Krieg im Libanon: Raketen auf Zivilisten

Monitor 24.10.2024 10:27 Min. UT Verfügbar bis 24.10.2099 Das Erste Von Andreas Maus, Lara Straatmann

MONITOR am 24.10.2024

Krieg im Libanon: Raketen auf Zivilisten

Täglich beschießt das israelische Militär den Libanon. Neben Waffenlagern der Hisbollah treffen die Raketen zahlreiche Wohnhäuser und töten Zivilisten. MONITOR-Reporter*innen haben einen Fall genau untersucht. Bei einem Angriff Israels auf ein deutsch-libanesisches Begegnungszentrum starben sechs Menschen. Nimmt die israelische Armee keine Rücksicht auf Zivilisten?

Von Lara Straatmann, Andreas Maus

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Georg Restle: "Zum Krieg im Libanon, dem laut UN schon mehr als 2.500 Menschen zum Opfer gefallen sind. Seit Wochen reagiert die israelische Armee mit heftigen Militärschlägen auf Angriffe der libanesischen Hisbollah-Miliz. Immer wieder trifft es dabei zivile Gebäude in Wohngebieten. Und immer wieder heißt es von israelischer Seite, die Angriffe hätten nicht Zivilisten, sondern Hisbollah-Kämpfern gegolten. In deutschen Medien wird das dann meistens so wiedergegeben, ohne, dass das jemand immer ganz genau überprüfen könnte. Und das gilt auch für dieses Haus. Nicht irgendein Haus, sondern das deutsch-libanesische Haus des Friedens, eine Begegnungsstätte eines Vereins aus dem schwäbischen Tübingen. Sechs Menschen starben hier bei einem Raketenangriff des israelischen Militärs am 9. Oktober, darunter auch dieses Ehepaar. Und wieder heißt es von der israelischen Armee, man habe einen Hisbollah-Kommandeur im Visier gehabt. Nur dieses Mal haben wir genauer hingeschaut. Lara Straatmann und Andreas Maus. "

Fatime Flayti empfängt uns am Tor und führt uns zu dem Ort, an dem sie am 9. Oktober durch die Hölle gegangen ist. Es war mittags, kurz vor zwölf, als hier israelische Raketen einschlugen. Sechs Menschen sterben, zwölf weitere wurden schwer verletzt.

Fatime Flayti (Übersetzung Monitor): "Ich sah, wie die Leute von oben herunterstürzten. Und unten riefen sie, wir sollten Laken werfen, um die Toten zuzudecken und den Verwundeten zu helfen."

Die Raketen zerstörten nicht irgendein Haus, sondern das deutsch-libanesische Begegnungszentrum in Wardaniyeh. Dar As-Salam, Haus des Friedens. Fatime Flayti ist die Seele des Gästehauses. Sie kümmerte sich auch um die 90 Geflüchteten, die hier Schutz gefunden hatten, geflohen vor den israelischen Angriffen im Süden des Landes. Sie fühlten sich hier sicher, sagt sie - bis zum 9. Oktober.

Fatime Flayti (Übersetzung Monitor): "Was mich am meisten schmerzt, sind die Toten draußen auf dem Hof. Das war sehr hart, kaum auszuhalten."

Das Klavier erinnert an die Zeit vor dem Angriff. Seit 30 Jahren besteht das Projekt an diesem Ort. Jedes Jahr kamen Hunderte Gäste aus dem Ausland zu Besuch, auch ein deutscher Botschafter. Dieses Video zeigt das Haus vor dem Angriff. Die Zimmer liebevoll bis ins Detail dekoriert. Im fernen Tübingen können sie es kaum fassen. Said Arnaout und Latife Abdul Aziz trauern. Sie haben das Zentrum in den 90er Jahren aufgebaut. Es ist ihr Lebenswerk, innerhalb von Sekunden von einer israelischen Rakete zerstört.

