Joe Bausch

Kriminalfälle aus NRW: Joe Bausch über die Serienmorde von Essen

Essen | Verbrechen

Stand: 16.09.2024, 17:02 Uhr

Eine der größten Mord- und Vergewaltigungsserien Deutschlands trägt sich Ende der 1980er-Jahre in Essen zu: fünf Morde und drei Mordversuche. Der Täter: der umgängliche 32-jährige Ulrich S. Der Arzt, Schauspieler und Autor Joe Bausch hat ihn damals kennengelernt.

Von Florian Dolle

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Der Serientäter in Essen

Zwischen 1987 und 1989 werden in Essen mindestens neun Frauen überfallen - fünf davon ermordet, die anderen überleben schwer verletzt. Täter ist der Anfang 30-jährige Essener Ulrich S. Von Kind an ist er kriminell. 1985 wird er bereits wegen räuberischer Erpressung verhaftet und verurteilt. In dieser Zeit lernt ihn auch der damalige Gefängnisarzt Joe Bausch kennen.

Gutachter werden später festhalten, dass Ulrich S. düstere sexuellen Fantasien hat, die er allesamt in die Tat umsetzt. Die Morde und Mordversuche sind nur ein Teil seiner Taten. Bis heute geht die Polizei davon aus, dass S. fast täglich Frauen sexuell belästigt oder beobachtet hat.

Nur durch einen Zufall wird Ulrich S. 1989 geschnappt: Er vergewaltigt eine 34-jährige Krankenschwester und will Fotos von ihr machen. Doch er vergisst seine Kamera am Tatort. Darin befinden sich Negative, die ihn selbst und sein Auto zeigen.

Mehr zum Fall gibt es bei WDR Lokalzeit MordOrte.

Wir haben über den Fall mit Joe Bausch gesprochen - Moderator, Schauspieler und ehemaliger Gefängnisarzt. Er hat Ulrich S. mehrfach untersucht.

Lokalzeit: Ab Sommer 1987 wurden in Essen mehrere Frauen vergewaltigt und umgebracht. Alles Zufallsopfer, an S-Bahnhöfen wie Essen-Stadtwald, im Grugapark, im ganzen Stadtgebiet. Später ist der Täter sogar in Wohnungen eingestiegen. Wie haben Sie, damals noch als junger Arzt im Essener Krupp Krankenhaus, diese Zeit erlebt?

Joe Bausch: Die Stadt war in Angst, das war jeden Tag Thema bei den Essenern. Frauen haben darauf geachtet, nachts nicht mehr allein unterwegs zu sein. Weil sich der Täter eben so unterschiedlich verhalten hat. Mal hat er getötet und Geld mitgenommen, mal nicht. Mal hat er gefesselt und vergewaltigt, dann hat er wieder nur geraubt. Und er hatte kein Beuteschema. Alte Frauen, junge Frauen, niemand war safe sozusagen. Und nie gab es Zeugen.

Lokalzeit: Das hat es der Polizei bei der Fahndung besonders schwer gemacht. Man ist ja lange von mehreren Tätern ausgegangen.

Bausch: Dass man das kommuniziert hat, hatte aber auch politische Gründe, wie mir später einer der Ermittler in einem Interview gesagt hat. Natürlich hatte es die Polizei damals schwerer als heutzutage. Damals war noch nicht viel anzufangen mit DNA-Analysen, das ging ja Mitte der 80er erst langsam los. Aber zu sagen: Wir haben hier einen Serientäter in Essen, den die Polizei einfach nicht kriegt. Das wollte die oberste Heeresführung natürlich nicht zugeben. Das hätte noch mehr Unruhe in der Bevölkerung ausgelöst.

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Ulrich S.: Kennenlernen im Knast

Lokalzeit: Sie haben den Täter selber kennengelernt?

Bausch: Das war in der JVA Werl, vor seiner zweiten Mordserie. In Werl war ich in den 80er Jahren Gefängnisarzt. Ulrich S. hat dort wegen eines Raubüberfalls gesessen. Und so wie jeder andere Häftling musste der auch an meinem Schreibtisch vorbei. Für eine Eingangsuntersuchung.

