Bergleute arbeiten im Bergwerk Saar der Deutschen Steinkohle AG (DSK) in Ensdorf unter Tage

"NRW behält langfristige Risiken"

Experteninterview zum Kohlekompromiss

Stand: 08.02.2007, 13:05 Uhr

NRW muss ab 2015 nur noch einen Teil der Subventionen für die Kohleförderung zahlen, der Bund übernimmt bis 2018 einen erhöhten Anteil. "Kein Grund zur riesengroßen Freude, aber auch kein Grund zum Schimpfen", meint Professor Franz Lehner vom Institut für Technik und Arbeit in Gelsenkirchen.

WDR.de: Wie ist die Einigung zu bewerten?

Franz Lehner: Das ist für NRW sicherlich ganz gut. Damit spart das Land 468 Millionen Euro. Gegenrechnen muss man allerdings, dass der Bund gleichzeitig keine besonderen Strukturhilfen für das Ruhrgebiet leisten wird. Daneben gibt es noch einen zweiten weiteren wichtigen Punkt: Der Bund beteiligt sich nicht besonders stark - nämlich nur mit einem Drittel - an den Altlasten und Ewigkeitskosten. Die sind zwar über die neu zu gründende RAG-Stiftung abgedeckt, aber da gibt es Risiken. Experten rechnen mit zwei Milliarden Euro Mehrkosten. Das ist ein Brocken. Der Bund hat also genauso gut profitiert von diesem Kompromiss.

WDR.de: Sie klingen nicht überzeugt von diesem Kompromiss.

Lehner: Ich bin deswegen nicht ganz zufrieden, weil der Ausstieg feststeht, aber verzögert wird. Wenn schon ein Ende, dann ein schnelles. Zudem behält Nordrhein-Westfalen langfristige Risiken. Ein weiteres Problem sehe ich darin, dass das Ruhrgebiet ein Stück weit aus der strukturpolitischen Aufmerksamkeit verschwindet. Es ist ein Kompromiss. Kein Grund zur riesengroßen Freude, aber auch kein Grund zum Schimpfen. Positiv ist dagegen zu halten, dass der Börsengang der RAG schnell stattfinden kann. Das ist eine sehr gute Botschaft für das Land.

WDR.de: Im Gegenzug verzichtet NRW auf weitere Strukturhilfen für das Ruhrgebiet. Was bedeutet das?

Lehner: Das ist schwer abzusehen. Bisher wurde ja nicht gesagt, wie diese Strukturhilfen aussehen sollen, wie groß sie sind und worin sie bestehen. Es lässt sich nur schwer abschätzen, ob das Land dadurch verloren hat. Genauso wenig lässt sich sagen, ob das Land durch das Geld, welches es spart, so viel fürs Ruhrgebiet tun kann, dass die nicht gezahlten Strukturhilfen nicht wehtun.

WDR.de: Wie schwer wiegt der endgültige Abschied vom Kohlebergbau tatsächlich?

Lehner: Der wiegt nur noch symbolisch. Irgendwie leben wir ein Stück weit in dieser "Glück auf"-Welt. Aber im Prinzip ist der Bergbau seit Jahren tot. Ich habe vor Jahren eine Untersuchung über die Abhängigkeit der Regionen im Bergbau durchgeführt. Damals war dieser im Norden noch sehr stark. Heute gibt es diese nicht mehr. Wenn die Arbeitsplätze sozialverträglich abgebaut werden, machte es keine zusätzlichen Probleme mehr. Für mich ist das eine interessante Chance, einen Schnitt zu machen und zu sagen: Wir sind keine Bergbauregion mehr, wir gehen in eine neue Zukunft.

WDR.de: Sie leben selbst im Ruhrgebiet. Welche Zukunftschancen bietet dieser Kompromiss?

Lehner: Ich lebe gerne im Ruhrgebiet, weil sich da vieles tut. Aber eines muss man sehen: Wenn die Landesregierung aufgrund eines seltsamen Gutachtens erklärt, wir hätten den Strukturwandel bewältigt, dann ist sie auf beiden Augen blind. In Sachen Strukturwandel gibt es noch viel zu tun. Wir müssen noch sehr viel innovativer werden. Mit dem Ausstieg aus dem Bergbau ist es wichtig, nochmals eine Diskussion darüber zu führen, was sich realistisch in dieser Region erreichen lässt. Da geht es nicht um irgendwelche Glamour-Projekte, sondern darum auf breiter Basis, etwa im Bildungssystem etwas zu verändern.

Das Interview führte Simone Maurer.

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