MONITOR vom 08.07.2021

Krieg in Afghanistan: Die Taliban rücken vor, Deutschland schiebt ab

Bericht: Nikolaus Steiner, Lara Straatmann

Krieg in Afghanistan: Die Taliban rücken vor, Deutschland schiebt ab Monitor 08.07.2021 08:23 Min. UT Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste Von Nikolaus Steiner, Lara Straatmann

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Georg Restle: "Diese Bundeswehrsoldaten hier dürften äußerst glücklich sein. Endlich wieder nach Hause zu den Familien, endlich raus aus Afghanistan. Aus einem Land, das tiefer und tiefer im Terror versinkt, und wo die Taliban offenbar kurz vor der Machtübernahme stehen. Das Glück der einen ist das Leid der anderen. Denn dieser junge Mann hier droht jetzt bald zurück nach Afghanistan abgeschoben zu werden; in das Land, das die Bundeswehr gerade verlassen hat, weil sie den Bürgerkrieg und den Terror nicht aufhalten konnte. Was ihn dort erwartet, zeigen Ihnen jetzt Nikolaus Steiner, Lara Straatmann und Said Amir Akbari."

Ein Schuh eines US-Soldaten. Ein Glücksfall für Nadschibullah Nadschib.

Nadschibullah Nadschib (Übersetzung Monitor): "Das sind gute Militärschuhe. Die sind bestimmt 50 Afghani wert! Lass ihn mich mal anprobieren. Ah, passt nicht. Ich habe doch kein Glück.”

Nach knapp 20 Jahren westlichem Militäreinsatz in Afghanistan stapelt sich der Müll am Rande des Luftwaffenstützpunktes Bagram. Alles, was von den hier stationierten US-Soldaten übrig geblieben ist. Jetzt sind sie abgezogen und Afghanistan versinkt immer mehr im Chaos.

Diverse Nachrichtensprecher: "Die Gewalt in Afghanistan geht weiter." – "Bei einem Bombenanschlag in der afghanischen Hauptstadt Kabul sind mindestens 30 Menschen getötet worden." – "Mehr als 50 Kinder starben, als eine Autobombe …" – "Zwei Richterinnen auf offener Straße erschossen worden." – "Mindestens 20 Menschen wurden getötet und etwa 100 verletzt."

Allein 2020 zählten die Vereinten Nationen 8.820 zivile Opfer. Tendenz steigend, wie die UN aktuell nochmal deutlich machten.

Deborah Lyons, UN-Sondergesandte für Afghanistan, 22.06.2021 (Übersetzung Monitor): "Wie immer sind es die ganz normalen afghanischen Bürger, die den Preis zu zahlen haben. Während sich die Kämpfe intensivieren, verschlimmert sich die Situation für die Zivilisten zunehmend."

Trotzdem schiebt Deutschland weiter nach Afghanistan ab. Überwiegend Straftäter, heißt es – überwiegend. Amir, so nennen wir ihn, gehört nicht dazu und wurde dennoch im Februar in die afghanische Hauptstadt Kabul abgeschoben. Er hat hier keine Verwandten, keinen Job. Lebt von dem, was ihm Unterstützer aus Deutschland schicken.

Amir: "Ich habe jeden Tag Angst. Es gibt jeden Tag Bomben. Jeden Tag Taliban. Jeden Tag tote Leute. Deswegen ich habe immer Angst. Ich hab fast sechs Jahre in Deutschland gelebt. Ein gutes Land, ein schönes Land. Und deswegen ich habe jetzt immer Angst. Das ist für mich ein ganz neues Land."

Dabei sah es mal gut für ihn aus. Er lebte in Bayern und hatte eine Ausbildung zum Koch in Aussicht. Doch sein Asylantrag wurde abgelehnt. Aus Angst vor der Abschiebung floh er nach Frankreich, von da ging es in die Abschiebehaft nach Deutschland. Tausende Kilometer entfernt im bayerischen Vilsbiburg und doch dieselben Ängste. Die Angst vor Abschiebung quält Najib Heydari. Seinen Vater hätten die Taliban getötet, erzählt er. Auch sein Asylantrag wurde abgelehnt. Er ist kein Straftäter. Jetzt liegt es im Ermessen der Behörden, wann er abgeholt wird.

