Rechtsanwalt Reinhard

Reinhard knows Recht: Juralexikon für die True-Crime-Community

Stand: 21.05.2023, 08:41 Uhr

Wer sich gerne mit True-Crime-Fällen beschäftigt, stößt immer wieder auf juristische Fachbegriffe. Was sie bedeuten erklärt Fachanwalt Hans Reinhardt hier

Ehrenmord

Gerichtsgutachten

Lebenslänglich

Sozialprognose im Strafvollzug

Strafbefehl

Wiederaufnahmeverfahren

Ehrenmord

Worum geht es in dem Fall?

Diala (*Name geändert) ist eine 20-jährige Frau aus Hagen. Ihre Familie ist syrisch-libanesisch. Diala zieht sich gerne freizügig an, trifft sich mit Männern und trägt kein Kopftuch. Der Familie gefällt das nicht. Ihr Lebensstil sei zu "westlich" und eine Schande für die Familie, heißt es. Die Familienehre sei durch sie gekränkt. Sie erlebt Missachtung und Gewalt in der Familie. Am 31.08.2008 wird Diala von ihrem Onkel und ihrem Cousin in ein Auto gelockt. Sie fahren mit ihr zu einem Parkplatz an der A45 und erschießen sie - um die Familienehre wiederherzustellen.

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Was bedeutet der Begriff?

Unter einem Ehrenmord versteht man ein Tötungsdelikt zur Wiederherstellung der Familienehre. Fast immer geht es um die völlige Unterwerfung der weiblichen Sexualität unter einen patriarchalen Familienwillen (meist einer Zwangsheirat). Widersetzt sich dem eine Frau, etwa durch Trennung oder einen zu modernen Lebensstil, beschmutzt sie in den Augen der Familie deren vermeintliche Ehre. Täter sind Bruder, Vater oder Ehemann.

Was ist das Problem?

Aus der Sicht des Juristen ist der Begriff Ehrenmord problematisch, denn er ist nicht so eindeutig, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Jemand, der einen anderen Menschen kaltblütig ermordet, kann nicht ehrenhaft handeln. Aktuell fordern immer mehr Stimmen, statt von "Ehrenmorden" von "Femiziden" zu sprechen. Also Tötungen von Frauen aufgrund patriarchaler Strukturen, die auf Frauenhass basieren.

Gerichtsgutachten

Worum geht es in dem Fall?

Der ehemalige Schulleiter Arno K. wird 2011 brutal erschlagen. Dann wird eine Leiche in Greven gefunden - durch extreme Gewalt so entstellt, dass erst eine Obduktion sicher seine Identität belegen kann. Doch wer waren der oder die Täter? Ein Gutachter der Rechtsmedizin hilft, den Fall zu lösen.

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Was ist Fakt?

Ein Gutachter wird dann hinzugezogen, wenn das Gericht wichtige Fragen aus eigener Sachkunde nicht beantworten kann. Meistens handelt es sich dabei um Fragen aus drei Bereichen:

Erstens: Ist der Angeklagte voll, teilweise oder nicht schuldfähig? Denn die Schuldfähigkeit kann etwa durch medizinische Aspekte von geistigen Erkrankungen, Affekten oder Rauschzuständen beeinträchtigt sein. Zweitens kann ein Gutachter aber auch nötig sein, um die Glaubwürdigkeit problematischer Zeugen zu klären. Drittens geht es um Fragen der Kriminalwissenschaften, die geklärt werden müssen etwa zu Fingerabdrücken, zum DNA-Abgleich oder der Rechtsmedizin bei ungeklärten Todesumständen.

Diesen Gutachten kommt extrem hohes Gewicht zu, da ein Richter nicht über medizinisch-naturwissenschaftliche Kenntnisse verfügt.

Was ist das Problem?

