MONITOR vom 07.10.2021

Wahlverlierer AfD: Die Zeichen stehen auf radikal

Bericht: Julia Regis, Jan Schmitt, Till Uebelacker, Christina Zühlke

Wahlverlierer AfD: Die Zeichen stehen auf radikal Monitor 07.10.2021 08:56 Min. UT Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste Von Julia Regis, Jan Schmitt, Till Uebelacker, Christina Zühlke

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Georg Restle: "Die Bundestagswahl 2021 ist Geschichte. Und während die Wahlgewinner sich so langsam aufs Regieren vorbereiten, zerlegen sich die Wahlverlierer gerade auf offener Bühne. Das gilt nicht nur für die für die Union, sondern auch und ganz besonders für die AfD: Trotz der großen Schwäche von CDU und CSU hat die Partei bundesweit deutlich verloren und präsentiert sich seitdem als hochgradig zerstrittener Haufen. Nur einer wittert jetzt so richtig Morgenluft, der Thüringer Landesvorsitzende Björn Höcke, der mit seinen Parteifreunden die AfD nun komplett übernehmen will. Gut getarnt im Schafspelz einer angeblich bürgerlich-konservativen Oppositionspartei. Christina Zühlke, Till Uebelacker, Julia Regis und Jan Schmitt."

Letzte Woche im Bundestag. Die Mitglieder der alten und neuen AfD-Fraktion finden sich zum Gruppenbild zusammen. Aber kaum sind die Bilder gemacht, ist es mit der Harmonie schon wieder vorbei und der erste muss gehen. Matthias Helferich ist zwar für die AfD gewählt, wird aber nicht der Fraktion angehören. Ist er zu rechtsextrem? Offenbar passt er nicht ins Bild, das die Partei gern von sich zeichnet. Im Bundestagswahlkampf gab sich die AfD betont moderat. Als das "neue Normal".

Werbe-Spot: "Normal ist das, was wir alle wieder brauchen. Eine normale Zukunft – klingt gut, oder? Deutschland, aber normal."

Tino Chrupalla, 14.09.2021: "Wir vertreten die konservativ-bürgerlichen Mehrheiten in diesem Land, wir wollen auch die Mittelschicht natürlich vertreten, diejenigen, die arbeiten gehen."

Leute wie Helferich könnten dieses Bild womöglich stören. Denn im Sommer wurde ein älterer Chat bekannt, in dem er sich unter anderem als das freundliche Gesicht des Nationalsozialismus bezeichnet. Matthias Helferich wird trotzdem nicht ganz aussortiert. Nur vorerst soll er nicht Teil der Fraktion sein.

Maria Fiedler, Politische Korrepondentin, Tagesspiegel: "Wenn man wirklich davon überzeugt gewesen wäre, dass Helferich in der AfD überhaupt nichts zu suchen hat, dann hätte man ihn aus der Partei ausschließen müssen."

Doch das hat man nicht. Und für den Landesverband NRW, dessen stellvertretender Landessprecher Helferich ist, spielt die ganze Geschichte offenbar gar keine Rolle. Landessprecher Rüdiger Lucassen schreibt in einem Brief an die Mitglieder der NRW-AfD:

Zitat: "Wir konnten immerhin 12 Mandatsträger nach Berlin entsenden."

Kein Wort davon, dass Helferich nicht Teil der Fraktion sein wird. In der Partei bleibt er weiterhin wichtig. Das belegt auch eine E-Mail von Lucassen, die MONITOR vorliegt. Bevor der Landessprecher den Mitgliederbrief absendet, schickt er ihn seinem Vertrauten Matthias Helferich und schreibt:

Zitat: "Ich bitte Dich um Prüfung. Gruß Rüdiger"

Prof. Matthias Quent, Rechtsextremismusforscher, Hochschule Magdeburg-Stendal: "Der Vorgang zeigt, dass Herr Helferich trotz der äußerlichen Distanzierung innerlich integriert ist, dass er Teil des Maschinenraums der AfD in Nordrhein-Westfalen nach wie vor ist und auch als solcher verstanden wird, als Repräsentant im Deutschen Bundestag. Das ist keine Distanzierung."

