Hausgemachte Automobilkrise: Wandel verpennt?

Monitor 05.12.2024 07:26 Min. UT Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste Von Lutz Polanz, Jan Schmitt

MONITOR am 05.12.2024

Hausgemachte Automobilkrise: Wandel verpennt?

Die Automobilindustrie – das Herz der deutschen Wirtschaft – steckt in der wohl größten Krise seit ihrem Bestehen. Die Hersteller drohen mit Werkschließungen und Massenentlassungen. Doch ein Blick zurück zeigt: Vor allem durch die unheilvolle Allianz zwischen Konzernen und Politikern wurde der Umstieg auf effiziente Autos und Elektrofahrzeuge systematisch ausgebremst.

Von Lutz Polanz, Jan Schmitt

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Georg Restle: "Handeln wider besseres Wissens. Die Klimakrise ist die eine Seite, die Wirtschaftskrise in Deutschland die andere Seite der ein und derselben Medaille. Die Zukunft vieler Arbeitsplätze hängt nämlich genau davon ab, ob die Transformation in eine klimaneutrale Zukunft gelingt. Und das betrifft ganz besonders die deutsche Automobilindustrie. Kurzarbeit und Werkschließungen, für viele Beschäftigte bei VW oder Ford sieht es gerade ziemlich düster aus. Und das hat jede Menge damit zu tun, dass Politik und Management jahrelang die falschen Weichen gestellt haben, zulasten von Klimaschutz und Arbeitsplätzen. Das ganze Drama lässt sich an diesem Auto hier erklären. Ein kleines günstiges Elektro-Auto von VW. Ein Auto, das viele gerne fahren wollten, dass jetzt aber nicht mehr hergestellt wird. Warum das so ist, und wer daran schuld ist, das erzählen Ihnen jetzt Lutz Polanz und Jan Schmitt."

Das könnte die Geschichte eines erfolgreichen Elektroautos sein, des E-Up von VW. Zuverlässig, praktisch, bezahlbar - ein Topseller. Oft kam VW mit der Produktion gar nicht mehr hinterher. Ein ideales Fahrzeug, meint auch Markus Grams. Er kümmert sich für die Caritas in NRW um den Einkauf neuer Autos.

Markus Grams, Leiter Caritas Dienstleistungsgenossenschaft: "Also mit dem E-Up haben wir wirklich gute Erfahrungen gemacht. Das ist von den Fahrzeugen, die in der ambulanten Pflege im Elektrobereich eingesetzt wurden, eigentlich unser Hauptprodukt und in jeglicher Hinsicht gut geeignet für die Einsatzzwecke, die wir in der Caritas haben."

Also alles in Butter? Keineswegs, das Problem: Den E-Up kann man nicht mehr kaufen. Im Herbst 23 rollte der letzte vom Band. VW stellte die Produktion ein, offiziell wegen Vorschriften der EU zur Cybersicherheit. Der angekündigte Nachfolger lässt auf sich warten, kommt wohl erst 2027. Ärgerlich für Markus Grams, auch, weil er kaum Alternativen hat.

Markus Grams, Leiter Caritas Dienstleistungsgenossenschaft: "Ja, wir haben in den letzten Jahren die großen deutschen Hersteller - insbesondere Volkswagen - natürlich mit der Gesamtnachfrage auch konfrontiert, die wir Caritas-weit haben. Da reden wir über 20.000 bis 30.000 Fahrzeuge. Wir haben aber festgestellt, dass kein allzu großes Interesse vorhanden war, mit uns dort intensiver in Verhandlungen einzutreten."

Kein Interesse an großen Stückzahlen für kleine Autos? Was sagen Experten, passt ein E-Up nicht mehr ins Programm?

Prof. Stefan Bratzel, Automobilexperte, FH der Wirtschaft Bergisch Gladbach: "Große Fahrzeuge sind große Margen und große Profite. Kleine Fahrzeuge - muss man auch deutlich sagen - bedeutet eben auch kleine Margen. Gleichzeitig ist es klar, wenn man bestimmte Segmente auch im Bereich Kleinwagen, untere Mittelklasse nicht mehr durch deutsche Fahrzeuge, deutsche Modelle bedient, dann verliert man einen Großteil des Marktes."

Ursprünglich wollte VW bis 2018 zum Marktführer bei der Elektromobilität aufsteigen. Doch statt den Weg konsequent zu verfolgen, machten Volkswagen und andere deutsche Autokonzerne lieber schnelle Gewinne mit Verbrennern. Mit Hochglanzwerbung für immer größere Fahrzeuge und immer mehr PS gaben sie ordentlich Gas. Möglich auch durch die Steuer-Subventionen von Dienstwagen.

