Bürokratieabbau für Kriminelle?

Monitor 24.10.2024 07:51 Min. UT Verfügbar bis 24.10.2099 Das Erste Von Herbert Kordes, Jan Schmitt

MONITOR am 24.10.2024

Bürokratieabbau für Kriminelle? 

Endlich weniger Bürokratie! Den Ruf aus der Wirtschaft hat die Ampelregierung gehört und ein neues Gesetz verabschiedet. Damit dürfen Steuerunterlagen schon zwei Jahre früher vernichtet werden. Das Problem: Die meisten Unternehmen haben längst auf digital umgestellt und sparen fast nichts. Wer stattdessen profitiert: Steuerhinterzieher, die Beweise für ihre Verbrechen nun früher vernichten können.

Kommentieren [2]

Georg Restle: "Die Wirtschaft in Deutschland wieder voranbringen, das verspricht uns die Ampel fast jeden Tag - und hat dafür gerade ein ganz neues Gesetz verabschiedet. Damit sollen deutsche Unternehmen künftig von jeder Menge Bürokratie entlastet werden. Klingt super, schließlich findet Bürokratie ja keiner wirklich toll, Dabei ist das neue Gesetz ein Paradebeispiel dafür, woran und warum diese Regierung immer wieder scheitert. Gutes Ziel - schlechte Wirkung. Und das gilt auch in diesem Fall: Dass Steuerakten jetzt schon deutlich früher vernichtet werden können als bisher, hilft der deutschen Wirtschaft nämlich wenig, Steuerbetrügern dafür aber umso mehr. Und dem Staat könnten durch das neue Gesetz viele Milliarden durch die Lappen gehen. Absurdistan? Nein, deutsche Politik. Herbert Kordes und Jan Schmitt."

Dieser Mann will sein Unternehmen nach vorne bringen. Sein Name, Gerd Röders. Sein Unternehmen, ein mittelständischer Betrieb mit etwa 170 Angestellten. Sein Produkt: Maschinenteile. Sein größtes Leiden: die Bürokratie. Hier zum Beispiel, Röders Lohnbuchhalterin muss viele Lohnabrechnungen jeden Monat doppelt bearbeiten, weil Krankenkasse und Finanzamt unterschiedliche Anforderungen haben. Er erwartet von der Regierung, dass sie endlich Bürokratie abbaut.

Gerd Röders, G. Röders GmbH & Co. KG: "Damit sich unsere Leute hier auf Innovation, Prozesse, auf den globalen Wettbewerb einstellen können und das, was die Regierung versprochen hat, dass unsere Leute Zeit haben für ihre Aufgaben und nicht für Bürokratie."

Was die Ampelregierung versprochen hat, will sie nun mit dem "Bürokratieentlastungsgesetz IV" erreichen. Der wichtigste Punkt, wann man Steuerdokumente vernichten darf. Künftig kann man die schon früher schreddern, also nicht erst nach zehn Jahren - sondern schon nach acht. Und das soll dann richtig Geld sparen. Zwei Jahre weniger Miete für Aktenräume. Bei einer Jahresmiete von geschätzt 350,- Euro soll das die deutsche Wirtschaft um rund 600 Millionen Euro jährlich entlasten. Klingt gut, aber: Aktenräume? Aktenschredder? Arbeiten deutsche Unternehmen heute wirklich noch so? Gerd Röders sagt, nein, hier sei schon alles digital.

Gerd Röders: "Die Idee, dass wir noch in alten Ordnern Belege abspeichern, in Keller bringen und Keller dafür mieten, ist - gelinde gesagt - sehr lustig."

Lustig, denn statt 350,- Euro Miete für die Unterbringung von Akten spart er jetzt nur noch Serverkosten: 12,- Euro im Jahr. Einen Euro pro Monat - wenn überhaupt. Dem Großteil der Betriebe in Deutschland bringt die neue Regelung praktisch nichts. Aber wem nützt sie dann? Wenn es jemand weiß, dann er: Er ist Steuerfahnder und will nicht offen vor die Kamera. Und er sagt, das Gesetz hilft vor allem Steuerbetrügern.

