Ihre Tochter wurde brutal ermordet: Wie eine Mutter mit diesem Schicksal lebt

Warendorf | Verbrechen

Stand: 25.11.2024, 17:04 Uhr

Tanja K. hat das Schlimmste erlebt, was einer Mutter passieren kann: Ihre Tochter wurde in Warendorf von einem Freund ermordet. Die Tat, ein Femizid, ist schrecklicher Alltag in Deutschland. Über das Schicksal, die eigene Tochter durch ein brutales Verbrechen zu verlieren.

Von Tobias Lickes und Josefine Upel

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Der Fall Johanna K.

Johanna K. aus Warendorf im Münsterland möchte später einmal Ärztin werden. Nach dem Abitur beginnt sie eine Ausbildung zur Krankenpflegerin. Dabei lernt sie Jan T. kennen. Auch er macht eine Ausbildung im Krankenhaus. Die beiden freunden sich an. Jan T. erzählt von seiner unheilbaren Krebserkrankung - es ist eine von vielen Lügen. Johanna K. hat Mitleid mit ihm, nimmt den Außenseiter mit zu Partys.

Doch Jan T. wird immer fordernder. Johanna bekommt Angst vor dem 31-Jährigen und versucht, den Kontakt zu ihm zu reduzieren. Dann kommt der 09. November 2022: Jan T. lauert der 21-Jährigen an der Haustür auf, missbraucht und erwürgt sie in ihrer Wohnung. Den ganzen Fall gibt es bei Lokalzeit MordOrte auf YouTube:

Schreckliche Taten wie diese sind keine Seltenheit: Fast jeden Tag stirbt in Deutschland eine Frau durch ein Gewaltverbrechen, einen sogenannten Femizid. Im Jahr 2023 wurden laut aktuellen Zahlen des Bundeskriminalamts 360 Frauen getötet. Fast 580 weitere Frauen wurden Opfer von versuchten Tötungsdelikten. Die UN macht jedes Jahr am 25. November, dem sogenannten "Orange Day", auf das Problem der Gewalt gegen Frauen und Mädchen aufmerksam.

Auch die Politik befasst sich aktuell mit dem Thema. Bundesfrauenministerin Lisa Paus hofft, dass noch vor der Bundestagswahl im Februar das Gewalthilfe-Gesetz verabschiedet wird. Es sieht vor, dass der Bund Frauenhäuser mitfinanziert, bei denen Opfer unterkommen können. Außerdem sollen Betroffene einen garantierten Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung bekommen.

Für Lokalzeit.de haben wir mit der Mutter von Johanna K. über das Erlebte gesprochen. Wie sie die Tage nach dem Verbrechen erlebt und sich ihr Leben seitdem verändert hat.

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Das Schlimmste, was einer Mutter passieren kann

Lokalzeit: Warum wollen Sie mit uns noch einmal über den Mord an Ihrer Tochter sprechen?

Tanja K.: Ich möchte anderen mitgeben, lieber einmal mehr was zu sagen, als einmal zu wenig. Niemand konnte damit rechnen, dass so etwas passiert. Aber zu denken, die Tat hätte vielleicht verhindert werden können, raubt mir manchmal den Verstand. Johanna hatte Angst vor dem Täter. Sie hat einer Freundin davon erzählt, hat aber darauf bestanden, niemandem Bescheid zu geben. Im Prozess ist herausgekommen, dass der Täter auch anderen mit Äußerungen und Taten aufgefallen ist.

Lokalzeit: Wie hat die Tat Ihr Bild von Männern verändert?

Tanja K.: Vor der Tat kannte ich solche Begriffe wie Femizid oder den Orange Day nicht. Für mich war das sehr erschreckend, dass es für solche Taten überhaupt einen eigenen Namen gibt. Auf der anderen Seite gibt es das für Männer gar nicht. Ich bin so wie Johanna auch ein freundlicher Mensch, aber seit dieser Tat überlege ich ganz häufig: Kann so eine Freundlichkeit missverstanden werden? Es ist schlimm, wenn einem bewusst wird, dass es böse Menschen gibt, die das völlig falsch interpretieren und ausnutzen.

Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen"

Mädchen und Frauen, die Gewalt erleben oder bedroht werden, können sich an das Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" wenden. Unter der Nummer 116 016 und per Online-Beratung bekommen sie Unterstützung. Das Angebot ist anonym, kostenlos und barrierefrei. Er richtet sich an Menschen jeglicher Nationalität und berät auch Angehörige, Freunde oder Fachkräfte.

