Kriminalfälle aus NRW: Daniel (2) muss sterben - wenn der neue Partner tötet
Stand: 23.09.2024, 17:02 Uhr
2010 stirbt der zweijährige Daniel aus Erkrath. Der neue Lebensgefährte seiner Mutter quält das Kind bis in den Tod. Ähnliche Fälle gab es in Viersen und in Solingen. Wieso kommt es immer wieder zu solchen Situationen? Ein Rechtspsychologe gibt Antworten.
Von Wolfram Lumpe
Als Daniel (2) sterben muss
Erkrath im Kreis Mettmann, 2010. Die Mutter von Daniel und sein leiblicher Vater trennen sich. Die damals 31-Jährige hat neben Daniel noch drei weitere Töchter mit dem Mann. Plötzlich steht sie vor der Mammutaufgabe, die Kinder alleine erziehen zu müssen. In einem Chat lernt sie in dieser Zeit jemanden kennen. Er wird ihr neuer Freund und zieht schon wenige Wochen später bei ihr ein.
Doch das neue Familiengefüge funktioniert nicht. Während seine Mutter jobbt, ist Daniel mit ihrem Lebensgefährten Dimar T. (Name geändert) alleine. Mit fürchterlichen Folgen für das Kleinkind. Dimar T. überschüttet Daniel mit heißem Wasser, Daniel wird schwer verletzt. Seine Mutter pflegt die Brandwunden des Zweijährigen, geht aber weder zu einem Arzt noch zur Polizei. Wenige Wochen später: Der zweite Angriff dieser Art. Diesmal überlebt Daniel nicht.
Neun Jahre muss Dimar T. für seine Tat ins Gefängnis, Daniels Mutter wird zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt, weil sie ihr Kind nicht geschützt hat. Mehr zum Fall gibt es bei WDR Lokalzeit MordOrte auf YouTube:
NRW-weit gibt es mehrere solcher Fälle, die Konstellation meist ähnlich: Der neue Partner kommt mit den Kindern seiner bisher alleinerziehenden Partnerin nicht klar und übt zum Teil massive Gewalt gegen ein Kind aus. Wie Daniel ging es 2017 auch dem 5-jährigen Luca aus Viersen und 2018 einem dreijährigen Mädchen aus Solingen. Welche Dynamiken wirken in solchen Familien? Und wieso Gewalt gegenüber Kindern ausüben? Unser Autor hat mit dem Rechtspsychologen Doktor Jörn Meyer gesprochen. Er ist in der Leitung der Ärztlichen Kinderschutzambulanz in Remscheid.
Was passiert, wenn ein neuer Mann in die Familie kommt?
Lokalzeit: Ein neuer Mann kommt in ein bestehendes Familien-Gebilde und wird Partner der Mutter. Warum kann es da Schwierigkeiten geben?
Jörn Meyer: Zweifelsohne ist es für alle Beteiligten eine große Umbruchsituation. Eine Rolle spielt dabei, wie schwierig die Trennung der leiblichen Elternteile gewesen ist. Dort entstandene Konflikte können auch die neue Beziehung beeinflussen. Ebenso wie Erfahrungen aus vorherigen Beziehungen. Und es stellt sich natürlich immer die Frage, wie die Kinder mit dieser Situation umgehen.
Rechtspsychologe Dr. Jörn Meyer
Lokalzeit: Welche Rolle spielt der neue Partner?
Meyer: Es gibt neue Partner, die kommen in eine Familie und sind sehr unterstützend. Sie erkennen die Rolle und die Bedeutung des leiblichen Vaters und der leiblichen Mutter für die Kinder komplett an. In diesen Fällen gibt es häufig weniger Probleme durch die neue Partnerschaft. Es kann aber auch so sein, wie hier im Fall Daniel. Der neue Partner schottet die Partnerin und Kinder ab und versucht, eine eigene Kernfamilie zu gründen. Er torpediert Kontakte mit den leiblichen Elternteilen und beeinflusst eventuell die Kinder mit entsprechenden Äußerungen.
