Pressemeldung vom 08.09.2016

Pflegedienste missachten regelmäßig Patientenverfügungen

Kommentieren [30]

Ambulante Pflegedienste sind regelmäßig bereit, gegen Patientenverfügungen zu verstoßen. Dies geht aus Recherchen des ARD-Magazins MONITOR (heute, 21:45 Uhr im Ersten) und einer Umfrage des Palliativmediziners Matthias Thöns hervor. Bei Stichproben, die von MONITOR mit verdeckter Kamera dokumentiert wurden, zeigten fünf von sechs ambulanten Pflegediensten Interesse, einen unheilbaren Patienten aufzunehmen und zu beatmen. Und das, obwohl ihnen bekannt war, dass eine Patientenverfügung vorlag, die dies unmissverständlich ausschloss.

Stempel mit Aufschrift 'Patientenverfügung'

Patientenverfügung

Der MONITOR-Stichprobe lag der fiktive, aber realistische Fall eines unheilbar kranken Mannes zugrunde, der nach einem Unfall im Wachkoma liegt. Lebensverlängernde Maßnahmen hatte er für diesen Fall mit einer rechtskonformen Patientenverfügung ausgeschlossen. Journalisten von MONITOR stellten sich als angebliche Angehörige bei fünf Pflegediensten vor und baten darum, den Mann dennoch in Pflege zu nehmen und künstlich weiter zu beatmen. Alle Einrichtungen signalisierten die Bereitschaft, den Patienten aufzunehmen. Vier der fünf Anbieter rieten dazu, die Patientenverfügung durch Angehörige nachträglich zu ändern oder unter den Tisch fallen zu lassen. „Wenn Sie sagen, die Patientenverfügung spielt jetzt keine Rolle mehr, dann müsste sie nach meiner Meinung auch irgendwie weg“, hieß es etwa in einem Fall. Juristen sehen in den von MONITOR dokumentierten Fällen Anstiftungen zur Urkundenfälschung bzw. Urkundenunterdrückung. Alle von Monitor besuchten Einrichtungen streiten ab, sich in diesem Sinne geäußert zu haben.

Zum gleichen Ergebnis wie MONITOR kommt auch eine bundesweite Umfrage des Palliativmediziners Matthias Thöns unter ambulanten Pflegediensten.

Von 155 Einrichtungen, die auf die schriftliche Anfrage geantwortet hatten, erklärten sich 140 bereit, einen unheilbar kranken Patienten gegen seinen per Patientenverfügung dokumentierten Willen künstlich am Leben zu erhalten. Dies entspricht einer Quote von 90 Prozent.

Gesundheitsexperten und -politiker kritisieren in diesem Zusammenhang Fehlanreize im Gesundheitssystem. Danach kosten Patienten in sogenannten „Beatmungs-WGs“, ambulante Einrichtungen zur außerklinischen Intensivpflege, durchschnittlich 20.000 Euro pro Monat, die überwiegend von den Krankenkassen bezahlt werden.

„Gerade Beatmungspatienten sind hochlukrative Patienten“, sagt Thomas Sitte, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Palliativstiftung. „Die Joker im System, wenn Sie so wollen.“  Insgesamt mache die ambulante Betreuung ein jährliches Volumen von drei bis fünf Milliarden Euro aus.

SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach sieht in den Finanzierungsregeln im Bereich der ambulanten Intensivpflege rückblickend einen Fehler. „Das ist ganz klar ein Fehlanreiz. Wir haben damals nicht bedacht, dass es so einen starken Sog auf die Patienten ausüben würde. Jetzt beobachten wir in kurzer Zeit eine enorme Zunahme der Kosten durch die ambulante Versorgung in Beatmungs-WGs bei gleichzeitiger Verschlechterung der Betreuungsqualität. Das müssen wir dringend ändern.“

„Eine Änderung der Leistungen ist derzeit nicht geplant“, erklärt dagegen das Bundesgesundheitsministerium auf Anfrage von MONITOR.

Stand: 08.09.2016, 06:00 Uhr

Kommentare zum Thema

Kommentar schreiben

Unsere Netiquette

*Pflichtfelder

Die Kommentartexte sind auf 1.000 Zeichen beschränkt!

30 Kommentare

  • 30 Susanne Stöffler 23.05.2018, 14:38 Uhr

    Meine Mutter. .hirnschlag. ..kann nicht mehr schlucken und sprechen. .In ihrer Vollmacht steht ausdrücklich. .Keine künstlichen Lebens Erhaltung. .Keine Sonden. ..jetzt nach 7 tagen. ..Im Krankenhaus. ...schicken sie sie in Herz Ultraschall. .In topografische unersuchung. .In ein anderes Krankenhaus. .und spechen. ..Von essen über Sonde. ...wie kann man sich alls Angehörige wehren

