Kriminalfälle aus NRW: Was ist mit Jens Bleck passiert?
Stand: 05.02.2024, 08:13 Uhr
Im November 2013 kommt der 19-jährige Jurastudent Jens Bleck aus Bonn unter mysteriösen Umständen ums Leben. Nach jahrelangen Ermittlungen stellt die Polizei den Fall ergebnislos ein. Doch die Eltern geben die Hoffnung nicht auf, dass der Tod doch noch aufgeklärt werden kann.
Von Mareike Maack
Am Abend des 8. November 2013 sehen Alma und Torsten Bleck ihren Sohn Jens zum letzten Mal lebend. Sie bringen ihn zu einer Geburtstagsfeier im Bonner Stadtteil Bad Godesberg. Später an diesem Abend fährt Jens Bleck mit seinen Freunden weiter nach Bad Honnef. Sie wollen dort in der Diskothek "Rheinsubstanz" feiern.
Nur Stunden später ist der 19-jährige Jurastudent tot. Seine Leiche wird zwei Wochen später im Norden Kölns aus dem Rhein geborgen. Was für die Eltern seitdem bleibt, sind neben großem Schmerz auch viele offene Fragen und Ungereimtheiten.
Die WDR Lokalzeit rekonstruiert gemeinsam mit dem Journalisten Wolfgang Kaes die Nacht, in der Jens Bleck starb. Kaes beschäftigt sich seit Jahren intensiv mit dem Fall und hat für den Bonner "General-Anzeiger" selbst mit Zeugen gesprochen.
23.49 Uhr: Ein Abend in der Diskothek
Es ist 23.49 Uhr am 8. November 2013, als Jens Bleck und seine Freunde die Diskothek "Rheinsubstanz" betreten. Überwachungskameras fangen ein, wie Bleck rund zwei Stunden später im Eingangsbereich des Clubs mit einer Mitarbeiterin und anschließend mit der Schichtleiterin spricht.
Die Rheinsubstanz (Archivbild) - heute steht dort ein Fitnesscenter
Beide geben nachher an, dass Bleck aufgebracht gewesen sei. Er habe damit gedroht, den Laden zu verklagen. Warum genau, daran kann sich später keine der beiden Frauen mehr erinnern. Bleck bekommt Hausverbot und wird nach draußen begleitet. Der 19-Jährige möchte dann offenbar nach Hause. Er geht zur Haltestellte direkt neben der Diskothek, um die letzte Bahn nach Bad Godesberg zu nehmen. Doch die fällt wegen nächtlicher Gleisbauarbeiten aus.
"Jens geht zu einem Taxistand und sagt: 'Können Sie mich nach Hause fahren? Ich habe nicht mehr genug Bargeld, aber ich habe eine Karte. Wenn wir unterwegs an einem Geldautomaten halten, dann kann ich Geld abheben und sie bezahlen'", berichtet Journalist Wolfgang Kaes. "Die Taxifahrer wollen ihn aber nicht fahren und sagen, dass das nur gegen Vorkasse geht."
Wolfgang Kaes recherchierte zum Fall Jens Bleck
Als Bleck entgegnet, dass er Angst habe und verfolgt werde, schicken die Taxifahrer ihn zu zwei Polizisten. Die stehen mit ihrem Streifenwagen direkt neben dem Taxistand und sind damit beschäftigt, einen leichten Verkehrsunfall mit Fahrerflucht aufzunehmen. "Die Beamten reagieren relativ unwirsch auf Jens Bleck, weil er im Spurenbild stehe. Sie haben ihn abgewiesen", so Wolfgang Kaes.
Bleck unternimmt, so haben es die Taxifahrer selbst ausgesagt, einen neuen Versuch. Er geht wieder zum Taxistand, versucht, die Fahrer zu überreden. Dann geht er nochmal zu den Polizisten, bittet um Hilfe. Beides erfolglos. "Aus dem Nichts kommen plötzlich zwei Männer, nehmen Jens Bleck in die Mitte und sagen zur Polizei: 'Wir kümmern uns um den.'"
2.42 Uhr: Jens Bleck mit blutiger Nase
Die jungen Männer gehen mit Bleck weg. Kurze Zeit darauf soll er aus beiden Nasenlöchern geblutet haben, so berichtet es einer der beiden Taxifahrer später. Es ist 2.42 Uhr. Videoaufnahmen belegen, dass Bleck trotz Hausverbots zurück in die "Rheinsubstanz" geht. Doch er kommt nicht weit. Zwei Türsteher fangen den Jura-Studenten ab und eskortieren ihn erneut aus dem Club.