Najib Heydari: "Seit drei Monate jetzt hab ich meine Abschiebungsbestätigung bekommen. Wenn ich so viel denke, ich kann nicht schlafen, weil ich denke, ja, vielleicht morgen früh, also, Polizei kommt oder jetzt Polizei kommt."

Najib ist in den sechs Jahren in Deutschland zum Christentum konvertiert – der Glaube und die Unterstützung der Gemeinde haben ihm Halt gegeben, sagt er. Aber in Afghanistan kann ihm dies zum Verhängnis werden.

Najib Heydari: "Ich kann nicht schlafen, ich kann nicht etwas essen. Ja, das ist sehr schwierig für mich. Wenn ich sehe jeden Tag, was passiert in Afghanistan, wie viel Leute gestorben, wie viel Kinder. Das ist für mich sehr schwierig."

Etwa 30.000 ausreisepflichtige Afghanen gibt es in Deutschland und so wie Najib gehe es vielen, sagt Stephan Reichel, der sich hier um viele Afghanen kümmert. Ein Leben in ständiger Angst vor Abschiebung. Najib hätte sogar eine Ausbildung machen können, doch das wurde ihm untersagt, stattdessen die Abschiebung eingeleitet.

Stephan Reichel, matteo – Kirche und Asyl e.V.: "Die haben hier ein Leben aufgebaut, die sprechen gut Deutsch. Sie sind sehr, sehr anerkannt. Es gibt nicht nur einen Unternehmer. Es gibt viele, die einen wie ihn würde hier in hier Vilsbiburg bestimmt zehn Unternehmen nehmen wollen. Und dann kriegt er ein Arbeits- und Ausbildungsverbot. Das muss man sich mal vorstellen Das löst aus Panik, die Wiederkehr der Traumata. Es löst natürlich berechtigte Todesangst aus."

Todesangst. Dabei hieß es jahrelang, dass ja die Bundeswehr und NATO-Truppen in Afghanistan für die nötige Sicherheit sorgen würden – auch für die Abgeschobenen.

Thomas de Maizière (CDU), ehem. Bundesinnenminister, 01.02.2016: "Wir wollen bleiben. Deutsche Soldaten und deutsche Polizisten, damit die Sicherheit in Afghanistan besser wird. Und wenn wir bleiben, dann können wir auch erwarten, dass die Afghanen in ihrem eigenen Land bleiben."

Aber jetzt ist die Bundeswehr abgezogen und der aktuelle Bundesinnenminister ändert einfach die Argumentation.

Zitat: "Durch den Truppenabzug verändert sich nicht automatisch die Gefahr für die Zivilbevölkerung",

heißt es nun. Und auch der Bundesaußenminister von der SPD betont, man halte

Zitat: "die bisherige Praxis aber nach wie vor für vertretbar."

Vertretbare Abschiebepraxis? Keine Gefahr für die Zivilbevölkerung? Die Menschen im Flüchtlingslager Paul-e-Shino im Osten Kabuls erleben das anders. Viele sind vor der Gewalt der Taliban geflohen. Leben hier unter unmenschlichen Bedingungen. Insgesamt sind seit 2012 in Afghanistan knapp 3,5 Millionen Menschen aufgrund von Gewalt im eigenen Land geflohen. Mehro Gul ist vor drei Monaten aus dem Norden Afghanistans hierher geflohen, weil die Taliban ihr Dorf angegriffen und ihr Haus geplündert haben, erzählt sie. Ihr Ehemann und Sohn seien dabei ums Leben gekommen, jetzt lebt sie mit ihren vier noch verbliebenen Kindern in dieser Hütte.

Mehro Gul (Übersetzung Monitor): "Die Taliban sind sehr stark. Jeden Tag gibt es Kämpfe, Haus für Haus wird erobert. Es gibt so viele Explosionen, dass man sprachlos wird. Es sind sehr viele Menschen gestorben und die Lage war so schlimm, dass wir schließlich geflohen sind."

Wie lange sie aber hier noch sicher sind, wissen sie nicht, denn die Taliban sind immer weiter auf dem Vormarsch. Im Internet tauchen in den letzten Wochen immer mehr solcher Propaganda-Videos auf. Die selbsternannten Gotteskrieger feiern sich bei der Einnahme von Distrikten, erobern Munition und Fahrzeuge, zeigen afghanische Soldaten, die kapitulieren. Mittlerweile kontrollieren die Taliban knapp die Hälfte des Landes. Mehr als ein Drittel wird heftig umkämpft. Die Taliban – offenbar kurz vor der Machtergreifung.

