Schwarz-rote Migrationspolitik: Ausgrenzung statt Integration?

Monitor 27.03.2025 06:52 Min. UT Verfügbar bis 27.03.2099 Das Erste Von Herbert Kordes, Lisa Seemann, Lutz Polanz

MONITOR am 27.03.2025

Schwarz-rote Migrationspolitik: Ausgrenzung statt Integration?

Noch laufen die Koalitionsverhandlungen – aber schon jetzt ist klar: Union und SPD wollen die Migrationspolitik deutlich verschärfen. So sollen Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft künftig ausgebürgert werden können, der Familiennachzug soll weiter begrenzt werden. Doch schaffen solche Maßnahmen tatsächlich mehr Sicherheit und bessere Integration? Fachleute befürchten genau das Gegenteil.

Von Herbert Kordes, Lisa Seemann, Lutz Polanz

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Georg Restle: "Und damit nach Deutschland, wo die Spitzen von SPD und Union gerade um ihren Koalitionsvertrag ringen, insbesondere auch beim Thema Migration. Und da geht’s nicht nur um die Frage, wie Menschen an den Grenzen zurückgewiesen werden können; sondern offenbar auch darum, dass man Menschen, die bereits in diesem Land leben, zeigen will, dass sie eben doch nicht richtig dazugehören. Dabei geht es nicht nur um Geflüchtete, sondern auch um Menschen, die einen deutschen Pass haben, der künftig weniger wert sein könnte. Diese Menschen schauen jetzt mit großer Sorge darauf, was Schwarz und Rot da gerade verhandeln. Herbert Kordes, Lisa Seemann und Lutz Polanz."

Schwarz und Rot auf dem Weg in eine neue Regierung. Für die Union geht’s dabei ums Ganze. Vor allem beim Thema Migration.

Andrea Lindholz (CDU/CSU, BT 20.12.2024): "Unser Land muss die Kontrolle über die Zuwanderung zurückgewinnen."

Friedrich Merz, 21.03.25: "... dass wir den Weg zu einer sehr viel härteren Migrationspolitik gehen müssen."

Neben Zurückweisungen sind zwei Punkte für die Union zentral: Die Aussetzung des Familiennachzugs und der mögliche Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit.

 

Markus Söder, 03.02.25: "Wer eine deutsche Staatsbürgerschaft hat und dermaßen gegen unsere Grundwerte verstößt, dem muss die doppelte Staatsbürgerschaft entzogen werden."

Im vertraulichen Papier der Verhandlungsgruppe "Migration" von Union und SPD - es liegt MONITOR vor - steht, man wolle

Zitat: "... verfassungsrechtlich prüfen, ob wir Terrorunterstützern, Antisemiten und Extremisten (...) die deutsche Staatsbürgerschaft entziehen können, wenn sie eine weitere Staatsangehörigkeit besitzen."

Bilhal Shabib ist Softwareentwickler, in Deutschland geboren, Sohn syrischer Eltern, Familienvater, mit syrischer Staatsangehörigkeit und deutschem Pass. Auch er fühlt sich von der geplanten Verschärfung betroffen, obwohl er sich nie etwas zu Schulden kommen ließ:

Bilal Shabib: "Dennoch generiert das Sorgen und Ängste, und dass es doch nicht so ganz fix ist. Dass ich die deutsche Staatsangehörigkeit habe, heißt nicht, dass ich Deutscher bin, heißt, es kann sein, dass die weg ist."

Bisher hatte er diese Sorge nicht, denn: Im Grundgesetz steht:

Zitat: "Die deutsche Staatsangehörigkeit darf nicht entzogen werden."

Eine Lehre, die die Väter und Mütter des Grundgesetzes aus der Nazi-Zeit gezogen haben, als Juden oder Gegner des NS-Regimes ausgebürgert und ihrer Bürgerrechte beraubt wurden. Heute können Deutsche ihre Staatsbürgerschaft nur verlieren, wenn sie im Ausland - etwa für Terrorgruppen - kämpfen. Die Union will das jetzt offenbar ausweiten. Sie will die deutsche Staatsbürgerschaft entziehen: für Terrorunterstützer, Antisemiten und Extremisten. Aber wo beginnt Extremismus? Setzen Doppelstaatler künftig ihren deutschen Pass schon aufs Spiel, wenn sie gegen den Gaza-Krieg demonstrieren und andere antisemitische Parolen rufen? Oder Deutsch-Kurden, wenn auf Demonstrationen Symbole der PKK gezeigt werden, die hier als Terrororganisation gilt? Wo hört die Meinungsfreiheit auf? Wo beginnt die Straftat? Für den Juristen Thomas Groß ist es eine gefährliche Gratwanderung.