Latife Abdul Aziz: "Ich habe Wut innerlich, ich habe Wut am Hals und ich habe immer die Frage, warum Dar Assalam, warum diese Oase, diese Friedensoase?"

Die Menschen haben bei ihnen Schutz gesucht. Sechs von ihnen sind jetzt tot. Menschen, die sie kannten. Wir wollen mehr erfahren über den Angriff in Wardaniyeh, südlich von Beirut, keine Hisbollah-Hochburg, fernab der Sperrzone. Vor Ort geht unser Team der Frage nach, warum wurde das Haus des Friedens zum Ziel? Fatime Flayti zeigt uns das Ausmaß der Zerstörung. Zwei Raketen schlugen durch das Dach des Hauses, nur eine explodierte, erzählt sie. Sollte das Haus gezielt getroffen werden? Wir zeigen dem Forensiker Dirk Labudde die Bilder der Raketeneinschläge.

Dirk Labudde, Forensiker, Hochschule Mittweida: "Wenn man sich die Zerstörung an dem Gebäude anguckt, dann kann man daraus ableiten, dass es also aufgrund der ballistischen Flugbahn einer Rakete ein gezielter Flug mit einer gezielten Detonation in diesem Gebäude gegeben haben muss. Dann kommt noch mit dazu, dass also Zeugen gesagt haben, es gibt eine zweite Rakete, die nicht detoniert ist. Das würde auch den Schluss zulassen, dass die Koordinaten so gewählt wurden, dass es sich dabei wirklich um eine Zerstörung dieses deutsch-libanesischen Begegnungshauses als Ziel handeln sollte."

Ein Haus voller Geflüchteter als Ziel? Wieso gab es keine Vorwarnung? Was hat das Militär getan, um Zivilisten zu schützen? Fatime Flayti kann sich genau an die Stunden vor dem Anschlag erinnern.

Reporter (Übersetzung Monitor): "Gab es irgendeine Warnung?"

Fatime (Übersetzung Monitor): "Nein, nein. Wenn es eine Warnung gegeben hätte, dann hätte jemand etwas gesagt und die Menschen hätten den Ort verlassen können."

Das israelische Militär sichert eine solche Vorwarnung eigentlich zu.

Daniel Hagari, Sprecher Israelische Verteidigungsstreitkräfte (IDF), 23.09.2024 (Übersetzung Monitor): "Wir bitten die Bewohner der libanesischen Dörfer, die von der israelischen Armee veröffentlichten Botschaften und Warnungen zu beachten."

Im Netz veröffentlicht Israel Dutzende solcher Warnungen. Die Ziele werden rot markiert. Doch zu unserem Haus gibt es - keine Meldung. Ein gezielter Angriff ohne Vorwarnung? Auch andere Zeugen, mit denen wir sprechen, bestätigen das. Wir fragen das israelische Militär. Dazu erhalten wir keine Aussage. Man schreibt uns nur, die Armee

Zitat: "… eliminierte einen hochrangigen Kommandeur der (…) Terrororganisation Hisbollah im Gebiet Al-Wardaniyeh."

Keine Ortsangabe, kein Datum, keine Erklärung. Nur der Hinweis auf einen Hisbollah-Kommandeur. Said Arnaout und seine Frau führen sehr genau Buch über alle Gäste im Haus. Sie zeigen uns Listen mit den Menschen, die sich zum Zeitpunkt des Angriffs im Haus befanden. Auch weil sie verhindern wollen, dass sich hier ein Hisbollah-Kämpfer in dem Haus verstecken könnte.

Said Arnaout: "Wir haben nur die Personen, die wir kennen, ins Haus, weil wir, das ist eine Begegnungsstätte und keine Massenunterkunft. Die Flüchtlinge, die im Haus sind, aufgenommen, sind hundertprozentig Zivilbevölkerung."

Und die Toten? Das israelische Militär schrieb ja, man habe einen "hochrangigen Kommandeur eliminiert"? War es einer der Getöteten? Said Arnaout und seine Frau kannten die Getöteten persönlich, können ihnen Namen und Gesichter geben.

