Ampel-Aus: Eine Regierung schafft sich ab

Monitor 14.11.2024 09:52 Min. UT Verfügbar bis 14.11.2099 Das Erste Von Achim Pollmeier, Lutz Polanz, Jan Schmitt

MONITOR am 14.11.2024

Ampel-Aus: Eine Regierung schafft sich ab

Eine Aufbruchskoalition wollte die Ampel sein – am Ende ist sie krachend gescheitert: am fehlenden Geld, an unterschiedlichen Positionen und einem immer tieferen Vertrauensbruch. Vor allem die FDP kündigte bereits ausgehandelte Kompromisse immer wieder auf und zog sie in die Öffentlichkeit. Ein Drama in mehreren Akten – zum Schaden des Landes und zum Nutzen radikaler Kräfte.

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Georg Restle: "Auch dieser Mann gehört zu Trumps neuem Regierungsteam: Elon Musk, einer der reichsten Männer der Welt; Tesla-Chef und Inhaber der Plattform X, früher Twitter. Er trommelte im Wahlkampf wie kein anderer für einen Sieg Donald Trumps. Dagegen macht sich der Mann neben ihm fast schon klein aus. Mathias Döpfner, Vorstandschef des Springer-Konzerns - und auch einer, der seine Medienmacht ziemlich parteiisch versteht. Seit an Seit mit Elon Musk, Seit an Seit mit Christian Lindner. "Please Stärke die FDP.", hatte er der BILD-Redaktion vor der letzten Bundestagswahl geraten. Und genau das konnte man dann in den letzten Jahren immer wieder beobachten. Döpfner und die BILD-Zeitung, immer ganz nahe dran an Lindners FDP, die FDP immer ganz nahe dran an der BILD. Und auch als es jetzt um den Bruch der Ampel ging, titelte die BILD verlässlich für Lindner: "Wirtschaft steht hinter Lindner", "Scholz wollte, dass ich meinen Amtseid breche." "Ich habe gelitten, es hat mich menschlich aufgerieben." Der FDP-Chef als Opfer der Ampel? Diese Geschichte hat mit der Wirklichkeit dieser gescheiterten Koalition dann doch ziemlich wenig zu tun - und das ganz gleich, durch welche politische Brille man schaut. Und deshalb doch nochmal ein Blick zurück auf diejenigen, die diese Koalition wohl maßgeblich zum Scheitern gebracht haben, und jetzt so tun, als hätten sie damit nichts zu tun. Achim Pollmeier, Jan Schmitt und Lutz Polanz."

Es sollte ein Aufbruch werden.

Christian Lindner (FDP): "Die Gespräche waren sehr diskret."

Olaf Scholz: "Und wir haben uns fest vorgenommen, dass wir für Respekt und Zusammenhalt sorgen."

Christian Lindner  (FDP): "Allein dieser Stil markiert schon eine Zäsur in der politischen Kultur Deutschlands."

So klang das vor drei Jahren: Stil, Diskretion, Respekt! Nichts davon ist übriggeblieben.

Christian Lindner (FDP): "Ich habe viele Worte über die FDP und über mich gehört."

Olaf Scholz: "Zu oft hat er kleinkariert parteipolitisch taktiert."

Christian Lindner (FDP): "Manches macht mich betroffen.

Olaf Scholz: "Zu oft hat er mein Vertrauen gebrochen.“

Christian Lindner (FDP): "Anderes ist schlicht falsch."

Aber was stimmt wirklich? Die Chronik der Ampel - das ist auch die Chronik eines immer tieferen Vertrauensbruchs. Und der begann schon wenige Wochen nach dem Start der neuen Regierung. 24. Februar 2022: Mit dem völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine ist die Welt eine andere. Und der Koalitionsvertrag fast schon überholt.

Olaf Scholz: "Eine Zeitenwende in der Geschichte unseres Kontinents."

Die Aufrüstung der Bundeswehr, die Unterstützung der Ukraine, die Abkehr von russischem Öl und Gas - es hätte eine Erfolgsgeschichte der Ampel sein können - hätte.

Nico Fried, Chefkorrespondent Stern: "Die Gasspeicher waren leer, die Leute hatten Angst vor dem kalten Winter, die hatten Angst davor, dass ihre Fabriken schließen müssen, dass sie zu Hause nicht mehr heizen können. Nichts davon ist passiert, also diese Regierung, diese Koalition hätte auf sich sehr stolz sein können. Und das Gegenteil war der Fall."

Vielleicht auch deshalb, weil vor allem die Grünen davon profitierten - während die FDP regelrecht abstürzte. Bei den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen halbiert sich die Zahl der FDP-Wähler.

