass meint, eher am politischen Willen.
Prof. Lorenz Jarass, Hochschule RheinMain: „Die Beamten des Bundesfinanzministeriums und auch der Länderfinanzministerien, denen ist sowohl Cum-Ex wie Cum-Cum seit vielen Jahren bekannt. Wenn man sich mit denen unterhalten hat, die haben immer darauf hingewiesen. Aber ohne Vorgabe durch die politische Spitze können die nicht tätig werden. Und wenn sie tätig werden unter sehr eingeschränkten Umständen. Das die politische Spitze sagt, da müssen wir da ein bisschen was machen, aber bitte nicht so richtig - dann macht man eben ein Gesetz, das solange umgangen werden kann, dass es letztlich sinnlos ist.“
Cum-Ex und Cum-Cum, Millionendeals von Reichen, Banken und Versicherungen auf Kosten des Staates. Und während die Politik schlummert, sucht die Branche schon längst nach dem nächsten Steuerschlupfloch.
Kommentare zum Thema
Naja, man kann selbstverständlich über Leute wie Maschmeyer, Steinbrück, Clement,Schröder (die Banken inkl. die EU nicht zu vergessen) u.v.a stinksauer sein weil sie sich, obwohl eh schon lange ihre Schäfchen im trockenen haben" auf Kosten der Armen und der überwiegenden Lohn-abhängigen Beschäftigten weiterhin bereichern. Nur würden wir es, gewusst wie, und den richtigen Beziehungen nicht genau so machen ? Dieses Land ist durch und durch korrupt und wird von den Möchtegern Eliten gestützt, da ändern Wahlen oder neue Köpfe gar nichts. Trotz langjährigem Dienst für das Land als Beamter (aktiv gegen die RAF) ist mein Vertrauen in diese Politik und Medien total zerstört. Es geht Weltweit nur noch um Macht und Geld, Politik für Menschen findet nicht mehr statt. Rette sich wer kann.......
Es ist seit Jahrzehnten so dass der sozialversicherungspflichtige Steuerzahler und Arbeitnehmer (w/m) in dieser Republik prozentual am meisten zahlt. Leider wählt er diese Politik auch immer wieder oder duldet sie durch Wahlenthaltung.
M. Meister u.A. Ist das nicht der Herr, der erst vor wenigen Tagen in einer Talkshow vehement für eine Barzahlungsgrenze - Bargeldabschaffung eintrat? Wessen Interessen vertritt dieser Mann (und seine Kollegen) im Finanzministerium eigentlich? Seine (natürlich ohne Eigennutz! !) und.........?