Der Giftmord: So alt wie die Menschheit
Sadistisch, grausam, kaltblütig – mit diesen Worten beschrieb eine Richterin am Landgericht Köln den Mann, der drei Frauen vergiftet haben soll. Ein Krankenpfleger, 42 Jahre alt. Zuerst tötete der Kölner laut Anklage seine damalige Ehefrau. Später die Großmutter seiner Lebensgefährtin. Dem Gericht zufolge verabreichte er den Frauen Thallium. Ein hochgiftiges Schwermetall, das früher als Rattengift eingesetzt wurde. Zuletzt soll er auch seiner Lebensgefährtin das Gift verabreicht haben. Zu diesem Zeitpunkt war sie schwanger. Die Frau konnte gerettet werden, das gemeinsame Kind starb.
Das mögliche Motiv des 42-Jährigen? Eine Frage, die auch nach dem Prozess ungeklärt bleibt. Bis zuletzt stritt der Kölner alles ab. Im Juli 2023 verurteilte ihn das Landgericht zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherheitsverwahrung. Gegen das Urteil hat der Mann einen Antrag auf Revision gestellt. Bis der Bundesgerichtshof darüber entschieden hat, ist das Urteil noch nicht rechtskräftig.
Immer wieder gibt es aufsehenerregende und schockierende Giftmorde in NRW. Genaue Zahlen, eine offizielle Statistik, gibt es nicht. Auch nicht bundesweit. Die Zahl der Tötungsdelikte wird statistisch zwar erfasst, es wird aber nicht zwischen Tötungsmethoden differenziert. Fest steht: Giftmorde sind Teil der Menschheitsgeschichte. Ob in der Antike, der Renaissance oder im 21. Jahrhundert – jede Zeit hat ihre bekannten Giftmörder und Giftmörderinnen. Und schon immer wurde Gift vor allem in Speisen und Getränken verabreicht und so zur tödlichen Waffe.
Herausforderung: Giftmorde nachweisen
Gifte sind aus mehreren Gründen ein besonders tückisches Mordmittel: Zum einen bemerken Opfer die Tat meist nicht. Zum anderen sind Giftmorde nicht immer ersichtlich und nachweisbar. Zum Beispiel, wenn die Opfer in niedrigen Dosen und über einen längeren Zeitraum vergiftet wurden. So gibt es Fälle, in denen die Opfer unter zahlreichen Krankheitssymptomen litten, eine Vergiftung aber erst sehr spät diagnostiziert wurde.
"Bei ärztlichen Untersuchungen wird eigentlich nie auf Gifte geprüft. Da geht man nicht von aus. Das ist immer der letzte Grund für eine Erkrankung", sagt der Toxikologe und Rechtsmediziner Thomas Daldrup, der lange an der Universität Düsseldorf gelehrt hat. "Eine hochgiftige Substanz zeichnet sich dadurch aus, dass sie in sehr, sehr geringer Menge wirksam ist." Es könne zudem passieren, dass Symptome zeitverzögert auftreten. Dann sei es laut Daldrup fast unmöglich, eine Substanz nachzuweisen. Deshalb geht er von einer hohen Dunkelziffer aus. Auch andere Experten teilen seine Einschätzung.
Gibt es wirklich mehr Giftmörderinnen?
Giftmorde werden häufiger von Frauen als von Männern verübt, heißt es immer wieder. Aber stimmt das? Auch dazu gibt es keine Zahlen aus der Kriminalstatistik. Mit Blick auf bekannte Giftmordfälle fällt aber tatsächlich auf, dass es sich gerade in der Vergangenheit auffällig oft um weibliche Täterinnen handelte. In den USA gibt es im Gegensatz zu Deutschland eine Statistik, die zwischen Tötungsmethoden differenziert. Dort zeigt sich ebenfalls, dass Frauen häufiger zum Gift greifen als männliche Täter.
An der Uni Bonn wurden für eine Erhebung archivierte Mordfälle des Bonner Instituts für Rechtsmedizin aus den Jahren 1946 bis 2005 analysiert. 15 gesicherte Giftmorde wurden gefunden und untersucht. "So ist das weibliche Geschlecht bei den Tätern von Giftmorden im Vergleich zu den übrigen Tötungsmethoden überrepräsentiert", lautet eine Erkenntnis der Erhebung.
"Wenn man sich die historische Entwicklung anschaut, dann hat man sehr viele Beispiele dafür, dass Frauen sich mit Hilfe von Gift eines Ehepartners entledigten", sagt Kriminalpsychologin Lydia Benecke.
Sie sieht für dieses Phänomen vor allem zwei Gründe: Zum einen sei es für Frauen früher aufgrund sozialer und finanzieller Folgen sehr schwierig gewesen aus, einer unerwünschten Ehe herauszukommen. Zum anderen weist Benecke auf die "historischen Rollen" der Frau hin: "Frauen sollten Essen zubereiten und pflegen. Bei diesen Tätigkeiten war es sehr einfach, Gift zu verabreichen."
Vier bekannte Giftmorde aus NRW
Der Pausenbrotkiller
Jahrelang vergiftet der Familienvater Klaus O. systematisch seine Arbeitskollegen. Er arbeitet als Schlosser bei einer Firma in Schloß Holte-Stukenbrock. Im Keller seines Hauses mischt er sein Gift mithilfe von Quecksilber zusammen. Danach schmuggelt er es in die Firma, um es dort seinen Kollegen in Wasserflaschen und auf Pausenbrote zu streuen.