"Jens hält sich noch am Türrahmen fest, aber er hat keine Chance", sagt Kaes. Der 19-Jährige läuft in Richtung der nahe gelegenen Grafenwerther Brücke, die über den Rhein führt und Bad Honnef mit der Insel Grafenwerth verbindet. Dort begegnet er zwei Männern und einer 17-jährigen Frau.
Schrei auf der Grafenwerther Brücke
Die beiden befinden sich nachweislich mit Bleck auf der Brücke, als ein Schrei der jungen Frau Polizisten alarmiert, die sich wegen des Verkehrsunfalls ganz in der Nähe aufhalten. Die beiden Männer sagen den Beamten, ein Mensch sei im Wasser unter der Brücke durchgetrieben. Der Rhein hat in dieser Nacht Hochwasser.
5 Uhr morgens: Jens Bleck ist tot
Es ist etwa 5 Uhr, als es bei Alma und Torsten Bleck, den Eltern von Jens Bleck, an der Tür klingelt. Davor steht ein Polizist. "Er fragte, ob Jens da wäre. Als wir 'nein' sagten, redete er direkt weiter und sagte, dass Jens im Rhein ertrunken sei. Meine Frau knickte sofort ein, brach fast zusammen“, erinnert sich Torsten Bleck. Nach 14-tägiger Suche wird die Leiche von Jens Bleck in Köln am Rheinufer geborgen.
Torsten Bleck will die Hoffnung nicht aufgeben
Danach passiert lange nichts. Die Staatsanwaltschaften Köln und Bonn schieben sich die Zuständigkeiten über Monate hin und her. Alma und Torsten Bleck haben das Gefühl, dass nicht richtig ermittelt wird. Sie bitten Journalist Wolfgang Kaes um Hilfe. Der schreibt für den Bonner "General-Anzeiger" mehrere Artikel. "Ich habe in meinen Artikeln viele Fragen aufgeworfen. Das führte dazu, dass offenbar nochmal richtig ermittelt wurde. Und bei diesen Ermittlungen fand man plötzlich zwei Tatverdächtige", so Kaes.
Diese beiden Männer sind bis heute bei der Staatsanwaltschaft Bonn als tatverdächtig geführt. Im März 2018 wird die 17-Jährige, die mit den beiden Männern auf der Brücke war, als Jens Bleck ins Wasser geriet, zu einer richterlichen Vernehmung unter Eid bestellt. Die Befragung, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet, dauert nicht lange. Die 17-Jährige macht vom Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch.
Sechs Jahre später: Der Fall wird eingestellt
Im Jahr 2019 stellt die Staatsanwaltschaft Bonn das Verfahren mangels Beweisen ein. Auf WDR-Anfrage teilt die Staatsanwaltschaft dazu schriftlich mit: "Das hier anhängige Ermittlungsverfahren ist im Mai 2019 gemäß Paragraf 170 Absatz 2 der Strafprozessordnung eingestellt worden, da letztlich kein Erkenntnisgewinn zu der Frage in Erfahrung gebracht werden konnte, unter welchen Umständen Herr Bleck in den Rhein gelangt ist und ob beziehungsweise wer hierfür in strafrechtlich relevanter Weise zur Verantwortung zu ziehen wäre."
Was vor dem Tod von Jens Bleck in der Diskothek passiert ist, lässt sich heute nicht mehr nachvollziehen - auch, weil acht von zwölf Kameraaufnahmen aus der "Rheinsubstanz" gelöscht wurden. Das habe damals ein Polizist so entschieden, heißt es.
Über zehn Jahre sind seit dem Tod des 19-Jährigen vergangen. Alma und Torsten Bleck hoffen weiter auf Aufklärung. Dafür suchen sie Zeugen, denen in der Nacht etwas aufgefallen ist. "Auch der kleinste Hinweis kann sehr bedeutend sein. Wir haben in diesen zehn Jahren gelernt, dass Kleinigkeiten ganz wichtig sind. Jeder, der etwas weiß, auch nicht nur gesehen hat, soll sich bitte melden."
Hinweise zum Fall Jens Bleck nehmen wir, für unsere weitere Recherche, unter folgender E-Mail-Adresse entgegen: lokalzeithinweise.mordorte@wdr.de.