Magdeburg: Rassistische Gewalt nach dem Anschlag

Monitor 27.03.2025 08:11 Min. UT Verfügbar bis 27.03.2099 Das Erste Von Lara Straatmann, Tobias Dammers

MONITOR am 27.03.2025

Magdeburg: Rassistische Gewalt nach dem Anschlag

Sie werden geschlagen, bespuckt  und bedroht: Nach dem tödlichen Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Magdeburg haben die Übergriffe auf Migranten und Migrantinnen in der Stadt deutlich zugenommen. Das Klima in der Stadt hat sich verändert. MONITOR hat Opfer getroffen, unter anderem ein 12-jähriges Mädchen und eine Krankenpflegerin, die nach dem Anschlag als Ersthelferin vor Ort war.

Von Lara Straatmann, Tobias Dammers

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Georg Restle: "Dass viele Menschen mit Migrationsgeschichte darüber nachdenken, dieses Land zu verlassen, hat aber nicht nur mit einer Verschärfung der Migrationspolitik zu tun, sondern auch jede Menge mit der wachsenden Feindseligkeit gegenüber Migrantinnen und Migranten. Zu beobachten zum Beispiel in dieser Stadt: Magdeburg. Seit dort letztes Jahr ein offenbar psychisch kranker Islamhasser aus Saudi-Arabien einen Anschlag auf den Weihnachtsmarkt verübte, hat sich die Stimmung in der Stadt deutlich radikalisiert. Das bekommen viele Migranten und Migrantinnen in der Stadt zu spüren. Die Zahl der Übergriffe und Gewalttaten gegen sie hat zugenommen - und die Täter machen selbst vor Kindern nicht halt. Eines davon ist dieses 12-jährige Mädchen, das krankenhausreif geschlagen wurde - und sich trotzdem nicht unterkriegen lassen will. Lara Straatmann und Tobias Dammers."

Es ist der 24. Dezember - Heiligabend. Es ist kaum jemand unterwegs in der sonst so belebten Innenstadt von Magdeburg. Vier Tage nach dem Anschlag auf dem Weihnachtsmarkt. Eine Frau am Telefon ruft die Polizei - ein Notfall.

Amal situativ am Telefon: "Wir wurden von einem Nazi angegriffen. Er hat gegen unsere Scheibe geschlagen, und beleidigt, attackiert uns. - Ist er noch da? - Ja, der ist noch da."

Sie hat Angst vor dem Angreifer - zu Recht.

Amal: "Das war eine Sache von zehn Sekunden. Nicht mal war er aus dem Nichts bei uns im Auto drin. Wir wussten auch nicht, woher er kam. Er hat uns überrascht sozusagen, hat dann auf uns eingeschlagen. Mein Mann hat sich natürlich versucht zu wehren. Ich hatte schreckliche Angst, ich wusste nicht, was ich machen soll."

Amal - so nennen wir sie - ist die Frau am Telefon. Als sie angegriffen wurde, war sie auf dem Heimweg - nach ihrem Spätdienst im Krankenhaus.

Amal: "Er hat also gerufen, ihr scheiß Ausländer, raus mit euch, ihr zerstört unser Land. Dann hat er den Hitlergruß gemacht und gerufen, wir werden euch vergasen.”

Die Polizei trifft in letzter Sekunde ein, nimmt den Mann fest.

Amal ist Intensivkrankenschwester. In den Tagen zuvor hatte sie noch die Opfer des Attentats in Magdeburg versorgt, dann der Angriff auf sie selbst. Danach isoliert sie sich immer mehr.

Amal: "Ich habe nicht mehr den Müll rausgebracht, also ich war wirklich nur zu Hause, weil ich einfach … also ich hatte gar kein Sicherheitsgefühl. Und zu Hause hatte ich mich ja wirklich sicher gefühlt. Hatte auch immer abgeschlossen, als der Mann zur Arbeit gegangen ist."

Sie hat mit dem Boxen angefangen, will sich nicht mehr ausgeliefert fühlen. In Magdeburg, meint sie, habe sich etwas verändert. Immer erdrückender werde der Hass. Spätschicht im Krankenhaus. Obwohl sie hier in der Uniklinik dringend gebraucht wird, hat Amal nach der Tat eine Entscheidung getroffen: Sie möchte Deutschland verlassen.

Amal: "Dann sehe ich da keine Zukunft für mich. Und ja, es ist halt die falsche Einstellung, man soll halt immer kämpfen und nie aufgeben, aber irgendwann kann man nicht mehr. Und also ich bin halt noch jung und habe noch etliche Jahre vor mir, aber ich möchte nicht so mein Leben verbringen."

