Eine blonde Frau hat ein Kleinkind mit blonden Haaren im Arm.

Tochter der ermordeten Petra Nohl: "Für mich stand fest, dass er der Täter war"

Köln | Verbrechen

Stand: 03.03.2025, 17:00 Uhr

Karneval 1988 wird die 24-jährige Kölner Friseurin Petra Nohl ermordet. Der Täter wird erst 35 Jahre später gefasst und in einem Indizienprozess wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Die Tochter von Petra Nohl, die zur Tatzeit erst 18 Monate alt war, spricht mit Lokalzeit.de über ihre Mutter, den Täter und ihre Gefühle während des Prozesses.

Von Axel Sommer

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Petra Nohl: Karnevalsmord nach 35 Jahren aufgeklärt

Im Dezember 2022 sorgt die ZDF-Sendung "Aktenzeichen XY ungelöst" nach 35 Jahren für den Durchbruch bei den Ermittlungen im Fall Petra Nohl. Die 24-jährige Kölnerin hatte am Karnevals-Samstag 1988 bis in die Nacht gefeiert und wollte anschließend zu Fuß in eine weitere Diskothek. Dort kam sie nie an. Ihre Leiche wurde am nächsten Morgen hinter einem Getränkewagen in der Albertusstraße gefunden. Die Gerichtsmediziner, die ihre Arbeit während des durch die Straße ziehenden Karnevalszugs erledigen mussten, stellten fest: Petra Nohl wurde schwer misshandelt und erdrosselt.

Ein Bierwagen mit der Aufschrift "Ganser Kölsch". Eine Pylone markiert ihn als Tatort.

An diesem Getränkewagen wurde Petra Nohls Leiche entdeckt

Nach der Ausstrahlung von "Aktenzeichen XY ungelöst" meldet sich ein Mann, der in der Tatnacht gemeinsam mit einem Freund unterwegs war. Dieser Freund sei Petra Nohl damals von einem Taxistand aus nachgegangen. Die Kölner Kripo nimmt eine DNA-Probe von dem Verdächtigen und landet einen Treffer: Aufgrund der Spuren an der Leiche und der Aussage des ehemaligen Freundes kann der heute 57-jährige Kölner Familienvater Norbert K. überführt werden. Im März 2024 wird er vom Kölner Landgericht wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Die Tat bestreitet er bis heute.

Die Tochter der getöteten Petra Nohl, wir nennen sie in diesem Beitrag Katja S., war beim Mord an ihrer Mutter 1988 gerade einmal 18 Monate alt. Katja S. hat eigentlich einen anderen Namen. Der soll zum Schutz ihrer Privatsphäre aber geheim bleiben. Im Januar 2023 erhält die damals 36-Jährige einen Anruf vom Leiter der Kölner Cold-Case-Einheit. In diesem Anruf teilt ihr der Ermittler mit, dass die Polizei einen Mann unter dringendem Tatverdacht verhaftet hat.

Der Vater von Katja S., damals selbst kurz unter Verdacht geraten, erlebte die Festnahme des wahren Täters nicht mehr. Kurz bevor der Fall wieder aufgenommen wurde, verstarb er in Köln. Katja S. aber nimmt als Nebenklägerin am Verfahren teil. Lokalzeit MordOrte hat nun nach dem Prozess einen zweiten Film über den Fall Petra Nohl veröffentlicht.

Für Lokalzeit.de sprach Autor Axel Sommer mit Petra Nohls Tochter Katja S. über den Prozess, die tiefe Verbindung und nie erlebte Momente.

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"Ich konnte kaum atmen"

Lokalzeit: Erinnern Sie sich an den Moment, als Sie den damals Tatverdächtigen zum ersten Mal im Gerichtssaal gesehen haben?

Katja S.: Ja, dieser schreckliche Moment ist mir noch gut im Gedächtnis. Ich saß neben meiner Anwältin und warf einen vorsichtigen Blick zu ihm hinüber. Er schaute jedoch nicht zurück. Die Vorstellung, mit ihm im selben Raum zu sein, war unerträglich. Meine Kehle fühlte sich wie zugeschnürt an, ich konnte kaum atmen. Für mich stand von Anfang an fest, dass er der Täter war.

An einer Wand hängen zwei Fahndungsplakate zum Fall Petra Nohl.

Die Fahndungsplakate im Fall Petra Nohl

Lokalzeit: Warum waren Sie sich so sicher?

Katja S.: Das kann ich nicht genau erklären, es war eine Intuition. Vielleicht lag es an seiner Art oder seinem Auftreten. Ständig musste ich daran denken, dass er der letzte Mensch war, der meine Mutter lebend gesehen hat.

Lokalzeit: Ist das nicht ein schlimmer Gedanke?