Prof. Thomas Groß, Rechtswissenschaftler, Universität Osnabrück: "Wenn man Staatsangehörigkeit nutzt, um jetzt Extremismus und Terrorismus zu bekämpfen, dann würde in der Tat die Tür geöffnet, weitere Tatbestände zu integrieren. Und deswegen müsste man jetzt schon sagen, dieses Instrument darf gar nicht verwendet werden, um politische Zwecke zu verfolgen."

So, wie Bilal Shabib und sein Sohn leben bis zu 5,8 Millionen Menschen in Deutschland als Doppelstaatler. Genaue Zahlen gibt es nicht. Darunter Menschen - wie Shabib - die ihre alte Staatsangehörigkeit gar nicht ablegen können. Menschen, die sich plötzlich zum Deutschen zweiter Klasse degradiert sehen.

Bilal Shabib: "Also ich bin Softwareentwickler, arbeite im Bereich Künstliche Intelligenz und virtuelle Realität - das kann ich von überall machen. Ich muss nicht unbedingt hier leben, um meinem Beruf nachzugehen."

Abwanderungsgedanken von Hochqualifizierten - und er sei nicht allein, sagt Bilal Shabib. Bei den Koalitionsverhandlungen geht es aber noch um ein anderes Thema. Um den Familiennachzug - und damit um Menschen wie Nasser Al Masaadi.

Nasser Al Masaadi: "Ich bin 26 Jahre alt und ich komme aus dem Jemen und ich wohne in München."

Nasser Al Masaadi floh vor den Huthi-Rebellen und wartet nun seit gut zwei Jahren darauf, dass seine Frau endlich nachkommen darf.

Nasser Al Masaadi (Übersetzung MONITOR): "Ich möchte Ihnen sagen: Meine Frau hört jeden Tag Schüsse über ihrem Haus. Der Krieg tobt jeden Tag. Und jeden Tag gibt es Blutvergießen und Dutzende von Opfern."

Huthi-Rebellen kontrollieren weite Teile des Jemen - auch die Region Albayda, in der Al Masaadis Frau lebt. Und jetzt wollen Union und SPD

Zitat: "... den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten befristet für zwei Jahre aussetzen."

Heißt, Nasser Al Masaadis Frau hätte keine Chance mehr, nach Deutschland zu kommen. Vor allem die Union will die Aussetzung des Familiennachzugs, angeblich aus Sicherheitsgründen:

Friedrich Merz (CDU), Parteivorsitzender, 28.01.2025: "Ich verstehe nicht, warum man sich dem nicht anschließen kann, wenn wir eine solche Gefährdung der inneren Sicherheit und Ordnung in unserem Lande haben."

Hängt die Sicherheit in Deutschland tatsächlich am Familiennachzug? Nein! Sagt die Kriminologin Gina Wollinger. Richtig sei e          her das Gegenteil. Unter Wissenschaftlern bestehe Konsens,

Prof. Gina Wollinger, Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW: "… dass es aus kriminologischer Sicht eigentlich eher kontraproduktiv ist, Familiennachzug zu stoppen. Denn gerade Familie, soziales Umfeld sind stabilisierende Faktoren. Wenn ich sozialen Rückhalt habe, dann ist davon auszugehen, dass ich viel weniger Straftaten begehe und ganz anders in meinem Leben agiere, und eine ganz andere Perspektive habe."

Zudem ist der Familiennachzug bei Menschen mit subsidiärem Schutz wie bei Nasser Al Masaadi begrenzt; auf bundesweit nur 1.000 Menschen pro Monat. Und erfahrungsgemäß geht wenig, wenn kein Einkommen oder keine Wohnung vorgewiesen werden kann.

Also alles nur Symbolpolitik zu Lasten von Millionen Menschen, die in diesem Land leben? Ein Mann, der seine Frau nicht aus einem Kriegsgebiet holen darf. Ein hochqualifizierter, deutscher Familienvater, der überlegt, wegzuziehen. Für Teile der neuen Koalition ist der Wahlkampf offenbar noch lange nicht beendet.

Georg Restle: "Nur Symbolpolitik? Jedenfalls ein verheerendes Signal an Millionen Menschen in diesem Land, dass sie eben doch nicht als vollwertige Staatsbürger akzeptiert sind."

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Kommentare zum Thema

9 Kommentare

  • 9 WDR verarschrscht uns ! 27.03.2025, 13:35 Uhr

    Dieser Kommentar wurde gesperrt, weil er beleidigend ist. (die Redaktion)

  • 7 Wille 27.03.2025, 11:19 Uhr

    Dieser Kommentar wurde mehrfach abgegeben und daher an dieser Stelle gesperrt. (die Redaktion)

  • 6 Herbert Runde 27.03.2025, 11:16 Uhr

    Das ist Desinformation. Nicht künftig, schon jetzt geht Ausbürgerung von Doppelstaatlern; geregelt in §35 StAG (Staatsangehörigkeitsgesetz). Und wer ...weiterlesen