Zehn Fragen an einen Cold-Case-Ermittler

Köln | Verbrechen

Stand: 04.09.2023, 16:22 Uhr

Vor eineinhalb Jahren hat die Kölner Polizei eine eigene Cold-Case-Abteilung gegründet. Für Wirbel sorgten die Ermittler zuletzt, weil sie im Kölner Karnevalsmord - dem Fall Petra Nohl - nach 35 Jahren einen Tatverdächtigen ermittelt haben. Wir haben mit dem Leiter der Abteilung, Markus Weber, über seine Arbeit gesprochen.

Von Sarah Schröer López (Interview)

1. Lokalzeit: Je nachdem wie alt ein Cold Case ist, gibt es ja heute ganz andere Ermittlungsmöglichkeiten. Was bedeutet das für Ihre Arbeit?

Markus Weber: Die herausragende Geschichte ist natürlich immer die DNA, weil die Entwicklung da rasant fortgeschritten ist. Früher brauchte man eine Blutspur – am besten optisch sichtbar, damit man sie sichern konnte. Als Analyse-Ergebnis kamen Blutgruppen raus, mit denen man arbeiten konnte. Aber damit kann ich keinen einzelnen Täter finden. Heute bekommt man mit jeder Blutspur auch DNA. Aber zum Beispiel auch aus Griffspuren, wenn also jemand etwas angefasst hat, oder von Folien, die am Tatort genutzt wurden.

2. Lokalzeit: So war das doch auch beim Fall Petra Nohl, oder?

Weber: Genau. Nachdem wir bei “Aktenzeichen XY” den Hinweis auf eine bestimmte Person bekommen haben, haben wir die Folien untersucht, mit denen der Leichnam damals abgeklebt wurde. Darunter haben wir die DNA des Verdächtigen gefunden.

Alle Details zum Mordfall Petra Nohl, finden Sie in dieser YouTube-Folge von Lokalzeit MordOrte:

3. Lokalzeit: Wird diese Methode heute noch angewendet?

Weber: Ja. Diese Folien kann man sich vorstellen wie ein breites Klebeband. Damit werden vorrangig Faserspuren und Mikrospuren gesichert. Die kann man heute auf DNA untersuchen, weil in der Regel fremde Hautschuppen dabei sind. Leider gibt es aber auch Cold Cases, in denen diese Folien nicht aufbewahrt wurden.

4. Lokalzeit: Und wo sind die Folien, die nicht entsorgt wurden?

Weber: Also grundsätzlich läuft es so, dass Asservate von einem Fall zur Staatsanwaltschaft geschickt werden. Das passiert meistens, wenn die Ermittlungen abgeschlossen sind oder wenn man nicht weiterkommt. Wir haben uns hier in Köln die ganzen Asservate der Cold Cases zurückgeholt und haben jetzt einen eigenen Asservatenraum.

5. Lokalzeit: Kann man sagen, welche Spuren am ehesten zum Erfolg führen?

Weber: Das müssen wir in ein paar Jahren analysieren. Zeugenaussagen können schwierig sein. Zeugen nehmen Dinge unterschiedlich wahr, manchmal auch falsch. Natürlich gibt es sehr gute Zeugenaussagen, wenn jemand wirklich gesehen hat, was passiert ist. Aber mir ist es immer lieber, wenn wir eine vernünftige DNA-Spur haben. Da gibt es weniger zu rütteln.

6. Lokalzeit: Wie sieht Ihre Ermittlungsarbeit derzeit aus?

Weber: Als wir mit der Abteilung gestartet sind, hatten wir diese Liste mit 195 offenen Fällen, die wir erstmal auswerten mussten und auch noch müssen. Danach steht die ganz normale Ermittlungsarbeit an: Wir führen zum Beispiel Vernehmungen durch. Aber auch verdeckte Maßnahmen wie Telefonüberwachungen sind denkbar. Ein großer Bereich ist die Öffentlichkeitsarbeit. Wir gehen mit Fällen etwa zur ZDF-Sendung "Aktenzeichen XY… Ungelöst".

7. Lokalzeit: Wie sind solche Aufrufe?

Weber: Der Fall Petra Nohl hat gezeigt, dass es auch nach 35 Jahren noch Leute gibt, die ihr Schweigen brechen. Da war der Auslöser eben, dass wir mit dem Fall bei "Aktenzeichen XY" waren. Es gibt auch andere Fälle, in denen sich Zeugen nach Jahrzehnten melden.

8. Lokalzeit: Woran liegt das?

Weber: Ein Grund kann sein, dass der Täter inzwischen verstorben ist. Dann weiß der Zeuge: Jetzt kann nichts mehr passieren. Gleichzeitig ist die Tat vielleicht so schlimm, dass man den Fall klären möchte und der Polizei dann hilft. In meiner Zeit bei der Mordkommission, als ich mich mit aktuellen Fällen beschäftigt, war ich auch ein paar Mal bei "Aktenzeichen XY". Damals gab es keine zielführenden Hinweise. Bei Cold Cases scheint das eher zu funktionieren. Das heißt nicht, dass man eine Tat immer klären kann. Aber manchmal kann man zum Beispiel Abläufe der Tathandlung klären. Auch sowas kann den Angehörigen Klarheit bringen.

9. Lokalzeit: Welche Rolle spielen Fallanalytiker, also Profiler, bei Ihrer Arbeit?

Weber: Das Bundeskriminalamt hat eine Truppe mit Fallanalytikern. Die nennt sich OFA – operative Fallanalyse. Wenn wir einen ungeklärten Fall haben, können wir den an die OFA geben. Die Fallanalytiker haben ein ganzes Netzwerk von Fachleuten: Forensiker und Psychiater etwa. Die OFA arbeitet auch mit Spuren und Tatortberichten und schaut, welche Rückschlüsse man daraus auf einen Täter ziehen kann. Im Optimalfall erstellen die Fallanalytiker ein Täterprofil. Das ist natürlich eine Wahrscheinlichkeitsaussage. Niemand kann sagen: Das ist zu hundert Prozent so, aber das kann uns in den Ermittlungen helfen.

10. Lokalzeit: Wann ist denn der Moment gekommen, in dem Sie sagen müssen: Den Cold Case können wir nicht lösen!?

Weber: Das hängt von vielen Faktoren ab. Zum einen, wenn die Spurenuntersuchung negativ verläuft. Also wenn es eben keine Fremdspuren gibt, die man verwerten kann. Zweitens: Wenn durch die Öffentlichkeitsfahndung nichts kommt. Und wenn die Akte auch sonst nichts hergibt. Unter Umständen gibt es noch Zeugen, bei denen man sagt: Die haben damals nicht die Wahrheit gesagt oder vom Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht, die man nochmal befragen kann. Aber wenn es irgendwann keine neuen Ermittlungsansätze gibt, dann muss man das so hinnehmen. Auch wenn es schwierig ist, gerade für die Angehörigen. Irgendwann kommt auch der Moment, in dem alle Beteiligten tot sind. Dann muss man sich natürlich fragen, inwiefern es noch Sinn macht, Energie in einen Fall zu stecken.

Das Interview führte Sarah Schröer López.