Redaktion MONITOR am 27.11.2017

Aus staatspolitischer Verantwortung: Minderheitsregierung!

Von Achim Pollmeier

Beim Wählerwillen und der Zuschreibung staatspolitischer Verantwortung ist es offenbar, wie bei einem Chamäleon: Je nachdem wann und von wo man draufschaut, wechseln ständig die Farben: von Keinesfalls-Schwarz-Rot zu Schwarz-Grün-Gelb, zu Schwarz-Grün (mit und ohne Rot) bis hin zu Doch-Schwarz-Rot. Wer angesichts des Wahlergebnisses vom 24. September für sich in Anspruch nimmt, DEN Wählerwillen zu kennen, kann ohnehin nicht ganz zurechnungsfähig sein. Was also bedeutet in dieser Lage „staatspolitische Verantwortung“?

Grafik Minderheitsregierung | Bildquelle: WDR

Für viele Kommentatoren und für die CDU scheint ausgemacht, dass es nach dem Abgang der FDP nur noch an staatspolitischer Verantwortung bei der SPD mangelt, um in einer großen Koalition für eine stabile Regierung zu sorgen. Schon wieder sei die Situation „alternativlos“ - dabei ist die Fixierung auf eine neue GroKo genau das Gegenteil: Sie ist für die beiden Noch-Volksparteien letztlich verantwortungslos, die Flucht ins schwindende Refugium einer dösenden Mitte, in der es sich regieren lässt, ohne unterscheidbar zu sein und wichtige Weichen für die Zukunft zu stellen.

Zum Beispiel die SPD: Dass sie nach der Wahl einer großen Koalition eine Absage erteilte, war zwar nicht alternativlos - aber für die SPD überlebenswichtig: Eine weitere GroKo würde (mehr noch als Neuwahlen) dazu führen, dass die SPD keine Chance hätte, sich aus der klebrigen Bequemlichkeit eines pragmatischen Weiter-So zu lösen, das ihr seit Jahren sinkende Wahlergebnisse beschert. Trotz nachweislicher Erfolge wie der Einführung des Mindestlohns glauben selbst Parteimitglieder inzwischen kaum noch daran, dass die SPD überhaupt den Willen (geschweige denn den Mut) hätte, eine wirklich alternative Politik zu machen, die die immer größeren Verteilungsprobleme der Gesellschaft ebenso in den Blick nimmt wie die Interessen der Globalisierungs- und Modernisierungsverlierer. So lange die Steuereinnahmen sprudeln und die Sozialsysteme noch nicht unter dem Druck des demographischen Wandels und der Digitalisierung bersten, lässt sich das noch halbwegs kaschieren. Doch egal ob bei Krankenversicherung, Rente oder den Mietpreisen: Die SPD tut und fordert als Regierungspartei gerade so viel, dass sie sich selbst das autosuggestive Etikett einer Gerechtigkeits-Partei anheften kann - während sich die Wähler ungläubig und in Scharen abwenden.

Man muss die SPD nicht mögen (und schon gar kein Mitleid mit ihr haben), um zu erkennen, dass ihre ohnehin verblassten Ideale in einer GroKo noch weiter aufgelöst würden und das Desaster nach der nächsten Wahl noch größer wäre: Die SPD fiele als Volkspartei aus, weil sie sich als ideologische Alternative endgültig überflüssig gemacht hätte. Die Skepsis gegenüber der parlamentarischen Demokratie würde wachsen, auch genährt von einer AfD als größter Oppositionspartei, der es unterdessen sogar gelingt, sich immer weiter nach rechts zu radikalisieren. Staatspolitische Verantwortung bedeutet also eben nicht, um einer kurzfristigen Stabilität willen in eine Regierung einzutreten. Sie verlangt, die langfristige Schwächung der politischen Systems in Deutschland zu verhindern.

