Braunbär im Gehege im Tierpark Olderdissen

Zwischen Braunbär, Fischotter und Sikahirsch: Unterwegs mit Olderdissens Tierpflegern

Bielefeld | Unterwegs

Stand: 05.06.2024, 09:57 Uhr

Mitten im Teutoburger Wald steht ein Tierpark, der weit über Bielefeld hinaus Kultstatus erlangt hat. Elf Pfleger kümmern sich hier um Hunderte Tiere. Wie die Tiere wirklich ticken - und warum Pfleger manche täglich sogar vor Besuchern schützen müssen.

Von Steven Hartig

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Was Olderdissen besonders macht

Bis vor wenigen Wochen hatte ein Pfleger stets Betäubungspfeile und scharfe Munition geladen, wenn Jojo und Flocon ihr Außengehege erkundet haben. Mittlerweile dürfen die beiden Bärenschwestern ohne besondere Vorsichtsmaßnahmen nach draußen. Sie haben den Elektrozaun, der ihre Welt begrenzt, längst kennengelernt.

Die Bären im Tierpark Olderdissen

00:27 Min. Verfügbar bis 19.10.2026

Mit Jojo, Flocon und knapp 450 anderen Vier- und Zweibeinern zählt Olderdissen eher zu den kleineren Tierparks in Deutschland. In puncto Publikum aber kann Olderdissen mit kommerziellen Zoos in Hannover, München oder Dresden mithalten. Die Stadt Bielefeld, die den Park betreibt, geht von bis zu einer Million Besuchern pro Jahr aus. Dafür fließen jährlich über anderthalb Millionen Euro Steuergelder in den Park, dazu kommen viele Spenden durch Unternehmen und Privatpersonen.

Was ihn besonders macht? Der Eintritt ist kostenfrei. Olderdissen beherbergt keine Exoten, sondern vor allem heimische Tierarten. Und auf Handyempfang hoffen Besucher des 22 Fußballfelder großen Zoos vergeblich. Digitale Entgiftung im Tierpark.

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Bären gewöhnen sich an Besucher

An diesem frühen Mittwochmorgen suchen Jojo und Flocon Hundefutter, das Tierpfleger zuvor in ihrem Gehege versteckt haben. Die beiden Alpenbären – heller Fellkragen, sechs Jahre alt, knapp 150 Kilo schwer – stammen aus einem winzigen Schweizer Zoo. Heute ist Tag 129 in ihrem neuen Bielefelder Zuhause. Nach zwei Minuten zuckt Jojo zusammen.

Auf dem knarzigen Holzsteg an einer Seite des Areals hüpft ein Junge etwas umher. Das Rauschen des Wasserfalls in ihrem Gehege soll die Bären eigentlich von Geräuschen der Besucher abschirmen. Jojo scheint an diesem Morgen zu gut zu hören.

Warum die Tierpfleger täglich um die Hirsche bangen

Einige Gehminuten vom Bären-Gehege entfernt liegt in den Trögen der Sikahirsche schon wieder das Gift. Tierpfleger Till Hötker sammelt grüne Nadeln aus dem Futter. "Manche Besucher füttern die Sikas mit Giftpflanzen", sagt der 37-Jährige. Die Nadeln stammen von einer Eibe, die neben dem Gehege steht. "Jeder denkt natürlich: Das ist eine Tanne, also kann man die füttern."

Gestorben sei daran in Olderdissen zwar noch kein Tier, aber regelmäßig litten sie unter Durchfall. Warum die Eibe nicht entfernen? Das sei nicht so einfach, sagt Hötker. Zum einen stehen die Eiben überall im Tierpark, zum anderen biete sie als immergrüne Pflanze einen Sichtschutz für die Tiere.

Woran sieht man, dass es dem Sikawild gut geht?

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Bis vor Corona standen für die Besucher sogar noch Fütterungsautomaten bereit. Mit drastischen Folgen für die Tiere, erinnert sich Tierpfleger Hötker. "Das Rotwild war kugelrund. Es stand immer nur vorne am Futtertrog und hat auf die nächste Gruppe Kinder gewartet. Die haben sich gar nicht mehr wegbewegt."

Hötker streicht dem eher schmal wirkenden Sikahirsch über den Rücken. "Wenn wir die Graslieferung im Sommer haben, kann wieder mit Gras gefüttert werden. Wenn Besucher füttern, kann das wirklich bleibende Schäden hinterlassen."

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Ein Fischotter mit Kopfschmerzen

Tierpfleger Sebastian Bleich kniet am Otterbecken, neben ihm eine Blechschale mit fingergroßen Stinten. Mit seiner Hand plätschert der 40-Jährige fordernd im Wasser. Seit über zwei Tagen hat er Chris nicht mehr gesehen. "Es reicht manchmal, wenn Besucher vorher an die Scheibe klopfen", sagt Bleich. "Dann kriegt der Otter Kopfschmerzen und er zieht sich in die hinteren Höhlen zurück." Dabei soll der 11-jährige Fischotter doch jetzt seinen großen Auftritt haben. Auf der Aussichtsplattform steht gespannt wartend eine Kita-Gruppe. Sie haben Glück.

