Michael Meisheit, Jahrgang 1972, stieß 1997 zum AutorInnen-Team der "Lindenstraße". Die erste von ihm geschriebene Folge wurde am 22.11.1998 ausgestrahlt. Nach 20 Jahren als (Chef-)Autor verabschiedet sich Meisheit mit Folge 1662 von der Serie.
Interview mit Michael Meisheit
Michael, am kommenden Sonntag (18.02., 18:50 Uhr, im Ersten) wird die letzte "Lindenstraße"-Folge aus deiner Feder ausgestrahlt. Sie heißt "Niemals geht man so ganz". Wie dürfen wir den Titel verstehen?
Ich hoffe, dass etwas von mir in der 'Lindenstraße' bleibt. In den letzten 20 Jahren habe ich eine Menge Figuren erfunden und geprägt, die bleiben ja auf jeden Fall erst einmal da. Aber ich hoffe auch, dass darüber hinaus etwas von meiner Persönlichkeit auf die Serie abgefärbt hat und ihr erhalten bleibt. Der Titel passt aber auch zur Folge...
Du verabschiedest dich mit einer außergewöhnlich dramatischen Folge, in der es zwischen Enzo und Nina zu einer Art Showdown kommt...
Ich habe immer wieder gerne an besonderen Folgen mitgewirkt – zum Beispiel an einer Echtzeitfolge oder auch unserer berühmten Live-Folge. Da fand ich es sehr schön, dass sich zum Abschied auch noch einmal die Möglichkeit ergab, etwas Ungewöhnliches zu schreiben. Eine Folge, in der fast nur zwei Personen handeln, ist für einen Autor eine Herausforderung und eine Freude zugleich. Dass auch ein größerer Erzählbogen mit dieser Folge zu einem Höhepunkt kommt, ist natürlich auch ein wenig Zufall – freut mich aber umso mehr.
Inwieweit war das eine Herausforderung?
Normalerweise werden in einer Folge drei Geschichten behandelt, zwischen denen erzählerisch hin- und hergewechselt wird. Dadurch kann man als Autor gut für Spannung, aber auch für einen Wechsel zwischen intensiven und auf der anderen Seite entspannten oder humorvollen Szenen sorgen. Dies ist innerhalb von wenigen sehr langen Szenen mit zwei Figuren deutlich schwieriger.
Ist Enzo eine tragische Figur?
Auf jeden Fall. So war er von Anfang an angelegt – der jüngere, etwas unauffälligere Bruder des strahlenden Robertos. Gerade in Bezug auf Jack hat er über die Jahre ja schon einiges an Pleiten erleben müssen.
Auch Angelina zeigt in dieser Episode ihre empfindsame Seite, was ja nicht so häufig vorkommt…
Diese Seite haben wir immer gepflegt und sie macht den Reiz von Angelina aus. Sie ist keine missgünstige oder herzlose Figur. Eher lebt sie offen einen zutiefst menschlichen Egoismus aus, der aber auch beinhaltet, dass sie sich um die (wenigen) Menschen sorgt, die ihr nahestehen.
Du hast dich nach immerhin 20 Jahren als Chefautor entschieden bei der "Lindenstraße" aufzuhören. Wie fühlt sich das an?
Es ist ein enorm großer Schritt, der mein ganzes Leben verändert. Als ich es Hana und Hans Geißendörfer mitgeteilt habe, hat mein Herz schon ordentlich geschlagen. Ein ganzes Heer von Gefühlen folgte dann: Unsicherheit, Aufregung, Sentimentalität, Erleichterung. Es war auf jeden Fall nichts Alltägliches.
Was sind die Gründe für deinen Ausstieg?
Im letzten Jahr ist bei mir immer mehr das Gefühl aufgekommen, dass nach 20 Jahren vielleicht mal andere Impulse für die "Lindenstraße" gut wären. Ich wollte nicht zu einem Autor werden, der ständig sagt: „Hatten wir schon“ und seine Arbeit nicht mehr mit der gleichen Leidenschaft leistet wie früher. Gleichzeitig habe ich eine neue Liebe für das Schreiben von Romanen entwickelt, auf die ich mich mit Lust und vor allem Zeit stürzen wollte.
Als Romanautor schreibt man allein. Wirst du die Teamarbeit vermissen?
Das werde ich. Die Autorensitzungen waren immer das Highlight meiner kreativen Arbeit. An denen würde ich auch einfach so aus Spaß teilnehmen – selbst nach 20 Jahren.
Wie übergibt man eine Serie an einen anderen Chefautor beziehungsweise – in diesem Fall - an die neue Chefautorin Tina Müller?
Das war ein langer Prozess. Meinen Ausstieg habe ich schon Ende 2016 angekündigt, als noch Storyline-Sitzungen unter meiner Leitung anstanden und ich auch noch Drehbücher schrieb. So blieb den Geißendörfern genügend Zeit, eine Nachfolgerin zu suchen, die sie dann mit Tina Müller auch gefunden haben. Mit ihr habe ich mich ausführlich besprochen und als Berater an zwei Sitzungen teilgenommen, die sie bereits geleitet hat. So konnten wir in einem Zeitraum von mehr als einem halben Jahr ganz in Ruhe die Arbeit übergeben.
In diesen Storyline-Sitzungen werden immer wieder Themen herausgearbeitet, die gesellschaftlich relevant und aktuell sind. Hat man als Drehbuchautor eine gewisse Weitsicht?
Manchmal hat man das tatsächlich. Nicht als einzelner Autor, sondern als Team. Einfach dadurch, dass wir alle sehr viel Nachrichten lesen, sehr aufmerksam das Geschehen in der Gesellschaft verfolgen und uns auf den intensiven Sitzungen darüber austauschen. Die Autoren sehen sich ja nur unregelmäßig, kommen aus unterschiedlichen Lebenssituationen, und manchmal stellt man dann bei einer Sitzung fest, dass trotzdem bestimmte Themen alle beschäftigen. An den Themen muss dann etwas dran sein...
Aktuell bilden das Autoren-Team der "Lindenstraße": Tina Müller (Chefautorin), Anke Heindel, Catrin Lüth, Ruth Rehmet und Jens Schleicher
Das Interview führte Gitta Deutz