Wahrscheinlich ist Frauke Liebs ihrem Mörder spät abends auf ihrem 1,2 Kilometer langen Nachhauseweg von einer Kneipe begegnet. Der Unbekannte hielt sie eine Woche lang gefangen, erlaubte ihr in dieser Zeit mehrfach bei Freunden und Familie anzurufen. Nach einer Woche riss der Kontakt ab.
Am 4. Oktober 2006 wurde die Leiche von Frauke Liebs in einem Wald bei Lichtenau im Kreis Paderborn gefunden. Bis heute gibt es keine Spur zum Täter. Über eine Homepage hoffte Mutter Ingrid Liebs auf Hinweise auf den Täter. Eine Belohnung von 30.000 Euro wird ausgesetzt. Ohne Erfolg.
Am 4. Oktober 2023, 17 Jahre nach dem Fund des Leichnams, hat Ingrid Liebs die Homepage aus dem Netz gelöscht. Auch die Belohnung gibt es danach nicht mehr. Der WDR hat mit Ingrid Liebs (70) ein Gespräch geführt.
Frauke Liebs: Mutter Ingrid gibt die Suche nach dem Mörder ihrer Tochter auf
Lokalzeit: Frau Liebs, Sie wollen selbst nicht mehr nach dem Mörder ihrer Tochter suchen. Warum?
Ingrid Liebs: Ganz einfach: Ich bin älter geworden. Und ich merke, dass es Mails gibt, die vielleicht gar nicht böse gemeint waren, die aber nicht zielführend sind. Die mir zusetzen, mich unruhig machen. Auch wenn ich vom Kopf her weiß, dass einiges, was darin steht, nicht stimmen kann. Eigentlich gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder meldet sich ein Mitwisser und packt alles auf den Tisch, inklusive seiner Identität. Dann muss das die Polizei sowieso regeln. Oder es redet keiner. Zum jetzigen Zeitpunkt habe ich einfach das Gefühl, dass ich mit der Homepage alle Möglichkeiten ausgeschöpft habe. Leider war vermutlich kein ganz heißer Tipp dabei. Es gab zumindest keinen, der die Ermittlungen tatsächlich vorangebracht hat
Lokalzeit: Was bedeutet das? Ist Ihre Hoffnung weg?
Liebs: Ich habe die Hoffnung verloren, dass ich den Täter noch finde, ja. Ich habe etliche Interviews gegeben, habe an einer Dokumentation und an Podcasts mitgewirkt. Trotzdem habe ich nie jemanden getroffen, der mir verlässlich sagen konnte, wer meine Tochter unter Kontrolle hatte und für ihren Tod verantwortlich ist.
Lokalzeit: Das klingt nach Resignation.
Liebs: Es ist ein Stück Resignation. Ja.
"Ich bin nicht daran verzweifelt"
Lokalzeit: Wenn Sie zurückblicken - wie bewerten Sie Ihre Rolle in den vergangenen 17 Jahren?
Liebs: Ich glaube, ich habe alles getan, was man als Mutter tun kann. Meine Kinder (Anmerkung der Redaktion: Ingrid Liebs hat noch einen erwachsenen Sohn und eine erwachsene Tochter) haben alles getan, was sie als Geschwister tun konnten. Ihre Freunde haben viel getan. Von daher kann ich eigentlich im jetzigen Stadium nur sagen:
Lokalzeit: Was macht das mit Ihnen, nicht zu wissen, was passiert ist?
Liebs: Es macht mich traurig. Aber ich bin nicht darüber verzweifelt. Ich habe noch zwei weitere Kinder, die mir viel Freude machen. Ich habe ein Enkelkind, das mir viel Freude bereitet. Diese positiven Aspekte werden mich für den Rest meines Lebens tragen. Aber es nagt jeden Tag an mir, nicht zu wissen wie und warum meine Tochter zu Tode gekommen ist.
Lokalzeit: Wie hat der gewaltsame Tod Ihrer Tochter Ihr Leben und das ihrer Freunde und Familie verändert?
Liebs: Es gibt einen Bruch im Leben. Ein Familienmitglied fehlt. Bei Geburtstagen ist gedanklich immer ein Platz frei. Und ich weiß, dass auch Freunde immer noch an sie denken und trauern. Und ihren Geschwistern fällt bei den Familientreffen auf: Da fehlt eine. Es ist die Mittlere. Sie ist nicht mehr da. Und jedes Kind spielt eine wichtige Rolle in der Familie. Diese Lücke lässt sich niemals schließen.
Lokalzeit: Das ist ein unglaublicher Schicksalsschlag für ihre Familie, wenn ich das so sagen darf.
Liebs: Ja. Gerade, weil sie die Mittlere war hat Frauke sowohl zu ihrer jüngeren Schwester, die nur gut zwei Jahre jünger war, als auch zu ihrem sehr viel älterem Bruder eine Beziehung gehabt. Die gut war. Beiden fehlt Frauke.
Lokalzeit: Sie haben mal gesagt: Sie wollen dem Täter gerne gegenüber sitzen.
Liebs: Ja, das möchte ich auch immer noch.
"Ich bin sicher, es gibt Menschen, die wissen, was passiert ist"
Lokalzeit: Sie haben auch gesagt: Da gibt es Wut, Schmerz, Trauer. Die Wut sei weg. Stimmt das?
Liebs: Die Trauer ist geblieben.
Lokalzeit: Wie kommen Sie damit klar?
Liebs: Das Leben geht weiter. Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder man verzweifelt an der Situation, dann gibt man sich auf. Oder man sucht sich neue Ankerpunkte im Leben, die das Positive in den Fokus rücken. Ohne, dass Frauke deswegen vergessen ist.
Lokalzeit: Welche Ankerpunkte sind das bei Ihnen?
Liebs: Zum Beispiel die Familie, ein Lebensgefährte, ein positives soziales Umfeld. Man muss auch wieder lachen können. Ich glaube nicht, dass Kinder auf Dauer nur eine trauernde Mutter haben möchten. Ein Enkelkind möchte nicht ständig eine trauernde Oma haben. Dieser Teil der Familie gibt mir Zuversicht.
Lokalzeit: Vielen Dank für das Gespräch.
Mehr zum Fall Frauke Liebs gibt es auf YouTube bei Lokalzeit-MordOrte: