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Kriminalfälle aus NRW: Welchen Preis hat der Schutz unserer Daten?

Köln | Verbrechen

Stand: 30.09.2024, 17:01 Uhr

In Köln wird 2018 ein Paar festgenommen. Der Verdacht: Die beiden sollen einen Terroranschlag geplant haben, mit dem Nervengift Rizin. Der entscheidende Hinweis kommt aus den USA. Warum haben die deutschen Ermittler nichts mitbekommen? Und was muss passieren, damit sie schneller von solchen Plänen erfahren? Ein Ermittler vom Bund Deutscher Kriminalbeamter hat klare Forderungen.

Von Estella Mazur

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Der Rizin-Fund von Köln-Chorweiler

Es ist eines der giftigsten Mittel überhaupt: Das Protein Rizin. Schon kleinste Mengen, eingeatmet oder über die Haut aufgenommen, können tödlich sein. Im Juni 2018 finden Ermittler Rizin in einem hohen Mehrfamilienhaus in Köln-Chorweiler. Im Schlafzimmer von Sief Alla H. und seiner Ehefrau Yasmin H. Dazu Rizinussamen und eine elektrische Kaffeemühle, um sie zu pressen.

Für die Ermittler ist klar: Das Ehepaar wollte mit einer biologischen Bombe einen islamistischen Anschlag verüben. Doch bevor es so weit kommt, liefert der amerikanische Geheimdienst CIA den entscheidenden Hinweis auf das Paar. Den ganzen Fall und alle Hintergründe gibt es bei WDR Lokalzeit MordOrte.

Nur durch einen Hinweis aus den USA fliegt das Ehepaar mit seinen Anschlagsplänen auf. Oliver Huth ist der NRW-Landesvorsitzende beim Bund Deutscher Kriminalbeamter. Im Interview mahnt er, dass die deutschen Ermittler viel zu abhängig von amerikanischer Hilfe sind und fordert mehr Möglichkeiten für sich und seine Kollegen. Der BDK ist ein gewerkschaftlicher Verband, der die Interessen von Polizeibeamten aus ganz Deutschland vertritt. Bereits in der Vergangenheit hat der Verband mehr Befugnisse bei Überwachungen gefordert.

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Warum deutsche Ermittler auf Hinweise aus den USA angewiesen sind

Lokalzeit: Im Fall um das Rizin im Schlafzimmer kam der entscheidende Tipp von der CIA. War das eine Ausnahme oder bekommen die deutschen Ermittlungsbehörden regelmäßig Tipps?

Oliver Huth: Das passiert leider regelmäßig. Wir haben einen Teil der inneren Sicherheit einfach ausgelagert. Geplante Terroranschläge können wir häufig nur dadurch verhindern, dass wir entsprechende Hinweise bekommen. Beim Rizin-Fund aus dem Jahr 2018 bekamen wir sie, weil unsere amerikanischen Kollegen die Möglichkeit hatten, auf gewisse Kommunikation zurückzugreifen. Wir können das nicht und das halte ich für gefährlich.

Lokalzeit: Warum?

Huth: Ohne die Amerikaner würde die Terrorabwehr in Deutschland nicht laufen. Das muss ich so deutlich sagen. Momentan funktioniert es. Aber was ist, wenn die Amerikaner nicht mehr anrufen, weil sie vielleicht gerade selbst Probleme bei der Überwachung haben? Was machen wir dann?

Ein Mann mit braunen Haaren und kurzem Bart in einem blauen Hemd

Oliver Huth, NRW-Landesvorsitzender vom Bund Deutscher Kriminalbeamter

Lokalzeit: Warum sind die deutschen Sicherheitsbehörden in so einem abhängigen Verhältnis?

Huth: Amerikanische Nachrichtendienste haben im In- und Ausland Zugriff auf viel mehr Kommunikationswege. Ein gutes Beispiel ist das Thema IP-Adressen-Speicherung. Angenommen, Mitglieder einer terroristischen Vereinigung besprechen sich im Internet. Dabei ist jedem Computer immer eine IP-Adresse zugeordnet. Beim Netzbetreiber sind Klarnamen und Anschrift für die IP-Adressen hinterlegt. Aber die Netzbetreiber speichern diese Daten nur wenige Tage. Länger werden sie nicht gebraucht. Im Frühjahr hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschieden, dass die IP-Adressen länger gespeichert werden und wir als Strafverfolgungsbehörde sie auch nutzen dürfen. Unsere Politik streitet aber derzeit darüber, wie man das in Deutschland umsetzen soll. An jedem Tag gehen dabei wichtige Daten verloren.