Anmerkung der Redaktion: Ulrich S. Mordserie teilt sich in zwei Teile. Vier Verbrechen, von denen zwei Opfer sterben und zwei überleben, liegen vor seiner ersten Verhaftung wegen Raub 1987. Im März 1989 wird S. wegen guter Führung vorzeitig entlassen. Es folgen fünf weitere schwere Verbrechen. Drei Frauen sterben, zwei kommen knapp mit dem Leben davon. Den ganzen Fall gibt es hier auf YouTube.

Verpixeltes schwarz-weiß Bild eines Mannes

Ulrich S.

Lokalzeit: Was ist Ihnen an dem Mann aufgefallen?

Bausch: Woran ich mich heute noch gut erinnern kann, waren seine stahlblauen Augen; der hatte so einen durchdringenden Blick. Dieses alte Bild des grobschlächtigen, brutalen Killers, aus US-amerikanischen Serien, das war ja in den 80ern noch so in den Köpfen, das traf nicht zu. Das ist ja auch ein Trugschluss gewesen. Ulrich S. hatte Manieren, war gepflegt im Vergleich zu den ganzen anderen dort, etwas eitel sogar.

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Ein Wolf im Schafspelz

Lokalzeit: Ein Wolf im Schafspelz?

Bausch: Ja und nein. Er war von der Statur kein Brecher. Schmächtig aber auch nicht. Er hatte so eine gewisse Zugewandtheit, Intelligenz. Sogar Charme kann ich fast sagen. 

Lokalzeit: Von dem Bösen, das er ja offenbar in sich trug, keine Spur?

Bausch: Geredet hat er mit niemandem über seine Taten oder perversen Fantasien. Er war unauffällig im Knastalltag, hatte ja seit Jugendtagen Erfahrung hinter Gittern. So unauffällig, dass er bei guter Führung vorzeitig im März 1989 entlassen worden ist. Das kriegt in Werl auch nicht jeder hin. Und dann begann ja erst diese schreckliche Serie.

Lokalzeit: Es folgt eine weitere Serie schrecklicher Übergriffe auf Frauen. Und dann erwischt ihn die Polizei durch seine eigene Unachtsamkeit.

Bausch: Ich erinnere mich gut daran, weil das in dem Haus passierte, in dem auch meine damalige Partnerin lebte. Eine ihrer Kolleginnen wohnte im Erdgeschoss. Ulrich S. hatte die junge Frau nachts von der Straße aus gesehen und sich dann entschieden, bei ihr einzubrechen und sie zu vergewaltigen. Auf der Flucht hat er aber seine Kamera liegen lassen. Inklusive Filmrolle, mit Negativen seines Autos samt Kennzeichen. Dann hatte man ihn. Im August 1989 war das, zwei Jahre nach der ersten Tat.

Lokalzeit: Was treibt einen Menschen dazu, sowas zu tun? 

Bausch: Das ist nur psychologisch zu erklären. Gutachter haben Ulrich S. später als Sadisten bezeichnet. Das sind Menschen, die quälen und töten, um Macht über andere Menschen zu gewinnen. Die dann sowas wie "Freude" oder zumindest Erregung empfinden, wenn jemand durch sie leidet oder sogar stirbt. Bei Ulrich S. kam noch hinzu, dass für ihn nur Bedürfnisbefriedigung galt, auf schnellem Wege, querbeet. Wenn er was haben wollte, hat er eben geklaut, begrapscht, später vergewaltigt und getötet. Da ist nie ein Punkt gewesen, in früher Kindheit, an dem er mal sowas wie ein Regulativ, eine Grenze, zum Beispiel durch einen Mentor gefunden hätte.

Anmerkung der Redaktion: Im September 1992 wird Ulrich S. zu lebenslanger Freiheitsstrafe mit gleichzeitiger Einweisung in eine forensische Psychiatrie verurteilt. Der jetzt Mitte 60-Jährige lebt heute in einer Einrichtung in Nordrhein-Westfalen.