Sprecher: "FDP verliert auf 6,4."

Dramatisch wird es am 9. Oktober in Niedersachsen: Die FDP fliegt krachend aus dem Landtag, 4,7 Prozent. Interessant war schon damals die Schlussfolgerung der Parteispitze aus dieser Niederlage.

Bijan Djir-Sarai (FDP), Generalsekretär, 09.10.2022: "Wir müssen dafür stehen und verhindern, dass linke Projekte in dieser Koalition umgesetzt werden und dafür muss die FDP ganz klar erkennbar sein."

Linke Projekte verhindern. Im September 22 machte die FDP damit Ernst - bei der Diskussion um den Atomausstieg. Die Ampel hatte sich schon auf den Reservebetrieb von zwei Atomkraftwerken bis zum Frühjahr 2023 geeinigt. Nach dem Wahldebakel in Niedersachsen gilt diese Vereinbarung für die FDP plötzlich nicht mehr.

Christian Lindner (FDP), Parteivorsitzender, 11.10.2022: "Es spricht physikalisch und ökonomisch alles dafür, die Kapazitäten der Kernkraftwerke insgesamt für die Krise ans Netz zu holen - das ist nicht Politik, sondern Physik."

Es war natürlich Politik. Der Streit um die Atomkraft, für Beobachter markierte er eine Kehrtwende bei der FDP: Eigene Profilierung statt Koalitionsdisziplin."

Albrecht von Lucke, Blätter für deutsche und internationale Politik: "Die Debatte um die Laufzeiten der Atomkraftwerke ist absolut exemplarisch für die Strategie der FDP. In dem Augenblick, da man sah, dass die Grünen Schwierigkeiten bekommen, hat die FDP einen eigentlich bereits gefassten Beschluss, eine Bereitschaft, die AKWs auslaufen zu lassen, gekontert. Sie hat es quasi gekippt und sie hat auf dieses Thema gesetzt, um die eigenen Werte zu steigern."

Funktioniert hat das nicht: Jedenfalls nicht bei der Landtagswahl in Berlin im Februar 23. Die FDP fliegt aus dem nächsten Landtag.

Ann-Kathrin Büüsker, Korrespondentin Deutschlandfunk: "Nach jeder Landtagswahl, die die FDP verloren hat oder wo sie schlechte Ergebnisse erzielt hat, war die Analyse der Parteispitze, wir müssen uns mehr profilieren, wir müssen mehr zum Scheinen kommen in dieser Koalition. Es muss klar sein, dass wir das Korrektiv sind, was wiederum dann von einigen Wählerinnen und Wählern als klare Blockadehaltung wahrgenommen wurde."

Korrektiv oder Blockade? Ab Ende Februar 23 kommt beides zusammen - in der Heizungsdebatte. Der unfertige und übereifrige Entwurf des Gebäudeenergiegesetzes aus dem Ministerium von Robert Habeck wird der BILD-Zeitung zugespielt. Die titelt, "Habeck will Öl- und Gasheizungen verbieten." Das stand so zwar gar nicht im Entwurf - doch der Ton war gesetzt - und in der Regierung noch mehr Vertrauen zerstört. Nur zur Erinnerung, kurz vor der Bundestagswahl hatte der Springer-Chef und bekennende FDP-Unterstützer Mathias Döpfner der BILD-Redaktion aufgetragen: "Please Stärke die FDP." Im Heizungsstreit fährt die BILD dann eine wochenlange Kampagne. Die Grünen erleben ein Desaster, während die FDP als Bollwerk gegen den so genannten "Heiz-Hammer" inszeniert wird.

Nico Fried, Chefkorrespondent Stern: "Robert Habeck hat da auch viele Fehler gemacht, aber auch da hat sich gezeigt, dass die FDP einfach kein so eine richtige Identität in dieser Koalition entwickelt hat, denn als das Heizungsgesetz dann endgültig verhandelt war, hat Christian Lindner im Kabinett zugestimmt, hat aber gleichzeitig die Abgeordneten seiner Fraktion ermutigt, weitere Korrekturen anzubringen."

In stundenlangen Nachtsitzungen wird der Gesetzentwurf immer wieder geändert - und mehrfach stimmt die FDP Vereinbarungen zu, die sie später im Parlament torpediert.

Albrecht von Lucke, Blätter für deutsche und internationale Politik: "Die FDP hat in gewisser Weise eine regelrechte Doppelstrategie gefahren. Sie hat auf der Ebene der Kabinettsmitglieder Gesetze sogar beschlossen, um sie auf der anderen Seite, zum Teil von anderen Personen, dann frontal zu kritisieren."

