Das Krebskartell: Milliardengeschäft mit Chemotherapien

NDR, WDR, SZ und Monitor

Milliarden-Verschwendung bei Krebsmedikamenten -- Lauterbach: „Kein haltbarer Zustand“ -- AOK hält Recherchen für „beitragsrelevant“

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Interne Preislisten von Pharmahändlern zeigen die enormen Verdienstmöglichkeiten von Zytostatika-Apothekern bei der Herstellung von Krebsinfusionen in Deutschland. NDR, WDR, „Süddeutscher Zeitung“ und dem ARD-Magazin Monitor liegen entsprechende Preislisten von mehreren Großhändlern über mehrere Jahre vor. Demnach können Apotheker mit einer einzigen Infusion bis zu 1.000 Euro extra verdienen – zusätzlich zur eigentlichen Herstellungspauschale der Krankenkassen von rund 100 Euro, die den Aufwand für die Zubereitung der Infusion abgelten soll.

Die internen Listen sind fast 20 Seiten lang. In kleiner Schrift sind darin die Preise von fast tausend Krebsmedikamenten notiert. Dort ist für jedes Medikament die Erstattung der Krankenkasse für das Medikament eingetragen, dazu der tatsächliche oft sehr viel niedrigere Großhandelspreis für die Apotheker und schließlich der Verdienst, den diese pro Packung erzielen können.

Grundlage dafür ist eine besondere Genehmigung für die Zubereitung von Chemotherapie- und Antikörper-Infusionen. Während bei über 90 Prozent aller Medikamente die Festpreisregelung gilt, dürfen Zytostatika-Apotheker ihre Einkaufspreise für Krebs-medikamente zur Herstellung von Infusionen mit den Pharmaherstellern und Großhändlern frei verhandeln. Auch wenn dies nicht bei allen Krebs-Medikamenten der Fall ist, liegen die tatsächlichen Preisebei den Wirkstoffen, deren Patentschutz abgelaufen ist (sogenannte Generika) , demnach häufig 30 oder 40 Prozent, teilweise auch über 80 Prozent unter den Preisen, die die Krankenkassen erstatten. 

NDR, WDR, „Süddeutsche Zeitung“ und „Monitor“ haben die Ausgaben der Krankenkassen für Krebsinfusionen mit den tatsächlichen Einkaufspreisen auf den Preislisten der Großhändler verglichen. Allein bei den fünf umsatzstärksten Generika-Wirkstoffen   hätten die Krankenkassen zuletzt pro Jahr bis zu eine halbe Milliarde Euro einsparen können. Diese bis zu 500 Millionen Euro landen Jahr für Jahr bei rund  300 Apothekern, die in Deutschland die Erlaubnis haben, Krebsinfusionen zuzubereiten.

Der Sprecher des Spitzenverbands der gesetzlichen Krankenkassen, Florian Lanz, sagte zunächst, dass er die Preislisten der Apotheker nicht kenne. Später räumte der GKV-Spitzenverband jedoch ein, dass er einmalig im Jahr 2020 vertraulich Ausschnitte aus solch einer Preisliste erhalten habe. Der AOK-Bundesverband versichert, die echten Einkaufspreise nicht gekannt zu haben. Die für die Versorgung zuständige AOK-Geschäftsführerin Sabine Richard hält die in den Preislisten sichtbaren Einkaufsvorteile für Apotheker für „beitragsrelevant“. Sie könnten zu Erleichterungen bei allen Beitragszahlern führen und „den Druck von weiteren Beitragserhöhungen weg nehmen“.

Konfrontiert mit den Recherchen erklärte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), dies sei „auf jeden Fall etwas, was wir auch regulatorisch angehen müssen“. Die hohen Gewinne seien „kein haltbarer Zustand“. Lauterbach bezweifelt die Unkenntnis der Krankenkassen.

Der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft, Wolf-Dieter Ludwig, hält die enormen Verdienstmöglichkeiten der Zytostatika-Apotheker für „absolut ungerechtfertigt“. Dieses Geld könnte man in eine bessere schmerzmedizinische Versorgung von Krebspatienten investieren. Angesichts der vielen bekannt gewordenen Korruptionsfälle in der Zytostatika-Branche in den vergangenen Jahren hält Ludwig es für ein großes „Versäumnis, dass man in diesem Bereich diese enormen Gewinne weiterhin erlaubt und dort nicht schärfer durchgreift.“

Der Präsident des Verbands der Zytostatika herstellenden Apothekerinnen und Apotheker (VZA), Klaus Peterseim, bezweifelt im Interview nicht, „dass es in Einzelfällen gelingt, einen besonders günstigen Preis zu generieren“. Allerdings seien solche Preise nicht über das gesamte Sortiment möglich, sagt der VZA-Präsident. Außerdem „kompensiere“ man dadurch auch die Herstellung, die von den Kassen mit derzeit etwa 100 Euro „unzureichend vergütet“ werde. Die Kassen bestreiten, dass diese Vergütung zu niedrig sei. Im vergangenen Jahr lag die Herstellungspauschale  noch zwischen 71 und 81 Euro.