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Was sich der Ermittler von der Politik wünscht

Lokalzeit: Was wünschen Sie sich von der Politik, um effektiver arbeiten zu können?

Huth: Wir sollten in der Lage sein, Straftäter in Deutschland über Social Media und andere Möglichkeiten zu überwachen. Damit wir effektiv arbeiten können, müsste die Regierung endlich die Speicherung von IP-Adressen ausdehnen. Eine längere Speicherung dieser Daten hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ja erlaubt. Um Netzwerke trockenzulegen und alle zu identifizieren, die an einem Terroranschlag beteiligt sind, brauche ich Daten aus der Vergangenheit. Mit wem hat ein Täter kurz vor einem Anschlag telefoniert? Mit wem zwei Wochen vorher? Aktuell scheint es aber nicht Gegenstand des politischen Willens zu sein, den Sicherheitsbehörden diese Möglichkeiten einzuräumen.

Lokalzeit: Wie erklären Sie sich das?

Huth: Die Bundesregierung vertritt den Standpunkt, dass das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, was ein Grundrecht ist, mehr Raum braucht als die Strafverfolgung. Aus ihrer Sicht hat es einen hohen Wert, dass der Bürger weiß, wo seine Daten liegen. In jedem Fall einen höheren Wert, als der Zugriff auf diese Daten durch die Strafverfolgungsbehörden und damit auch dem Schutz der Bevölkerung vor Terroristen. Da spielt aus meiner Sicht Misstrauen eine große Rolle.

Lokalzeit: Inwiefern?

Huth: Wenn wir als Strafverfolgungsbehörde sagen, wir brauchen mehr Daten, wird in der Öffentlichkeit so getan, als sei das sehr gefährlich. Wir haben aber klare Vorschriften, wie wir mit den Daten umgehen und wann wir sie wieder löschen müssen. Mangelndes Vertrauen in unsere Arbeit bringt uns nicht weiter. Natürlich machen auch wir Fehler, aber wir brauchen Vertrauen für unsere Arbeit.

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Welche Grenzen das Sammeln von Daten haben sollte

Lokalzeit: In Deutschland gibt es schon länger einen Streit über die Vorratsdatenspeicherung. Können Sie verstehen, dass nicht jeder Bürger alle seine Daten gespeichert wissen möchte?

Huth: Es gibt immer verfassungsmäßige Grenzen und das ist auch gut so. Auch bei der Vorratsdatenspeicherung. Ich bin gegen einen Überwachungsstaat und offen für einen Diskurs in Datenschutzfragen. Das Thema wird immer sehr emotional diskutiert. Viele haben kein Problem damit, im Supermarkt Punkte zu sammeln und so Konzernen bereitwillig Einblick in ihr Kaufverhalten zu geben. Wenn wir aber Menschen schützen wollen, ist die Sorge vor Daten-Missbrauch groß. Ich verstehe da die Verhältnismäßigkeit nicht. Wir dürften ohnehin nur Personen überwachen, bei denen wir schon konkrete Hinweise haben. Aber so lange wir nicht vernünftig überwachen können, finde ich es erbärmlich, wenn die Politik sich vor die Kameras stellt und sagt: 'Die Sicherheitsbehörden tun, was sie können.' Wir dürfen gar nicht alles tun, was wir tun könnten.

Lokalzeit: Sie sprechen von Grenzen, welche meinen Sie konkret?

Huth: Der Staat hat da nichts verloren, wo Menschen ihr Innerstes nach außen kehren. Wir dürfen zum Beispiel kein Schlafzimmer überwachen, keine Tagebücher lesen oder bei Selbstgesprächen mithören. Auch, wenn Sie einen Arzt, Anwalt oder Seelsorger anrufen, hören die Strafverfolgungsbehörden weg.

Lokalzeit: Man merkt, dass Sie bei dem Thema auch emotional werden. Was macht Sie so wütend?

Huth: Mich ärgert, dass wir keine vernünftige Debatte über das Thema führen. Wir als Bund Deutscher Kriminalbeamter haben unsere Argumente lange dargelegt. Und wir leben auch am Ende damit, dass gewisse Dinge in der Politik anders entschieden werden. Dann muss die Politik den Bürgern gegenüber aber auch ehrlich sein. Sobald ein Terrorist verhaftet wird, steht der nächste womöglich bereits in den Startlöchern. Die deutsche Strafverfolgung kann ohne gewisse Daten und ohne Hinweise aus dem Ausland das bestehende Netzwerk hinter dem einen Terroristen aktuell nicht ausschalten. Wenn wir das als Gesellschaft so akzeptieren können, ist es so. Aber wir brauchen endlich eine ehrliche Debatte darüber.