Steuerfahnder: "In Verbindung mit einer Steuerstraftat müssen wir dem Steuerhinterzieher/der Hinterzieherin den Vorsatz nachweisen. Und ohne die Belege habe ich keine Chance, diese Absicht nachzuweisen”. Die werden ganz genau darauf achten, wann die acht Jahre vorbei sind, und dann sind die Unterlagen weg - weil, die machen es ja mit Absicht. Die reiben sich jetzt die Hände, für die ist das jetzt ein Feiertag."

Ein Feiertag für Steuerbetrüger. Denn die zwei Jahre weniger Aufbewahrung machen einen entscheidenden Unterschied. Oft dauert es jahrelang, bis man die komplexen Strukturen der Steuerhinterzieher aufdeckt. Bestes Beispiel: Cum Ex. Der Name für einen riesigen Steuerraub, der erst nach Jahren durchschaut wurde. Über windige Aktiendeals ließen sich Banken und Superreiche Steuern erstatten, die sie nie gezahlt hatten. Beteiligt waren auch Prominente wie Carsten Maschmeyer oder der Fußballtrainer Mirko Slomka. Bis das Ganze aufflog, verlor der Staat mit den Cum Ex-Geschäften geschätzt 10 Milliarden Euro. Und nach Cum Ex folgte ein noch größerer Steuerraub: Cum Cum. Der geschätzte Schaden durch Cum Cum lag etwa dreimal so hoch: 28,5 Milliarden Euro. Das meiste ist wohl für immer verloren, denn künftig könnte es noch schwieriger werden, die Kriminellen ausfindig zu machen, sagt der ehemalige Richter am hessischen Finanzgericht, Helmut Lotzgeselle. Was bedeuten zwei Jahre weniger für die Arbeit der Steuerfahnder?

Helmut Lotzgeselle, Vors. Richter a. D./Hess. Finanzgericht: "Dann dürfte die Arbeitsbelastung der Steuerfahnder abnehmen, weil sie gar nicht mehr in der Lage sind, diese rechtswidrigen und illegalen Geschäfte aufzudecken."

Kann es sein, dass die Bundesregierung einfach übersehen hat, dass sie es Steuerbetrügern leichter macht? Und dass der Staat da jede Menge Geld verliert? Nein! Hat sie nicht! In der Gesetzesbegründung steht sogar schwarz auf weiß, die Regierung erwarte wegen der Verkürzung der Aufbewahrungsfrist einen

Zitat: "Steuerausfall (…), da ein Hinterziehungstatbestand nach neun bzw. zehn Jahren (…) nicht mehr nachgewiesen werden kann”

Und zwar in Höhe von

Zitat: "jährlich etwa 200 Millionen Euro"

Und das dürfte noch viel zu wenig sein, sagt Gerhard Schick vom Verein Finanzwende.

Gerhard Schick, Bürgerbewegung Finanzwende e. V.: "Diese 200 Millionen Mindereinnahmen, weil mehr Steuerhinterziehung nicht verfolgt wird, ist meines Erachtens massiv unterschätzt. Das ignoriert, was man da alles zurückholen könnte, wenn man nur wollte. Und trotzdem, selbst wenn man die Zahlen der Bundesregierung nimmt, stehen Kosten und Nutzen bei diesem Gesetz in keinem Verhältnis."

Kaum Nutzen für die Wirtschaft, aber ein riesiger Schaden für den Bundeshaushalt? Was sagen die verantwortlichen Ampel-Politiker zum neuen Gesetz? Zuerst die Grünen, die das Gesetz angeblich so gar nicht wollten.

Reporter: "Wieso haben Sie denn nicht einfach gesagt, da machen wir nicht mit?"