  • 29 Heimbeatmungsservice Brambring Jaschke GmbH 21.09.2016, 09:56 Uhr

    Unsere Meinung zum Monitor-Beitrag „Geschäfte mit Todkranken: Der boomende Markt der Intensiv-Pflege“ „Schwerstkranke Menschen künstlich am Leben zu erhalten, um damit Geld zu verdienen, ist menschenverachtend.“ Dieser Aussage des Monitor-Beitrages „Geschäfte mit Todkranken: Der boomende Markt der Intensiv-Pflege“ vom 8. September 2016 stimmen wir, der Führungskreis der Heimbeatmungsservice Brambring Jaschke GmbH, ohne Einschränkung zu. Aber warum werden in diesem Bericht vorrangig die ambulanten Pflegedienste angeprangert? Die Patienten werden doch nicht von uns Pflegediensten „gemacht“! Alle unsere Klienten kommen aus Kliniken, in der Regel nach mehrmonatigen Aufenthalten auf Intensiv- und Rehastationen! Wieso werden im Bericht nicht die Vergütungsmodelle der Kliniken hinterfragt? Ist hier jede OP, jede Untersuchung angemessen? Und wie oft wurde in der Klinik, bevor wir die Patienten aufnehmen, bereits der Patientenwille missachtet? Wir wissen es nicht. Wenn Hr. Lauterba ...

  • 28 Heimbeatmungsservice Brambring Jaschke GmbH 21.09.2016, 09:23 Uhr

    „Schwerstkranke Menschen künstlich am Leben zu erhalten, um damit Geld zu verdienen, ist menschenverachtend.“ Dieser Aussage des Monitor-Beitrages „Geschäfte mit Todkranken: Der boomende Markt der Intensiv-Pflege“ vom 8. September 2016 stimmen wir, der Führungskreis der Heimbeatmungsservice Brambring Jaschke GmbH, ohne Einschränkung zu. Aber warum werden in diesem Bericht vorrangig die ambulanten Pflegedienste angeprangert? Die Patienten werden doch nicht von uns Pflegediensten „gemacht“! Alle unsere Klienten kommen aus Kliniken, in der Regel nach mehrmonatigen Aufenthalten auf Intensiv- und Rehastationen! Wieso werden im Bericht nicht die Vergütungsmodelle der Kliniken hinterfragt? Ist hier jede OP, jede Untersuchung angemessen? Und wie oft wurde in der Klinik, bevor wir die Patienten aufnehmen, bereits der Patientenwille missachtet? Wir wissen es nicht. Wenn Hr. Lauterbach von Fehlanreizen spricht, dann sollte er zuerst hinterfragen, ob es falsche Anreize gibt, die nach der En ...

  • 27 Thomas 10.09.2016, 20:01 Uhr

    Sehr geehrtes Team von Monitor, bisher hielt ich Ihre Berichterstattung für fachlich fundiert und gut recherchiert. Mit dem Beitrag „Missachtung von Patientenverfügungen“ kann ich dies leider nicht mehr so wahrnehmen. Zwar wird im Beitrag von Beatmungs-WGs gesprochen, in den zu der Reportage dazugehörigen Intros im Text steht aber überall „..beweisen, dass ambulante Pflegedienste regelmäßig bereit sind..“ Beatmungspflichtige Versorgung ist wie Intensivpflege oder Palliativpflege eine Spezialisierung innerhalb des allumfassenden Begriffs der „ambulanten Pflege“. Das hier keine Differenzierung vorgenommen wird entspricht analog dem Vergleich Zahnärzte und Tierärzte in einen Artikel über verunglückte Herztransplantationen einzuschließen, bloß weil es sich ebenfalls um Ärzte handelt. Die eh schon schwierige Stellung des Berufsbilds einer Pflegekraft, egal ob ambulant oder stationär, wird dadurch nicht verbessert und ist schlicht und ergreifend eine Diffamierung jener die ...

  • 26 Eine Pflegekraft 10.09.2016, 10:45 Uhr

    Was Herr Lauterbach mit "dringend ändern" meint, ist übrigens klar: es geht wieder zurück in die Pflegeheime. Und das mit Beatmung. Dann stirbt es sich wenigstens schneller, da an der miserablen Besetzung mit Fachkräften ja deswegen noch lange nichts geändert wird. Beatmungs-Wohngemeinschaften sind die Alternative für schwerst pflegebedürftige Menschen, da dort mit ausreichend Personal eine inidividuelle 24 Stunden Pflege gewährleistet wird. Und wer hier schreibt, das Recht auf Sterben muss eingehalten werden, dem kann ich nur empflehlen, sich genau so eine WG mal anzusehen. Dort wird nämlich auch palliativ gepflegt, und dort darf auch gestorben werden. Ich gebeb ebenfalls zu bedenken, dass es Menschen mit Beatmung gibt, die am Leben teilhaben wollen, in den urlaub fahren, auf Konerte gehen wollen. Das funktioniert in einem Heim dann sicher ganz toll. Also, Herr Lauterbach, wie stellen Sie sich das vor? Ausser zurück zur Pflege der 70er Jahre ... wobei wir da eh wieder hinkomme ...