Thomas Ruttig, Afghanistan Analysts Network: "In den Gebieten, in denen die Bundeswehr aktiv war zuletzt, ist die Lage besonders prekär. Wir haben mindestens sechs Distrikte, die vor den Toren der Stadt Mazar-e Sharif – wo sich ja das Bundeswehrcamp bis vor kurzem befand – in die Hände der Taliban gefallen sind. Und das hat es in den Jahren zuvor nicht gegeben, im Grunde nicht seit ihrem Marsch an die Macht Ende der 90er Jahre.”

Gerade für die aus Deutschland Abgeschobenen ist der Vormarsch der Taliban extrem gefährlich. Das hat jüngst eine Untersuchung gezeigt, die von der Diakonie herausgegeben wurde. Darin wurden 113 Abgeschobene nach ihren Erfahrungen befragt. Die, die länger als zwei Monate in Afghanistan geblieben sind, mussten mit Verfolgung rechnen.

Ulrich Lilie, Präsident Diakonie Deutschland: "Die Studie hat belegt, dass 90 Prozent massiven Gewalterfahrungen ausgesetzt werden, zum großen Teil auch durch die Taliban, die diesen Menschen vorwerfen, dass sie verwestlicht seien, dass sie ihren Glauben verraten haben und sie darum wirklich mit Nachdruck verfolgen. Wenn die Taliban das Zepter endgültig in die Hand nehmen, besteht für diese Menschen akute Lebensgefahr.”

Akute Lebensgefahr – das Bundesinnenministerium teilt uns mit, dass man jeden Einzelfall auf die Gefährdungslage hin prüfe. Abgeschoben wird weiter. Erst am Dienstag ging wieder ein Flieger nach Kabul.

Georg Restle: "Die Kämpfe zwischen den Taliban und Regierungstruppen sind auch heute in Afghanistan weiter eskaliert. Immer mehr Menschen werden in die Flucht getrieben. Und gleichzeitig soll immer weiter dorthin abgeschoben werden. Das alles muss man nicht verstehen. Jedenfalls dann nicht, wenn man noch ein Herz im Leib hat."

Kommentare zum Thema

  • Anonym 17.08.2021, 10:31 Uhr

    Horst Seehofer hat es bereits angekündigt: Es werden Hunderttausende bis Millionen Afghanen kommen ! Hoffentlich noch vor der Wahl ! Nur das würde die irren grünlastigen Duckmäuser im Staatsfunk, Tagträumer .Sozialromantiker, Bahnhofsklatscher,Teddybärwerfer in Deutschland, besonders aus dem linksgrünen Milieu, auf den Boden der Tatsachen zurückholen und weiteren exorbitanten Schaden mit Zerstörung des Sozialen Friedens verhindern !

  • Anonym 17.08.2021, 06:45 Uhr

    Die EU-Schengengrenze muß endlich gesetzeskonform verteidigt werden. Das bedeutet, daß Migranten ohne Visa, die nicht politisch verfolgt sind und über sichere Drittstaaten kommen, sofort per Push-back an den Grenzen abgewiesen werden, notfalls auch per Militär. Es kann nicht sein, daß nach Europa ständig Millionen Wirtschaftsmigranten eingelassen werden und von der einheimischen Bevölkerung auch noch zumeist lebenslang alimentiert werden müssen, die noch niemals Steuern und Sozialabgaben entrichtet haben. Wozu hat Deutschland eigentlich eine Bundeswehr, wenn es gleichwohl Millionen Wirtschaftsmigranten zumeist ohne Bildung und somit nicht integrierfähig , mitpermanent ins Land läßt.. Das sind für den Gutsten der Republik zwar schlechte Nachrichten, es hat aber keinen Zweck, die Realität ständig auszublenden und das Lied von der heilen Multi-Kulti-Welt zu sngen. Multi-Kulti führt zur umfassenden Spaltung der Bevölkerung, und zu massiven Problemen und ist gescheitert.

  • Thorsten 21.07.2021, 12:24 Uhr

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