MONITOR vom 29.08.2019

Polen als Müllkippe Deutschlands: Das Geschäft mit dem illegalen Abfall

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Bericht: Mathea Schülke, Lara Straatmann, Susanna Zdrzalek, Maria Jarmoszuk

Polen als Müllkippe Deutschlands: Das Geschäft mit dem illegalen Abfall

Monitor 29.08.2019 08:03 Min. UT Verfügbar bis 29.08.2099 Das Erste Von Mathea Schülke, Lara Straatmann, Susanna Zdrzalek, Maria Jarmoszuk

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Georg Restle: „Wohin mit dem Müll? Das fragen Sie sich vielleicht auch, wenn Sie täglich ihren Abfall sortieren. Und natürlich darauf vertrauen, dass der Müll in den gelben Säcken am Ende auch dahin kommt, wo er eigentlich hinkommen soll: In Recyclinganlagen nämlich zur Wiederverwertung. Das Problem, genau da landet er oft eben nicht, sondern wird tonnenweise ins Ausland exportiert. Was dort mit ihm passiert, konnte man in den letzten Monaten in Polen beobachten. Riesige Deponiebrände, bei denen auch massenweise deutscher Müll illegal in Flammen aufging. Der Verdacht, Brandstiftung. Und offenbar ist das ein gutes Geschäft – auch für deutsche Unternehmen. Nach MONITOR-Recherchen haben polnische Staatsanwälte jetzt 36 deutsche Firmen im Visier, die an diesem Umweltskandal beteiligt sein sollen.“

Es war ein verzweifelter Kampf gegen ein riesiges Feuer. Am 25. Mai letztes Jahr ging die Mülldeponie in der polnischen Kreisstadt Zgierz in Flammen auf. 50.000 Tonnen Müll – darunter auch viele Plastikabfälle. Tagelang brauchten die Feuerwehrleute, um den Brand unter Kontrolle zu bekommen. Ein Jahr später noch erinnern sich die Anwohner mit Schrecken.

Anwohner (Übersetzung Monitor): „Das Feuer ist immer stärker geworden. Irgendwann bekamen wir den Eindruck, wenn der Wind jetzt in unsere Richtung weht, ist hier alles verloren.“

Diese Frauen erzählen uns, bis heute brennt es immer wieder mal.

Anwohnerin (Übersetzung Monitor): „Wir haben Angst um unsere Kinder. Das geht ja alles in die Luft. Wir atmen das ein.“

Wenige Monate nach dem Brand in Zgierz war auch sie vor Ort. Viola Wohlgemuth, Chemieexpertin bei Greenpeace. Sie hat Luftmessungen und Bodenproben durchgeführt. Die Ergebnisse – besorgniserregend:

Viola Wohlgemuth, Greenpeace Deutschland: „Hier haben wir wirklich Schwermetalle drin, wir haben hier Stoffe drin gehabt, die vom Verbrennen von Chemikalien entstanden sind, von Weichmachern – und diese ganzen Rauchschwaden sieht man, die treiben natürlich nicht einfach nur über diesem ganzen Industriegebiet. Nein, die gehen halt auch wirklich zur umliegenden Bevölkerung. Das führt gerade wenn Kinder die einatmen oft zu Lungenschäden.“

Nicht nur in Zgierz brennt es. Landesweit, in vielen Städten, gehen Berge von Müll in Flammen auf. In den vergangenen Jahren haben Brände auf polnischen Deponien stark zugenommen. 2016 waren es 50, 2018 schon 117. Und es brennt weiter, bis Mitte August dieses Jahres gab es 58 Brände. Die Müllhalde von Zgierz – gut ein Jahr nach dem großen Feuer. Noch immer liegen hier die verkohlten Reste. Nun hat die zuständige Staatsanwaltschaft festgestellt, ein Viertel des verbrannten Mülls kam aus Deutschland. Wir treffen Grzegorz Wielgosinksi. Er ist Umwelttechniker und hat Gutachten zum Deponiebrand erstellt. Er erzählt uns, dass der Müll vorsätzlich angezündet worden sei. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Brandstiftung. Doch was sind die Motive?