Eines seiner Opfer ist ein Werkstudent, der in seinen Semesterferien in der Firma arbeitet. Er geht mit Krankheitssymptomen zum Arzt, dort kann ihm jedoch niemand helfen. Nach jahrelangen Qualen fällt er schließlich ins Koma und stirbt drei Jahre später. Auch andere Kollegen sind schwer gezeichnet von den Vergiftungsfolgen und dauerhaft arbeitsunfähig. Die Überführung von Klaus O. dauerte viele Jahre. 2018 beginnt der Prozess gegen ihn. Das Gericht stuft seine Taten als heimtückisch ein und verurteilt ihn zu einer lebenslangen Haftstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung. Zu einem möglichen Motiv schweigt O. bis zum Schluss.
Tödlicher Schluck aus der Limoflasche
Johann Isaac hat noch etwas Zeit, bis seine Nachtschicht beginnt. Zusammen mit einem Arbeitskollegen sitzt er im Pausenraum und löst ein Sudoku-Rätsel. Irgendwann steht er auf, geht zum Kühlschrank und holt seine angebrochene Limoflasche heraus. Isaac setzt sich wieder vor sein Rätsel und nimmt einen Schluck aus der Flasche. "Die schmeckt aber komisch", bemerkt er. Dann geht alles ganz schnell: Isaac wird kreidebleich, seine Atmung verändert sich, Schaum kommt aus seinem Mund und er fällt von seinem Stuhl.
Isaac liegt bewusstlos am Boden. Die wenig später eintreffenden Rettungskräfte können ihn nicht mehr retten. Er stirbt. Das Ganze passiert 2006 in Minden. Isaac ist damals 44 Jahre alt und Mitarbeiter in einem Chemiewerk, in dem Wirkstoffe für Arzneimittel hergestellt werden. Die Limoflasche und auch alle andere Getränke aus dem Kühlschrank werden untersucht. Das Ergebnis: In zwei Flaschen wird Cyanid nachgewiesen. Das Gift blockiert die Sauerstoffaufnahme in Zellen, Isaac ist innerlich erstickt. Tatsächlich konnte die Polizei den Giftmord bis heute nicht aufklären. Kein Motiv, keine Verdächtigen. Alle Spuren endeten bislang in einer Sackgasse.
Tödlicher Blaubeerpudding
Liebende Mutter und eiskalte Mörderin: Maria V. tötete zwischen 1963 und 1982 insgesamt fünf Menschen in Kempen. Sie vergiftete ihre Opfer, in dem sie das Pflanzenschutzmittel E605 unter Blaubeerpudding rührte. Deshalb wurde sie später auch als "Blaubeer-Mariechen" oder "Gifthexe vom Niederrhein" bezeichnet. Aufgedeckt wurden die Morde erst im Jahr 1983, nachdem Marias Schwiegertochter sie des Mordes beschuldigte.
Ihren ersten Mord beging Maria an ihrem eigenen Vater, der pflegebedürftig war. Im Laufe der Jahre tötete sie außerdem ihre Tante, zwei ihrer Ehemänner und einen Lebensgefährten. Vor Gericht konnten ihr schließlich drei Morde nachgewiesen werden. 1984 wurde sie zu dreimal lebenslänglich plus noch einmal 15 Jahre Haft verurteilt.
Bekannteste Giftmörderin der deutschen Nachkriegszeit
Der Fall. Irmgrad S. ist in die deutsche Geschichte eingegangen: Getarnt als barmherzige Samariterin vergiftete sie gezielt alte Frauen. Ihren Opfern reichte sie vergiftete Getränke und Zigaretten zur Schmerzlinderung, um sie anschließend auszurauben. 40 Menschen wurden Opfer ihrer Giftattacken, fünf davon starben.
Am 7. Mai 1949 wird die damals 37-Jährige vor dem Kölner Landgericht zum Tode verurteilt. Sie ist damit der letzte Mensch in Westdeutschland, gegen den die Todesstrafe ausgesprochen wird. Ausgeführt wurde die Strafe nie. Einen Tag nach dem Urteil wird die Todesstrafe in Deutschland abgeschafft.
Klassische Mordgifte
Die verschiedenen Fälle aus NRW zeigen, dass es eine ganze Reihe an Substanzen gibt, die man als klassische Mordgifte bezeichnen kann.
Mit welchen Giften wurde schon getötet?
- Blauer Eisenhut: Die beliebte Zierpflanze gilt tatsächlich als eine der giftigsten Pflanzen Europas. Sie enthält das Pflanzengift Aconitin, von dem bereits wenige Gramm tödlich sind.
- Arsen: Das Halbmetall ist giftig für den Menschen und gilt als krebserregend. Es wird zum Beispiel in der Industrie, aber auch zur Herstellung von einzelnen Arzneimitteln verwendet. In Form von weißem Arsenik – ein weißes, geruchloses Pulver – wurde es schon oft als Mordwaffe genutzt.
- Polonium: 0,1 Mikrogramm des radioaktiven Metalls können bereits tödlich sein. 2006 wurde der Ex-Spion Alexander Litwinenko mitten in London mit Polonium-210 vergiftet.
- Cyanid: Cyanide sind die Salze der Cyanwasserstoffsäure, auch Blausäure genannt. Die Substanz ist hochgiftig. Allein das Einatmen kann zu Vergiftungen führen.
- Thallium: Schon 1,5 Milligramm des Schwermetalls können Vergiftungssymptome auslösen. Im menschlichen Körper schädigt es das Nervensystem, die Niere und die Leber. Es wurde früher in Rattengift verwendet.
- Parathion (E605): Das Pflanzenschutzmittel wurde ab 1948 in Europa vermarktet. Damals war die Flüssigkeit noch geruchs- und farblos. Das Mittel wurde für einige Morde verwendet. Bevor es zum Tod kommt, leiden Opfer unter Erbrechen, Atemlähmungen und schweren Krämpfen. Seit 2002 ist Parathion in Deutschland verboten.