Absturz der Kanzlerpartei: Wofür noch SPD?

Monitor 12.10.2023 06:16 Min. UT Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste

MONITOR vom 12.10.2023

Absturz der Kanzlerpartei: Wofür noch SPD?

Historisch schlechtes Ergebnis in Hessen, einstellig in Bayern – die SPD erlebte bei den Landtagswahlen ein Debakel. Was sind die Ursachen für den tiefen Absturz? Liegt es nur daran, dass die Kanzlerpartei für ihre Regierungspolitik abgestraft wurde oder gibt es noch andere Gründe? MONITOR hat sich an der hessischen Parteibasis umgehört. Dort vermissen viele ein klares Profil der Partei, gerade beim Thema soziale Gerechtigkeit – und kritisieren einen Kanzler, der zu viel schweige.

Von Andreas Maus, Lara Straatmann

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Georg Restle: "Aber nicht nur die EU, auch die deutsche Innenministerin Nancy Faeser hofft auf einen Deal mit Tunesiens Herrscher Sait. Zuletzt schlug die SPD-Politikerin immer härtere Töne an beim Thema Migration. Klar es war Wahlkampf, gebracht hat es ihr nichts. Die Wahl in Hessen ging für sie und die SPD dramatisch verloren. Und vielleicht ist ja genau das das Problem der SPD. Dass niemand mehr so richtig weiß, wofür er die Partei eigentlich wählen soll. Die Kompetenzwerte im Keller selbst bei den ureigenen Themen. Das Profil bestenfalls unscharf. Und ein Kanzler, der offenbar eher durch Moderieren und Schweigen gefallen will als durch Empathie und Führungsstärke. Andreas Maus und Lara Straatmann."

Letzten Sonntag, 18:00 Uhr, erste Prognose am Wahlabend – Entsetzen bei der SPD Frankfurt, Fassungslosigkeit. Ihre Partei am Boden; in Hessen stürzt sie am Ende auf 15 Prozent ab. Harte Kritik von der Basis in Richtung Parteispitze.

Paul Lüber, Vorsitzender Jusos Frankfurt: "Da fehlt einfach ein klares Profil, da fehlen auch klare Ideen, die nach außen getragen werden."

Simon Witsch (SPD), Stadtverordneter Frankfurt: "Die Zeit momentan schreit nach klaren Antworten. Die Zeiten davon auch so auszumoderieren – wie es auch Merkel gemacht hat – die sind vorbei. Olaf Scholz ist auch angetreten und hat gesagt, wer Führung bestellt, der bekommt Führung. Momentan ist davon aber wenig zu spüren."

Der Tag nach dem Debakel. Wir treffen Lino Leudesdorff, er ist Direktkandidat in Frankfurt. Tausende Hausbesuche hat er hinter sich, bei Bürgern, die vor zwei Jahren noch Scholz gewählt hätten. Sie seien enttäuscht, vor allem vom Kanzler:

Lino Leudesdorff (SPD), Direktkandidat Frankfurt: "Die Leute haben ihn gewählt, weil sie das Vertrauen hatten, dass er die sozialen Probleme in diesem Land, die nach 16 Jahren CDU ja unübersehbar da sind. Warum hat er die anpackt? Und jetzt ist es an der Zeit für ihn, dass er das macht, dass er eine neue, dass er eine soziale Richtung einschlägt in diesem Land und den Problemen begegnet. Und das erwarten nicht nur die Menschen von ihm, sondern ich auch persönlich als Sozialdemokrat."

Der Absturz der SPD – der Kanzlerpartei. Liegt vielleicht da das Problem? Bei Olaf Scholz? Dem Moderator, an dem vieles abperlt? Der Eindruck, in Berlin regieren Grüne, FDP und Olaf Scholz. Und die SPD?

Albrecht von Lucke, Blätter für deutsche und internationale Politik: "Das Grundproblem ist die fehlende Linie. Das Grundproblem ist auch der sprachlose Kanzler. Und solange nicht diese Führungsaufgabe geleistet wird und man nicht den Eindruck hat, hier wird auch eine sozialpolitische Linie in dieser Regierung vorgegeben – es kloppen sich letztlich nur Grüne und FDP, und die SPD landet im Nirwana – so lange wird enorme Frustration die Folge sein."

