Graues Auto des Opfers steht mit offenen Türen und Motorhaube auf Wiese

Kriminalfälle aus NRW: Lehrerinnen getötet - wer steckte hinter dem Autobomben-Mord?

Oberbergischer Kreis | Verbrechen

Stand: 02.10.2023, 10:32 Uhr

Kurz vor dem Nachmittagsunterricht geht auf dem Parkplatz einer Gesamtschule in Marienheide eine Autobombe hoch. Die beiden Lehrerinnen im Fahrzeug überleben den Anschlag nicht. Was war passiert?

Von Helena Kaufmann

1

Was geschah am 27. Februar 1998?

Irmgard H. und Agnes v. H.-K. verabschieden sich am Freitagnachmittag des 27. Februar 1998 ins Wochenende. Sie winken Schülern und Schülerinnen zu, die auf dem Weg in den Nachmittagsunterricht sind. Die beiden Frauen unterrichten an der Gesamtschule in Marienheide, und, wenn es der Stundenplan zulässt, fahren sie gemeinsam mit einem Auto. Sie verstauen also ihre Taschen im Kofferraum, steigen ein, dann startet Irmgard H. den Motor. Die Zündung aktiviert einen tödlichen Sprengsatz, der heimlich am Vormittag in das Auto von Irmgard H. eingebaut worden war.

Zur gleichen Zeit erklärt Stefan Kayser seiner Klasse die Grundlagen der Chemie. Plötzlich gibt es einen lauten Knall. Kayser wird später sagen: Ein undefinierbares Geräusch, das nicht in den Schulalltag gehörte. Dem Knall folgt ein unangenehmer Geruch, sodass Kayser die Fenster schließen muss. Er unterrichtet weiter und versteht erst nach der Stunde, dass etwas Schlimmes vorgefallen sein muss. Denn die Schule ist wie ausgestorben. Keine Jugendlichen, die über den Flur laufen, kein Gerangel, kein Geschrei.

Stefan Kayser sitzt im Chemieklassenzimmer

Lehrer Stefan Kayser im Chemieklassenzimmer

Schüler und Schülerinnen starren fassungslos auf das verrauchte Auto der beiden Lehrerinnen. Weil die Kabel der Türöffnung durchtrennt wurden, war es Irmgard H. und Agnes v. H.-K. unmöglich, sich zu befreien. Sie sterben innerhalb weniger Minuten in einer qualmenden Todesfalle. Noch am Tatort erzählt eine Lehrerin einem Polizisten von den Bedrohungen, die vom Ex-Mann von Irmgard H. ausgingen. Dieser entscheidende Hinweis und die Tatsache, dass die Schlösser am Auto unbeschädigt waren, führen zur Verhaftung des Ex-Mannes Rainer H.

2

Die Gewaltspirale

Irmgard H. ist seit wenigen Jahren geschieden. Ihr Ex-Mann Rainer H. ebenfalls Lehrer, unterrichtet Mathe und Physik an einer Schule in Waldbröl. Von der anfänglichen Verliebtheit ist nach wenigen Jahren nicht viel übrig. Streit, Auseinandersetzungen und Handgreiflichkeiten sind mittlerweile Normalität. Jahre zuvor vertraut sich Irmgard H. ihrer Familie an, Rainer H. habe sie misshandelt, wodurch sie mehrere Rippenbrüche und zwei Hörstürze erlitten habe. Rainer H. veröffentlicht Aktfotos seiner Ex-Frau und macht auch vor der Familie keinen Halt.

Die beiden Opfer verpixelt

Irmgard H. (links) und Agnes v. H.-K. (rechts)

Er droht, die gemeinsamen Kinder in ein anderes Land zu entführen und erstattet Anzeige wegen Erpressung gegen Irmgard H.. Er halte die finanziellen Verpflichtungen ihr und den Kindern gegenüber für ungerechtfertigt. Sie nimmt daraufhin Stellung und schreibt einen Brief an die Staatsanwaltschaft Bonn. Sie habe fürchterliche Angst, sich gegen ihren Ex-Mann zur Wehr zu setzen, da dies zu einer Katastrophe führen würde.

3

Perfide Planung

Rainer H. plant den Anschlag auf seine Ex-Frau präzise. Er macht vorher sogar einen Testversuch im Wald. Da er für das Auto seiner Ex-Frau einen Schlüssel hat, kann er es am Tag des Attentats in Ruhe wegfahren und die Bombe einbauen. Mithilfe seines Komplizen Markus S. fällt niemandem auf, dass das Auto der Lehrerin kurzzeitig nicht mehr auf dem Parkplatz steht. Denn Markus S. parkt dort zwischenzeitlich ein anderes Auto, damit das manipulierte Auto von Irmgard H. wieder an dieselbe Stelle zurückgesetzt werden kann.

Im November 1998 startet vor dem Landgericht Köln der Prozess gegen Rainer H. und auch gegen Markus S.. Er soll Rainer H. geholfen haben. Er beteuert, geglaubt zu haben, Rainer H. würde seiner Ex-Frau nur einen Schrecken einjagen und sie nicht töten wollen. Rainer H. wird zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt, Markus S. zu neun Jahren Freiheitsstrafe.

4

Ein Hilferuf ohne Folgen

Zwei Tage vor der Explosion schreibt Irmgard H. einen Brief an die Schulaufsichtsbehörde. Darin fasst sie die Streitigkeiten der vergangenen Jahren zusammen und sagt: "Selbst Morddrohungen wurden von Herrn H. geäußert." Doch dieser Brief wird in der zuständigen Behörde erst am Tattag gegen 14 Uhr geöffnet. Etwa zur selben Zeit oder nur wenige Minuten vorher begeben sich die beiden Lehrerinnen zum Auto. Hätte der Brief seinen Adressaten eher erreicht, hätte die Schulaufsichtsbehörde etwas unternehmen können?

Auch die Polizei muss von den Bedrohungen, denen Irmgard H. ausgesetzt war, gewusst haben, sagt ein Nachbar des späteren Opfers. Sie habe sich im Vorfeld an die Polizei gewandt und um Hilfe gebeten, doch die sagte ihr, "sie könne erst aktiv werden, wenn eine Tat praktisch vorläge."

Große Trauergesellschaft auf einem Friedhof

Die Beerdigung von Irmgard H. und Agnes v.H.-K.

Zur Beerdigung von Irmgard H. und Agnes v. H.-K. fahren volle Busse mit Kollegen und Kolleginnen sowie Schülern und Schülerinnen vor. Stefan Kayser, der noch am Morgen des Tattages am gemeinsamen Tisch im Lehrerzimmer mit den beiden Frauen saß, trägt auf seiner Schulter den Sarg seiner Kollegin. Heute stehen an der Stelle, an der die beiden Frauen aus ihren Leben gerissen wurden, zwei Kirschbäume. Kaysers wünscht sich eine weitere Erinnerungsstätte für seine verstorbenen Kolleginnen. "Genauso wie eine Vitrine, in der Schulrekorde oder tolle Urkunden hängen, muss auch sowas seinen Platz finden", sagt Kayer.