Said Arnaout (Übersetzung Monitor): Das ist Ali Chalhoub mit seiner Ehefrau. Beide sind ums Leben gekommen, sind geflogen von der 3. Etage. Der Ali Chalhoub war ein Kollege von meiner Ehefrau über zwölf Jahre. Zwei Kinder von dem Ehepaar sind jetzt verwaist. Das ist die Hiam Saini aus Flüchtlingslager Rashidieh bei Tyros mit dem Sohn, Omar Zaydan. Man hat am nächsten Morgen Teile von den Leichen gefunden. Das sind Amjad Moussa und der Sohn Mohammed. Beide waren auf dem Balkon, 3. Stock, als sie geschleudert sind nach dem Hof. Wer ist das, wer ist der Kommandeur, der ums Leben gekommen ist?"

Wir haben die Namen der Toten überprüft, abgeglichen mit Erfolgsmeldungen der israelischen Armee von getöteten Hisbollah-Kommandeuren - keine Übereinstimmung. Wir fragen noch einmal beim israelischen Militär nach. Welcher der sechs Getöteten ein Hisbollah-Kommandeur gewesen sein soll? Auch darauf keine Antwort. Gezielte Angriffe auf Zivilisten? In einem deutsch-libanesischen Begegnungsort? Außenministerin Baerbock, hier gestern bei einem Besuch in Beirut. Ihr Ministerium zeigt sich auf unsere Anfrage besorgt über den Angriff.

Zitat: "… da wir nicht erkennen können, wie es sich dabei um ein militärisches Ziel handeln kann."

Kein militärisches Ziel? Keine Vorwarnung? Wie ist das völkerrechtlich zu bewerten? Wir fragen Janina Dill, Völkerrechtsexpertin an der Oxford University.

Prof. Janina Dill, Völkerrechtlerin, University of Oxford: "Wenn hier kein legitimes, militärisches Ziel angegriffen wurde, sondern ein ziviles Gebäude, dann ist es ein Verstoß gegen das Unterscheidungsgebot, und das ist völkerrechtswidrig, Wenn Israel Kenntnis hatte, dass es ein ziviles Objekt hier angegriffen hat, dann ist das auch ein Kriegsverbrechen."

Kriegsverbrechen? Ein schwerer Vorwurf. Auch dazu erhalten wir keine Aussage des israelischen Militärs. Aber nehmen wir einmal an, wir irren uns. Und ein hochrangiger Hisbollah-Kommandeur hätte sich doch im Haus aufgehalten - unentdeckt. Hätte man das Gebäude dann angreifen dürfen? Das fragen wir den israelischen Völkerrechtsexperten Eitan Diamond in Tel Aviv.

Eitan Diamond, Völkerrechtler, Diakonia International Humanitarian Law Centre (Übersetzung Monitor): "Wenn sich 90 Zivilisten in diesem Gebäude befinden und es sich um ein ziviles Gebäude handelt, sehe ich nicht, wie es verhältnismäßig sein kann, das Leben dieser 90 Menschen zu riskieren, das Gebäude zu zerstören, nur um einen Kämpfer anzugreifen. Das Völkerrecht erlaubt es nicht, für einen Kämpfer so viele zivile Opfer in Kauf zu nehmen."

Für Menschen wie Fatime Flayti, für Latife Abdul Aziz und Said Arnaout ist es eine schmerzhafte, düstere Zeit. Ob sie ihr "Haus des Friedens" wieder aufbauen?

Latife Abdul Aziz: "Die innere Sicherheit, das Vertrauen, ohne Angst, das fehlt uns jetzt. Also wir sind innerlich geschüttelt durch diese Angriffe. Und wir brauchen Frieden, Sicherheit. Vielleicht können wir ein paar Monate, nächstes Jahr wieder aufbauen, aber dass wir innerlich schnell das, was passierte, vergessen können und verarbeiten können, das ist bei uns eine Fragezeichen."

