Georg Restle am 23.10.2017

Stürmische Zeiten – Was dürfen Medien?

Von Georg Restle

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Objektiv sollen sie sein, neutral und meinungslos: Es ist ein lupenreiner Dreiklang, der die Erwartungen an Medien in dieser Zeit kennzeichnet. Bitte keine Belehrungen, bloß keine Kommentare – wir wissen schließlich selber, was wir denken wollen. So ungefähr lässt sich zusammenfassen, was in Kommentarspalten hier und anderswo zu lesen ist.

Georg Restle vor dem Logo der Sendung Monitor

Georg Restle

Der einordnende Journalist gilt als neues Feindbild einer Medienkritik, die tatsächlich so tut, als sei die Wahrheit ein Schatz in tiefer See, der nur noch gehoben werden müsste. Erläuterungen, Deutungen, Haltungen – all dies scheint Teufelszeug einer moralisierenden Presse, die sich doch bitte darauf beschränken sollte, die reinen Fakten zu referieren.

Diesem scheinbar so klaren Postulat liegt jedoch ein tiefgreifendes Missverständnis zu Grunde: Das von einer greifbaren Wahrheit, die aller Interessen entkleidet, eindeutig und unmissverständlich zu kommunizieren sei. Als gäbe es keine Agenden und Spin-Doktoren, nur den faktenreinen Diskurs im herrschaftsfreien Raum. Nur ist die Welt eine andere und die Wahrheit ein brüchiges Konstrukt: Wie eine neutrale Berichterstattung über Russlands Ukrainepolitik aussehen soll, darüber dürften NATO und Kreml sehr unterschiedliche Auffassungen haben. Und die Darstellung des VW-Skandals sieht rund um Wolfsburg tendenziell anders aus als im Rest der Welt.

Dass ausgerechnet jene, die eine ganz bestimmte Deutung der Geschehnisse bevorzugen, allen anderen, die dieser Deutung widersprechen, mangelnde Neutralität vorwerfen, gehört längst zum Ritual einer Debatte, die sich an den falschen Begriffen orientiert. Journalisten nämlich, die von sich behaupten, neutral zu sein, leugnen damit nicht nur den Kern alles Menschlichen, sie machen sich auch nolens volens zu Sprachrohren von PR-Abteilungen, die nur an der reinen Abbildung ihrer eigenen Kampagnen interessiert sind. Man stelle sich nur vor, wie eine „neutrale“ Berichterstattung über die Finanzkrise, soziale Gerechtigkeit oder die Flüchtlingspolitik aussehen soll. Am Ende niemals so, wie die meisten Neutralitäts-Apologeten es gerne hätten.

Für „guten“ Journalismus gibt es andere Kriterien: Genauigkeit, Unabhängigkeit und Transparenz gehören ganz sicher dazu; Distanz zu wahren sowieso – und der Blick über den Tellerrand bitteschön: Das Einordnen von Fakten in einen größeren Kontext, das Offenlegen von Interessen und Machtstrukturen. Und natürlich darf, ja soll ein Journalist auch bewerten, was er recherchiert hat, solange er dies kenntlich macht. Besser so, als eine „Neutralität“, die Uneinlösbares verspricht und dabei die eigene Haltung nur kaschiert.

Nichts Neues eigentlich, aber so können Medien ihrer Aufgabe auch künftig gerecht werden – in stürmischen Zeiten einer anschwellenden Medienkritik, deren Wortführer vor allem ein Interesse haben: Ihre eigene Wahrheit als die allein gültige zu verkaufen.

Stand: 23.10.2017, 20:00 Uhr

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87 Kommentare

  • 87 Werner 09.04.2022, 08:40 Uhr

    Und vor allem hört auf uns mit Eurem Gedankengut erziehen zu wollen. Ihr sollt berichten was Ihr seht und zwar dann wenn es passiert und nicht wenn ...weiterlesen

  • 86 discovery learning 01.10.2019, 01:13 Uhr

    Sie können, sie werdens nie lassen:Polter-Polter… es sind immer die Lügen der Anderen, verlautet es stupide von deutscher Herrscher-und Medienelite. ...weiterlesen

  • 85 Jan 13.05.2018, 18:54 Uhr

    Die journalistischen Medien dürften nicht das Volk ideologisch ausrichten. Leider funktioniert diese Ausrichtung heute wieder vergleichbar gut wie z ...weiterlesen