Ein Mann in blauer OP-Kleidung steht gebeugt über einem Tisch.

Was macht eigentlich ein Thanatopraktiker?

Wesel | Verbrechen

Stand: 15.06.2023, 15:15 Uhr

Michael Keunecke ist nicht nur Bestatter, sondern auch Thanatopraktiker. Er ermöglicht Angehörigen von Mord- oder Unfallopfern mit seiner Arbeit einen würdevollen Abschied. Ein Beruf, der genauso viel von ihm abverlangt, wie er ihm gibt. Ein Protokoll.

Von Sara Wendhack (Protokoll)

Ich bin 41 Jahre alt, arbeite aber bereits seit vielen Jahren als Bestatter. Ich habe das Bestattungsinstitut früh von meinem verstorbenem Vater übernommen. In dieser Zeit habe ich viel gesehen und erlebt. Mordfälle machen dabei nur einen geringen Teil meiner Arbeit aus. Bei ihnen versuche ich während der Arbeit den Tathergang komplett auszublenden. Ich habe mir zwar ein dickes Fell angeeignet, will mich selbst aber davor schützen, dass mir Fälle zu nah gehen. Natürlich ist das nicht immer einfach.

Wie im Fall einer Frau, deren Leichnam vor wenigen Wochen in mein Institut eingeliefert wurde. Sie war von ihrem Mann mit einem Hammer erschlagen worden. Der massive Schädelbruch verriet mir auf den ersten Blick ihre Todesursache.

Thanatopraktiker: Ich will würdevolles Trauern ermöglichen

Auch wenn es in solchen Momenten nicht einfach ist: Ich versuche mich dann darauf zu konzentrieren, einen bestmöglichen Job zu machen. Ich denke an die Herausforderung, die vor mir liegt. Und ich denke an die Angehörigen. Wie wichtig es für sie ist, sich von ihr am offenen Sarg verabschieden zu können. Die Verstorbene soll ganz friedlich aussehen. Ihre Verbliebenen sollen ihr über die Wange streicheln können, ohne dass dabei die von mir verwendete Kosmetik an ihren Händen haften bleibt.

Totenversorgung

Bestatter unterscheiden zwischen verschiedenen Formen der Totenversorgung. Am bekanntesten ist die hygienische Totenversorgung. Dabei werden u.a. die Körper der Verstorbenen desinfiziert, Öffnungen verschlossen und die Leichname angezogen. Die Thanatopraxie geht darüber hinaus und will eine kurzzeitige Konservierung der Verstorbenen erreichen. Das ist die moderne Form des Einbalsamierens.

Wenn ich mit meiner Arbeit beginne, habe ich einen festen Ablauf. Ich ziehe mir meinen Kasack an, meine OP-Bereichskleidung, stelle mir Airbrush-Kosmetik für die Bearbeitung der Haut parat, Nadel und Faden, außerdem Füllmaterial. Ich beginne damit, Blutspuren zu entfernen, den Körper zu desinfizieren und einzubalsamieren. Wenn die Leichen in der Gerichtsmedizin an Kopf, Brust oder Bauchbereich untersucht wurden, bleiben dort häufig grobe Nähte zurück. Die öffne ich noch einmal und vernähe alles fein und ordentlich.

Viele Menschen wissen kaum, was ein Bestatter eigentlich macht

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Mein Beruf umfasst für mich aber mehr als die handwerklichen Fähigkeiten. Ich möchte den Menschen ihre Würde zurückgeben. Sie sollen ohne die Spuren dessen, was ihnen widerfahren ist, ihre letzte Reise antreten können. Dieses Ziel verfolge ich bei allen: Mordopfern, Verunfallten oder bei normalen Todesfällen. Die Würde zurückzugeben, das fängt für mich bei Feinheiten wie geschlossenen Augenlidern oder einem geschlossenen Mund an. Bei offenen Aufbahrungen dürfen zudem keine Flüssigkeiten oder Gerüche austreten.

Mehrere Plastikflaschen mit Schraubverschluss stehen in einem Metallregal.

Bei den Verstorbenen wird das Blut durch verschiedene Chemikalien ersetzt, um den Leichnam haltbarer zu machen

Grausamkeit und Gewalt überschminken

Ich habe ja bereits über meine Arbeit an den Toten gesprochen. Bei einem Mordfall wie dem der erschlagenen Frau muss ich auch einzelne Körperteile oder Bereiche rekonstruieren. Dafür nutze ich dann beispielsweise einen speziellen Kleber, mit dem ich Knochen, Knorpel oder Körpergewebe wieder ankleben kann. Anders wäre es nicht möglich, den Angehörigen einen Abschied am offenen Sarg zu ermöglichen. Ich kann dabei auf Techniken zurückgreifen, die meine Arbeit nahezu unsichtbar machen.

Bei solchen Fällen wird mir auch die trauerpsychologische Bedeutung meiner Arbeit bewusst. Abschied nehmen zu können, hilft den Angehörigen, das Ereignis besser zu verarbeiten. Ich übernehme da also auch ein bisschen die Rolle eines Seelsorgers. Im Fall der getöteten Frau konnten sich die Kinder und die Verwandten zuvor überhaupt nicht verabschieden. Es ist für mich Motivation, vielleicht sogar eine gewisse Genugtuung, dass wir es schaffen, mit den rekonstruierenden Maßnahmen ein grausames Ereignis ungeschehen wirken zu lassen, zumindest optisch. Die tägliche Auseinandersetzung mit dem Tod beeinflusst dabei natürlich auch, wie ich meinen Alltag wahrnehme.

Durch die Begegnung mit dem Tod lebt Keunecke gelassener

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Andere Kollegen und ich bekommen in den meisten Fällen keine oder relativ wenig Rückmeldungen von den Angehörigen selbst. Aber wir sehen, wie sich die Trauernden in Ruhe verabschieden können. Wir sehen, dass sie es mit Liebe tun und nicht mit einem Schock beim Anblick des Leichnams. Aber es gibt natürlich besondere Fälle, die ich nicht mehr vergessen werde.

Plötzlich standen sie vor meiner Tür

Vor einigen Jahren habe ich mal eine Familie betreut, die ihren kleinen Sohn verloren hat. Der Auftrag kam über einen anderen Bestatter aus Deutschland, der mit dem schwer entstellten Jungen zu mir als Thanatopraktiker kam. Und es war wirklich auch für mich heftig, die Todesumstände waren unfassbar dramatisch und traurig für alle Beteiligten. Nach der Beerdigung fuhren die Eltern des Jungen aus über 200 Kilometern Entfernung an und haben sich bei mir bedankt. Sie standen plötzlich vor meiner Tür, haben mich fest in den Arm genommen, haben danke gesagt und sind dann auch sofort wieder gefahren.

Das hat mich sehr berührt und ich kriege noch jetzt Gänsehaut, wenn ich davon erzähle. Und das sind diese Momente, die mich und meine Kollegen am Ende motivieren, diese Arbeit weiterzumachen. Trotz all der Schicksale, die man miterlebt.

Über dieses Thema haben wir am 02.03.2023 auch im WDR-Fernsehen berichtet: Lokalzeit aus Duisburg, 19.30 Uhr.