Bitte beachten Sie auch unsere Berichterstattung im ARD-Fernsehen (Donnerstag, 21.45 Uhr, Monitor „Das Krebskartell“), am Donnerstag und Freitag im ARD-Hörfunk, auf SZ.de und tagesschau.de sowie am Samstag in der „Süddeutschen Zeitung“ das Buch Zwei.

Stand: 20.07.2023, 06:00 Uhr

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35 Kommentare

  • 35 Beatrix 11.10.2023, 21:51 Uhr

    Wann wird denn nun endlich was dagegen unternommen?

  • 32 Rudolf Wolff 27.07.2023, 10:33 Uhr

    Im Gesundheitswesen geht es nur noch um Geld, der Mensch findet dabei keine beachtung mehr entweder verdient man am Menschen oder sie sind/werden unrentabel, warum spielt die Politik da mit - vieleicht weil sie mitverdient.r.wolff

  • 21 Kajak 21.07.2023, 12:29 Uhr

    Der geschilderte Sachverhalt ist unglaublich und erschreckend zugleich. Sie haben es übrigens versäumt, in ihrem Bericht die Ärzte zu kritisieren, die für die Ausstellung von Rezepten ultimativ von den Apothekern bis zu 50 000 Euro einfordern. Letzteres erfüllt den Tatbestand einer Nötigung (Offizialdelikt). Die zuständige Staatsanwaltschaft müsste eigentlich hierzu Ermittlungen" von Amts wegen". Ich bin gespannt, welche Reaktion erfolgen wird.

  • 20 Albert Wolfram 21.07.2023, 11:32 Uhr

    Sehr geehrte Damen und Herren, schockierte von Ihrem Bericht frage ich mich, warum die Krankenkassen nicht sofort rechtliche Schritte gegen die beteiligten Apotheken eingeleitet haben. Die Anzahl der Beteiligten ist erstens mit 300 sehr überschaubar und es gibt im deutschen Recht (BGB §812ff) den Herausgabeanspruch nach einer ungerechtfertigten Bereicherung. Wenn ich dabei gleichzeitig an die letzten Demonstrationen der Apotheker denke, die um ihre wirtschaftliche Zukunft bangen, bekomme ich einen Wutanfall. Mit freundlichem Gruß Albert Wolfram

  • 19 Antony Arendt 21.07.2023, 10:30 Uhr

    Der Bericht ist erschütternd, aber nicht wirklich überraschend. Insbesondere die Verzahnung von sogenannten MVZs mit Apotheken und Pharmafirmen wird nur am Rande erwähnt. Wenn man bedenkt, daß Pharmaunternehmen zu den Großverdienern im Land zählen, und das bei 10 - 20% des Preises den Apotheker verlangen, dann wird erst deutlich wie hier abgezockt wird. Bedauerlich, daß die Krankenkassen diese Verhältnisse billigend in Kauf nehmen. Unsere Politiker arbeiten sich lieber an -ismen ab, als die Interessen der Bevölkerung zu vertreten. Kein Wunder in einem Land, in dem die Wahlverlierer sich zusammentun und erklären einen "Regierungsauftrag" vom Wähler erhalten zu haben.

  • 18 Kerlag 21.07.2023, 09:32 Uhr

    Dieser Kommentar wurde gesperrt, weil er gegen unsere Netiquette verstößt. (die Redaktion)

  • 17 Kerlag 21.07.2023, 09:31 Uhr

    Dieser Kommentar wurde gesperrt, weil er gegen unsere Netiquette verstößt. (die Redaktion)

  • 16 Ließmann 21.07.2023, 09:00 Uhr

    Ich glaube im Gesundheitsamt sitzen nur Sesselfurzer*innen :) Alle mit Blindheit geschlagen oder zu gut bezahlt. Oder schafft die Lobby der Arzneivertreiber und das zugehörige Gesocks, dass gar nichts mehr kontrolliert wird? Wofür braucht man eigentlich das Gesundheitsministerium, wenn der NDR, WDR und die Süd deutsche Zeitung so etwas aufdeckt?

