MONITOR vom 01.02.2018

Air Berlin – Insolvenz mit Ansage: Die Zeche zahlen die Mitarbeiter

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Bericht: Achim Pollmeier

Air Berlin – Insolvenz mit Ansage: Die Zeche zahlen die Mitarbeiter

Monitor 01.02.2018 06:22 Min. Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste

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Georg Restle: „Und noch was zum Thema Verlogenheit. Was ist den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen von Air Berlin vor der Insolvenz nicht alles versprochen worden? Sie müssten sich keine Sorgen machen, ihre Arbeitsplätze seien sicher und die Löhne ebenfalls. Nichts davon stimmte - und höchstwahrscheinlich wussten die Verantwortlichen bei Air Berlin das sogar von Anfang an. Trotzdem streute man den Angestellten kräftig Sand in die Augen, handelte sogar einen wohlklingenden Tarifvertrag aus, der allerdings niemals Gültigkeit erlangte, und wohl auch nie erlangen sollte. Achim Pollmeier über die ziemlich miesen Tricks zulasten der Beschäftigten.“

17 Jahre lang war Nicole bei Air Berlin. Hat sich hochgearbeitet von der Flugbegleiterin zur Kabinenchefin. Alles lief gut, die Familie, das neue Haus. Doch die Insolvenz im Herbst hat alles verändert.

Nicole: „Also, momentan geht es noch, aber wenn ich nicht in den nächsten 10 Monaten etwas Adäquates finde, dann wird einiges für die Kinder auch wegfallen und dann müssen wir eben halt auch sehen, ob wir das hier halten können.“

Rückblick - Mai 2017, drei Monate vor der Insolvenz. In der Zentrale von Air Berlin trifft sich die Vertretung der Kabinenbeschäftigten mit der Personalchefin des Konzerns, Martina Niemann. Es geht um eine brisante Mitteilung, die die Mitarbeiter alarmiert. Man werde bald ein neues Tochterunternehmen übernehmen, erklärt Niemann. Es geht um die die Luftfahrtgesellschaft Walter, LGW. Ein kleines Unternehmen aus Dortmund, das bisher mit Propellermaschinen Zubringerflüge für Air Berlin erbringt, die Gehälter weit unter Air Berlin-Niveau. Die Personalvertretung protestiert. Warum will die hochverschuldete Air Berlin plötzlich ausgerechnet diese Gesellschaft kaufen? Sie fürchtet einen Trick, um Mitarbeiter loszuwerden oder Löhne zu kürzen. Um Proteste zu vermeiden, willigt die Personalchefin schließlich in eine tarifliche Vereinbarung mit der Gewerkschaft ver.di ein. Ein Vertrag, der die Arbeitsplätze der Mitarbeiter schützen soll, wenn Betriebsteile in das neue Unternehmen verlagert werden. Doch die Sache hat einen entscheidenden Haken. Die Personalchefin nimmt den Vertrag zwar mit, aber sie wird ihn nie unterschreiben.

Prof. Franz Josef Düwell, Vors. Richter am Bundesarbeitsgericht a.D.: „Ja, wäre es zur Unterzeichnung dieses Vertrages gekommen, dann hätten alle diejenigen, die jetzt bei Air Berlin freigestellt sind, die Möglichkeit zu sagen, so lange die Positionen bei euch nicht besetzt sind, haben wir einen Anspruch darauf, als Arbeitnehmer bei euch eingestellt zu werden und zwar zu den alten Bedingungen, die wir bei Air Berlin haben.“

Als Air Berlin wenig später Insolvenz anmeldet, werden die Befürchtungen der Mitarbeiter wahr. Die eben erst erworbene LGW kann nun das Air Berlin-Personal zu Niedriglöhnen beschäftigen. Passiert ist Folgendes: Bei der Insolvenz wurden 13 Airbus-Flugzeuge von der Air Berlin in ihr neues Tochterunternehmen verschoben - zur Luftfahrtgesellschaft Walter, LGW. Crewmitglieder, die die Flugzeuge bisher flogen, blieben aber zurück bei Air Berlin. Und dann bekam die LGW einen neuen Eigentümer, den Lufthansa-Konzern mit der großen Marke Eurowings. Jetzt hat Lufthansa also die Flugzeuge - inklusive der lukrativen Start- und Landerechte - aber ohne die Mitarbeiter. Denen wurde gekündigt, wie Nicole und ihrem Kollegen Michael. Die Folge dieses Deals zeigen uns die beiden am Flughafen Düsseldorf.