Warum also SPD wählen? Viele fragen sich, wofür steht die traditionsreiche Partei eigentlich noch? Zum Beispiel beim großen Thema der letzten Wochen: Migration. Innenministerin Faeser schien wie eine Getriebene – vorgeführt von der Union. Die Sozialdemokratin plädiert für Abkommen mit Autokraten wie in Tunesien und schließt einen EU-Asylpakt, der vor allem auf Abschottung setzt. Abschottung statt Flüchtlingsschutz? Das sei das falsche Profil für eine sozialdemokratische Partei, meint die Vorsitzende der Jusos in Hessen-Süd. Sie sieht eine zweifelhafte Nähe zu AfD-Forderungen.

Michelle Breustedt, Vorsitzende Jusos Hessen-Süd: "Die SPD hat vor allem beim Thema Migration in diesem Jahr kein gutes Bild abgeliefert. Wenn man sich von den Narrativen der AfD bedient, dann bewegt man sich ziemlich auf Treibsand und ich glaube, wir sind da ziemlich eingegangen."

Wofür noch SPD? Die Sozialdemokraten auf Kurssuche, auch beim Thema Klimaschutz. Angetreten war Olaf Scholz noch als Klimakanzler. Das Versprechen: Umstieg auf die Erneuerbaren, die Menschen mitnehmen, das Klima schützen.

Olaf Scholz (Quelle SPD 24.09.2021: "Es gibt ihn, den menschengemachten Klimawandel, und er ist eine große, globale Katastrophe. Und deshalb haben die jungen Leute Recht, die heute sagen, jetzt muss etwas getan werden. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten werden das tun."

Was aber ist daraus geworden? Wurde Scholz' klimapolitischer Ehrgeiz vom Ukraine-Krieg ausgebremst? Von der Energiekrise gelähmt? Für die Basis sind das keine Gründe, um beim Klimaschutz nachzugeben.

Simon Witsch (SPD), Stadtverordneter Frankfurt: "Wir haben das Vertrauen der Bevölkerung, was so Veränderungen im Klimaschutz angeht, momentan verloren. Das ist sehr tragisch, weil das Klima ja nicht auf einen wartet."

Albrecht von Lucke, Blätter für deutsche und internationale Politik: "Olaf Scholz ist nur im Wahlkampf ein Klima-Kanzler gewesen, um es sehr deutlich zu sagen. Er hatte nie den Anspruch, in dieser Koalition wirkliche Klimapolitik zu machen. Das ist ein großes Problem in seiner Wählerschaft, die zum Teil und übrigens auch in der Mitgliedschaft, die weit rot-grüner ist als Olaf Scholz. Olaf Scholz als Kanzler ist weit mehr ein Sozialliberaler oder um zu sagen ein rot-gelber, der letztlich in dieser Konstellation weit mehr eine Industriepolitik gemeinsam mit der FDP machen wollte."

Warum noch SPD? Wie steht es um das Kernthema der Partei – soziale Gerechtigkeit? Zu Beginn der Legislatur lieferte die SPD, mit der Erhöhung des Mindestlohns auf 12,- Euro. Danach blieb die Partei an entscheidenden Stellen blass. Hartz IV heißt nun Bürgergeld, ist davon jedoch kaum zu unterscheiden, sagen Kritiker. Und was ist mit der Vermögens- und Erbschaftssteuer? Ein ehemaliges Kernthema der SPD, um die Schere zwischen Arm und Reich zu schließen. Dazu schweigt die SPD-Spitze heute. Für Lino Leudesdorff ist klar, die SPD müsse beim Thema soziale Gerechtigkeit endlich wieder Vorreiter sein.

Lino Leudesdorff (SPD), Direktkandidat Frankfurt: "Ich merke nicht, dass unsere Vertreter, die Ministerinnen und Minister und der Bundeskanzler, dass sie das mit voller Energie vorantreiben, sondern im Gegenteil sind im Moment eigentlich nur damit beschäftigt, die Streitigkeiten zwischen den einzelnen Parteien zu schlichten, anstatt eigene Akzente zu setzen und das zu tun, für das sie gewählt werden, nämlich die soziale Frage zu lösen."