Geholfen hat auch das nicht. Im Oktober 2023 fliegt die FDP auch in Bayern aus dem Landtag; das zeigen schon die ersten Hochrechnungen. Die Grundlage für den endgültigen Bruch kommt kurz danach, am 15. November 2023. Der Streit um den Bundeshaushalt. Das Verfassungsgericht urteilt, dass die Regierung nicht genutzte Corona-Kredite verfassungswidrig umgewidmet habe. Plötzlich fehlen 60 Milliarden Euro, die Nerven liegen auf allen Seiten blank.

Ann-Kathrin Büüsker, Korrespondentin Deutschlandfunk: "Ich glaube, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts war tatsächlich der Sargnagel für diese Koalition, weil damit die gemeinsame Geschäftsgrundlage verloren gegangen ist."

Ab jetzt agiert die FDP offensiv als Opposition in der eigenen Regierung, etwa beim Bürgergeld. Finanzminister Lindner Anfang Januar während der Bauernproteste:

Christian Lindner (FDP), Bundesfinanzminister a. D., 15.01.2024: "Es ärgert mich, dass ich vor Ihnen als den fleißigen Mittelstand über Kürzungen sprechen muss, während auf der anderen Seite in unserem Land Menschen Geld bekommen fürs Nichtstun!"

Beim Thema Migrationspolitik wechselt der FDP-Generalsekretär sogar ganz offen die Seiten.

Bijan Djir-Sarai (FDP), Generalsekretär, 11.09.2024: "Es gibt keine Ampel in der Migrationspolitik. Wir als FDP stehen Ihnen weitaus näher als unsere geschätzten Kollegen von der Koalition."

Und auch die Einigung auf den neuen Bundeshaushalt kündigt der Finanzminister wieder auf. Über die Presse - während der Kanzler im Sommerurlaub ist. Geholfen hat es wieder nicht. Bei den Landtagswahlen in Ostdeutschland im September rutscht die FDP teils unter 1 Prozent. Geführt nur noch unter den "Anderen".

Nico Fried, Chefkorrespondent Stern: "Ich glaube, dass Christian Linder sehr lange gewartet hat, geschaut hat, kalkuliert hat, was schadet mir mehr, was nützt mir mehr. Drin bleiben in der Koalition oder nicht, und er ist dann zu dem Ergebnis gekommen, für uns ist es besser, wir gehen raus. Wir tun so, als würden wir das Land befreien von dieser furchtbaren Koalition, die ja auch wirklich wahnsinnig unbeliebt ist und ganz besonders bei den potenziellen Wählerinnen und Wählern der FDP."

Am Ende ging es wohl nur noch um Taktik - auf allen Seiten: Wer schafft den besseren Abgang? Wer startet besser in den Wahlkampf. Der Wille zum Kompromiss - erschöpft. Die Ampel ist jetzt Geschichte. Der Schaden für die Demokratie bleibt.

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15 Kommentare

  • 15 Holm 15.11.2024, 11:47 Uhr

    ........am fehlenden Geld....in einem Staat der ohne Obergrenze Menschen aufnehmen und versorgen kann, kann es, rein logisch, nicht an Geld fehlen....

  • 14 Anonym 15.11.2024, 11:13 Uhr

    nach meiner Meinung ist lindner ein überheblicher arroganter Mensch ,mit Unschuldsblick , die cdu wird noch ihre Freude an ihm haben

  • 13 Ruhrgebietsmalocher Erwin 15.11.2024, 10:21 Uhr

    Dieser Kommentar wurde gesperrt, weil er gegen unsere Netiquette verstößt. (die Redaktion)

  • 12 Ampelmelkkuh Resie 15.11.2024, 08:29 Uhr

    Dieser Kommentar wurde gesperrt, weil er beleidigend ist. (die Redaktion)

  • 11 Ulrike Brauner 15.11.2024, 06:23 Uhr

    Endlich sagt's mal einer! Die hier großartig dargelegten Fakten müssten viel präsenter in unserer Gesellschaft sein, aber dank Bild-Zeitung und ihrer massiven Meinungsmache kann sich die FDP, die Partei, die 3 Jahre lang verhindert hat, dass Deutschland dringend nötige Entwicklungen geht, wunderbar als Helden und Opfer stilisieren: Unerträglich! Danke! Von Herzen!