  • 15 Andreas Hirsch 21.07.2023, 08:45 Uhr

    Hallo Monitor Team, bin selbst Chemopatient. Danke für die informative Sendung. Man ist entsetzt wie die Preise abgesprochen werden und keiner macht was dagegen. Da ist wohl der einfachste Weg die Krankenkassenbeiträge weiter anzuheben. Natürlich auf kosten der Beitragszahler. Hoffentlich passiert nach Ihrer Sendung mal was! MfG Andreas Hirsch

  • 14 Iris W. 21.07.2023, 03:19 Uhr

    ...das scheint ja niemanden großartig zu interessieren. Unglaublich, dass hier nicht kommentiert wird. Als Betroffene( Patientin),habe ich mich schon länger über die Preise der Medikamente gewundert. Wieso ist das nicht schon viel früher aufgefallen?Da wurdedoch seit Jahrzehnten mehr als ein Auge zu gedrückt. Profitieren da etwa noch mehr Leute von, als in dem Beitrag erwähnt?

  • 13 Frank Selig 21.07.2023, 00:06 Uhr

    Jeder, der eine Meinung hat, sollte drei Dinge wissen: 1. Die Sonne dreht sich nicht um die Erde. 2. Im Kapitalismus kann JEDER Millionär werden, aber nicht ALLE. 3. Demokratischer Sozialismus bedeutet nicht DDR.

  • 12 Kerlag 20.07.2023, 23:14 Uhr

    Und was ist mit den Rabatten die alle Apotheken KOSTENLOS tagtäglich für die Versicherungsgemeinschaft über Rabattverträge generieren.

  • 11 Kerlag 20.07.2023, 23:01 Uhr

    Der Enthüllungsapotheker ist nicht nur ein Nestbeschmutzer. Kein Arzt oder Zahnarzt wäre so dumm seinen Berufsstand unberechtigterweise so zu verunglimpfen. Apotheken allgemein müssen den allergrößten Teil der Leistungen für Patienten mit Verlust erbringen. Krankenkassen beklauen die Apotheken mittels Null Retaxationen. Davon redet KEINER Auch laden Krankenkassen immer mehr Aufgaben auf die Apotheken ab, die wie ein mittelalterlicher Frondienst kostenlos erbracht werden müssen. Das was sie sich der neidzerfressene Journalismus ganz fies herauspickt ist oft der ganz bitternötige Teil der die vielen Leistungen ohne gerechten Ertrag QERSUBVENTIONIERT

  • 10 Christine Schonscheck 20.07.2023, 22:51 Uhr

    Eine großartige Recherche die wieder mal den Finger in die Wunde legt. Ein weiteres Beispiel das zeigt wie sehr wir Patienten, insbesondere wenn wir gesundheitlich ganz besonders in Not sind, von einer nicht geringen Clique gieriger Profiteure abgezockt werden. Bleibt abzuwarten, ob K. Lauterbach sich für eine Änderung und auch für strafrechtliche Sanktionen einsetzt. Fraglich, ob er sich gegen dieses Kartell von Apotheken, Ärzten und Pharmalobby durchsetzt. Er hat schließlich zudem noch die FDP, als Apotheken- und Ärztepartei, im Nacken, die am liebsten die GKV abschaffen würden. Was für ein trauriger politischer Zustand, wenn Kassenpatienten immer weniger auf die Gesundheitspolitik vertrauen können. Danke für Eure großartige und aufwendige Arbeit.

  • 9 Wolfgang Oppel 20.07.2023, 22:44 Uhr

    Danke für die Recherche. Stellt sich die Frage nach Strafanzeigen gegen die beteiligten "gesetzlichen" Krankenkassen als Körperschaften des öffentlichen Rechts (also ÖD) und ihre Spitzenorgaisatoren wegen Amtspflichtunterlassung durch Duldung der Vorgänge, Veruntreuung der von Arbeitnehmern und Arbeitgebern aufgebrachten Beitragsgeldern der Versicherten und anzunehmende Beteiligung am Korrupptionssystem des Pharma-Großhandels und Ärzten mit Apothekern. Zudem ist die Rolle der sogenannten Selbstverwaltungsgremien der gesetzlichen Krankenkassen als Aufsichtsgremien, die von Arbeitnehmer- und Arbeitgeber-Organisationen per Sozialwahlen besetzt werden, zu beleuchten. Interessant dürfte zu hinterfragen sein, warum von denen nichts unternommen wurde. Und : warum ist das Bundesamt für Soziale Sicherung (ehem. Bundesversicherungsamt) als Aufsichtsbehörde über die gesetzlichen Krankenkassen nicht tätig geworden ?