Die soziale Frage lösen – es ist eine existentielle Frage – auch für die Zukunft der SPD.

Georg Restle: "Der Abstieg der SPD ist das eine; der Aufstieg der AfD das andere. Welche Rolle die Medien beim Aufstieg dieser Partei spielen, darüber diskutieren wir in einer neuen Ausgabe von studioM, zu sehen auf unserem YouTube-Kanal. Schauen Sie gerne rein."

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Stand: 12.10.2023, 22:15 Uhr

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25 Kommentare

  • 25 Diplomatie 27.10.2023, 21:47 Uhr

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  • 20 Heimat 25.10.2023, 10:50 Uhr

    Die Parteien SPD, FDP haben sich durch die Teilnahme an einer „Ampelregierung“, Unterordnung unter den ideologischen Zielen der Grünen selbst einen Abstieg beschert. Die beschworene gute Zeitenwende gegenüber der Großen Koalition ist wahrhaftig eine Zeitenwende, eine Wende in Richtung Auflösung unseres Staates. Politiker sowie Politjournalisten der grün-68er Ideologie wollen es offensichtlich nicht glauben, das Volk will derer Zerstörungspolitik, derer Hetze gegen Mitmenschen nicht (Bayern AfD…), derer Kriegsbegeisterung/Kriegsförderung (eigentlich Kriegsbeteiligung) nicht, derer Forderungen nach einem unbegrenzten Zuzug, derer Umweltgesetze sowie derer Umverteilung nicht. Hoffentlich haben sich die sogenannten Ampelparteien eher selbst abgeschafft, ehe sie unser Heimatland Deutschland abschaffen. Als erstes wird die sich den Grünen als „Blockpartei“ (wie in der DDR die Liberalen) anhängende FDP selbst abschaffen. Sie bewegt sich in der Sonntagsfrage immer näher der fünf Prozent Hürde.

  • 18 Netiquetteverstoß 22.10.2023, 20:06 Uhr

    Jeder Politiker der überwiegend ideologisch grün-68er gesinnte „Ampelregierung“ sollte sich mal einen bestimmten Bericht in der „Taz“ durchlesen. Dort wird sehr exakt beschrieben was die Ursache des Krieges in der Ukraine ist und wer diese Katastrophe verursacht hat. Der Krieg muss sofort über diplomatisch geführte Waffenstillstands-Verhandlungen zwischen den politischen Hauptakteuren des Krieges dort, die USA und die Russische Föderation beendet werden. Der Krieg muss beendet werden ehe es in der Ukraine zu einem anarchistischen Bürgerkrieg kommt in dem wahrscheinlich NATO-Staaten den Westen der Ukraine und die Russische Föderation den Osten und den Süden in der Ukraine unterstützten. Auch ein von vielen Fanaten unserer westlicher Hemisphäre geforderter „Maidan-Staatstreich“ in Russland ist sehr gefährlich für unsere Erde. Eine Anarchie auf dem Gebiet der heutigen atomar hochgerüstet Russischen Föderation wird uns alle umbringen. Wir brauchen endlich Frieden, keine Kriegserweiterung!

  • 13 Gibraltar 19.10.2023, 22:21 Uhr

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  • 9 Helmut W 14.10.2023, 01:28 Uhr

    Die Gäste mancher Talkrunden diskutieren als hätte es corona nie gegeben. Wie kam es denn zur heutigen Ampelregierung? Durch eine verfehlte Coronapolitik mussten schwarz rot herbe Wählerverluste einstecken welche Gelb Grün als Opposition zugute kam. Diese konnten sich die Koalition der Ampel aussuchen und damit die SPD ins Boot holen. Das die Wähler aus Protest nicht wieder CDU wählen um sie für die erlittene Coronaverordnungen zu belohnen ist doch wohl klar. Warum haben dann manche Journalisten die krude Vorstellung es sei nur die Asylpolitik was die Wähler zur AFD treibt? Haben sie etwa die Zeit vergessen in der unter CDU/SPD die Coronakritiker verachtet und mit einer Impfpflicht bedroht wurden? Warum sollte man als Protest nochmal CDU wählen wenn sie damals einem das Leben schwer machte? Welche Partei bleibt dann noch zum Protest übrig?

