Hängt ein Kronleuchter in der Kölner Kanalisation
Stand: 21.11.2024, 08:23 Uhr
In der Kloake wird es festlich: Willkommen im Kronleuchtersaal der Kölner Kanalisation. Gleich neben dem Ebertplatz liegt ein einzigartiger Raum mit viel Geschichte über das Kölner Abwassernetz. Wir sind hinabgestiegen.
Von Julian Piepkorn
In der guten Stube der Kölner Kanalisation
Bevor Stefan Schmitz in die "gute Stube" führt, muss er seine Gäste vorwarnen: Nicht die Wände anfassen, nicht in den Fugen kratzen und wenn der Luftmesser Alarm schlägt, müssen alle raus. Irgendwie klingt das so gar nicht nach guter Stube. Der 61-jährige Schmitz, Glatze, blaukariertes Hemd und Jeans, hat die Schlüssel zu einem ganz besonderen Ort in Köln: Dem Kronleuchtersaal. Nur befindet sich dieser nicht in einem Schloss, sondern in der Kölner Kanalisation.
Noch steht Schmitz oben, an der frischen Luft. Er zeigt auf eine schwere Stahltür, etwa dreißig Zentimeter dick. Dahinter geht es nicht in einen Schutzbunker, sondern direkt in das Festzimmer der Kanalisation. Schmitz arbeitet für die Kölner Stadtentwässerungsbetriebe und führt einmal im Monat Besucher zu dem besonderen Ort. Die Gruppe ist bunt gemischt: das lesbische Pärchen, der Kanalbauingenieur, die Familie mit Kindern. "Bloß nicht die Wände anfassen", raunt der Vater zur Sicherheit seinem Sohn noch einmal zu. Dann geht es im Gänsemarsch eine schmale Treppe abwärts.
Bei den Führungen wird es in der Kölner Kanalisation ganz schön eng
Der modrig-feuchte Geruch lässt die Besucher das Gesicht verziehen. "Ich rieche das inzwischen gar nicht mehr", sagt Schmitz. Kurz zuvor musste eine Besucherin die Tour abbrechen, zu sehr habe sie sich geekelt. Nach etwa 30 Metern bleibt Schmitz stehen. "Herzlich willkommen in der guten Stube der Kölner Kanalisation."
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Klein-Venedig
Die Besucher schauen sich um. Es könnte fast eine kleine Terrasse in Venedig sein, die sich in dem 3,80 Meter breiten und 4,60 Meter hohen Raum verbirgt: Der kleine, sich schlängelnde Kanal, der rot-weiß leuchtende Rettungsring, die sorgfältige Abgrenzung mit Pollern über dem kleinen Mauervorsprung. Nur kommt eben kein Gondoliere aus dem schwarzen Tunnel, sondern jede Menge Regenwasser, Dreck und Fäkalien.
Mit dem Kanal und dem Rettungsring erinnert die Kanalisation eher an Venedig
2.400 Kilometer lang ist das Netz der Kölner Kanalisation. Eine eigene Stadt unter der Stadt. Gut 600 Kilometer Tunnel sind so großzügig gebaut, dass sie als begehbar gelten. "Aber da wollen Sie lieber keine Führung mitmachen", sagt Schmitz lachend.
Er zeigt ein Foto eines steinernen Torbogens: ein Kanal aus der Römerzeit. Schon vor mehr als zweitausend Jahren wussten die Menschen, dass Dreck und Regenwasser aus der Stadt mussten. Sie errichteten in Köln ein Kanalsystem und leiteten alle Abwässer in den Rhein. Im Mittelalter hätten die Menschen diese Technik der Römer immer mehr vergessen. Die Stadt Köln wuchs und wuchs, "doch statt sich zu waschen, parfümierten sich die Leute damals lieber", erzählt Schmitz und schüttelt mit dem Kopf.