Katharina Beck (B'90/Grüne), Mitglied des Bundestages: "Wir sind eine große Fraktion, wo die Interessen miteinander abgewogen werden müssen, wo wir gucken müssen, wie die Koalition fortbestehen kann, wo ein Gesetzentwurf wie der Diesige nicht aus einem grünen Haus kommt, sondern aus einem Haus der FDP. Wo wir dann gucken müssen, ob wir diesen Gesetzentwurf zusammen mit den Koalitionspartnern noch geändert bekommen und äh … die acht Jahre waren nicht wegzubekommen. Das ging leider nicht."

Ging nicht, gegen die FDP anzukommen? Klingt bekannt. Und was sagt die SPD?

Michael Schrodi (SPD), Mitglied des Bundestages: "In dem Fall habe ich gesagt, finde ich nicht ganz so gut, den einen Teil. Deswegen bedaure ich nicht, sondern ich hätte es gerne wieder rausgenommen aus finanzpolitischer, fachpolitischer Sicht."

Also, finde ich nicht so gut, aber stimme trotzdem zu? Nur die FDP freut sich und wäre am liebsten sogar noch weiter gegangen.

Thorsten Lieb (FDP), Mitglied des Bundestages: "Wir hätten uns auch vorstellen können, dort, wo es passt, die Aufbewahrungsfristen noch weiter zu verkürzen. Was überhaupt nichts damit zu tun hat, dass wir die Verfolgung von Straftaten erschweren wollen, sondern wir wollen den Unternehmen die Bürokratie entlasten."

Noch weiter verkürzen, und damit noch mehr Steuerhinterziehung? Zum Mitschreiben: Die Bundesregierung macht ein Gesetz und nennt das "Bürokratieentlastung". Damit können auch Steuerbetrüger schon zwei Jahre früher die Beweise für ihre Verbrechen vernichten. Das Gesetz ist nun verabschiedet - Bürokratie wird damit allerdings kaum abgebaut. Und der Staat verliert Milliarden, die er dringend bräuchte.

Georg Restle: "Warum um Himmels Willen eine solche Regelung, fragen Sie sich jetzt vielleicht? Eine mögliche Antwort: Vielleicht sollte die Politik nicht jedem Klagelied deutscher Wirtschaftslobbyisten auf den Leim gehen."

Startseite Monitor

Kommentare zum Thema

Kommentar schreiben

Unsere Netiquette

*Pflichtfelder

Die Kommentartexte sind auf 1.000 Zeichen beschränkt!

2 Kommentare

  • 2 Herbert Runde 24.10.2024, 11:02 Uhr

    Zumindest zum Teil kann ich hier zur Abwechslung mal zustimmen, sehr oft wird der Begriff „Bürokratieabbau“ von der Wirtschaft wie ein Trojaner genutzt um etwas anderes unterzumogeln. Stimmt Etikett und Inhalt nicht überein ist das auch hier Etikettenschwindel. Wieder ist die Sprache gleich aber die Bedeutung der Worte ist unterschiedlich, je nach Standpunkt.

  • 1 Markus Manfred Rühle 24.10.2024, 01:34 Uhr

    Wenn ich es richtig verstehe, geht es hier mehr um die Dauer der Aufbewahrungspflicht von Dokumenten bzw. Geschäftsunterlagen als darum, dass beispielsweise der schier undurchdringliche Bürokratie-Wald von Antragsvorschriften beim Wohnungsbau ausgedünnt wird. Nicht die effektive Verkürzung von Bearbeitungs- sowie Wartefristen wird angestrebt, sondern das frühzeitigere Ausräumen eingelagerten "Altpapiers", sei es nun in Form von Durchschlägen, Papierkopien, Dateien etc. Wozu eigentlich? Dass schneller etwas mehr Stauraum frei wird für noch mehr an anfallenden Unterlagen? Selbst bei digitaler Archivierung, die deutlich weniger Einlagerungskapazitäten beansprucht als früher übliche Datenträger? Was sorgt sich der Staat, wie welche Firma oder Einrichtung ihre Geschäftsunterlagen unterbringen kann? Kommt der Finanzprüfer, hat alles zur Vorlage da zu sein - "bääm"! Es geht doch letztlich beim Abbau von Bürokratie um den Zeit- und Arbeitsaufwand, den das Ganze vor der Archivierung verursacht.