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Lokalzeit: Welche Erinnerungen haben Sie noch an den Tag, an dem Sie vom Tod ihrer Tochter erfahren haben?

Tanja K.: Ich erinnere mich noch an jede Sekunde. Ich hatte Johanna abends noch etwas geschrieben. Sie hatte Frühschicht. Eigentlich hat sie vor Schichtbeginn immer eine kurze Nachricht geschickt. Diesmal nicht. Bei der Arbeit habe ich irgendwann von einer Kollegin erfahren, dass gleich Notfallseelsorger kommen, weil von einem Mitarbeiter die Tochter gestorben sei. Als die Polizisten zu mir gekommen sind, habe ich sofort angefangen zu schreien. Ich habe so sehr geschrien, das werde ich nie vergessen. Die Polizisten haben mir gesagt, dass meine Tochter verstorben sei. Mehr habe ich in dem Moment nicht erfahren.

Johanna K. wurde vor zwei Jahren ermordert | Bildquelle: WDR

Lokalzeit: Wie ist es dann weitergegangen?

Tanja K.: Ich bin zur Kriminalpolizei und habe erfahren, dass die Polizisten von einem Tötungsdelikt ausgehen. Der Kopf platzt in so einem Moment. Man ist gebrochen und will gleichzeitig funktionieren, weil man ja helfen möchte. Man versucht sich an Dinge zu erinnern, um diese Fragen zu beantworten. Ich habe gefragt, ob ich Johanna sehen kann, aber der Kommissar hat mir davon abgeraten.

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Der Prozess

Lokalzeit: Wie konnte die Polizei den Täter schnappen?

Tanja K.: Die Polizisten haben mich gezielt nach männlichen Kontakten von Johanna gefragt und da habe ich unter anderem auch den Täter genannt. Der hat danach eine DNA Probe abgegeben, sich aber geweigert, sein Telefon zu zeigen. Er wollte sich dann absetzen und ist in Spanien festgenommen worden. Das war noch vor der Beerdigung. Es ging wirklich schnell, die Kripo hat toll gearbeitet. Im Nachhinein haben sie in seinem Telefon gesehen, dass er auch so etwas gegoogelt hat wie "DNA Spuren in Biss-Spuren" und solche Sachen.

Das Grab von Johanna K. | Bildquelle: WDR

Lokalzeit: Dann hat der Prozess begonnen. Wie haben Sie sich dabei gefühlt?

Tanja K.: Ich hatte wahnsinnige Angst und war aufgeregt. Es war erschreckend, wie nah dieser Täter saß. Als ich als Zeugin aussagen musste, bin ich in den Saal gegangen und habe den Täter angesehen. Dieses feige Monster hat mich nicht angesehen. Da habe ich gemerkt, ich bin gerade stärker. Es war, als wenn 20 Johannas da gewesen wären, die mich gehalten haben. Und dann habe ich es geschafft, diese Aussage zu machen und für Johanna stark zu sein.

Lokalzeit: Was hat Ihnen dabei geholfen?

Tanja K.: Es waren so viele Bekannte und Freunde da, die mich gestärkt haben. Ich hatte Johannas Teddybär dabei, der war ihr ein und alles. Der hat immer auf ihrem Bett gelegen. Ich habe den damals mit Blut verschmiert von der Polizei zurückbekommen.

Lokalzeit: Wie war es für Sie, als das Urteil verkündet wurde?

Tanja K.: Ich habe einmal laut aufgeschrien und geweint. Wir sind uns alle kurz in die Arme gefallen und waren so froh, dass fast das höchstmögliche Strafmaß verkündet wurde: lebenslänglich mit besonderer Schwere der Schuld. Ich hoffe, dass der Täter nie wieder auf freien Fuß kommt. Er hat für mich kein Recht auf ein Leben danach, ein Leben in Freiheit.

Lokalzeit: Wie machen Sie trotz allem weiter?

Tanja K.: Ich habe noch einen Sohn. Für den möchte ich weiter da sein, stark sein. Ich habe meine Familie, Freunde, einen tollen Lebensgefährten und auch fachliche Unterstützung. Ich mache eine Therapie, nehme Antidepressiva, es würde ohne nicht funktionieren. Und ich trage eigentlich immer etwas von Johanna: Ihre schrägen Socken und bunten Sneaker, Schmuck, Parfüm. Das macht mich traurig, aber hilft mir auch.