Jürgen Resch, Deutsche Umwelthilfe e. V.: "So hat die Autoindustrie kurzfristig große Gewinne einfahren können, die auch dann schön ausgeschüttet wurden, und jetzt steht sie vor einem Scherbenhaufen, weil sie eben nicht investiert haben in Zukunftstechnologie, sondern eben in Klimakillerfahrzeugen."

Fast 52 Milliarden Euro Dividenden haben die großen Drei - Volkswagen, Mercedes und BMW - von 2019 bis 23 an ihre Aktionäre ausgeschüttet. Geld, das man besser in eine erfolgreiche Zukunft mit Elektroautos gesteckt hätte? Stattdessen nun Krisenstimmung. Drei deutsche Standorte will VW schließen. Tausende Stellen sollen wegfallen, die Löhne runter. Die Beschäftigten von VW sind aufgebracht, dass sie nun die Zeche zahlen müssen für eine verfehlte E-Auto-Strategie.

Mitglied des Betriebsrates: "Man hat über Jahre jetzt diese großen Autos, die gewinnstarken Autos gefördert, um dementsprechend auch Gewinne zu machen. Also man hat jetzt über Jahre konsequent den Einstiegsmarkt für E-Fahrzeuge komplett ignoriert, das muss man ganz einfach sagen und das ist einfach ein Versagen des Vorstands."

Das sehen selbst Autozulieferer so, die von der Krise mitbetroffen sind.

Stephan A. Vogelskamp, automotiveland.nrw. e.V.: "Wir werden es bitter bezahlen mit den Verlusten von Beschäftigung. Auch gerade bei Zulieferbetrieben im Mittelstand, die tatsächlich für die verfehlte Modellpolitik der Hersteller ja überhaupt nichts können. Das heißt, die hängen jetzt am Fliegenfänger, die Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben bangen jetzt um ihre Zukunft."

Um ihr Geschäftsmodell mit immer leistungsstärkeren Verbrennern möglichst lange aufrechtzuerhalten, konnten die deutschen Autobauer sich stets auf die Hilfe der Politik verlassen. Ob von Autokanzler Gerhard Schröder über Angela Merkel bis hin zum heutigen Verkehrsminister Volker Wissing. Vor allem, wenn es der EU um mehr Klimafreundlichkeit ging, stand und steht die deutsche Politik in Brüssel zuverlässig auf der Bremse. So wurden schärfere Grenzwerte bei den Abgasen hinausgezögert, Schlupflöcher zur CO2-Anrechnung geschaffen, und besonders klimaschädliche PS-Riesen einfach rausgerechnet.

Stephan A. Vogelskamp, automotiveland.nrw. e.V.: "Die Politik hat sehr willfährig eigentlich reagiert, kommuniziert, dass die Modellpolitik der Hersteller nicht kritisch zu bewerten sei. Also, wenn man eine Mitschuldfrage stellt, dann ist Politik natürlich ein Teil des Problems und nicht ein Teil der Lösung."

Aktuell fordert der Verband der europäischen Autohersteller, die strengeren Abgaswerte für 2025

Zitat: "um 24 Monate zu verschieben".

Weil bei Verstößen hohe Strafen drohten, "gefährde" das "Millionen von Arbeitsplätzen in der EU."

Der Bundesverkehrsminister zeigt sich auch jetzt wieder offen dafür, den Autokonzernen zu helfen. Und statt konsequent auf den Umstieg auf Elektroautos zu setzen, bemühen Politiker immer dasselbe Mantra.

Christian Lindner: "Wir sind für Technologieoffenheit."

Friedrich Merz: "Wir wollen hin zu einer wirklich technologieoffenen Energie- und Verkehrspolitik."

Volker Wissing: "Darum geht es uns, um Technologieoffenheit."

Prof. Stefan Bratzel, Center of Automotive Management: "Die Politik hat der Innovationskraft der Automobilindustrie einen Bärendienst erwiesen, indem sie das Thema der Technologieoffenheit vorschob. Bei den Verbrauchern hat sich so ein Gefühl entwickelt, dass der Verbrennungsmotor doch das bessere Fahrzeug ist."

Und so gerät die deutsche Autoindustrie immer tiefer in die Krise. Wolfsburg am Montag.

Demonstranten: „Bundesweit – streikbereit.“

Tausende machen ihrem Unmut Luft. Sie bereiten sich auf den größten Streik in der Geschichte von VW vor.

Luigi Catapano, Betriebsrat Volkswagen: "Es geht hier nicht nur um Volkswagen, nicht nur um Wolfsburg. Es geht um alle Standorte, es geht deutschlandweit um die Industrie in Deutschland."

Und um die Frage, ob Klimaschutz und deutsche Autoindustrie eine gemeinsame Zukunft haben.

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Stand: 05.12.2024, 22:15 Uhr

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