Eine Frau tippt auf einem Smartphone "Hi du" und einen Kussmund ein

Experte über Love-Scamming: "Perfides Spiel mit echten Gefühlen"

Essen | Verbrechen

Stand: 07.11.2023, 16:20 Uhr

Uwe K. aus Essen fällt im Internet auf einen "Love-Scammer" herein. Wenig später tötet er sich und seine Tochter. Ein Kriminaloberkommissar erklärt, wie perfide die Betrüger im Netz ihre Opfer um den Finger wickeln.

Von Hamzi Ismail

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Der Fall Uwe K.

Im Sommer 2023 findet Uwe K. (Name von der Redaktion geändert) aus Essen im Internet die große Liebe. Als sie in Not gerät, überweist er einen hohen Geldbetrag. Danach hört er nie wieder etwas von ihr. In den meisten Fällen endet die Geschichte von Love-Scamming-Opfern hier. Im Fall von Uwe K. nimmt die Tragödie jetzt erst ihren Lauf. Den ganzen Fall gibt es bei WDR Lokalzeit "MordOrte".

Sie ist empathisch, verständnisvoll, witzig, eloquent, gutaussehend. Er hat seine große Liebe gefunden, denkt K. Ganz plötzlich gerät diese perfekte Person in eine missliche Notlage, braucht dringend Geld von ihm, und zwar so schnell wie möglich. Blind vor Liebe überweist der 55-Jährige eine hohe fünfstellige Summe, sein gesamtes Erspartes.

Was er nicht weiß: Seine Internetbekanntschaft ist ein Betrüger oder eine Betrügerin. Am Tag nach der Überweisung ist alles vorbei. Funkstille, das Geld ist weg und zurückbleibt ein zutiefst verzweifelter Mensch, der nach und nach begreift, dass er reingelegt wurde. Scham macht sich breit, Selbstvorwürfe, das Gefühl von Ohnmacht.

Der zweifache Vater tötet seine 19-jährige Tochter Nadine (Name von der Redaktion geändert), die mit ihm zusammen lebte. Danach wirft er sich vor einen fahrenden Zug und nimmt sich das Leben. In seinem Abschiedsbrief wird stehen, er habe all sein Geld verloren, sei auf Liebesbetrüger reingefallen und er wolle mit dieser Verantwortung nicht leben. Der Online-Betrüger wird nie gefasst.

Haben Sie Suizidgedanken? Hier gibt es Hilfe

Wer sich mit Suizidgedanken trägt, empfindet seine persönliche Lebenssituation als ausweglos. Doch es gibt eine Fülle an Angeboten zur Hilfe und Selbsthilfe, auch anonym.

Telefonseelsorge

Die Telefonseelsorge ist unter den Rufnummern 0800/111 0 111 und 0800/111 0 222 sowie 116 123 rund um die Uhr erreichbar. Sie berät kostenfrei und in jeder Hinsicht anonym. Der Anruf hier findet sich weder auf Ihrer Telefonrechnung noch im Einzelverbindungsnachweis wieder.

Menschen muslimischen Glaubens können sich an das muslimische Seelsorgetelefon wenden. Es ist ebenfalls kostenfrei und anonym 24 Stunden am Tag unter der Rufnummer 030/44 35 09 821 zu erreichen.

Chat der Telefonseelsorge

Die Telefonseelsorge bietet Betroffenen auch die Möglichkeit an, sich Hilfe per Chat zu holen. Dazu meldet man sich auf deren Webseite an.

E-Mail-Beratung der Telefonseelsorge

Menschen mit Suizidgedanken können sich auch an die E-Mail-Beratung der Telefonseelsorge wenden. Der E-Mail-Verkehr läuft über die Webseite der Telefonseelsorge und ist deshalb nicht in Ihren digitalen Postfächern zu finden.

Anlaufstellen für Opfer von häuslicher Gewalt

Das Hilfetelefon ist anonym, kostenfrei und rund um die Uhr unter 08000 116 016 erreichbar.

Der Weiße Ring bietet ebenfalls einen anonymen Telefondienst unter 116 006 sowie eine Online-Beratung.

Überblick auf Hilfsangebote

Darüber hinaus hat die Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention (DGS) zahlreiche Informationen zu Beratungsstellen, Selbsthilfegruppen und sozialpsychiatrischen Diensten aufgelistet, an die sich Suizidgefährdete und Angehörige wenden können, um Hilfe zu erhalten. Entsprechende Informationen finden Sie unter nachfolgendem Link.

Zurück bleiben Uwe K.'s zweite Tochter (22), Angehörige, Freunde und viele, viele ungeklärte Fragen. Warum hat er sich keinem anvertraut? Wieso ist er nicht zur Polizei gegangen? Weshalb brachte er seine unschuldige, jüngere Tochter um?

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"Love-Scamming": Polizist erklärt die Betrugsmasche

Für das digitale WDR-Crime-Format "MordOrte" hat sich WDR-Reporter Hamzi Ismail tiefer in den Fall eingearbeitet, um mehr Hintergründe über diese perfide Masche des Liebesbetrugs und über die psychologischen Folgen für Betroffene herauszufinden.

Für Lokalzeit.de hat sich unser Autor zudem mit dem Kriminaloberkommissar Mathias Rickert von der Kriminalpolizei Aschaffenburg unterhalten, der im Bereich Love-Scamming ermittelt.