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In den 1890er-Jahren war Köln bereits Großstadt: Mehr als 100.000 Menschen lebten innerhalb der Stadtmauern. Die Stadt drohte, im Dreck der Menschen zu ersticken. Kaiser Wilhelm II. erlaubte gegen Zahlung einer fürstlichen Summe, eine neue Ringstraße anzulegen und die Kanalisation deutlich auszubauen. Die Stadtplaner übernahmen Ideen aus Wien und Paris, das Abwasser mit Regenwasser zu vermischen und zusammen abzuleiten.
Das Rätsel um den Kaiser
"Aber, Herr Schmitz, warum hängt denn hier jetzt ein Kronleuchter?", fragt ein Teilnehmer der Tour. "Tja ...", sagt der 61-Jährige und wischt sich ein paar Schweißperlen von der Stirn. Da gebe es zwei Meinungen. Die eine Seite behaupte, der Kaiser sei selbst zur Einweihung in dem großen Raum gewesen und habe den Kronleuchter als Geschenk mitgebracht.
Für wahrscheinlicher hält Schmitz, dass der Kaiser zwar eingeladen, aber nie in die modrige Kanalisation hinabgestiegen sei. Zwei Kronleuchter habe die Stadt Köln für den kaiserlichen Empfang gestiftet. Sie seien bereits in den alten Bauplänen eingezeichnet, was ein spontanes Geschenk ausschließe. Heute gibt es davon nur noch Nachdrucke.
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Der Bombenhagel des Zweiten Weltkrieges auf Köln hat die Originale zerstört. Das Rätsel um den Kaiser lässt sich wohl nicht mehr lösen. Der Kronleuchtersaal blieb von den Bomben verschont und präsentiert sich so wie vor 130 Jahren. Nur, dass der Leuchter mittlerweile elektrisch betrieben wird.
Starkregen
Einfach nur ein Festsaal ist das Bauwerk am Kölner Theodor-Heuss-Ring nicht, obwohl dort bis 2019 sogar regelmäßig Konzerte stattfanden. Die Planer hatten den Schutz der Kanalisation im Blick. Vom Kronleuchtersaal zweigt ein zweiter, völlig leerer Tunnel ab, der nach etwa 300 Metern in den Rhein mündet. Schmitz hat seine Gäste gerade wieder an die frische Luft geführt, als heftiger Regen einsetzt.
Unten im Kronleuchtersaal ist die Venedig-Idylle jetzt vorbei. Das schlängelnde Abwasserflüsschen tritt über die kleine Mauer und strömt wie ein reißender Wasserfall in den vorher leeren Tunnel. Jetzt zeigt sich, warum der Kronleuchtersaal so wichtig ist.
Stefan Schmitz erklärt, wofür der "Kronleuchtersaal" gebraucht wird
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Er ist also eine Art Überlauf, damit das Wasser nicht die Kanalisation flutet und durch die Gullischächte nach oben drückt. Obwohl das Regenwasser die Abwässer stark verdünnt und der Rhein dadurch nicht wesentlich mehr verschmutzt werde, kostet das sogenannte Abschlagen die Kölner Stadtentwässerung eine Strafgebühr.
Schmitz gibt die halbstündigen, kostenlosen Führungen in den Kronleuchtersaal schon seit fast 25 Jahren. Zur Weltausstellung 2000 in Deutschland hatte die Stadt den Saal erstmals wieder für Besucher geöffnet. Auch nach all den Jahren zeigt sich der 61-Jährige noch beeindruckt von der Architektur.
Stefan Schmitz vor der Stahltür zur Kanalisation
"Heute so einen Kanal zu bauen, kostet wohl zwischen acht und zehn Millionen Euro", schätzt Schmitz. "Und spätestens nach 75 Jahren müsste er aufwendig saniert werden." Der Kronleuchtersaal hat seine Bauherren bereits lange überlebt und werde das auch weiterhin tun. "Das ist an sich ja keine Raketenwissenschaft", sagt Schmitz, während seine Kollegen die schwere Stahltür wieder verschließen. "Ich bin fest davon überzeugt, dass es den Kronleuchtersaal auch in 130 Jahren noch geben wird." Der Saal ist also nicht nur die "gute Stube" der Kölner Kanalisation, sondern auch ein wichtiger Zeitzeuge.