Katja S.: Schrecklich, oder? Aber diese Bilder im Kopf lassen sich nicht einfach abschalten. Aus den Berichten von damals weiß ich, wie verzweifelt sich meine Mutter gewehrt haben muss. Doch sie war ihm körperlich einfach vollkommen unterlegen. Was er ihr angetan hat, ist unfassbar. Der Gerichtsmediziner sprach beim Prozess von einem sogenannten 'Overkill'.

Ein Mann versteckt sein Gesicht vor Gericht hinter einer Mappe.

Der Mörder ihrer Mutter saß Katja S. im Gericht direkt gegenüber

So etwas Schlimmes habe er in seinen über 43 Jahren als Gerichtsmediziner noch nie gesehen. Da bin ich aufgestanden und habe den Saal verlassen. Das wollte ich mir nicht anhören. Ein wenig Trost gab mir immer der Gedanke, dass meine Mutter in ihren letzten Sekunden wahrscheinlich an mich gedacht hat. Wenn ich mich als Mutter in so eine Situation hineinversetzte, bin ich mir sicher: Ich werde ihr letzter Gedanke gewesen sein.

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"Ein Teil von ihr lebt in mir weiter"

Lokalzeit: Sie waren zum Zeitpunkt der Tat erst 18 Monate alt. Haben Ihnen Familie und Freunde erzählt, wie Ihre Mutter war?

Katja S.: Ja, mein Vater sagte oft, dass ich ihr ähnlich bin - im Aussehen, in der Art zu sprechen. Auch ihre beste Freundin von damals hat mir immer wieder gesagt, ich sei wie meine Mutter. Das fühlt sich gut an, weil es mir zeigt, dass ein Teil von ihr in mir weiterlebt. Sie war ein emotionaler Mensch, sehr sensibel, aber auch fröhlich. Eine gute Freundin meiner Mutter erzählt immer, sie sei wie ein Magnet gewesen. Wenn sie den Raum betrat, drehten sich alle zu ihr um. Und sie war eine gute Mutter. Viele erinnern sich daran, wie toll sie sich um mich gekümmert hat. Ich war das Wichtigste in ihrem Leben. 

Nahaufnahme von Händen

Katja S. half es, mit ihrer Mutter zu sprechen, um ihren Tod zu verarbeiten

Lokalzeit: Wie haben Sie Ihrer Mutter gedacht?

Katja S.: Ich besuche oft ihr Grab am Friedhof, pflegte es viele Jahre selbst und habe immer an sie gedacht. Jeden Abend vor dem Schlafengehen sprach ich zu ihr, in der Hoffnung, dass sie mich hören kann. Niemand weiß, was nach dem Tod kommt, aber diese Vorstellung hat mir geholfen.

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Hängepartie

Lokalzeit: Im September 2023 begann der Prozess gegen den Mörder Ihrer Mutter, ein halbes Jahr später folgte das Urteil. Wie ging es Ihnen unmittelbar nach der Urteilsverkündung?

Katja S.: Ich war total erleichtert. Ein Freispruch wäre für mich unerträglich gewesen, ich hätte sofort den Saal verlassen. Das hätte ich nicht ausgehalten. Ich weinte unaufhörlich und konnte mich gar nicht beruhigen. Bei der Urteilsbegründung hörte ich schon gar nicht mehr zu. Die las ich erst später im schriftlichen Protokoll nach. In diesem Moment schaute ich nach oben und sprach zu meinen Eltern.

Lokalzeit: Was sagten Sie zu ihnen?

Katja S.: Wir haben es geschafft. Das fühlte sich richtig gut an. Ein halbes Jahr lang vor Gericht zu erscheinen, war nicht umsonst. Als das Urteil fiel, fiel auch eine riesige Last von mir selbst ab.

Lokalzeit: Die Verteidigung legte damals Revision gegen das Urteil ein, sodass der Bundesgerichtshof das Urteil prüfen musste. Wie erlebten Sie diese Zeit?

Katja S.: Ich wollte das nicht so richtig an mich heranlassen. Für mich war das Urteil gesprochen. Trotzdem schwang natürlich immer der kleine Zweifel mit: Was, wenn der BGH anders entscheidet? Dann würde alles von Neuem beginnen. Ich weiß nicht, ob ich die Kraft dazu gehabt hätte.

Lokalzeit: Im Dezember 2024 erklärte der BGH das Urteil für rechtskräftig. Wie geht es Ihnen damit heute?

Katja S.: Jahrzehntelang konnte der Täter sein Leben weiterführen, während mir ohne meine Mutter dieses Recht verwehrt blieb. Das wollte ich nicht hinnehmen. Sogar an ihrem Grab bat ich sie früher immer um ein Zeichen, wer der Täter war. Die endgültige Verurteilung ist deshalb eine riesige Erleichterung.