Zuhörer, Übersetzer, Problemlöser: Streetworker auf Augenhöhe
Stand: 10.10.2024, 16:27 Uhr
Das Leben von Kindern und Jugendlichen in der Großstadt ist nicht konfliktfrei. Verständnislose Erwachsene, kleine, aber auch große Probleme wie Drogen, Fluchterfahrung oder Obdachlosigkeit: In Wuppertal gibt es für sie einen neuen Ansprechpartner.
Von Annette Hager
Rund um das Drogenberatungscafé Cosa sitzen und liegen immer wieder Menschen, die mit Krankheit, Armut und Verzweiflung kämpfen. Einige Passanten gehen schnell daran vorbei oder sich wegdrehen. Hussein Shahin nicht. Er nimmt sich Zeit und spricht mit einigen von ihnen. Der 29-Jährige trägt ein schwarzes Poloshirt, schwarze Hose und Sneaker. Am rechten Arm hat er Tattoos, im Gesicht ein strahlendes Lächeln.
Seit März arbeitet Shahin beim Jugendamt in Wuppertal als Streetworker. Seine Zielgruppe sind Jugendliche und junge Erwachsene im Alter zwischen 14 und 27 Jahren, die durch das soziale Netz gefallen sind und durch andere Angebote nicht erreicht werden. Er will da sein, unterstützen und begleiten, wo es kein anderer tut. Überwiegend halten sich diese Jugendlichen im öffentlichen Raum auf. Also tut Shahin das ebenfalls.
Wuppertal: Mit offenem Ohr durch die Straßen gehen
Vor dem Drogenberatungscafé Cosa hat Shahin auch Ruhala Karimi kennengelernt. Eigentlich hat der 26-Jährige einen anderen Nachnamen. Karimi ist aus dem Iran geflüchtet und kam nur zufällig mit Shahin ins Gespräch. Heute nennt er das "sein großes Glück". "Wir haben in den letzten Wochen so viel geschafft", erzählt der junge Mann, der ein strahlend weißes Hemd und eine dunkle Hose trägt. Was das genau bedeutet, erklärt er im Video.
Ruhala Karimi (Nachname geändert) erzählt von den Veränderungen
00:51 Min.. Verfügbar bis 10.10.2026.
Nach offiziellen Zahlen des Landes NRW waren 2023 knapp 22.500 Minderjährige aufgrund von Wohnungslosigkeit in verschiedenen Einrichtungen untergebracht. Bei den 18- bis 49-Jährigen waren es fast 40.000. Doch junge Menschen wie Karimi, drogenabhängig und obdachlos, werden in diesen Statistiken zu Wohnungslosigkeit nicht richtig abgebildet. Sie kommen meist bei Freunden unter und bleiben in der Szene. Sie wenden sich nur selten an das bestehende Hilfesystem und sind für Sozialarbeiter schwer zu erreichen.
Kontakt und Respekt
Shahin spricht auf seinen Runden durch Wuppertal aber nicht nur mit Jugendlichen, die wohnungslos sind oder Drogenprobleme haben. Gerade schlendert der 29-Jährige zu einer Gruppe Jugendlicher, die am Rande eines Spielplatzes auf einer Bank zusammensitzen: "Hi, ich wollte mich mal vorstellen. Ich bin Streetworker. Das habt ihr vielleicht in amerikanischen Filmen schonmal gehört?" Er spricht mit den Jugendlichen über Zeugnisse, Ferien, Reiseziele, Langeweile. Schließlich verteilt Shahin seine Visitenkarte: "Vielleicht braucht ihr sie mal. Oder ihr gebt sie weiter."
Für viele Jugendliche ist Hussein Shahin ein Ansprechpartner
Vielen fehle einfach der Kontakt, sagt Shahin und räumt mit einer beiläufigen Bewegung an einer leeren Bank eine Lachgasflasche in den Mülleimer. "Oft reicht es, sie anzusprechen. Die Anwohner beschweren sich oder rufen die Polizei, wenn sie eine Clique Jugendlicher in Hoodies sehen, die womöglich noch konsumieren." Shahin wirbt für gegenseitiges Verständnis, für Austausch und Respekt. Bei den Preisen in der Kneipe und dem Mangel an Jugendeinrichtungen bleibe jungen Menschen oft nur Grünanlagen, Parks oder Spielplätze, um sich zu treffen.
Botschafter und Übersetzer
Als Streetworker ist Shahin auch so etwas wie ein Übersetzer. Zum einen vermittelt er zwischen seiner Zielgruppe und Politik sowie Verwaltung. Er räumt Missverständnisse aus dem Weg und trägt die Belange der Jugendlichen und jungen Erwachsenen an die Politik heran. Zum anderen spricht er die Sprache der Jugendlichen und baut eine vertrauensvolle Beziehung auf. Manchmal wird er auch wortwörtlich zum Übersetzer. Er spricht neben Deutsch auch Arabisch und Kurdisch. Das schafft Vertrauen. Vor allem bei denen, die aufgrund ihrer Herkunft noch häufiger die Erfahrung machen, nicht verstanden zu werden. Oder die Erfahrung, nicht willkommen zu sein.
Warum Hussein Shahin zugewanderten Jugendlichen oft Mut machen muss
00:35 Min.. Verfügbar bis 10.10.2026.
Shahin kam mit 18 als syrischer Flüchtling nach Deutschland. Später studiert er Sozialpädagogik. Schon damals habe ihn die aufsuchende Jugendsozialarbeit besonders interessiert. Aufsuchende Jugendarbeit ist ein anderer Begriff für Straßensozialarbeit. Shahin geht also im öffentlichen Raum auf die Jugendlichen zu, statt wie als stationäre Einrichtung darauf zu warten, dass sie von selbst kommen. Warum das wichtig ist? "Viele wissen, was sie brauchen. Aber sie wissen nicht, wo sie Hilfe bekommen können", sagt er.
Über dieses Thema haben wir auch am 11.07.2024 im WDR Fernsehen berichtet: Lokalzeit Bergisches Land, 19.30 Uhr.