  • 8 Jan Neubauer 13.10.2023, 21:37 Uhr

    Wer Frieden, Demokratie, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit will, sollte eben keine prokapitalistische Partei wählen. Nach 800 "Monitor"-Sendungen sollte das jedem klar sein.

  • 7 Christine Schonscheck 12.10.2023, 22:59 Uhr

    Auch ich habe ca. 40 Jahre SPD gewählt. Meine Großmutter war sogar noch Gründungsmitglied und meine Eltern hatten deshalb in der NS-Zeit große Probleme. Aber seit ein paar Jahren wähle ich die SPD nicht mehr, denn wie es auch in dem Bericht angesprochen wurde, ich weiß einfach nicht mehr "warum" bezw. "wofür" ich sie wählen könnte. Mit Olaf Scholz und seiner Nähe zum Seeheimer Kreis und zur FDP war ich von Anfang an nicht einverstanden. Da wird der Bevölkerung zwischendurch ein paar "soziale Zuckerl" hingeworfen, damit der SPD nicht noch mehr Menschen weglaufen. Aber Scholz entfernt sich so weit von der Bevölkerung, durch seine gefühlte Führungsschwäche und seine Reden, ohne etwas zu sagen, daß er nur noch Enttäuschung erzeugt. Man weiß nicht mehr, ob er sich so sehr hinter die 5%-Partei FDP, weil er sie für die Koalition braucht oder weil er ihre Ideen gut findet. Egal warum, es schadet weiterhin der SPD.

  • 6 Aga Bellwald 12.10.2023, 22:43 Uhr

    Nein, mit einer solchen Partei könnte ich mich, würde ich bei euch wohnen, auch nicht mehr identifizieren. Was hat sie überhaupt noch mit der Arbeiterklasse zu tun? Rein gar nichts mehr. Wieso ist es nicht wirklich möglich, Klimaschutz und sozialen Kampf zu verbinden? Beides muss doch zusammengedacht und auch andere Themen miteinbezogen werden. Hoffentlich wächst in der Juso eine neue Generation heran, die diese Verbindungen lebt und festigt.

    • Albers 13.10.2023, 09:46 Uhr

      Sie denken sicher an eine ökologische Verteilung des Reichtums der reichen Deutschen an die Armen der Welt durch einen Ausbau des Sozialstaates für alle ?

    • Aga Bellwald 16.10.2023, 14:58 Uhr

      Was wäre daran schlimm? Wollen wir ARMUTSbekämpfung oder ARMENbekämpfung? Ich bevorzuge ersteres. 🤔

  • 5 Albers 12.10.2023, 20:40 Uhr

    Ist Sarazin noch in der SPD ?

    • Anonym 13.10.2023, 04:14 Uhr

      Ne, nur noch der Kevin, die Nancy,das Rolex-Chebli, die Saskia, der Stegner-Ralph, der Mützenich, der dauergrinsende Budha Olaf und das reicht auch bereits , um für ewig abgeschreckt zu werden und mit den Sozis nie wieder etwas zu tun haben zu mögen.

  • 4 Thomas Schmidt 12.10.2023, 11:27 Uhr

    Das Soziale bleibt zwangsläufig auf der Strecke, sieht man sich zuerst als Klimakanzler. Das gibt zwar Beifall der Grünenwähler, die wählen aber trotzdem die Grünen und wer Soziales von Sozialdemokraten erwartet wählt mit Sicherheit nicht so eine SPD. Dabei ist es egal ob Wahlen in Ländern oder für den Bundestag.

  • 3 Anonym 11.10.2023, 10:53 Uhr

    Die einzige Agenda, die die wenigen Spitzengenossen, die den Parteikurs vorgeben , praktizieren, ist "Links labern und rechts leben. Der Rest der Partei sind passive "Karteileichen"., die noch niemals eine SPD Ortsversammlung besucht haben. Nahezu 50 % der Genossen sind im öffentl. Dienst beschäftigt und sind nur in die Partei eingetreten, weil das für die Karriere dort sehr förderlich ist. Es handelt sich um typische Life-Style Salon-Sozis.