Prof. Grzegorz Wielgosinski, Technische Universität Lodz (Übersetzung Monitor): „Hier liegen 50.000 Tonnen Müll, die Betreiber wissen nicht, was tun damit. Es gibt keine Möglichkeit, um diesen Müll zu recyceln, weil es die Anlage dafür hier nicht gibt. (…) Die beste Lösung ist, den Abfall einfach zu verbrennen.“

So laufe es oft, sagt er, um den Müll nicht teuer entsorgen zu müssen. Es sei die billigste Art, ihn loszuwerden. Und die deutschen Unternehmen? Sie profitieren von diesem illegalen polnischen Geschäftsmodell – durch unschlagbar günstige Preise.

Prof. Grzegorz Wielgosinski, Technische Universität Lodz (Übersetzung Monitor): „Wenn eine Firma verunreinigten Plastikmüll in Deutschland verbrennen will, muss sie dafür zurzeit pro Tonne bis zu 200 Euro zahlen. Ein polnischer Deponiebetreiber nimmt diesen Müll für 75 oder 80 Euro. Der deutsche Entsorger spart Geld und der polnische Unternehmer verdient sehr gut, weil er den Müll ja nur deponiert, aber nicht verwertet.“

Polen bekommt aus keinem anderen Land so viel Abfall wie aus Deutschland. Über die Jahre ist die Menge stetig gestiegen. 2015 waren es noch rund 54.000 Tonnen, 2018 schon 250.000 – also fast fünfmal so viel.

Wir bekommen neue Informationen von der zuständigen Staatsanwaltschaft. Sie hat 36 deutsche Firmen im Visier. Sie könnten maßgeblich an dem Müll-Deal mitgewirkt haben.

Krzysztof Kopania, Staatsanwaltschaft Lodz (Übersetzung Monitor): „In den Transportdokumenten werden sieben deutsche Firmen als Exporteure genannt, also als Organisatoren des Exports. Die Abfälle sollen von weiteren 29 deutschen Entsorger-Firmen gestammt haben. Wir möchten nun dieses Dokument verifizieren, feststellen, ob diese Firmen tatsächlich existieren und ob sie mit der polnischen Firma zusammengearbeitet haben.“

Der Verdacht, die deutschen Unternehmen könnten den Müll falsch deklariert und so strenge Kontrollen umgangen haben. Denn eigentlich dürften vermischte Plastikabfälle nicht auf einer Deponie landen, sondern müssten teuer entsorgt werden. Wie viel Müll illegal von Deutschland nach Polen geschmuggelt wird, weiß niemand genau. Spurensuche am Grenzübergang Gubinek. Seit in Polen immer mehr Müllhalden brennen, kontrollieren die Zollbeamten schärfer – und sie erwischen immer mehr Transporte mit illegalem Müll. 2017 seien es nur 5 Lkw gewesen, in diesem Jahr schon 21, erzählen sie uns. Allein in dieser Region.

Ewa Markowicz, Zoll- und Steuerbehörde, Woiwodschaft Lebus (Übersetzung Monitor): „Es beginnt schon beim Prüfen der Dokumente. Das was deklariert wird, ist nicht das, was tatsächlich geladen ist. Zum Beispiel steht in den Dokumenten, dass Folie transportiert wird. In Wahrheit handelt es sich um Siedlungsabfälle, gemischten Hausmüll, der gar nicht nach Polen geliefert werden dürfte.“

Solche Lkw werden dann aus dem Verkehr gezogen. Die Beamten zeigen uns ihren letzten Fund. Den Papieren nach sollte der Lastwagen reinen Kunststoff zum Recyceln geladen haben. Stattdessen finden die Beamten darin ein undefinierbares Gemisch aus Dreck und Verpackungen. Das Unternehmen wollte es offenbar billig in Polen loswerden, statt es teuer in Deutschland zu verbrennen. Der Lastwagen ist im Auftrag eines deutschen Unternehmens unterwegs. Den Namen wollen die Beamten nicht sagen. Die Ermittlungen laufen noch. Immer wieder illegale Mülltransporte, immer dasselbe Muster. Unter dem offiziell deklarierten Abfall ist jede Menge vermischter Müll versteckt. Auch wenn die illegalen Transporte ab und zu auffliegen. Das Geschäft scheint sich zu lohnen. Experten fordern deshalb schon lange mehr Kontrollen und härtere Strafen. Umweltorganisationen wollen noch radikalere Schritte, solange es Preisdumping wie in Polen gibt.

