Der Einsatz der Industriekletterer an einem Hochhaus in Essen
00:24 Min.. Verfügbar bis 02.10.2026.
Einsatz in luftiger Höhe: So arbeiten Industriekletterer
Stand: 02.10.2024, 13:39 Uhr
Ganz hoch oben, an Brücken, Türmen, Hochhäusern oder Windrädern. Das ist der Arbeitsplatz für Industriekletterer. Überall da, wo andere nicht so einfach hinkommen. Hier montieren, reparieren und reinigen sie. Wir haben ein Team aus Dortmund bei einem Einsatz in Essen begleitet.
Von Sonja Gerhardt
Lässig steigt Phillipp Brühl in seinen Sicherungsgurt. Erst mit dem einen, dann mit dem anderen Bein. Neben ihm geht es 45 Meter in die Tiefe. Er zieht den Gurt über die Schultern, zurrt ihn fest und schließt Schnallen und Haken. Mehrmals macht es "Klick". Dabei hat er ein leichtes Lächeln im Gesicht. Brühl steht auf dem Dach eines Hochhauses in Essen. Hinter seinem Rücken erstreckt sich unter ihm die Stadt bis zum Horizont.
Brühl setzt sich seinen Helm auf und zieht sich eine orangene Jacke über. Jetzt ist er einsatzbereit. Er ist Industriekletterer. Ein neuer Job für ihn, er macht ihn erst seit drei Monaten. Trotzdem wirkt der 27-Jährige ganz gelassen, auch wenn er Respekt vor der Höhe hat. Denn an seinem Arbeitsplatz kann jeder Fehler den Tod bedeuten.
Phillipp Brühl: Warum Industriekletterer auch ein bisschen Angst haben dürfen
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Industriekletterer ist kein Ausbildungsberuf, sondern wird in Fortbildungen geschult. Entscheidend ist die Zahl der Stunden im Seil. Industriekletterer werden dann gerufen, wenn der Arbeitsort nicht mit Gerüst, Kran oder Hebebühnen erreicht werden kann oder der Einsatz dieser Hilfsmittel zu teuer wäre. Laut Landesinstitut für Arbeitsschutz und Arbeitsgestaltung Nordrhein-Westfalen wächst die Branche seit Jahren, aktuell sind etwa 60 Firmen im NRW-Branchenverzeichnis eingetragen.
Brühl und seine Kollegen sind auf einem Hochhaus am Messegelände in Essen im Einsatz. Sie sollen von der Fassade ein Graffiti entfernen. Jemand hat ganz oben vier riesige weiße Buchstaben auf die braunen Schindeln gesprüht. Wer das gemacht hat und vor allem wie er dorthin gekommen ist, bleibt auch für die Seilprofis ein Rätsel.
Industriekletterer sind Quereinsteiger
Das Wetter ist eine Herausforderung. Es regnet stark und ist so diesig und grau, dass sich die Hochhäuser der Essener Skyline im Hintergrund kaum vom Himmel abheben. "Das ist aber besser als Hitze und strahlender Sonnenschein", sagt Chef Thomas Lange. Der Dortmunder ist seit fast 20 Jahren Industriekletterer und hat viel Erfahrung: "Ob 180 Meter am Kraftwerk oder 45 Meter Hochhaus: Irgendwann ist die Höhe egal."
Wie seine Mitarbeiter hatte er vorher einen anderen Job: Lange war Berufsfeuerwehrmann. "Der Rettungsdienst war auf Dauer zu zehrend", erzählt der 50-Jährige. Als Hobbykletterer ist er zufällig in die Branche gerutscht.
Tobias Brenken, der dritte im Team, hat vorher als Heizungs- und Sanitärinstallateur gearbeitet. "Gut ist, wenn man vorher eine handwerkliche Ausbildung hatte", sagt er. "Denn wir werden nicht für das Rumhängen im Seil bezahlt, sondern für das Reparieren und Ausbessern". Was ihn an dem Job reizt? "Das extravagante Arbeitsumfeld."
Sicherheit ist lebenswichtig
Auf jeden Fall müssen die Industriekletterer schwindelfrei sein. Auf die Kante des Hochhausdaches haben sie zwei Polsterflächen gelegt. Darauf sind weiße Plastikschienen, in die Brühl und Brenken ihre Sicherungsseile legen. "Ein Kantenüberstieg ist immer ein bisschen problematisch", erklärt Chef Lange. Seine beiden Mitarbeiter am Seil lässt er dabei keine Sekunde aus den Augen.
Chef Thomas Lange erklärt, worauf die Industriekletterer beim Abseilen achten müssen
00:18 Min.. Verfügbar bis 02.10.2026.
Nachdem alles geprüft ist, schieben sich Brühl und Brenken vorsichtig über die Kante des Hochhausdaches. Brühl hebt beide Daumen. "Alles top", ruft er. Dann seilt er sich ein paar Meter ab. Brenken folgt ihm direkt daneben. Die beiden machen sich an die Arbeit. Aus einer Sprühflasche sprühen sie Lösungsmittel an die Fassade, mit Bürsten schrubben sie die weiße Farbe weg. Ihr Wassereimer ist mit einem Seil gesichert.
Bei Wind und Wetter: Die Industriekletterer bei der Arbeit in luftiger Höhe
Von unten sehen die Industriekletterer in ihrer orangefarbenen Arbeitskleidung aus wie Spielzeugmännchen. Sie kommen gut voran. Nach zwei Stunden ist die Graffiti-Schmiererei an der Fassade entfernt. Brenken muss jetzt noch an der Nachbarfassade zwei kaputte Schindeln austauschen. Dann ist der Einsatz beendet.
Besondere Aussichten für Industriekletterer
In der Branche der Industriekletterer gibt es eine hohe Fluktuation. Schließlich hängen sie mitunter buchstäblich stundenlang in den Seilen. Die drei Dortmunder aber wollen ihr erhalten bleiben. Unter anderem wegen der ganz besonderen Aussichten bei ihrer Arbeit in luftiger Höhe. Manchmal nehmen sie sich auch Zeit, innezuhalten, sagt Supervisor Lange. "An Windrädern zum Beispiel, oder am Kraftwerksturm. Das ist schon besonders."
Auch der noch ganz frische Industriekletterer Brühl will noch lange weitermachen: "Ich find' den Job geil. Klar gibt es Momente, die sind echt anstrengend. Aber ich komme an Orte, an die ich sonst nie kommen würde. Das macht Spaß."
Über dieses Thema haben wir auch am 09.09.2024 im WDR Fernsehen berichtet: Lokalzeit aus Dortmund, 19.30 Uhr.