Wir erfahren, sie ist nur eine von vielen Migrantinnen und Migranten in Magdeburg, die in den Wochen nach dem Attentat angegriffen wurden. Hilfsorganisationen sprechen von einer Welle von Gewalt. Laut Innenministerium wurden allein im Januar 20 Migranten Opfer von Straftaten, die im Zusammenhang mit dem Anschlag im Dezember stehen. Aktuellere Zahlen liegen nicht vor. Der Anschlag von Magdeburg: Der Täter aus Saudi-Arabien, Psychologe und mutmaßlicher AfD-Sympathisant, war gezielt mit dem Auto in den Weihnachtsmarkt gerast. Er tötete sechs Menschen, verletzte fast 300. Bis heute erinnern Blumen, Kerzen und Kuscheltiere überall in der Stadt an die Opfer. Das Entsetzen über die Tat, die Trauer um die Toten - all das ist spürbar. Aber es gab auch diese Bilder. Am Abend nach dem Anschlag ziehen Hunderte Neonazis durch die Straßen. Die AfD ruft kurz danach zu einer Demonstration auf. Sie behauptet: Migranten seien das Problem.

Alice Weidel (AfD), Parteivorsitzende, 23.12.2024: "Zu sehr steht die Relativierung der Taten derer im Mittelpunkt, die unsere Gesellschaft verachten. Die unsere Heimat, die ihnen Schutz bietet, abgrundtief hassen."

Ein Klima, das auch zu Gewalt führt, meint David Begrich. Er beobachtet seit Jahren die extrem rechte Szene und engagiert sich für Opfer rechter Gewalt.

David Begrich, Arbeitsstelle Rechtsextremismus, Miteinander e.V.: "Vorgefallen ist, dass innerhalb kurzer Zeit es jeden Tag einen mutmaßlich rassistisch motivierten Angriff gegeben hat. Und da reden wir über eine Gewaltstraftat. Das erinnert mich eigentlich an die Situation Mitte der 1990er Jahre."

Angegriffen werden sogar Kinder. Wir sind unterwegs zu einer 12-Jährigen. Wir nennen sie Aisha. Sie ist hier aufgewachsen. Normalerweise wäre sie jetzt bei ihren Freunden im Park, aber sie hat Angst, rauszugehen.

Aisha: "Ich würde auch gerne mit denen zusammen spielen so. Aber das geht jetzt natürlich nicht, weil vielleicht sieht mich die Frau noch mal und schlägt mich dann noch mal."

Ihre Eltern sind noch immer entsetzt. Als ihre Tochter draußen vor der Tür spielte, habe eine Frau aus dem Viertel sie erst rassistisch beschimpft und dann brutal angegriffen.

Aisha: "Sie hat mich halt hier geboxt, hier komplett, alles war blau und angeschwollen, meine Nase war angeschwollen, ich hatte Kopfschmerzen und ich hab erst mal verschwommen gesehen. Und deswegen musste ich auch zwei Nächte im Krankenhaus bleiben."

Obwohl der Vater zur Hilfe eilte, ließ die Frau nicht von ihr ab.

Aisha: "Dann kam sie hinter mir her, hat mich dann mit einer Hand fest gepackt und mit der anderen Hand hatte sie ein Messer, hat mich dann bedroht."

Bevor die Polizei kommt, flieht die Täterin mit einem Bekannten. Die erste Diagnose: Schädel-Hirn-Trauma und Verdacht auf Nasenfraktur. Die syrische Familie überlegt nun, Magdeburg, vielleicht sogar Deutschland zu verlassen. Dabei haben sie sich viel aufgebaut.

Mutter: "Ich bin Lehrerin. Arabisch-Lehrerin. Und seit acht Jahren bin ich arbeiten hier in Deutschland bei arabischen Schule. Soll ich noch mal alles beginnen mit meinen Kindern?"

Aisha ist Einser-Schülerin, hat viele Freunde hier. Karate helfe ihr, sich weniger wehrlos zu fühlen, sagt sie.

Aisha: "Man fühlt sich jetzt wirklich nicht mehr sicher hier, besonders nach dem Vorfall nach dem Weihnachtsmarkt sind viele Leute hier richtig wütend auf … besonders südlich/südländische Leute."

Deutschland ist ihre Heimat, sie möchte hier bleiben und gegen diesen Hass aufstehen, den sie und viele andere zu spüren bekommen.

Georg Restle: "Was wichtig ist, es gibt auch viele Menschen in Magdeburg, die sich gegen diesen Rassismus wenden und gegen diese Gewalt. Und die nicht wollen, dass ein 12-jähriges Mädchen Angst haben muss, in ihrer eigenen Stadt auf die Straße zu gehen."

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Kommentare zum Thema

3 Kommentare

  • 3 Quatsch ! 27.03.2025, 09:15 Uhr

    Dieser Kommentar wurde gesperrt, weil er diskriminierend ist. (die Redaktion)

  • 1 Albers 26.03.2025, 15:36 Uhr

    Dieser Kommentar wurde gesperrt, weil er diskriminierend ist. (die Redaktion)