Lokalzeit: Was sind denn die gängigsten Maschen der Liebesbetrüger?

Mathias Rickert: Es gibt zwei Opfer-Profile: Den männlichen Geschädigten und die weibliche Geschädigte. Wenn das Ziel-Opfer weiblich ist, dann gibt sich der Liebesbetrüger oft als Held aus, der als Soldat, Polizist oder Arzt arbeitet. Er ist beruflich erfolgreich und hat Geld, das er auch mit seiner Partnerin teilen würde. Ist das Opfer männlich, präsentiert sich der Betrüger oder die Betrügerin meist als sehr attraktiv, hat ein schönes Gesicht und große Brüste. In beiden Fällen gerät die Person plötzlich in eine Notlage. Was sich dabei die Täter einfallen lassen, ist häufig gescripted und sehr raffiniert. Sie wissen genau, welche Worte sie sagen und welchen Ton sie bei ihren Opfern anschlagen müssen. Love-Scammer können gut reden und überzeugen. Teilweise haben sie eine leicht psychopathische Natur. Das heißt, sie sind nicht emphatisch und sehr auf sich fixiert.

Lokalzeit: Mit welchen Konsequenzen für die Opfer?

Rickert: Das einzige Ziel ist es, das Opfer finanziell auszunehmen. Selbst wenn die geschädigte Person für die Geldzahlungen einen Kredit aufnehmen muss. Liebesbetrüger haben kein Interesse an Liebe oder Beziehungen. Sie nehmen in Kauf, dass das Familienleben der geschädigten Person auseinanderbricht, im schlimmsten Fall auch einen Suizid. Wie im Fall des 55-Jährigen aus Essen.

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Wie viel erbeuten Betrüger mit der Masche?

Lokalzeit: Können Sie sagen, wie viel Geld Betrüger mit Love-Scamming allein in Deutschland im vergangenen Jahr (2022) erbeutet haben?

Rickert: Das kann ich leider nicht genau beziffern. Polizeiarbeit ist Ländersache, jede Polizei sammelt diese Daten für sich. Es gibt vereinzelt Statistiken auf Bundesland-Ebene, aber mir ist keine deutschlandweite Erhebung zum finanziellen Schaden durch Love-Scamming bekannt. Was ich aber sagen kann ist, dass der Schaden in den meisten Einzelfällen so zwischen 10.000 und 50.000 Euro liegt.

Lokalzeit: Was hat Sie überrascht, als Sie angefangen haben, sich mit dem Thema zu befassen?

Rickert: Wie einfach und gleichzeitig raffiniert die Masche mit dem Liebesbetrug ist. Der Täter braucht nur ein Handy. Damit chattet er mit dem oder der Geschädigten und ergaunert sich so mit seinen Lügen relativ schnell viel Geld. Die Täter sprechen oftmals nicht mal Deutsch, sondern nutzen Übersetzungsmaschinen.

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Woran erkennt man Love-Scammer?

Lokalzeit: Fällt das nicht auf oder macht misstrauisch?

Rickert: Doch, vor allem aufgrund komischer Formulierungen. Zum Beispiel schreiben Love-Scammer ihre Opfer gerne mit "Hey honey" an. Im Englischen passt das, aber in der deutschen Übersetzung kommt "Hey Honig" bei raus. Solche kleinen Warnhinweise sollten Betroffenen merkwürdig vorkommen. Dennoch schaffen es die Täter, Geld von ihren Opfern zu bekommen. Ich denke, dass die Methode so erfolgreich ist, weil wir in einer zunehmend vereinsamenden Gesellschaft leben. Dadurch ist ein Nährboden für Love-Scamming vorhanden. Viele Betroffene sehnen sich nach Liebe, nach Zuwendung, nach einer Person, die ihnen zuhört - und der Täter bietet genau das. Das ist ein perfides Spiel mit echten Gefühlen.

Eine Kreditkarte vom Typ VISA Card wird neben einer Computertatstatur gehalten.

Love-Scamming: "Das einzige Ziel ist es, das Opfer finanziell auszunehmen"

Lokalzeit: Woher kommen die Liebesbetrüger?

Rickert: Häufig führen die Finanzströme in afrikanische Länder, vorwiegend nach Nigeria. Es wäre viel leichter, Love-Scammer innerhalb Deutschlands oder Europas zu ermitteln. Die Täter nutzen die Tatsache aus, dass keine Kooperation zwischen der Polizei ihres Landes und den deutschen Behörden erfolgt.

Lokalzeit: Dating und das Internet sind heutzutage ja untrennbar. Was raten Sie Menschen, die auf Online-Plattformen unterwegs sind?

Rickert: Love-Scammer treten in der Regel nie persönlich in Erscheinung. Beim Dating im Internet sollte man sich deswegen irgendwann auch mal in Echt kennenlernen. Auf keinen Fall sollte man zu Beginn der Beziehung gleich Geld überweisen. Die Alarmglocken müssen klingeln, wenn Geld auf eine IBAN ins Ausland transferiert werden soll. Das erkennt man daran, dass die IBAN nicht mit DE beginnt. Oder wenn die Transaktion über einen Zahlungsdienstleister wie Western Union oder über Krypto-Börsen erfolgen soll. Wenn das zu Beginn der Liebesbeziehung ein Thema ist, sollte man sehr vorsichtig sein.