So sieht das Training mit Fischotter Chris im Tierpark Olderdissen aus

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Otter Chris taucht auf, schwingt sich unter leisem Raunen der Kinder auf den Beckenrand zu Bleich und seinen Snacks. Der Tierpfleger hält ihm einen Stock hin, an dessen Ende ein Tennisball montiert ist. Als der Otter dagegen stupst bläst Bleich in eine Hundepfeife und reicht Chris den Stint.

"Wir wollen irgendwann so weit sein, dass Chris hier vorne ruhig liegen bleibt. Dann könnten Besucher ihn anfassen und streicheln. Im Idealfall lernt er sogar, sein Maul aufzumachen, um seine Zähne zu zeigen." Bis Chris so weit ist, wird er noch viele Tennisbälle anstupsen müssen. Bleichs Geheimtipp für den Olderdissen-Besuch: Wer die Fischotter sehen möchte, sollte am besten abends vorbeikommen. Sie sind dämmerungs- und nachtaktiv und zeigen sich am liebsten, wenn der Tierparklärm abebbt.

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Leas Stille

Von der Geräuschkulisse völlig unbeeindruckt zeigt sich Lüchsin Lea – trotz ihrer fingerlangen Pinselhaare an den Ohren. Denn Lea ist taub. Und alt. Ganze 21 Jahre. Andrea Günnemann kümmert sich seit 15 Jahren um die Wildkatze. Die Tierpflegerin hat eine besondere Beziehung zu Lea. Als die Luchsin vor Jahren Jungtiere zur Welt brachte, war Günnemann eine der ersten, die nach ihnen schaute.

Die 44-Jährige hat eine Plastikschale in der Hand, voll mit gulaschgroßen Rindfleischstücken und toten Küken. Die Luchsin bekomme ein bisschen mehr als nötig wäre, sagt Günnemann und greift mit ihrer Pinzette ein Küken. Die Lüchsin bekommt in der hinteren Ecke des Geheges eine Einzel-Fütterung.

Warum Luchs Lea ihre persönliche Fütterung bekommt

00:31 Min. Verfügbar bis 05.06.2026

"Mit knapp 21 Jahren achten wir nicht mehr auf die Figur. Jedes Kilo, das sie draufhat, hilft auch, wenn sie mal krank ist." Leas stumpfe Zähne kämpfen ein paar Sekunden mit dem fedrigen Brocken, ihren Appetit scheint das nicht zu schmälern.

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Was sich für Mensch und Tier in Olderdissen ändern könnte

Drei Gehege weiter warten die Wölfe auf ihr Frühstück. Genauer gesagt warten sie darauf, dass die fremden Gerüche in der Nähe des toten Huhns verschwinden. "Die kennen uns nicht", sagt Tierparkleiter Benjamin Ibler, "die warten, bis wir weg sind". Als er die für normale Besucher gesperrte Wolfsbrücke verlässt, eilen die Wölfe aus ihrem Versteck.

Ibler ist seit 13 Monaten im Amt, vorher hat er in Tierparks in Köln, Dortmund, Berlin und Ungarn gearbeitet. Mit der Anschaffung der beiden Braunbärinnen Flocon und Jojo traf der 40-Jährige eine Entscheidung, die den Park auf Jahrzehnte prägen wird. Bis 2027 soll zudem ein kompletter Schaubauernhof mit Pferden, Schweinen, Ziegen und Kühen entstehen. Ein millionenschweres Großprojekt, das er von seinem Vorgänger übernommen hat.

Benjamin Ibler mit Esel Knut

Esel Knut posiert für ein Foto mit Tierparkleiter Benjamin Ibler

Ibler hat viele Ideen für den Tierpark. Nach seinem Bären-Coup wolle er 2024 aber erst einmal ruhig angehen. "Wenn ich neu irgendwo hingehe und sage: 'Ich verändere die Welt', dann ist das kein guter Einstand. Man darf niemanden überfordern. Wenn die Überzeugungsarbeit geleistet ist, dann ist vieles möglich." Was das heißt?

Ibler überlegt, die festen Schaufütterungen für die Tiere abzuschaffen. "Wenn wir immer zur gleichen Zeit füttern, wartet das Tier wie ein Kind an Heiligabend und läuft aufgeregt auf und ab", sagt er. "Wenn wir sie zu unterschiedlichen Zeiten füttern, können sie sich nicht darauf einstellen und zeigen häufiger ihr normales Verhalten." Ibler versucht bei solchen Entscheidungen abzuwägen. Besucher, Pfleger, Tiere – irgendwie muss er allen gerecht werden.