Georg Restle: "Frieden und Sicherheit für die Menschen im Libanon. Ja, natürlich kümmern sich Terrororganisationen wie die Hamas oder die Hisbollah in keiner Weise ums Völkerrecht. Aber das kann ja wohl kaum der Maßstab sein für die Armee eines demokratischen Staates."

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4 Kommentare

  • 4 Herbert Runde 24.10.2024, 11:08 Uhr

    Hier ist was gewaltig durcheinander geraten, Hamas und Hisbollah greifen Zivilisten an. Israel greift keine Zivilisten an, nutzen Terroristen die Zivilisten als Schutzschild trifft es zwangsläufig auch die Zivilbevölkerung. Irgendwo gibt es allerdings auch eine Verhältnismäßigkeit und da bin ich mir auch nicht so sicher, ob die Kollateralschäden (Unwort des Jahres 1999) noch im akzeptablen Verhältnis stehen. Schaut man sich an wie man im Kolonialismus zum Existenzrecht Israels gekommen ist kann ich die Wut im arabischen Raum bis zu einem gewissen Grad verstehen. Aber das rechtfertigt trotzdem keine Angriffe von Hamas und Hisbollah auf Zivilisten in Israel.

  • 3 Markus Manfred Rühle 24.10.2024, 09:40 Uhr

    Krieg ist kein Spiel im Sandkasten oder mit der Puppenstube. Krieg ist eine todernste Angelegenheit und ein schmutziges Geschäft. Wo unsere Moralprediger:innen geistig unterwegs sind, wenn sie sich die strikte Einhaltung von Regeln im Kriegsgeschehen vorstellen, scheint mir schleierhaft. Eine der Grundregeln des Krieges ist, dass es so gut wie keine Regeln im Krieg gibt; denn je länger Kriege andauern, desto verbissener werden sie geführt. Diejenigen, die Israel zuerst angegriffen haben, nahmen nicht nur keine Rücksicht auf Zivilisten, sie haben sich gezielt wehrlose Zivilisten als Opfer ausgesucht. Jetzt von Israel zu fordern, dass seine Streitkräfte die gegnerische Seite behutsam mit Pinzetten in Glacéhandschuhen zu behandeln hätte, mutet wider alle geschichtliche Erfahrung geradezu grotesk an. Im Krieg sterben Frauen, Kinder, Alte, Kranke und Schwache und - das wird mir zu gerne vergessen - auch Männer. Über die Zielgenauigkeit von Geschossen jeder Art lässt sich trefflich streiten.

  • 2 Albers 23.10.2024, 18:44 Uhr

    Dieser Kommentar wurde gesperrt, weil er diskriminierend ist. (die Redaktion)

  • 1 Will Kriege beenden! 22.10.2024, 20:32 Uhr

    Das Grundprinzip einer Kriegsführung scheint das Prinzip der „Blutrache“ zu sein. Jede Seite will die Anzahl von getöteten Menschen durch ihre Antwort auf einen Erstschlag, von Revanche zu Revanche steigern. Solche Reaktionen müssen durchbrochen, beendet werden. Für alles Leben auf der Erde waren bisherige und sind zukünftige Kriege zerstörerisch. Menschen sollten ihren Verstand und ihre Kraft besser für eine Erhaltung von Leben einsetzen anstatt in Zerstörung. Dazu gehört nicht nur die Kriegsführung sondern auch der verbrecherische Umgang mit den uns sehr lebensgleichen Tieren, der Pflanzenwelt sowie Umwelt. Die Kriege in gute sowie schlechte Krieg zu teilen ist sehr schlecht. Kriegsführungen sind immer schlecht und sind oft begründet auf Versagen seitens der Diplomatie. Unsere offensichtlich ideologisch grün-68er gesinnte Medien zeichnen für mich sichtbar entsprechend ihrem ideologischen Denken nach für uns in der Bevölkerung ein sehr einseitiges Bild.