Viola Wohlgemuth, Greenpeace Deutschland: „Wir fordern, dass es eigentlich keine Plastikexporte, Plastikmüllexporte mehr geben darf. Ein Land wie Deutschland, das sich selbst Recycelweltmeister nennt, muss selber mit seinem Plastikmüll klarkommen. Wir dürfen uns nicht länger dahinter verstecken, dass wir unseren Müll aus den Augen, aus dem Sinn in andere Länder karren und dann haben wir eine weiße Weste und Unternehmen haben eine weiße Weste. Nein, dieser Müll entsteht hier, wir müssen mit diesem Müll auch klarkommen.“

Das Bundesumweltministerium sieht offenbar keinen akuten Handlungsbedarf. Auf unsere Anfrage zu einem innereuropäischen Exportverbot geht es nicht ein. Illegale Müllgeschäfte. In Polen will man jetzt schärfer dagegen vorgehen. Doch solange die Exporte andauern, bleibt das Problem bestehen. Und werden weiter Deponien brennen; auf Kosten der Umwelt und der Gesundheit vieler Menschen.

Georg Restle: „Die Liste der betroffenen deutschen Firmen könnte übrigens noch deutlich länger werden. Die polnische Umweltschutzbehörde lässt in Deutschland gerade zahlreiche, weitere Fälle prüfen.“

Stand: 30.08.2019, 13:00 Uhr

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5 Kommentare

  • 5 Alchemistin 2019 04.09.2019, 13:04 Uhr

    Wer hat die Exportgenehmigungen erteilt? Wurden die Genehmigungen gefälscht? Wer hat das ganze überwacht? Wilde Deponiebrände setzen große Mengen Dioxin frei.

  • 4 berthold 29.08.2019, 22:26 Uhr

    Sehr guter Beitrag, Es handelt sich schon um verbrecherisch Organisation die den Müll aus Deutschland entsorgen. Aber leider kommt mir der Polnische Anteil im Beitrag zu kurz. Wer zündet denn den Müll an und wer gibt den vor den Müll fachgerecht zu Entsorgen. Ich hoffe das die Polnische Staatsanwaltschaft auch gegen diese Leute vorgeht.

  • 3 Lutz 29.08.2019, 18:42 Uhr

    Vor wenigen Jahren noch wurde sämtlicher Müll nach China exportiert. Die wollen den Dreck nicht mehr. Nun also Polen. Wie wäre es von Seiten der Bundesregierung einfach mal Recycling und MÜLLVERMEIDUNG zu fördern? Ersteres würde auch wieder Arbeitsplätze generieren.

  • 2 Ralf Henske 29.08.2019, 15:57 Uhr

    Wie cool muß man als deutscher Aussenminister, oder als deutscher Bundespräsident, oder auch als deutsche Bundeskanzlerin denn nur sein, wenn man bei einem Staatsbesuch seinem Gegenüber ohne rot zu werden in die Augen zu schauen? Oder ist der Müll schon die erste Anzahlung für die geforderten Reperationszahlungen des zweiten Weltkriegs?

  • 1 Klaus Keller 29.08.2019, 12:26 Uhr

    Polen ist Nachbarland, daran muss man sich erinnern. So weit weltoffen bin ich schon, dass man sich mit seinem Nachbarn bei kommunalen Aufgaben hilft und auch Handel treibt. Es ist auf alle Fälle zu unterscheiden von Mülltransporten nach Afrika oder Asien; zumindest im Grundsatz muss aber jede Region, jedes Land und besonders jeder Kontinent seine eigenen Probleme lösen und nicht Probleme exportieren. Beim Thema geht es um illegale Handlungen und um daraus resultieren Schäden für Anwohner was sicher auf keinen Fall akzeptabel ist, egal woher illegaler Müll kommt und wohin er geht, was aber in diesem speziellen Fall vorrangig eine Angelegenheit von Polen zu sein scheint.