Matthias Helferich weist die Vorwürfe auf MONITOR-Anfrage zurück – Lucassen äußert sich nicht. Einer wurde vorerst aussortiert, viele andere bleiben. Wir haben uns einige Abgeordnete der AfD mal genauer angeschaut. Zum Beispiel Hannes Gnauck. Der Bundeswehrsoldat – vom Dienst suspendiert – der Militärische Abschirmdienst hat ihm die Sicherheitsstufe rot gegeben. Das heißt, Einstufung als Extremist. Gnauck präsentiert sich gerne mal mit Björn Höcke oder bei dem rechtsextremen und vom Verfassungsschutz beobachteten Forum "Ein Prozent". Ein Extremist als Volksvertreter? Auch neu im Bundestag, Christina Baum. Sie steht der Identitären Bewegung nahe, die vom Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft ist. Auf der Veranstaltung einer rechtsextremen Zeitschrift machte sie ihre Haltung zum Thema Migration deutlich.

Christina Baum (10.08.2019), Quelle: Youtube/COMPACTTV: "Und ob wir diese Wahrheit als Bevölkerungsaustausch, Umvolkung oder als schleichenden Genozid am deutschen Volk durch die Einwanderungspolitik der Grünen bezeichnen, (...) das lassen wir uns weder von den Alt-Parteien noch von der Presse und auch nicht vom Verfassungsschutz vorschreiben."

Johannes Hillje, Politikberater: "Christina Baum ist die süddeutsche Stimme des rechtsextremen Flügels der AfD. Und sie ist auch ein gutes Beispiel dafür, dass die Abgeordneten, die jetzt in den Bundestag eingezogen sind für die AfD und eindeutig als radikal oder sogar extrem rechts einzuordnen sind, nicht nur aus Ostdeutschland kommen, sondern die kommen aus Baden-Württemberg, die kommen aus Nordrhein-Westfalen und auch aus Schleswig-Holstein. Das ist nicht ein rein ostdeutsches Phänomen."

Und dann Roger Beckamp. Bislang für die AfD im Landtag NRW. Er finanziert die Entwicklung rechtsextremer Videospiele. So unterstützt er mit 6.000,- Euro Spieleentwickler, die für Videospiele wie dieses stehen. Heimat-Defender schießen so genannte "Globohomos" ab, die Angela Merkel, Heiko Maas und Jan Böhmermann ähnlich sehen. Im aktuellen Verfassungsschutzbericht heißt es, das Spiel transportiere unter anderem antisemitische Inhalte. Oder Matthias Moosdorf. 2019 zeigt er sich auf einer Veranstaltung der nach dem Nazi-Wegbereiter benannten Oswald-Spengler-Stiftung. Neben ihm Götz Kubitschek. Dessen Institut für Staatspolitik wurde vom Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt gerade als rechtsextrem eingestuft. Was bedeutet es, dass Parlamentarier wie Baum oder Moosdorf ab jetzt im Bundestag sitzen?

Prof. Matthias Quent, Rechtsextremismusforscher, Hochschule Magdeburg-Stendal: "Das bedeutet, dass ganz gezielt Personen mit einer rechtsradikalen Szene-Bindung mit Kontakten auch zu außerparlamentarischen Gruppen in den Bundestag einziehen. Es ist nicht mehr ein diverser, vielfältiger und in einer Weise auch diffuser, gäriger Haufen, der die Fraktion jetzt bildet. Das heißt, wir sehen hier eine Professionalisierung der Rechtsaußen-Kräfte im Deutschen Bundestag, während gleichzeitig die vermeintlich mäßigenden Kräfte an Einfluss verlieren."

Aber wie rechtsextrem ist die gesamte neue Fraktion? Gemeinsame Kriterien zu finden, ist schwierig. Am ehesten drängt sich die Nähe zum angeblich aufgelösten rechtsextremen Flügel um Björn Höcke auf. Den Thüringer AfD-Chef Höcke darf man – gerichtlich festgestellt – als Faschisten bezeichnen. Das Ergebnis unserer Untersuchung ist erstaunlich: Von den künftig 82 Abgeordneten im Bundestag können wir 43 nach ihrer ideologischen Ausrichtung als dem Flügel um Höcke nahestehend zuordnen. Nur bei 14 Parlamentariern ist dies nicht der Fall. Bei 25 Abgeordneten ist eine klare Zuordnung schwierig.

