Nach Vergewaltigung: Wie eine Dürenerin anderen Betroffenen hilft
Stand: 28.08.2024, 17:02 Uhr
Mit Anfang 20 wird Ann-Kristin Waitschekauski vergewaltigt. Erst zieht sie sich komplett zurück. Doch Jahre später sucht sie den Weg in die Öffentlichkeit. Seitdem setzt sie sich unermüdlich für Betroffene von Gewalt ein. Dafür ist sie mit dem Sonderpreis für Zivilcourage des Kreises Düren ausgezeichnet. Die WDR Lokalzeit hat sie nicht zum ersten Mal besucht. Warum diesmal jedoch einiges anders ist.
Von Claudia Becker
2013, vor elf Jahren, erlebt Ann-Kristin Waitschekauski eine Nacht, die ihr ganzes Leben verändert. Heute steht die 32-Jährige auf der Terrasse ihres Hauses in Düren und kann offen über das reden, was damals passiert ist. Schulterlanges blondes Haar, knallroter Pulli, der Blick offen und selbstbewusst. Damals, erzählt Waitschekauski, wurde sie an einem Grillabend von einem Bekannten vergewaltigt.
Waitschekauskis Vergewaltigung war 2013 eine von laut Polizeilicher Kriminalstatistik 1850 bekannt gewordenen Vergewaltigungen und besonders schweren sexuellen Nötigungen. Bis 2022 stieg diese Zahl auf fast 3000. Die Dunkelziffer dürfte dabei noch höher liegen. Während die körperlichen Wunden bei den Opfern meist schnell verheilen, dauert die emotionale Aufarbeitung häufig Jahre. Waitschekauski entwickelt Phobien, kann ohne Begleitung nicht einkaufen gehen, nicht mal mit dem Hund rausgehen. Der Täter in ihrem Fall wird verurteilt, setzt sich aber ins Ausland ab und tritt die Haftstrafe nie an.
Wie hat Ann-Kristin Waitschekauski ihre Phobien in den Griff bekommen?
00:44 Min.. Verfügbar bis 28.08.2026.
Fast ein Jahrzehnt schweigt sie über ihre Erlebnisse, so wie viele Betroffene von sexualisierter Gewalt. Dann geht sie an die Öffentlichkeit. Zuerst will sie ihr Gesicht nicht zeigen, ihren richtigen Namen nicht nennen. Vor drei Jahren spricht sie auch mit der WDR Lokalzeit. Damals wirkt sie eingeschüchtert, versteckt sich hinter einer Kapuze, ihre Stimme ist so leise, dass sie schwer zu verstehen ist.
Auf dem Handy sieht sie sich diesen Beitrag heute noch mal an. Es fällt ihr sichtlich schwer. "Ich finde es so grausam, wie ich mich da versteckt habe, weil ich Angst hatte, was die Menschen da draußen denken", sagt sie. "Es ist fast schon beschämend für mich zu sehen. Ich kann heute nicht verstehen, dass ich mich damals so klein gemacht habe."
Der Gang in die Öffentlichkeit
In den drei Jahren zwischen diesem ersten Beitrag und heute hat die Mutter von zwei Kindern eine Entscheidung getroffen. Sie erzählt ihre Geschichte in den Sozialen Netzwerken und zeigt ihr Gesicht. Was dann geschieht, verblüfft sie.
Ann-Kristin Waitschekauski über die Reaktionen in den Sozialen Medien
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Bis heute haben rund 280 Betroffene die 32-Jährige kontaktiert. "Ihnen gebe ich meine Handynummer, darüber können sie mich rund um die Uhr kontaktieren." Sie hilft bei Behördenanträgen, hört zu, wann immer jemand ein offenes Ohr braucht.
Um zu verstehen, wie konkret Waitschekauskis Hilfe inzwischen aussieht, braucht es einen Ortswechsel. Von der Terrasse ihres Hauses in Düren geht es auf den Pferdehof im Hürtgenwald. Vorletztes Jahr hat sie eine Ausbildung gemacht, drei Pferde gekauft und ihre eigene Reittherapie "Ad vitam" gegründet. Übersetzt bedeutet der lateinische Begriff "Zurück ins Leben". Sie arbeitet vor allem mit Kindern und Jugendlichen, die durch Gewalt traumatisiert sind. "Ich bin selber traumatisiert worden. Ich verstehe meine Klienten blind." Mit ihren Pferden therapiert sie aber auch Menschen mit ADHS oder Autismus. Für ihren Einsatz für Betroffene von Gewalt hat sie im Mai 2024 den Sonderpreis für Zivilcourage der Stadt Düren bekommen.
Ihr Pferd war für Ann-Kristin Waitschekauski eine große Stütze
Ann-Kristin Waitschekauski ist nicht allein auf dem Pferdehof. Sie unterhält sich mit Michelle Meyer. Eigentlich hat die 29-Jährige einen anderen Nachnamen. 2022 wird Meyer in einem Club unter Drogen gesetzt, in eine Wohnung entführt und dort vergewaltigt. Einer der Täter wird zu fünf Jahren Haft verurteilt, flieht jedoch ins Ausland. Nach dem Ereignis findet sie keinen Therapieplatz. Auf der Suche nach Hilfe findet sie Waitschekauski auf Instagram und kontaktiert sie. Seitdem halten beide Kontakt. "Das hat mir auf jeden Fall geholfen. Ich habe mich verstanden gefühlt und wurde nicht alleingelassen. Die Menschen, die das nicht erlebt haben, verstehen mich nicht und hören oft auch gar nicht richtig zu." Waitschekauski ist es wichtig, Meyer folgendes mitzugeben:
Was Ann-Kristin Waitschekauski Michelle Meyer noch sagen will
00:22 Min.. Verfügbar bis 28.08.2026.
Bei der Reittherapie allein soll es nicht bleiben. Waitschekauski möchte in Zukunft einen Verein gründen, der noch mehr Betroffene zusammenbringt. Um wirklich zu verstehen, was andere durchgemacht haben.
Über dieses Thema haben wir auch am 22.05.2024 im WDR Fernsehen berichtet: Lokalzeit aus Aachen, 19.30 Uhr.