Aus Sicht von CDU/CSU würde das bedeuten: Übernahme der Regierungsverantwortung auch ohne eigene Mehrheit. Im besten Fall könnte das sogar eine Stärkung des Parlaments als Ort einer politischen Debatte bedeuten, die Ergebnisse hervorbringen will statt Scheindiskurse. Die Parteioberen und vor allem die Bundeskanzlerin jedoch lehnen das kategorisch ab und appellieren an die angebliche Verantwortung der anderen Parteien - allerdings aus parteitaktischen Gründen: Im verhandlungsaufwendigen und mit Niederlagen gespickten Dickicht einer Minderheitsregierung wäre der Nimbus von Angela Merkel als unbesiegbarer Regentin dahin. Kanzerlinnendämmerung! Und die Union müsste als verbliebene Regierungspartei die Gefahr sinkender Wahlergebnisse auf sich nehmen. Für die CDU wäre eine Minderheitsregierung keine gute Lösung – in der Gesamtschau aber wäre es die am wenigsten schlechte. Wenn die CDU wirklich staatspolitische Verantwortung übernehmen will, dann müsste sie diesen Preis bezahlen - nicht zum Wohle der SPD, sondern für eine starke parlamentarische Demokratie auch über die nächste Legislatur hinaus.

Kommentare zum Thema

  • Jue.So Jürgen Sojka 18.08.2020, 16:47 Uhr

    Minderheit, erstmals in der “Einführung in das Grundgesetz“ 41. Auflage 2007 Beck-Texte im dtv von Prof. Dr. Dr. Udo Di Fabio in III. Die Grundrechte: Leitbild des freien Menschen, thematisch erörtert. _ Auszüge von Seite XIV, im 4. Absatz „Mit den Grundrechten kann demnach auch die Mehrheitsentscheidung der Volksvertretung in die Schranken verwiesen werden, damit ein ausreichender Raum an freier Entfaltung der Bürger in der Gesellschaft bleibt.“ – im 5. Absatz „Auf der anderen Seite darf nicht übersehen werden, dass in einer demokratischen Gesellschaft Grundrechte die Rechte der Minderheit gegen Rechte der Mehrheit sind. Auch die Mehrheit kann in einem parlamentarischen Gesetzesbeschluss ihre gemeinsame Freiheitsbekundung sehen und es als schwer erträglich empfinden, wenn Einzelne aus der unterlegenen Minderheit mit Hilfe der Gerichte die Mehrheit zurückweisen.“ Und weiter: „Die Gerichte müssen aber dennoch Zeichen setzen, wenn ein tagespolitisch handelnder Gesetzgeber einzelne …“

  • D. 10.03.2018, 09:24 Uhr

    Irgendwie schade dass es nicht zur Neuwahl kam. Wenn die CDU / CSU mit der AfD hätte über eine Regierungskoalition sprechen müssen dann wäre seitens der CDU ein besseres Verständnis für die Ideen von politisch Andersdenkende entstanden. Käme es zur Regierung wären die politischen Entscheidungen mit hoher Wahrscheinlichkeit etwas weiter weg von der Deutschland auflösende links-grün-68er Ideologie entfernt worden und es wären endlich mal wirklich neue Politiker in die Regierung gekommen. Es hätte eine friedvollere Politik entstehen können als diese derzeitige auf Hass, Hetze auf Kriegsführung ausgerichtete Politik gegen unser Nachbarland Russland. Leider ist es nicht geschehen. Die populistisch internationalistisch agierenden kriegstreibenden links-grün-68er Ideologien haben es mal wieder manipulistisch geschafft. Es werden sogar die Zeitabstände der Sonntagsfragen in der Veröffentlicht vergrößert damit dass Volk nicht sehen soll dass inzwischen die SPD u d die AfD auf Gleichstand sind.

  • Miriam S 04.03.2018, 11:30 Uhr

    Wer hat etwas anderes erwartet? der Grüne Özdemir formuliert es kurz und bündig : "habemus Groko " besser und deutlicher wäre es wohl gewesen statt Groko den ursprünglichen Spruch zu setzen "habemus Papam " : es gab ja auch schon eine Päpstin , die ebenfalls wie die aktuelle die Huldigung entgegen nahm. Die AUFGABE; die sich Kevin KÜHNERT stellt ist nicht lösbar , unter der Herrschaft dieser Päpstin... Jedenfalls ist er einer der wenigen Aufrechten, die der alten Dame SPD zugeneigt ist und ihr Hoffnung hätte geben können...aber sie wollte ihn nicht...na denn stirb langsam, aber endgültig!