Prof. Matthias Quent, Rechtsextremismusforscher, Hochschule Magdeburg-Stendal: "Es gibt die Verschiebung nach rechts außen, auch in der Bundestagsfraktion. Gleichzeitig aber ist man bemüht, darüber hinwegzutäuschen, nach außen Einheit zu suggerieren, um nicht noch mehr Wählerinnen und Wähler darüber auch zu verschrecken."

Und, Rechtsextremisten um Björn Höcke könnten noch weiter an Bedeutung gewinnen. Denn während die AfD in den westlichen Bundesländern im Schnitt nur 8,2 % der Stimmen erreichte, wurde sie in den ostdeutschen Ländern mit 18,9 % mehr als doppelt so stark. In Thüringen konnte sie im Vergleich zur letzten Wahl sogar zulegen. Björn Höcke leitet daraus einen klaren Führungsanspruch ab. Er schreibt:

Zitat: "Der »Thüringer Weg« hingegen ist erfolgreich. Wir zeigen in Thüringen, wie man die anderen Parteien vor sich hertreibt."

Rückenwind kommt von seinen neuen Vertrauten im Bundestag.

Christina Baum (AfD), Mitglied des Bundestages: "Er ist der Vorsitzende des einzigen Landesverbandes, der ja dazugewonnen hat bei den Wahlen. Und von daher sollte man zumindest in Erwägung ziehen, sich mal das Konzept der Thüringer etwas näher anzuschauen, ob man das auch bundesweit auf die AfD übertragen kann."

Und auch die extrem rechte Szene macht Stimmung für Höcke. In einem Kampfblatt der so genannten "Neuen Rechten" heißt es:

Zitat: "Von Thüringen (…) lernen heißt siegen lernen."

Johannes Hillje, Politikberater: "Das heißt, dass der sogenannte Thüringer Weg zum Weg für die AfD insgesamt werden soll. Also, es ist nicht nur eine Stärkung eines Landesverbandes, es ist die Stärkung eines extrem rechten Milieus, das um diesen Landesverband herum sich aufgebaut hat."

Ob Höcke und sein Lager sich durchsetzen, könnte sich schon bald zeigen. Denn im Dezember wählt die AfD eine neue Parteispitze – und mit ihr wohl auch ihre künftige Ausrichtung.

Georg Restle: "Rechtsextreme Bundestagsabgeordnete der AfD. Man sollte das im Hinterkopf haben, wenn solche Parteivertreter demnächst „ganz normal“ in der Tageschau oder in anderen Nachrichtensendungen auftauchen."

Kommentare zum Thema

  • Mari 22.06.2023, 10:01 Uhr

    Es ist typisch WDR, ständig die AFD zu kritisieren. Über die Zunahme der Straftaten von Migranten hingegen berichtet der WDR hingegen ungerne. Leider respektieren viele Migranten, die in D leben, Frauen überhaupt nicht. Sexuelle Übergriffe sind an der Tagesordnung, sogar Morde! S. hierzu auch die Polizeistatistik! Die AFD benennt die bestehende Flüchtlingsproblematik und das ist ehrliche Politik, egal wie der WDR und ARD/ZDF die Partei als rechts beschimpft.

  • Wuseltroll 06.08.2022, 00:55 Uhr

    Die AfD ist in Wirklichkeit keine Partei. Sie ist eine Bewegung ohne Konzept. Sie setzt auf radikal nationalistische Bewegungen wie NPD oder Republikaner auf. Soweit kann ich das auch noch im Rahmen der freien Meinungsäusserung akzeptieren. Dass ihre Abgeordneten im Deutschen Bundestag aber die demokratische Entscheidungsfreiheit durch blödsinnige Anträge, Einwürfe, Zusatzuntersuchungen, provozierte Hammelsprünge etc. zu lähmen versuchen und damit demokratische Entscheidungen nach außen ad absurdum führen wollen, um zu zeigen wie wehrlos unsere Demokratie anscheinend ist, dies ist ziemlicher Blödsinn. Es sind strategische Machenschaffen unser politisches System zu unterhöhlen. Man sollte eine Strichliste führen, wie oft sie sich dabei selbst widersprechen. Sie schaffen es ja nicht einmal einen eigenen Parteitag ordnungsgemäß zu beenden. Ja, Faru Dr. Weidel: Auch sie sind ein Widerspruch: Homophoph und Lesbe (Nichts gegen Lesben !). Gleichwohl steht das auch als Flagge für Ihre Partei !

  • Anonym 28.10.2021, 13:33 Uhr

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