Der Hinterkopf von Esther K., deren Vater ihre Schwester und sich selbst getötet hat

Vater tötete ihre Schwester: "Liebe ihn genauso wie vorher"

Essen | Verbrechen

Stand: 17.02.2025, 17:01 Uhr

Die Suche nach der großen Liebe im Internet endet im Fall von Uwe K. aus Essen tragisch. Am Ende tötet er nicht nur sich selbst, sondern auch eine seiner beiden Töchter. Wie geht es der überlebenden Tochter damit? Kann sie ihren Vater nach so einer Tat noch lieben? Das erzählt sie im Interview.

Von Hamzi Ismail

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Love-Scamming endet tödlich

Etwa 2020 lernt ein Mann, nennen wir ihn Uwe K., eine Frau im Internet kennen und verliebt sich Hals über Kopf. Eigentlich hat er einen anderen Namen. Sie treffen sich einige Male persönlich in Essen, doch die meiste Zeit führen sie eine Fernbeziehung. Die Freundin von Uwe K. lebt und arbeitet angeblich irgendwann in New York.

Eines Tages erzählt sie ihm von einem millionenschweren Erbe einer Tante. Um das Erbe anzutreten, benötige sie immer wieder Geld, um den Anwalt und Rechnungen zu begleichen. Am Ende streckt Uwe K. ihr rund 100.000 Euro vor. Dafür verschuldet sich der geschiedene Familienvater hoch, kann nicht mal mehr den Wocheneinkauf für sich und seine bei ihm lebende Tochter Nadine bezahlen. Auch Nadine hat eigentlich einen anderen Namen.

Verzweiflung macht sich breit. Sie wird so groß, dass der zweifache Vater im Juli 2023 zunächst seine 19-jährige Tochter tötet. Er glaubt, sie könne ohne ihn nicht weiterleben und sei finanziell auf ihn angewiesen. Anschließend wirft sich K. vor einen fahrenden Zug und tötet sich selbst. Zurück bleibt Uwe K.s zweite Tochter Esther (23) und viele ungeklärte Fragen. Warum hat er sich keinem anvertraut? Wieso ist er nicht zur Polizei gegangen? Weshalb brachte er seine unschuldige, jüngere Tochter um?

Diesen Fragen ist MordOrte-Host Hamzi Ismail in einer ersten Doku über den Fall nachgegangen. Damals sprach er auch mit einem Experten darüber, welche Folgen der Liebesbetrug haben kann und wie man ihn erkennt. Im zweiten Teil spricht er mit Uwe K.s zweiten Tochter Esther. Für Lokalzeit.de hat Ismail sich mit ihr über ihr Leben nach der Tat unterhalten. Ihr Gesicht will sie dabei lieber nicht zeigen.

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Wie geht es dir?

Lokalzeit: Es ist jetzt etwa anderthalb Jahre her, dass dein Vater sich und deine Schwester getötet hat. Wie geht es dir heute?

Esther: Besser. Ich habe mich etwas gefangen und bin psychisch wieder stabiler. Ich denke jeden Tag an meinen Vater und meine Schwester. Doch ich weine nicht mehr täglich. Es gibt aber nach wie vor Phasen, in denen ich auch wieder in ein Loch falle.

Ein Journalist interviewt eine Frau, die unerkannt bleiben möchte

Hamzi Ismail mit Esther im Interview

Lokalzeit: Kannst du diese Phasen beschreiben?

Esther: Vor allem zu besonderen Anlässen wie Geburtstagen oder an Weihnachten ist es sehr schwer. Da vermisse ich sie sehr. Mir fehlen die Gespräche mit meinem Vater. Wir haben immer sehr viel und über alles geredet. Er war eine enge Vertrauensperson für mich. Mit meiner Schwester habe ich immer viel Unsinn gemacht und herumgealbert, wir hatten denselben Humor. Das fehlt mir.

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Opfer und Täter zugleich

Lokalzeit: Dein Vater war einerseits Opfer, da er um viel Geld betrogen wurde. Andererseits war er Täter, indem er deine Schwester mit in den Tod nahm. Was hast du ihm gegenüber nach der Tat empfunden?

Esther: Kurz nach der Tat habe ich Wut für das empfunden, was er meiner Schwester angetan hat. Und Wut darüber, dass er sie mir genommen hat. Ich konnte nicht verstehen, warum er meine Schwester umgebracht hat, mich aber nicht. Warum er mich alleine zurückgelassen hat. Ich war in einem völligen Gefühlschaos, hatte auch Schuldgefühle. Habe ich nicht gut genug auf meinen Vater Acht gegeben? Warum bin ich nicht früher zur Polizei gegangen und habe ihr von meinem unguten Gefühl gegenüber dieser Frau aus dem Internet berichtet?

Lokalzeit: Und was empfindest du deinem Vater heute gegenüber?

Esther: Heute bin ich nicht mehr wütend. Es ist eher so, dass ich mich alleine gelassen fühle und eine tiefe Traurigkeit in mir trage. Doch er bleibt für immer mein Vater. Ich liebe ihn genauso wie vorher.

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Die Frage nach dem "Warum"

Lokalzeit: Wie hat sich deine Trauer im Laufe der Zeit verändert?

Esther: In den ersten drei bis vier Monaten danach war ich so traurig, dass ich jeden Tag geweint habe. Manchmal mehrere Stunden. Gegen Ende des Jahres 2023 habe ich mich dann ein wenig gefangen. Ich habe damals entschieden, aus Essen wegzuziehen. Das hat etwas vom inneren Stress abgebaut und mir geholfen. In den Monaten darauf habe ich mich ins Leben zurückgekämpft.

Esther und ihre Schwester Nadine* als Kinder

Esther und ihre Schwester Nadine (Name geändert) als Kinder

Lokalzeit: Hast du das Gefühl, deine Mitmenschen gehen seit dem Ereignis anders mit dir um?

Esther: Das ist sehr unterschiedlich. Die Einen sprechen das, was passiert ist, ganz bewusst nicht an und versuchen es umständlich zu umschreiben. Andere wiederum, zum Beispiel meine Oma, sprechen die ganze Zeit darüber, wenn sie mich sehen. Sie stellen Fragen nach dem "Warum". Die kann ich aber selbst kaum beantworten. Insgesamt fällt mir der Umgang mit anderen schwierig. Denn viele Dinge triggern mich sehr schnell und lassen mich an die Umstände und den Tod meines Vaters und meiner Schwester denken.

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Was hilft?

Lokalzeit: Hattest du psychologische Hilfe, die dich bei diesem Prozess unterstützt hat?

Esther: Ja, ich habe eine Psychotherapie angefangen, aber das hat mir zu der Zeit nicht geholfen. Daher habe ich die Therapie nach einigen Sitzungen abgebrochen. Ich wollte nicht ausschließlich selbst reden, während mir jemand zuhört. Ich brauchte mehr Interaktion für die Reflexion.

Lokalzeit: Was hat dir stattdessen und besser geholfen bei deiner Trauerbewältigung?

Esther: Ich nehme Antidepressiva, die helfen mir noch immer. Sie stabilisieren mich und haben zudem eine schlaffördernde Wirkung. Guter Schlaf tut mir gut. Außerdem versuche ich mich stärker auf die Gegenwart und meine Zukunft zu konzentrieren. Das hilft mir dabei, das Vergangene beiseite zu schieben, wenn es mich wieder sehr belastet.