Ich erinnere mich etwa an einen Fall in dem ein maskierter Bankräuber durch einen "Nasengutachter" anhand eines kleinen freien Teils seiner Nase unter seiner Sturmhaube identifiziert werden konnte. Das zeigt, wie detailliert und präzise Gutachter arbeiten können und müssen.

In einem anderen Fall wurde ein Cold Case (ein bereits zu den Akten gelegter Raubüberfall mit Geiselnahme in Bochum) mittels DNA-Spuren an einer Maske vollständig aufgeklärt, die an einem ganz anderen Tatort aufgefundenen wurde.

Lebenslänglich

Worum geht es in dem Fall?

Fünf Frauen fallen zwischen den Jahren 1983 und 1990 dem Serienmörder Egidius Schiffer zum Opfer. Sie alle wollten per Anhalter mit ihm fahren und ahnten nicht, dass sie bei einem Mörder einsteigen.

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Was ist Fakt?

Bei "Lebenslänglich" handelt es sich in Deutschland um die höchste Strafe, die das Strafrecht kennt. Der Begriff suggeriert zwar, dass der Täter in der Folge für den Rest seines Lebens ins Gefängnis muss, tatsächlich sind es jedoch 15 Jahre. Anschließend folgt meist ein Gutachten, auf dessen Basis entschieden wird, ob die Haftstrafe verlängert werden muss oder nicht.

"Lebenslänglich" wird nur für ganz bestimmte Delikte ausgesprochen, dazu zählen Mord, Hochverrat, Spionage und diverse Gewalttaten mit Todesfolge. Anders als in den USA wird in Deutschland auch für mehrere Taten nur einmal "Lebenslänglich" ausgesprochen. Die durchschnittliche Verbüßungsdauer eines zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilten Täters liegt in NRW bei 18,5 Jahren.

Was ist das Problem?

Eine juristische Debatte um das Strafmaß "Lebenslänglich" gibt es aktuell nicht.

Strafbefehl

Worum geht es in dem Fall?

Eine 42 Jahre alte Wuppertalerin stirbt im November 2021 bei einem Verkehrsunfall. Der Wagen eines jungen Autofahrers erfasst sie beim Überqueren der Straße. Die Familie trauert, und ist nach eigener Aussage sehr wütend über die Aufarbeitung durch die Justiz. Einen Prozess gibt es nicht.

Was ist Fakt?

Gerichte können bei leichterer Kriminalität, sogenannte Vergehenstatbestände, auch ohne Verhandlung ein Strafmaß festsetzen. Zudem wird der Strafbefehl oft auch als Versäumnisurteil genutzt, wenn der oder die Angeklagte nicht zum Gerichtstermin erscheint. Das Strafmaß ist auf Geld- oder Freiheitsstrafen bis maximal ein Jahr mit Strafaussetzung zur Bewährung beschränkt.

Ein Strafbefehl hat einige Vorteile: Der Staat spart Kosten, die Justiz wird entlastet, Zeugen bleibt der Gang zum Gericht erspart. Beschuldigte vermeiden eine anstrengende öffentliche Hauptverhandlung, und wie beispielsweise im Fall von Marco Reus auch eine sonst sicher sehr umfangreiche Berichterstattung über genau diese.

Was ist das Problem?

Im Gegensatz zu einer gerichtlichen Hauptverhandlung muss sich beim Strafbefehl ein Richter allerdings nicht anhand diverser Beweismittel eine sichere Überzeugung bilden. Mutmaßliche Täter und Täterinnen können auch anhand der Aktenlage schuldig gesprochen werden. Das ist ein Kritikpunkt am Strafbefehl.

Sozialprognose im Strafvollzug

Worum geht es in dem Fall?