  • 25 Ute Ziemes 10.09.2016, 01:23 Uhr

    Es wäre doch gut, wenn man seine Patientenverfügung direkt bei der Krankenkasse hinterlegen könnte. Die wäre doch sicher daran interessiert, dem Willen zu folgen, wo er sie doch weniger kostet. Bei dem ersten Okay, das sie geben muss oder spätestens bei der ersten Rechnung, die sie begleichen müsste, würde sie dann reagieren. Ist doch sowieso doof, dass man ansonsten Mitstreiter für die Durchsetzung seines Willens benötigt.

  • 24 Karin Mayer 09.09.2016, 23:07 Uhr

    ich kenne aus meinem persönlichen Umfeld alleine 2 Fälle wo die Kinder mit Anwälten eine Behandlung verhindert haben. 1. 83jährigen Krebskranke Mutter noch eine Chemo gemacht wurde. Ganz böse war der 2. Fall der Vater meiner besten Freundin hatte " Raucherbein" man wollte dem alten Herrn gegen seinen Willen das Bein abnehmen. Er hat im Krankenhaus noch 3 Tage gelebt. 3. Bei einer Herz OP hat aus unserem Bekanntenkeis eine junge Frau 3 Schlaganfälle bekommen, nun wird sie künstlich am Leben erhalten. Das hat mit leben nichts mehr zu tun. Sie hat eine Patientenverfügung aber die gilt scheinbar nicht. Die Eltern besuchen eine Tote, es ist so schrecklich.

  • 23 Gundula 09.09.2016, 20:49 Uhr

    Jetzt verstehe ich auch, wieso Sterbehilfe in DE seit der letzten Bundestags-Abstimmung darüber (ohne Fraktionszwang) quasi noch schwieriger wurde. Da hat wohl die Medizinlobby mal wieder saubere Arbeit geleistet. Und Herrn Lauterbach kann man nur mitgeben, wo Pflege- und Medizinleistungen Profit versprechen, so wie in unseren privatisierten Einrichtungen, da handeln diese eben nach dem Prinzip der Gewinnmaximierung. In dieser Zielsetzung spielen weder Patientenwille noch medizinische Gründe irgendeine Rolle.

  • 22 kritische Stimme 09.09.2016, 20:02 Uhr

    Es gibt weiße und schwarze Schafe. Ein schwarzes Schaf promotet bei einer solchen Gelegenheit eben sein neues Buch...

  • 21 Rene Rampp 09.09.2016, 18:09 Uhr

    Ich selbst habe Muskeldystrophie Typ Duchenne, bin stolze 38, und werde rund um die Uhr beatmet über eine Maske. Ich werde seit 8 Jahren von einem Intensivpflegedienst versorgt, seit 5 Jahren ist mein jetziger Pflegedienst bei mir zuhause tätig. Ich habe den Beitrag, wie viele andere auch, sehr schlecht recherchiert gefunden und finde als Betroffener das fernab der Realität! Des weiteren hat der Beitrag das Thema Patientenverfügung verfehlt, es ging mehr um die "bösen" Pflegedienste die sich bereichern. Wie üblich! Das ist absolut nicht die Realität! Um meinen jetzigen Pflegedienst musste ich streiten weil die Kasse nur 25 Euro pro Stunde bezahlen wollte, für die Vergütung sollten examinierte Pflegekräfte mit regelmäßigen Fortbildungen gestellt werden, da bleibt einer tariflichen Bezahlung kein Platz geschweige große Gewinne. Das ist Realität! Immer wieder musste ich und meine Familie einen Wechsel des Pflegedienst ertragen weil die wegen Personalmangel und der schlechten Vergütun ...

  • 20 Jörg 09.09.2016, 18:07 Uhr

    Vorneweg zu meiner Person. Ich bin Fachkrankenpfleger für Anästhesie und Intensivpflege und Pflegedienstleitung eines ambulanten Intensivpflegediensten. Immer wieder muss ich leider feststellen, wie schlecht mache Beiträge selbst im öffentlich rechtlichen Fernsehen recherchiert werden. Das sehr wichtige Thema Umgang und Beachtung des Patientenwillens wird hier gerade zu populistisch und mit zum Teil falschen Fakten auf dem Rücken der hart arbeitenden Pflegekräfte und der Pflegedienste ausgetragen. Die erläutere ich Ihnen gerne in folgenden Punkten: 1. Intensivpflichtige Patienten können im ambulanten Bereich in zwei Wohnforman betreut werden. Entweder sie leben in Ihrem häuslichen Umfeld und werden hier 24h von einer Intensivpflegekraft betreut oder sie leben in einer Wohngruppe, wo mehrere intensivpflichtige und beatmete Patienten zusammen wohnen und in der Regel in einem Verhältniss von einer Pflegekraft pro zwei bis drei Patienten betreut werden. Die Kosten von 20.000-25.000€ b ...