Der verhängnisvolle "Cinderella-Effekt"
Lokalzeit: Von dieser Situation aus ist es aber noch ein großer Schritt zu dem Maß an Gewalt, das der zweijährige Daniel ertragen musste. Warum geht ein Täter so brutal gegen wehrlose Kinder vor?
Meyer: Das fällt auch mir schwer zu beantworten. Im Fall Daniel fehlte dem Gericht ja auch die Erklärung in Form eines Motivs. Benannt wurden im Urteil Wut, Ärger, teilweise auch eine allgemeine Überforderung des Täters. All das mag zu diesen Taten beigetragen haben. Aber aus meiner Erfahrung erklärt das die angewendete brutale Gewalt nicht. In der psychologischen Forschung gibt es den Begriff des "Cinderella-Effekts". Dieser Effekt beschreibt eine Benachteiligung von nicht-leiblichen Kindern gegenüber leiblichen Kindern. Als Erklärungsmodell wird dabei neben einer Stresshypothese im Sinne einer Überforderung auch eine biologische, evolutionäre Perspektive diskutiert. Vereinfacht gesagt bedeutet Kinder zu haben, die eigenen Gene weiterzugeben. Aber bei Stiefkindern findet das nicht statt. Nach dem Cinderella-Effekt kann das zu Diskriminierung führen. Und das kann auch mit Gewalt einhergehen.
Der angeklagte Stiefvater vor Gericht
Lokalzeit: Auffällig ist bei Daniel, aber auch bei den meisten anderen Fällen, die Rolle der Mütter. Sie stehen nicht zu ihren Kindern und präsentieren sich im Nachhinein als ahnungs- und wehrlos. Warum ist das so?
Meyer: Sie sehen sich häufig in einem Abhängigkeitsverhältnis und wollen die Beziehung zum Partner aufrechterhalten. Das kann dazu führen, dass sie deutliche Hinweise auf Misshandlungen nicht sehen - oder auch nicht sehen wollen.
Auch Stiefmütter werden zu Täterinnen
Lokalzeit: Daniels Mutter hat schwere Verletzungen an ihrem Kind gesehen. Und doch hat sie nichts getan. Wie passt das zusammen?
Meyer: Im Urteil steht, dass die Mutter, zumindest wenn es um die Versorgung der Wunden ging, tatsächlich recht fürsorglich war. Gleichzeitig hat der Täter versucht, die Schuld auf Daniels Geschwister, andere Personen oder einen Unfall zu schieben. Das scheint Daniels Mutter ihm ein Stück weit auch geglaubt zu haben, weil das wahrscheinlich ein Teil ihrer Persönlichkeit war.
Lokalzeit: Wir sprechen bislang immer von Stiefvätern als Täter. Wie sieht es denn bei den Stiefmüttern aus?
Meyer: Ich habe ja vorhin bereits über den Cinderella-Effekt gesprochen. Die Forschung zeigt uns, dass dieser Effekt auch bei Stiefmüttern auftreten kann. Hier geht es weniger um körperliche Gewalt, sondern häufig eher um psychische Misshandlungen. Das drückt sich aber kaum in Zahlen aus, weil Kinder typischerweise bei ihren leiblichen Müttern aufwachsen.
Lokalzeit: Was können Mütter, Väter und neue Partner und Partnerinnen machen, damit die Patchwork-Familie funktioniert?
Meyer: Die kindliche Perspektive im Blick behalten. Das muss für die Eltern im Mittelpunkt stehen. Gleichzeitig wissen wir, dass in der Phase nach der Trennung Mütter oft sehr belastet sind. Das kann dazu führen, dass sie weniger an den Bedürfnissen der Kinder orientiertes Verhalten in der Erziehung zeigen. Niemand sollte deswegen Scheu haben, sich psychologische oder auch psychotherapeutische Hilfe zu suchen. Allgemein bleibt aber auch der andere leibliche Elternteil ganz wichtig für die Kinder.