  • 10 Doof-D for ever ! 14.11.2024, 23:54 Uhr

    Die Ampel ist gescheitert, d.h., verhaßt,weil sie im Ergebnis gegen die biodeutsche Gesellschaft anregiert hatte und das Geld der Babyboomer zum Vorteil jeglichen Lobbyisten, der nur laut genug geschrieen hat, nur mächtig genug ist, jeden Kapitalinvestoren, jeden Glamour-Tech-Giganten , wie Intel,TSM,RWE,, Photovoktaik, jede Finanzheuschrecke, jeden Finanzinvestoren, als Entwicklungshilfe an jeden Staat,bis hin zu Schurkenstaaten, China, die Hamas-UNRWA , für jeden Klimaschrei, für jeden Furz, der im Universum unkontrolliert entwischt war, verjuxt hatte. Jetzt sind die Staatskassen nicht nur leer, sondern am Ende des historisch längsten wirtschaftlichen Booms nicht nur leer, sondern auch noch historisch rekordhoch überschuldet in Höhe mindestens 3,7 Billionen Euro, obwohl sie dann eigentlich prall gefüllt sein müßten. Weil Ampel versäumt hat , für wirtschaftlich miese Zeiten,Rücklagen zu bilden und die Rezession jetzt erst beginnt, wirds künftig noch richtig düster in D werden.

  • 9 Heinz Maraun 14.11.2024, 23:11 Uhr

    Als Theatermensch ist Herr Lindner leicht zu durchschauen, zu gekonnt unglaubwürdig. Wie seinerzeit Herr Barzel. Wenn er von Deutschland sprach , meinte er BARZEL. Immerhin, die FDP wird trotz der BILD unter 5% bleiben.Und das ist gut so.

  • 8 Aga Bellwald 14.11.2024, 22:39 Uhr

    War von Beginn an eine Fehlkonstruktion. Konnte man sich denn damals nicht vorstellen, daß eine FDP an sozialen und grünen Anliegen nicht mitarbeiten will? Ist vielleicht gut so, daß die Ampel sich gelöscht hat, doch was kommt danach? Merz? Ein schlechter Scherz. 🤔

  • 7 Sylvia 14.11.2024, 22:36 Uhr

    Wer die Politik in den letzten 3 Jahren und besonders in den letzten Monaten intensiv verfolgt hat, weiß, wie oft die FDP den Vereinbarungen erst zugestimmt, dann verraten und durchgestochen hat. Es hätte gut werden können, wenn die FDP nicht immer nur auf das eigene Klientel und ihre schlechten Landtags-Wahlergebnisse geschaut und das große Ganze im Blick gehabt hätte. So ist Rot-Grün-Gelb, trotz einiger Erfolge in dieser Zeit, für lange Zeit als Regierungskoalition verbrannt - als wenn wir in D so viele Koalitionsmöglichkeiten hätten, wenn AFD und BSW weiter zulegen. In diesen Zeiten müssen die demokratischen Parteien zusammenhalten, um den verfassungsfeindlichen Parteien die Stirn zu bieten. Das hat die FDP vermasselt, und dafür trägt Lindner die Verantwortung. Solche Politiker sind einfach nicht vertrauenswürdig.

  • 6 MCM 14.11.2024, 22:35 Uhr

    Super erhellende Chronologie der Ampel-Sabotage durch den kleinsten Akteur Ch. L.

  • 5 Lottemustermann@gmail.com 14.11.2024, 22:26 Uhr

    Es ist vollkommen richtig, dass die FDP der Blockierer ist von Anfang an. Die Menschen vergessen schnell das diese Partei eine Sch...... Partei ist.

  • 4 D. Werner 14.11.2024, 22:15 Uhr

    Das grenzt ja schon an Hetze, Dieser Bericht hat doch nichts mehr mit objektiver Berichtserstattung zu tun. Monitor bezeichnet sich als politisches Magazin, welches seriöse Information gepaart mit sorgfältiger Analyse liefert. Investigativer, kritischer Journalismus wird angeblich großgeschrieben. Davon kann ich in diesem Bericht nichts wiederfinden. Die politische Positionierung der Sendung ist sehr deutlich zu erkennen. Schade, eine neutrale Berichtserstattung wäre sehr wünschenswert.

  • 3 Marit M. 14.11.2024, 22:12 Uhr

    Super Beitrag, danke für die klaren Worte. Lindner spricht in Interviews von "Stil" - hier wurde gezeigt was er darunter versteht. So jemand ist kein Opfer. Vereinbarungen treffen und dann aufkündigen, derjenige darf niemals mehr Minister o.ä. werden

  • 1 Egon 14.11.2024, 17:09 Uhr

    Das ist einseitige Sicht von Rot-Grün. Aus sicht der FDP wurde versucht zu retten was zu retten ist. Nach Neuwahl will Rot-Grün die Lizenz zum Geld drucken, daher der Absturz beider Parteien. Kommt es zur Koaltion CDU mit SPD und/oder Grüne, steht man wieder vor den gleichen Problemen. Ein vernünftiger Staatshaushalt und Rot-Grün ist nicht kompatibel.