Frank Gust ist neun Jahre alt, als er sein Meerschweinchen mit einer Betonplatte erschlägt. Ab diesem Zeitpunkt entwickelt der spätere Serienmörder weitere grausame Charaktereigenschaften. Mit 13 dringt er in die Leichenhalle des Friedhofs Oberhausen ein. Mit 24 tötet er zum ersten Mal ein Pferd. Doch es bleibt nicht bei Tieren. Insgesamt tötet der so genannte Rhein-Ruhr-Ripper vier Frauen. Bereits 1994 deutet Frank Gust seiner Mutter gegenüber an, einen Mord begangen zu haben. Diese berichtet jedoch erst 1999 einer Freundin davon, die daraufhin die Polizei auf den Serienmörder aufmerksam macht. Kurze Zeit später wird er verhaftet. Ob Gust eines Tages freigelassen werden darf, muss letztendlich von psychologischen Gutachtern und den Gerichten entschieden werden.

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Was ist Fakt?

Unter einer Sozialprognose (auch Legalprognose) versteht man die kriminologisch-psychiatrische Risikoeinschätzung eines Straftäters. Im Mittelpunkt steht die Frage, ob er in Zukunft straffrei leben - und somit vorzeitig entlassen werden kann.

Die endgültige Entscheidung trifft allein ein Richter, der dabei auch einen Ermessensspielraum hat. Zur Vorbereitung auf diese Entscheidung werden allerdings verschiedene psychiatrische Gutachten erstellt. Die setzen sich mit der Tat, der Persönlichkeit des Täters und seiner Entwicklung im Strafvollzug auseinander.

Was ist das Problem?

Gerade bei Gewaltdelikten (insbesondere im Sexualbereich) muss zwingend ein schriftliches Gutachten eines Sachverständigen eingeholt werden. Bei derartigen Delikten will und muss man auf Nummer sicher gehen, denn die Rückfallgefahr wird bei triebgesteuerten Taten weitaus höher eingeschätzt. In der Praxis ist es schon häufig zu Rückfällen und damit zu falschen Prognosen gekommen, entsprechend ist hier besondere Vorsicht geboten. Andererseits müssen aber gerade bei Prognosen auch Risiken in Kauf genommen werden.

Wiederaufnahmeverfahren

Worum geht es in dem Fall?

Im April 1957 wird am Aasee in Münster die Leiche von Hermann Rohrbach gefunden. Kopf und Beine fehlen. Schnell fällt der Verdacht auf die Ehefrau. Maria Rohrbach wird in einem Indizienprozess zu lebenslanger Haft verurteilt. Jahre später taucht ein Totenschädel auf. Es ist der Kopf von Hermann Rohrbach. Sitzt Maria Rohrbach unschuldig im Gefängnis? Das Gericht rollt den Fall erneut auf - mit überraschenden Erkentnissen:

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Was ist Fakt?

Die Rechtskraft von Urteilen kann aus Gründen der Gerechtigkeit - zur Vermeidung oder Korrektur eines „Justizirrtums“ - durchbrochen werden, allerdings nur unter ganz engen Voraussetzungen. Denn grundsätzlich haben auch Fehl-Urteile ihre Gültigkeit.

Hier die wichtigsten Gründe für ein Wiederaufnahmeverfahren zugunsten eines Verurteilten: Neue Tatsachen oder Beweismittel sind aufgetaucht, die vom Gericht vorher nicht berücksichtigt wurden. Oder es stellt sich später heraus, dass ein Zeuge gelogen hat.

Ein Strafverfahren kann auch gegen einen freigesprochenen Angeklagten wieder aufgerollt werden, wenn er nachträglich ein Geständnis ablegt. Bei Mord ist es wiederum möglich, wenn weitere nachträgliche Beweismittel wie zum Beispiel später gefundene DNA-Spuren ermittelt wurden.

Was ist das Problem?

In der Praxis sträuben sich die Gerichte in der Regel gegen Wiederaufnahmeverfahren, da sie ungern ihre eigenen Urteile in Frage stellen. Meistens wird ein Wiederaufnahmeverfahren deshalb auch nicht beim gleichen Gericht durchgeführt, sondern an ein Gericht eines anderen Bezirkes verwiesen.