  • 8 Klaus 20.07.2023, 22:26 Uhr

    Meine Frau ist vor zwei Jahren an Leukämie erkrankt und in der Folge daran verstorben. Zur Behandlung bekam sie ein Medikament, das in der Apotheke 16.000 € kostete, um es zuhause einzunehmen (Tagesdosis etwa 600 €), nach wenigen Tagen musste sie aber wieder ins Krankenhaus, weil es ihr so schlecht ging. Die restlichen Medikamente rund 13.000 € durfte sie nicht mit ins Krankenhaus nehmen, sie bekam dort das gleiche Medikament aber aus der Hausapotheke. Später verstarb meine Frau. Ich hatte noch Medikamente für 13.000 €, die niemand haben wollte. Ich hab mit der Apotheke gesprochen und mit der zuständigen Krankenkasse, letztendlich wurden die Medikamente einfach nur entsorgt

  • 7 Ehrlicher Apotheker 20.07.2023, 22:22 Uhr

    Lügenpresse! Irreführung! Faktenverdrehung! Rabatte billiger Wirkstoffe werden falsch für hochpreisige Biologika angeführt! Freie Preisverhandlungen? Nein überhöhte rückwirkende Preisabschlagsdiktate! 100€ für wenige Minuten? Nein, eigens finanzierte Reinraumtechnik und -Equipment, Arbeitsschutz und steriles Verbrauchsmaterial werden natürlich NICHT benannt, 100€ als unzureichender Schiedsspruch/Kassendiktat pro Zubereitung! Schaut eher mal auf Verwaltungskosten und Vorstandskosten von überzähligen Krankenkassen. Diese Apotheken versorgen Schwerstkranke amn ihrem Lebensende! schnell, preisgünstig und hochwertig zu stetig schlechter werdenden Kostenerstattungen! Unhaltbar? Höchstens Lauterbach und die kranken Kassen! Pfui Staatsmedien !

  • 6 Insider 20.07.2023, 22:02 Uhr

    Und jetzt recherchieren Sie doch bitte weiter, wie viel die Apotheker an die niedergelassen Onkologen als Provision zahlen, damit der Onkologe nur den einen Apotheker mit Rezepten versorgt? Die Geldgeilheit in diesen niedergelassen Bereichen ist beschämend!

  • 5 Frank 20.07.2023, 19:11 Uhr

    Unverantwortlich Pauschalisierung, da kämpfen Apotheken ums schiere Überleben und Sie generieren trumpsche Gazetten. WOW etwas mehr Differenzierung hätte ich doch beim Monitor erwarten dürfen. Wenn, was durchaus sein kann, einzelne Großapotheken verdienen. Die Summe derer die die Versorgung sowie der ländlichen Gebiete haben gar nicht soviel Patienten, das ein Beutel im Monat das Überleben sichert. Augenscheinlich sind Zuschauerzahlen wichtiger als eine ausgewogene HEADLINE. Danke dafür. Die Inhalte verblassen wenn ein rotes A am Pranker steht. Wer hat sie eigentlich angetrieben? Das wäre interessant zu wissen. Investigativer Journalismus ist wohl auch so mehr en-woke. Pashing ist passender. Empfänger reagieren hier nicht noch dem Inhalt, was festzustellen ist, sonder noch der Überschrift. Bei FRONTAL nennt man das TOLL

  • 4 Carolachristiane 20.07.2023, 18:31 Uhr

    Möglicherweise werden also einige Milliarden mißbräuchlich ausgegeben. Und ? Wo ist das Problem ? Ist doch üblich in diesem "reichen Land". Deswegen hat doch keiner weniger.

  • 3 Martin Schwarzer, Hamm 20.07.2023, 09:51 Uhr

    In den Nachrichten des WDR wird immer von "den Apotheken" gesprochen,die innerhalb weniger Minuten 1000 € mehr verdienen... Naja... Es handelt sich bei den Zytostaika herstellenden Apotheken um Apotheken, die sich auf die Herstellung dieser Medikamente spezialisiert haben. An der Gesamtzahl der Apotheken gemessen sind dieses nur 1,66 % also 300 von derzeit 18000 Apotheken. Die Anforderungen Zytostatika herzustellen sind enorm. Sterile Herstellungsräume,aseptische Herstellung,absolute Genauigkeit und Zuverlässigkeit und gegenseitige Kontrolle bei der sehr aufwendigen und verantwortungsvollen Herstellung sind unabdingbar. Das " die Apotheker " unredlich ihr Geld verdienen halte ich persönlich für zu kurz gegriffen und meiner Meinung nach nicht gerechtfetigt. Die Abrechnungspreise dieser hochpreisigen Arzneimittel werden zwischen Krankenkassen und den Verbänden der Zytostatikaherstellenenden Apotheken verhandelt. Von Unwissenheit der Krankenkassen kann da sicher nicht gesprochen werden.