Michael: „Laut dem Plan hier müsste die das sein, genau.“

An diesem Flugzeug wird klar, was passiert ist: Es steht zwar Eurowings drauf, in Wahrheit gehört der Airbus aber zur Luftfahrtgesellschaft Walter. Aus der Air Berlin-Tochter wurde ein Billigunternehmen des Lufthansa Konzerns - und fliegt wie früher von Düsseldorf nach Berlin. Nur das Personal wurde ausgetauscht.

Nicole: „Das heißt jetzt eben halt für uns, jeder versucht, irgendwo anders einen Job noch zu bekommen oder bewirbt sich zu diesen katastrophalen Bedingungen bei LGW, bei Eurowings und … ja, muss darum betteln, dann seinen alten Job wieder zurückzubekommen.“

Beide haben bisher keinen neuen Job. Dabei ist ihnen völlig klar, dass sie künftig weniger verdienen werden. Aber wie viel? MONITOR liegt eine interne Vergütungstabelle der Luftfahrtgesellschaft Walter vor. Einstiegsgehalt für Flugbegleiter: rund 1.000,- Euro brutto plus Zulagen - für erfahrene Kräfte etwas mehr.

Michael: „Das wären dann sicherlich so um die 1.600, 1.700 € brutto und dann kann man sich das ausrechnen, 1.200 € netto vielleicht, ja.“

Reporter: „Für eine Vollzeitkraft?“

Michael: „Ja, das ist natürlich, also ja. Da fehlen einem wirklich die Worte, also.“

Es ist etwa die Hälfte dessen, was Sie bisher verdient haben, sagen sie. Die Sorgen, die die Beschäftigten schon vor der Insolvenz hatten, haben sich also voll bestätigt. Der Tarifvertrag hätte hunderte Mitarbeiter schützen können. Warum er ausgehandelt, aber niemals unterschrieben wurde - Air Berlin will sich zu alldem nicht äußern.

Nicole: „Wenn dieser Vertrag vier oder fünf Monate in der Schublade liegt und nicht in Kraft tritt, dann hatte man auch wirklich niemals vor, uns zu übernehmen oder uns in irgendeiner Art und Weise in der Firma zu halten oder uns eine Chance zu geben.“

Andreas Splanemann, ver.di: „Die Behauptung, auch dass die Lufthansa möglicherweise Retterin von Air Berlin ist, das war von Anfang an Legende, das war Märchen, das war eine Zeitungsente, die verbreitet worden ist. Und was wir gesehen haben an Unternehmenspolitik von allen Seiten, das ist also wirklich sehr abstoßend, das ist sehr merkwürdig, was da passiert ist. Die Interessen der Beschäftigten spielten da eine sehr untergeordnete Rolle.“

Am Ende profitiert von diesem Deal vor allem die Lufthansa. Und noch jemand profitiert: Die ehemalige Personalchefin von Air Berlin hat heute bei der Lufthansa angefangen.

Sendungsübersicht

Stand: 30.01.2018, 15:08 Uhr

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2 Kommentare

  • 2 Kann ich leider nicht nennen da ich dann gekündigt werden würde 01.02.2018, 23:00 Uhr

    Zu diesem Beitrag sollte man die Verdi Vorgehensweise mal untersuchen. Es scheint ja so zu sein das Verdi nichts anderes mehr macht als einen Absenkungstarif nach dem anderen abzuschließen. Innerhalb der Diakonie Himmelsthür mit Hauptsitz in Hildesheim(1800 Beschäftigte) passiert das seit 12 Jahren. Mitarbeitern werden hier mit der Hilfe von Verdi immer wieder Tarife versprochen die nie zum tragen kommen. Die Gehälter der Mitarbeiter sinken dort dank Verdi oder mit der Unterstützung von Verdi permanent. Obwohl es dem Unternehmen gut geht.

  • 1 MC 01.02.2018, 21:53 Uhr

    Hat schon einer Strafantrag gestellt? Was sagt der Staatsanwalt?